Internationales Chorfestival in Taipei 2012
Yu-Chung John Ku, Chorleiter und Lehrer
Das Internationale Chorfestival in Taipei (TICF), eines der angesehensten und weitreichendsten Festivals in Asien, wurde 1996 von der Philharmonischen Stiftung Taipei und Professor Dirk DuHei gegründet. Es begann als zweijährliche Veranstaltung und findet nun jährlich von Ende Juli bis Anfang August statt. Jedes Jahr versammeln sich in Taipei einige weltweit hervorragende Chöre und einheimische Künstler/innen und begeistern nicht nur Tausende von Zuhörern in Taiwan, sondern auch eine große Zahl von Freunden der Chormusik in Süd-Ost-Asien. Zusätzlich zu den Konzerten gibt es während des Festivals auch einige Workshops und Meisterklassen, die von Fachleuten aus aller Welt durchgeführt werden. Im Jahr 2012 brachte das 12. TICF dem zahlreichen Publikum ausgezeichnete Konzerte und den Teilnehmern/innen der Workshops intensives musikalisches Arbeiten; darüber hinaus wurden Sonderveranstaltungen zur Feier der Chormusik eingeführt.
Ein Höhepunkt des Festivals 2012 war das Eröffnungskonzert am 28., 29.und 30. Juli. Der Philharmonische Chor von Taipei und das Nationalchinesische Orchester von Taiwan präsentierten die Welturaufführung von Nan-Chang Chiens „ Die 12 Zeichen des Chinesischen Tierkreises“. Dieses Stück ist eines der Auftragswerke des Philharmonischen Chores von Taipei anlässlich der Feiern zu seinem 40-jährigen Bestehen. Inspiriert von alten chinesischen Märchen und Romanen hat die Dichterin Mei-Chen Lai (Taiwan) zu jedem Tierkreiszeichen ein Gedicht geschrieben, um einen zwölfteiligen Zyklus zu bilden. “Der Text des Gedichtes Schlange basiert auf The Tale of the Lady White Serpent“, sagte die Lyrikerin. „ In dieser Liebesgeschichte opfert eine Frau alles, um ihren Liebhaber und ihre Familie zu schützen. Mit dem Porträt dieser starken und bescheidenen Frau, Lady White Serpent, möchte ich aus der Perspektive einer Frau allen traditionellen chinesischen Frauen, die gewöhnlich Opfer für ihre Familie bringen, meine Anerkennung aussprechen. Lai bezieht Geschichten – einige romantische, einige ernste, einige humorvolle – auf jedes Tierkreiszeichen, nicht nur auf die „Snake, Schlange, Serpent“. Diese Geschichten, die fast allen Chinesisch sprechenden Menschen sehr vertraut sind, haben die Fantasie des Komponisten beim Komponieren der Musik beflügelt.
„Es ist wichtig, vom Westen die Techniken zu lernen, aber die Inspiration müssen wir in unserer eigenen Kultur finden,“ sagte der Komponist, Professor Chien. „Als ich ihre Gedichte las, kamen mir sofort Bilder und Klänge in den Sinn, aber ich fügte einige lautmalerische Phrasen und Klangeffekte ein, die ursprünglich nicht in ihrem Text waren. Ich hoffe, sie (die Dichterin) nimmt mir die verdrehten Wendungen nicht übel. “Das Ergebnis war sehr erfolgreich. „The 12 Animal Signs of the Chinese Zodiac” ist nicht einfach eine große, einstündige Komposition für Chor und chinesisches Orchester. Es ist eine Kombination aus Musik, Dichtung, Schauspiel, Klangeffekten, Kinderspielen, Masken, Kostümen und Requisiten mit Improvisation. Bewirkt durch den einzigartigen Klang der chinesischen Instrumente in der orientalischen Atmosphäre, die der Chor auf die Bühne zauberte, war die Premiere ein umwerfender Erfolg. In den zwei Vorstellungen bejubelten viertausend Zuhörer/innen dieses neuartige Werk. Nach dem ersten Konzert sagte Frau Professor Theodora Pavlovitch (Bulgarien): “Es ist so einzigartig, so interessant, so farbenfroh. Was für eine wunderbare Eröffnung eines Festivals.“
Nach dem Eröffnungskonzert gab es eine Reihe von Festival-Konzerten, in denen TICF 2012 noch sechs hervorragende Chöre vorstellte: das Eva Quartet (Bulgarien), den Children and Young Women’s Chorus of the China National Symphony (China), den Kammerchor Stuttgart (Deutschland), PUST (Norwegen), den Mandaue Children & Youth Chorus (Philippinen) und VOCES8 (UK). Jeden Abend zwischen dem 28. Juli und 5. August begrüßten diese Gruppen Tausende von Besuchern in der Nationalen Konzerthalle in Taipei und in den anderen Aufführungsstätten in vielen Städten Taiwans und luden die Zuhörer dazu ein, ihr faszinierendes Repertoire, ihre ausgezeichnete Gesangskunst, die fabelhafte multikulturelle Atmosphäre zu genießen.
Zusammen mit den freien Matinee-Konzerten auf mehreren öffentlichen Plätzen in Taipei veranstaltete das TIFC 2012 insgesamt 25 Konzerte vor einer Zuhörerschaft von einigen Zehntausenden in Taiwan.
Tatsächlich hat TICF seit seiner Gründung 1996 über 200 Konzerte für mehr als 50 außergewöhnliche Chöre aus allen Kontinenten ausgerichtet. Der Kammerchor Stuttgart (Dir. Frieder Bernius) reiste 2012 zum 4. Mal nach Taipei, um am TICF teilzunehmen. Andere Chöre, die früher eingeladen waren, sind u. a. The Tallis Scholars ( Dir. Peter Philips) aus England, The Real Group aus Schweden, Cantemus Children’s Choir (Dir. Szabó Dénes) aus Ungarn, The Australian Voices ( Dir. Stephen Leek) aus Australien, Vancouver Chamber Choir( Dir. Jon Washburn) aus Kanada, Cantoria Alberto Grau (Dir. Maria Guinand) aus Venezuela, Incheon City Chorale ( Dir. Hak-won Yoon) aus Korea und World Youth Choir (Dir. André Thomas). Seit Jahren sind diese Konzerte für das Publikum eine großartige Darbietung ausgezeichneter Chormusik, und für die Teilnehmer/innen der Workshops eine gute Gelegenheit, erfolgreiches Arbeiten mit Chören zu lernen.
Workshops und Meisterklassen spielen bei dem TICF eine wichtige Rolle. Jedes Jahr kommen Hunderte von Sänger/innen aus Taiwan und allen Ecken Asiens (China, Hong-Kong, Malaysia; Singapur etc.) in diesen Workshops zusammen. 2012 leiteten Professorin Theodora Pavlovitch (Bulgarien) und Professor Fred Sjoberg (Schweden) je einen 10-teiligen Workshop, der verschiedenartige Musikstücke aus mehreren Gattungen auf unterschiedlichem Niveau umfasste. Bei dieser großen Auswahl an Repertoire konnten die Teilnehmer/innen beider Workshops ihre Fertigkeiten im Dirigieren auffrischen, ihre Probentechnik verbessern, ihr chorisches Repertoire erweitern und mit verschiedenen Musikstilen vertraut werden. „Dieser Workshop „Chorleitung“ bietet allen, die an einer Fortbildung im Bereich Dirigieren Interesse haben, eine seltene Gelegenheit. Er ist wirklich sehr gewinnbringend“, sagte Leon Chu, ein Teilnehmer dieses Workshops aus Hongkong.
Im Unterschied zu diesem Workshop konzentrierten sich die zehn Unterrichtseinheiten der Meisterklasse im Dirigieren unter der Leitung von Maestro Gábor Hollerung (Ungarn) auf ein einziges Stück mit vielen Sätzen. Auf den früheren ITCF Festivals waren das Stücke wie Händels Dixit Dominus, ausgewählte Sätze aus dem Messiah, Mozarts Vesperae Solennes de Confessore, Krönungsmesse und Faurés Requiem…etc. 2012 war es Rossinis Petite Messe solonelle. Unter der Leitung von Maestro Gábor lernten die Teilnehmer/innen die Strukturen dieses Werkes gründlich kennen; sie überprüften ihre Dirigier- und Probentechnik in der Arbeit mit den Sängern/innen und Instrumentalist/innen im Klassenunterricht. Am Ende des Festivals bekamen die Teilnehmer/innen die Gelegenheit, in einem Galakonzert die Aufführung dieses Werkes durch den Philharmonischen Jugendchor von Taipei und dem Jugendorchester zu leiten.
Das 7-tägige Kinderchor-Camp war beim ITCF 2012 eine völlig neue Veranstaltung. Hundert Kinder aus China und Taiwan hatten das Privileg, in der Arbeit mit Professor Kari Ala-Pöllänen (Finnland) die Schönheit und Verspieltheit des Chorsingens zu erfahren. Die letzte Aufführung war anregend, bedeutungsvoll und erfüllt von kindlichem Lachen . Während des Workshops hielt Professor Ala-Pöllänen eine Reihe von Vorlesungen über Kinderchor-Repertoire, Stimmbildungstechniken, Entwicklungsfragen etc..
Der absolute Höhepunkt des TICF Festivals 2012 war das Schlusskonzert am 5.August, in dem der Festival-Chor und das Philharmonische Jugendorchester von Taipei unter der Leitung von Maestro Gábor Hollerung Beethovens Messe in C-Dur aufführten. Der Festival-Chor bestand aus den 150 Teilnehmern/innen des Workshops ‚Chorsingen’. Sie probten die Messe während des Festivals, erhielten Gesangsstunden, nahmen an Workshops von internationalen Gastchören teil, saßen in Vorlesungen von internationalen Experten und besuchten in den Probenpausen alle Konzerte des Festivals. Es war für diese jungen Sänger/innen eine intensive Lernerfahrung, und das Ergebnis war phänomenal. Diese Chormusiker/innen der jungen Generation meisterten nicht nur Beethovens Messe, sondern boten dem Publikum auch eine frische, brillante, neue Stimme.
Dieses Jahr wird TICF vom 27. Juli bis 4. August durchgeführt. Es werden sechs internationale Chöre zu Aufführungen eingeladen, zehn einheimische Gruppen können in den Shows mitmachen, vier Folgen von Workshops und Meisterklassen erwarten die Teilnehmer/innen und 25 Konzerte in der Nationalen Konzerthalle und überall in Taiwan stehen auf dem Programm. Das Internationale Chorfestival in Taipei ist ein Ereignis, das man auf keinen Fall verpassen darf.
Yu-Chung John Ku ist künstlerischer Direktor des Philharmonischen Chores von Taipei, Dozent an der Universität für Chinesische Kultur in Taiwan und eines der sechs Mitglieder des Asiatisch-Pazifischen Arbeitsteams des IFCM. Ku hat u.a. den Chor für die Meisterdirigenten Frieder Bernius, Günther Herbig, Jahja Ling und Helmuth Rilling vorbereitet. Er hat in den Konzerthäusern der Welt dirigiert, einschließlich der Carnegie Hall, des Nationalen Kunstzentrums in Beijing, der Nationalen Musikschule in Sofia, Bulgarien, und stand am Pult bei dem internationalen Konzert auf dem Nationalen Konvent der ACDA 2011. Er ist auch Gastdirigent, Preisrichter und Chorexperte in vielen Ländern. Ku, der sein Master-Diplom an der Temple Universität erworben hat, ist Doktorand des Musikkonservatoriums der Universität von Cincinnati. E-mail: johnnyku@tpf.org.tw
Übersetzt aus dem Englischen von Christa Sondermann, Deutschland
Edited by Natalie Campbell, UK