Ein Bericht über den Europäischen Grand Prix des Chorgesangs 2014 in Debrecen, Ungarn

Von Zsuzsanna Zsoltné Szesztay, Musikerzieherin und Geigenlehrerin                                          

Am 21.- 22. März 2014 wandte sich die Aufmerksamkeit der Europäischen Chorwelt wieder einmal nach Debrecen (Ungarn) – die seit über 50 Jahren etablierte Heimat des alle 2 Jahre stattfindenden Internationalen Béla Bartók Chorwettbewerbs – wo sich Grand Prix Gewinner von großen Europäischen Chorwettbewerben versammelten, um sich beim diesjährigen Europäischen Grand Prix im Chorgesang (EGP) aneinander zu messen.

Die Idee des EGP, welcher sich zum Ziel gesetzt hat, die Gewinner von vorherigen Wettbewerben zusammenzubringen, wurde 1988 vom Verein Europäischer Grand Prix für Chorgesang geboren und seither wurde der Wettbewerb abwechselnd ausgetragen und koordiniert von den Organisationskomitees und teilnehmenden Städten folgender Chorwettbewerbe:

  • Concurso Coral de Tolosa – Tolosa, Baskenland, Spanien
  • Concorso Polifonico Guido d’Arezzo – Arezzo, Italien
  • Florilège Vocal de Tours – Tours, Frankreich
  • International Choir Competition – Maribor, Slowenien
  • International May Choir Competition ’Prof. G. Dimitrov’ – Varna, Bulgarien
  • Béla Bartók International Choir Competition – Debrecen, Ungarn

Dieses Jahr bekam der Internationale Bela Bartok Chorwettbewerb zum vierten Mal überhaupt nach 2008 wieder die Gelegenheit, Gastgeber des jährlichen Events zu sein, bei dem alle Grand Prix Gewinner der oben genannten Chorwettbewerbe um den europäischen Titel sangen. Es ist nicht erstaunlich, dass dieser angesehene Preis für viele Chöre und ihre Chorleiter der Beginn einer internationalen Karriere bedeutete und außerdem weitere Einladungen mit sich brachte, international aufzutreten. Jedoch gab es 2014 nur vier beteiligte Chöre, statt sonst sechs, die die Bühne in Debrecens Kölcsey Veranstaltungszentrums besetzten, weil Varna letztes Jahr darauf verzichtet hatte, einen eigenen Chorwettbewerb zu organisieren.

Die Hauptsponsoren des EGP 2014 waren die Stadt Debrecen, das ungarische Ministerium für Arbeit und Soziales und der nationale Kulturfonds. Die Mitglieder der Jury waren herausragende Repräsentanten der internationalen Chorszene: Aarne Saluveer, Dirigent, Chordirektor, Vorstandsmitglied der IFCM (Estland), Carlo Pavese, Komponist, Chordirektor und Vizepräsident von ‘Europa Cantat’ (Italien), Máté Szabó-Sipos, Chormeister und Dirigent der ungarischen Staatsoper (Ungarn), Ursa Lah (Slowenien), Chormeisterin des Finnmark Opernchors (Norwegen), Tamás Beischer-Matyó, mit dem Erkel–Preis gekrönter Komponist und Lehrer an der Franz-Liszt-Musikakademie, Budapest (Ungarn), Stephen Connolly, ehemaliges Mitglied der King’s Singers, derzeitiger Direktor der Internationalen A Cappella Schule (Großbritannien) und Theodora Pavlovitch, Dirigentin des Sofia Kammerchores und Vizepräsidentin der IFCM (Bulgarien).

Am 21. März wurde ein großartiges Eröffnungskonzert gegeben mit einem pulsierenden Programm zeitgenössischer Chorwerke von ungarischen Komponisten wie György Selmeczi, Miklós Csemiczky, Péter Tóth, Márton Levente Horváth, Gyula Fekete, Tamás Beischer-Matyó, György Orbán und János Vajda. Die Kompositionen, die durch den international angesehenen, in Debrecem ansässigen Kodály Chor unter der Leitung von Zoltán Pad aufgeführt wurden, dienten auch als zeitgemäße Erinnerung daran, dass Debrecen und sein Internationaler Béla Bartók Chorwettbewerb immer eine wichtige Plattform für die Vorstellung und Förderung neuer Werke von jungen ungarischen Komponisten waren.

Am folgenden Tag, nach der morgendlichen Zusammenkunft der internationalen Jury, begann der Wettbewerb am Nachmittag mit einem abwechslungsreichen Programm von hoher Qualität, welches führende Ensembles der irischen, puerto-ricanischen und schwedischen Chortradition vorstellte. Jeder Chor präsentierte seine eigene einzgartige Auswahl von Musik, vorwiegend aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die auch live im ungarischen Klassik-Radiosender Bartók übertragen wurde.

Der Wettbewerb an sich begann mit der schwungvollen Vorstellung des Kammerchores des Stockholmer Musikgymnasiums, ein großartiger Repräsentant der skandinavischen Chorszene, welcher seit seiner Gründung 1989 in verschiedensten Projekten involviert war, einschließlich solcher vom schwedischen Rundfunk organisierten, und u.a. auch beim alle 3 Jahre stattfindenden Stockholmer Festival der Neuen Musik in Erscheinung trat. Seit 2002 wurden dem Chor unter der Dirigentin Helena Stureborg viele internationale Auszeichnungen zuteil, u.a. erste Preise bei Internationalen Chorwettbewerben (Marktoberdorf 2009, Maribor 2013). Unter der charismatischen Leitung von Helena Stureborg präsentierte der Chor ein sehr gut vorbereitetes und brillant nuanciertes Programm, das einen Reichtum an außergewöhnlichen musikalischen Talenten offenbarte.

Der zweite Wettbewerbsteilnehmer des Nachmittags war das preisgekrönte irische Ensemble New Dublin Voices unter dem Dirigenten Bernie Sherlock, welches vor allem durch seine anspruchsvollen Vorstellungen von zeitgenössischen Werken internationale Anerkennung erwarben. Der Chor, der auch schon eine Reihe von irischen Uraufführungen und Weltpremieren vorgelegt hatte, hat bereits zahlreiche Preise bei Chorwettbewerben in Frankreich, Deutschland, Ungarn, Finnland, Belgien und Spanien gewonnen. Im August 2013 wurde dem Ensemble in Arezzo der erste Preis von der Jury des Internationalen Guido d’ Arezzo Polyphonischen Wettbewerbs überreicht, und so wurden sie als erster irischer Chor eingeladen, an einem Europäischen Grand Prix teilzunehmen. Sie brachten eine leicht exotische Note in den Wettbewerb, und es war ein Genuss, den New Dublin Voices und den sorgfältig ausgearbeiteten Interpretationen ihrer gewählten Werke zu lauschen. Besonders der schwungvoll dramatische Vortrag von Kodálys ‘Öregek’ (Die Alten) verdient ein besonderes Lob für seine ausgezeichnete ungarische Aussprache.

Ähnlich wie bei den vorherigen Chören wurde die Darbietung des dritten Teilnehmers, Coralia, Konzertchor der Universität von Puerto Rico, genauso herzlich vom Publikum aufgenommen. Durch eine seit langem etablierte Chortradition, die bis 1936 zurückgeht, entwickelte Choralia unter ihrer Dirigentin Carmen Aceyedo-Lucio ein anspruchsvolles Repertoire, das Stücke aus einer großen Bandbreite von musikalischen Epochen beinhaltete. In jüngster Zeit hatte der Chor Preise auf vielen internationalen Wettbewerben gewonnen, u.a. 2013 den Grand Prix beim Florilége Vocal de Tours in Frankreich, und sich dadurch auch für den diesjährigen EGP qualifiziert. Interessanterweise zeigte die Darbietung der Chorsänger in Debrecen nicht nur ihr profundes musikalisches Können und ihre beträchtliche Konzerterfahrung als Chor, sondern auch ihre besonders ausgeprägte Fähigkeit, extreme dynamische Unterschiede in ihre Interpretationen einzubringen.

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Die Vorstellung des schwedischen Jugendchores, Sankt Jacobs Ungdomskör, der 2007 gegründet schon Anerkennung auf internationalem Parkett geerntet hat, beschloss den Reigen des Wettbewerbs. 2013 gewann der Jugendchor alle fünf Preise beim Chorwettbewerb in Tolosa (Spanien) und erhielt deshalb auch eine Einladung zum diesjährigen EGP. Unter der Leitung von Mikael Wedar präsentierte der in Stockholm beheimatete Chor eine höchst engagierte Darbietung ihres einzigartigen modernen Repertoires, welches mit wahrer musikalischer Kunstfertigkeit und Stilsicherheit vorgetragen wurde.

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Nachdem alle relevanten Aspekte der Präsentationen berücksichtigt worden waren, befand die Jury bei der Preisverleihung am Abend die Darbietung des von Mikael Wedar geleiteten Jugendchores am herausragendsten. Gefolgt von einem einmütigen Applaus von sowohl Publikum als auch Mitstreitern, ging der europäische Grand Prix 2014 an den Sankt Jakobs Ungdomskör.

Als ich alle vier Wettbewerbsbeiträge gehört hatte, war ich erstaunt über den Grad an berufsmäßiger Expertise bei jedem dieser Chöre, die zugleich Repräsentanten der besten Chortraditionen der Welt sind. In der Tat war dieser Wettbewerb ein ansehnliches Beispiel für alle entscheidenden Werte des Chorgesangs, welche man selten während der traditionellen Chorwettbewerbe erlebt – nicht einmal Experten, die Darbietungen auf höchstem Niveau gewohnt sind. Interessanterweise enthielt das gewählte Repertoire jedes teilnehmenden Vokalensembles ohne Ausnahme Werke mit einer Reihe von Avantgarde-Elementen wie Deklamation, Imitation von Klängen, Sprechen, Schreien und anderen vokalen Ausdrucksmöglichkeiten. Trotzdem verdeckten diese chorischen ‘Spezialeffekte’ niemals die allgemeine Präsenz der unzweifelhaften musikalischen Werte eines jeden Chores und ihr klares Verständnis der traditionellen Normen des Chorgesangs. Aufgrund des hohen Anteils an Sängern mit individueller Gesangs-ausbildung hatten die Chöre fantastische Stimmen und entführten die Zuhörer auf eine Reise in die ihnen eigene unverwechselbare Klangwelt.

Dank der engagierten Arbeit des künstlerischen Ausschusses und des Organisations-teams des Europäischen Grand Prix der Chöre ist der diesjährige Wettbewerb wirklich ein festlicher Anlass für die teilnehmenden Chöre sowie für die Stadt Debrecen gewesen. Ich hoffe aufrichtig, dass diese Weltklasse-Chöre bald in der internationalen Konzert-szene zuhause sind und auf ihren zukünftigen Konzerttouren auch wieder gerne nach Debrecen zurückkehren.

Übersetzt aus dem Englischen von Barbara Schreyer, Deutschland