Book Review: Der lernende Dirigent

von Tobin Sparfeld, DMA, Lehrer und Dirigent

Der Autor, Thomas Caplin, ist Professor und Dirigent in Norwegen. Zurzeit leitet er den Defrost Jugendchor und den Lund Academic Männerchor, und er ist Professor für Chorleitung und Management an der Inland Norway University of Applied Sciences. In seinem Buch mit dem Titel Der lernende Dirigent behandelt Caplin viele der wesentlichen Aspekte der Chorleitung. Obwohl er zugibt, dass es weit entfernt ist von einer vollständigen Untersuchung des Themas, so ist es doch eine umfangreiche Einführung in viele Konzepte des Dirigierens.

Der lernende Dirigent wurde erstmals im Jahr 1995 veröffentlicht und danach mehrfach überarbeitet. Das aktuelle E-Book ist die erste Ausgabe auf Englisch und wurde im Jahr 2015 veröffentlicht. Das Buch hat drei Hauptteile. Der erste beschäftigt sich mit der Mechanik des Dirigates, der zweite behandelt die Psychologie und die notwendigen Führungsfähigkeiten, während der dritte Aspekte des Dirigierens untersucht.

Der Bereich der Mechanik des Dirigierens ist der stärkste Bereich. Caplin beginnt mit der Beschreibung der idealen Handposition mit gespreizten Fingern. Von hier aus stellt er die vier wichtigsten Schlagmuster vor. Während einige Lehrbücher zum Dirigieren mit dem Zweier-Takt beginnen, beginnt Caplin mit dem Ein-Schlag-Muster, indem er es beschreibt, wie wenn man einen Ball auf den Boden schlägt. Mehrere musikalische Beispiele werden gezeigt, verbunden mit Beschreibungen der speziellen Gefühle und Charakteristika. Der Text behandelt vier Dimensionen, die man beim Dirigieren wahrnimmt – Gravitation, Zeit/Timing, “Fluss” (horizontale Bewegung des Schlagmusters) und Raum. Ein Mantra, das sich durch den Text zieht, ist. “Was du tust ist was du bekommst!”, ein Satz ähnlich dem von Rod Eichenbergers “Was du siehst ist was du bekommst!”

Schläge werden hinzugefügt zu jeder Geste, um einen Zweier-, Dreier- oder Vierertakt zu erzeugen. Fünfer- und Sechser-Takte werde vorgestellt, während größere Takte und Anteile nur kurz angerissen werden. Illustrationen und Videos sind im E-Book enthalten.

Caplin behandelt dann die vorbereitenden Schläge, Abschläge /Freigaben, und die verschiedenen Möglichkeiten, Fermaten zu dirigieren (mit und ohne Abschläge, Pausen, usw.). Obwohl er sie kurz anreißt, werden junge Dirigenten sich schwer damit tun, nur mit dem Buch diese fortgeschrittenen Gesten zu dirigieren. Dieser Bereich endet mit einer Analyse der weit verbreiteten Schwäche, die er als “herum hüpfend” bezeichnet, bei der der Dirigent unabhängig vom Takt zuckt, statt in den Iktus einzutauchen (als wenn er mit jedem Schlag einen heißen Stein berührt).

Der zweite Teil beginnt auf Seite 135 und konzentriert sich auf die Psychologie des Chorleiters und des Chorsängers. Caplin glaubt, dass Chorleiter die Sänger stärken und ihnen mehr Verantwortung geben sollten, indem sie einige der Chorleiteraufgaben an die Sänger und die Sängervertretung (wenn es eine gibt) abgeben und ein Gespräch über die Ziele und die Ausrichtung mit den Sängern führen. Caplin schreibt, dass “[M]usik viel mit Menschsein zu tun hat, wo der Dirigent lernt, die ganze Person hinter der Stimme zu führen.”Die folgenden Kapitel über den lernenden Dirigenten wurden von Stig Eriksen geschrieben und behandeln die mentalen Aspekte des Dirigierens, einschließlich der Wichtigkeit von kinästhetischem Lernen, Gestik und genereller Achtsamkeit beim Unterrichten. Obwohl die Information sehr sorgfältig recherchiert wurde, endet sie ohne einen wirklichen Vorteil für den Chorleiter.

Der dritte Teil enthält Elemente, die man landläufig unter Chormethoden zusammenfasst. Der Abschnitt über Übungsmethoden enthält grundlegende Hinweise zur Strukturierung einer Chorprobe und dazu, wie man beim Üben einzelner Teile die übrigen Sänger einbezieht. Das Vorspielen der Gesangsteile auf dem Klavier wird besonders betrachtet, ebenso das Einsingen (obwohl hier keine speziellen Vorlagen zum Einsingen genannt werden) und die Verwendung von verstärktem Klang. Caplin macht sehr deutlich, dass beim Singen mit einem Mikrofon der Sänger seine gesangliche Beurteilung auf den Klang aus dem Lautsprecher ausrichten muss und nicht auf den eigenen direkten Klang.

Das Textbuch behandelt auch kurz die Beurteilung von Noten, die Werktreue, eine kurze Betrachtung moderner Techniken der zeitgenössischen Chormusik sowie einen beträchtlichen Abschnitt des Arrangierens von Stimmgruppen innerhalb eines Chores. The abschließenden Kapitel widmen sich dem Eindruck des Chorklangs, der Bedeutung von Partnerschaft in der Chormusik (geschrieben von Peder Karlsson), der Chorintonation sowie der lateinischen Betonung.

Mit fast 320 Seiten ist Der lernende Dirigent kein kleines Buch. Weil es aber so viele Aspekte kurz behandelt, fühlt es sich viel kleiner an. Der Schreibstil ist prägnant und klar, und das ist sehr wichtig, wenn man Bewegungen und Empfindungen beim Dirigieren beschreibt. Es könnte aber mehr Illustrationen der richtigen Positur und der Bewegung für Dirigenten enthalten, und die Illustrationen der Schlagmuster sind eckiger als von den meisten Chorleitern praktiziert. Mehrere Themen fehlen, so die Beschäftigung mit der Partitur, die Auswahl des Repertoires, die Übungspädagogik, die Diktion sowie fortgeschrittene Bereiche des Dirigates wie vorbereitende Schläge und Unterteilungen. Außerdem gibt es nichts bezüglich der Gesangspädagogik oder der Details bezüglich der Stimme.

Der lernende Dirigent eignet sich ausgezeichnet für die Anfänger als Chorleiter und solche mit geringer Erfahrung, vor allem wenn sie schon Sänger sind (und Kenntnisse im Stimmtraining haben). Mit der Betrachtung des Klavierspiels und der Verwendung des Mikrofons sowie weniger Beachtung der Werkstudie und des Repertoires ist das Buch mehr ausgerichtet auf allgemeine Chöre als auf akademische oder kirchliche Chöre. Caplin ermutigt erfahrenere Dirigenten, das Buch von hinten nach vorne durchzuarbeiten und so zu den ursprünglicheren Abschnitten zu kommen. Während das für die Verwendung als Chorleitungstextbuch für einen akademischen Kurs funktionieren kann, werden Einrichtungen, die die Bereiche Dirigat und Chormethoden trennen, Bücher bevorzugen, die in jedem dieser Bereiche direkter sind. Der lernende Dirigent vermittelt kein “Anleitungs-Gefühl”, weil es keine Übungen und Testfragen enthält und weil es zu wenige Illustrationen beinhaltet.

Thomas Caplin

Caplin zehrt von seiner Erfahrung, um seine besten Eindrücke mit dem Leser zu teilen, und er wählt seine Worte effizient. Während es viele Bücher über die Dirigierbewegungen gibt, ist dies aktuell eines der wenigen E-Books über das Chordirigat, und das macht es zu einer interessanten digitalen Ressource für den modernen Dirigenten. Obwohl nicht vollständig, so ist dieser breit angelegte Überblick über das Dirigieren es wert, berücksichtigt zu werden.

 

Als früheres Mitglied des St. Louis Kinderchores ist TOBIN SPARFELD durch die ganze Welt gereist, von Vancouver, British Columbia, im Westen bis Moskau, Russland im Osten. Tobin hat bei Seraphic Fire und im Santa Fe Wüsten-Chor gesungen. er arbeitete mit Chören aller Altersgruppen, war Assistent beim Miami Kinderchor und Vize-Direktor des St. Louis Kinderchores. Er lehrte am Principia College, war Chordirektor an der Millersville Universität in Pennsylvania und war Dirigierassistent beim Civic Chorale of Greater Miami. Tobin erlangte sein DMA in Dirigieren an der Universität von Miami in Coral Gables und studierte bei Jo-Michael Scheibe und Joshua Habermann. Er hat darüber hinaus ein künstlerisches Lehrerdiplom des CME Instituts von Doreen Rao. Er ist derzeit Chef der Musikabteilung des Los Angeles Mission College, einem Teil des Los Angeles Community College Districtes. E-Mail: tobin.sparfeld@gmail.com

 

Übersetzt aus dem Englischen von Willi Stegemeyer, Deutschland