CD-Besprechung: SAWT, vom Fayha-Chor (jetzt Libanesischer Nationalchor)

 

Peter Broadbent, Dirigent, Großbritannien

Es gibt nur wenige lebende Chordirigenten, die als Gründer einer Tradition bezeichnet werden können, aber Barkev Taslakian aus dem Libanon, Gründer und Dirigent der Fayha-Chöre im Libanon und in Ägypten, ist eine dieser bemerkenswerten Persönlichkeiten. Als Kind war Barkev, wie er sagt, “kein Fan von arabischer Musik, obwohl ich mich für Musik begeisterte”. Dann hörte er Kompositionen und Darbietungen von Marcel Khalife und der Sängerin Oumeima El Khalil, und ihm wurde klar, dass er nur wenig über die wahre arabische Musik wusste. Schon bald nahm er sich vor, die arabische Musik weiterzuentwickeln, “ohne sie zu verändern, und sie der Welt in der A-capella-Form vorzustellen” – eine Form der Chormusik, die in der arabischen Tradition so gut wie unbekannt ist.

Barkev Taslakian

Marcel Khalife hörte Oumeima im Alter von sieben Jahren singen und war von ihrer Stimme zutiefst berührt. Doch der Ausbruch des Bürgerkriegs, der das Land mehr als fünfzehn Jahre lang heimsuchen sollte, machte es ihm schwer, seine Karriere als Komponist, Sänger und Oud-Spieler zu verfolgen, so dass er nach Frankreich ging, um seine Karriere fortzusetzen. Als er 1979 nach Beirut zurückkehrte, lud er die 12-jährige Oumeima ein, mit seiner Band Al Mayadin aufzutreten, und diese fruchtbare und regelmäßige Zusammenarbeit besteht seither fort, obwohl beide erfolgreiche Solokarrieren haben.

Die vierte wichtige Persönlichkeit in dieser Zusammenarbeit ist Edward Torikian, der die von Khalife komponierten Lieder für den Fayha-Chor arrangierte. Wie Maestro Barkev betont, war dies eine große Herausforderung für alle Beteiligten, “da einige arabische Konsonanten beim Singen weder musikalisch noch leicht auszusprechen sind”. Die arabischen Modi mit ihren mikrotonalen Wendungen sind mit einem Chor nicht leicht authentisch zu vermitteln, aber das Ergebnis ist faszinierend zu hören, und die Präzision von Intonation und Rhythmus ist bemerkenswert.

Die 11 Lieder auf dieser CD haben jeweils eine Länge von knapp 3 bis 11½ Minuten, wobei die meisten etwa 6 oder 7 Minuten dauern. Die wunderbare Stimme von Oumeima El Khalil steht im Mittelpunkt der meisten Stücke, obwohl Muwashah weitgehend chorisch ist. Die traditionellen Verzierungen der Solistin werden zuweilen vom Chor aufgegriffen, doch im Wesentlichen unterstützt er sie mit rhythmischem Drive und einem breiten Spektrum an textlicher Vielfalt, mal mehrstimmig, mal im perfekten Unisono. Torikian beschreibt Oumeimas Stimme als “weich, aber stählern”, und ihre Beherrschung dieser komplexen Melodien ist großartig. Die leicht gehauchten, aber charaktervollen Stimmen des Fayha-Chores zeigen durchweg absolute Präzision und enorme Kraft. Die Tempowechsel in den Liedern werden alle mit großem Einfühlungsvermögen gemeistert, und die Beherrschung von “Barkev, dem Geduldigen”, wie Khalife ihn beschreibt, ist tadellos. Im Vergleich zu traditionelleren Formen des Chorgesangs gibt es in dieser Sammlung eine relativ begrenzte Bandbreite an Dynamik, aber die Intensität und offensichtliche Ernsthaftigkeit der Darbietungen werden dadurch nicht beeinträchtigt.

Es handelt sich um sehr kunstvolle Arrangements mit wunderbaren Melodieführungen und einem Hauch von Orchestrierung. In vielerlei Hinsicht sind sie ein wenig wie Volkslieder, aber mit einer viel reicheren Sprache und größerer Vielfalt. Das Ticken der Uhr, mit dem Sa’a beginnt, weicht einer imitatorischen Schreibweise, kehrt dann zurück, wenn die Textur immer komplexer wird, und endet schließlich etwas abrupt, wie viele dieser Lieder. Das ausgedehnteste Lied ist An Tuhib, ein dramatisches Werk mit einigen atemberaubenden Verzierungen der Solistin und einem abschließenden Melisma mit einer pikardischen Terz – diesmal nicht abrupt endend.

Was man bei diesem großartigen Projekt allerdings vermisst, ist eine Übersetzung der Liedtexte oder gar eine Zuordnung zu den Textdichtern, die sie verfasst haben, denn das trüge zu einer umfassenderen Wertschätzung des exzellenten Musizierens bei. Es gibt jedoch einige sehr poetische Beschreibungen in den Cover-Notizen und einen klaren Eindruck von den intensiven Emotionen und dem Engagement aller Künstler, die für das Konzept und die Umsetzung des Albums verantwortlich sind. Es ist bezeichnend, dass eine der vielen Auszeichnungen, die der Fayha-Chor und Barkev Taslakian erhalten haben, der Music Rights Award des Internationalen Musikrats ist, “in Anerkennung des Engagements des Chors bei der sozialen und moralischen Unterstützung von Flüchtlingen durch Chorgesangsausbildung”. Der Libanon grenzt im Norden an Syrien, und inzwischen sind 50 % der fast 7 Millionen Einwohner Flüchtlinge. So leidenschaftlich wie ihre Musik ist auch ihre Liebe zu ihrem Land, und trotz der schrecklichen Armut und der manchmal entsetzlichen Lebensbedingungen geben diese Sängerinnen und Sänger einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Zukunft des Libanon.

 

Peter Broadbent ist einer der führenden britischen Chorleiter, bekannt für sein konsequentes Engagement für zeitgenössische Musik. Im Jahr 1988 gründete er die Joyful Company of Singers, die sich schnell als einer der führenden Kammerchöre Europas etablierte und eine beeindruckende Liste nationaler und internationaler Wettbewerbe gewann. Sie traten bei vielen der großen britischen Festivals auf, darunter die BBC Proms, und gaben Konzerte und Rundfunkübertragungen in ganz Europa und in den USA. Das Repertoire des JCS umfasst über 30 Uraufführungen, und die Diskographie des Ensembles umfasst mehr als 25 CDs, wobei die Einspielung von Aufnahmen weiterhin einen wichtigen Teil der Tätigkeit des Ensembles darstellt. Peter Broadbent arbeitet als Gastdirigent in ganz Europa, gibt Meisterkurse und ist Jurymitglied bei internationalen Wettbewerben. Für die Förderung und Stärkung der britisch-ungarischen Kulturbeziehungen wurde er kürzlich mit dem Ritterkreuz des ungarischen Verdienstordens ausgezeichnet. Im Jahr 2022 wurde er für seine Verdienste um die Musik mit dem MBE ausgezeichnet. E-Mail: peter.broadbent@jcos.co.uk

 

Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Saus, Deutschland