Chöre Verändern Unsere Welt

Eine Neue Initiative des Internationalen Chorfestivals Yale

 

Von Mary L. Cohen, André de Quadros, Jeffrey Douma

Vor ein paar Jahren beauftragte der Exekutivausschuss der IFCM eine Gruppe von Chorleitern, sich in Venezuela zu treffen und „Chorleiter ohne Grenzen“ (CWB) zu gründen. Ziel dieses Programms war es, Kompetenzen und Kapazität auf dem Gebiet der Chormusik in Entwicklungsländern aufzubauen. Seit der Etablierung von CWB haben mehrere Projekte unter dessen Dach stattgefunden: amerikanische und europäische Chorleiter gaben Meisterklassen und Kurse und begründeten hierdurch eine Vielzahl von Partnerschaftsprojekten in Afrika, Asien und Lateinamerika. CWB wurde zu einem informellen Netzwerk von zusammenarbeitenden Chorleitern und Chören.

Mit der Zeit wurde es klar, dass CWB eine größere Rolle bei der Definition von “Grenze” als Kriterium der Ausgrenzung spielen musste. Die internationalen Grenzen zwischen Ländern sind nicht die einzigen Ausgrenzungselemente. In allen Ländern existieren eine Vielzahl an Barrieren, die Gemeinschaften und Individuen an einer vollen Teilnahme am kulturellen Leben hindern. Daher sollte CWB in dieser neuen Phase versuchen, diese Barrieren zur Teilnahme am Chorgesang zu lokalisieren und zu verstehen, ob es sich hierbei nun um Armut, Entfremdung, geistige Gesundheit, Konflikte, Krankheit, Gefangenschaft oder anderen Hindernisse handelt, und sollte Lösungsansätze finden, wie Chorleiter und Chöre neue transformative Projekte lokal entwickeln können. Es war hierbei wichtig, die frühere Mission von CWB kritisch unter die Lupe zu nehmen und eine neue, sozial verantwortliche Philosophie zu finden; diese Aufgabe steht auch im Zentrum des kommenden Symposiums in Yale.  

Die Geschichte des Internationalen Chorfestivals Yale – und des aktuellen Symposiums – beginnt mit dem Yale Glee Club, der ältesten Musikorganisation der Universität von Yale. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als Marshall Bartholomew (für viele einfach als “Barty” bekannt) dessen Chorleiter war, stand der Glee Club für die Idee, dass Chorsingen eine einzigartige Kraft hat,  tragende Verbindungen zwischen den Menschen herzustellen. Der Glee Club hat die Welt bereist, nicht nur um den studentischen Sängern bereichernde Erfahrung zu ermöglichen, sondern auch um internationales Verständnis durch Singen zu fördern.

Der Yale Alumni Chor wurde 1988 gegründet, um früheren Mitgliedern – und deren singenden Freunden – eine Möglichkeit zu geben, mit anderen durch die Chormusik Kontakte zu halten. Der  Alumni Chor hat Bartys Vision ins einundzwanzigste Jahrhundert getragen, indem er sich für internationale musikalische Zusammenarbeit engagierte und weitreichende musikalische Initiativen weltweit unterstützte.

Die meisten der Aktivitäten des Alumni Chors waren international ausgerichtet, aber seit einiger Zeit haben sich der Glee Club und der Alumni Chor zusammengeschlossen, um die Idee des internationalen Choraustauschs nach Hause zu bringen. Das Ergebnis ist das erste Internationale Chorfestival Yale (19.-23. Juni 2012) – eine Zusammenarbeit zwischen der Yale School of Music, dem Glee Club, dem Alumni Chor und dem Internationalen Festival für Künste und Ideen von New Haven. Diese neues Event bringt vier bekannte Chöre aus vier Kontinenten – den Chor des Central Conservatory of Music aus Peking, den Manado State University Choir aus Indonesien, die Imilonji Kantu Chorgemeinschaft aus Südafrika and das Cambridge University Consort of Voices, zusammen mit dem Yale Alumni Chor und den neu gegründeten Yale Choral Artists – nach New Haven, Connecticut, für fünf Tage voller Singen und Erkunden der Verbindungen, die Chormusik zwischen Menschen herstellt.

Die Idee des Erkundens führte zum  Symposium “Chöre verändern unsere Welt”, das während der letzten beiden Festivaltage, am 22. und 23. Juni 2012, stattfinden wird. Wir leben in einer immer stärker verbundenen globalen Gemeinschaft, und diese Tatsache hat Auswirkungen auf alle Facetten unseres Alltags. Die Chorgemeinschaft ist natürlich keine Ausnahme, und es gibt heute im Chorbereich sicher mehr internationale Zusammenarbeit und Austausch als je zuvor. Gleichzeitig gibt es auch viel innovative Arbeit auf der lokalen Ebene, die unsere Sichtweise auf das, was Chorsingen erreichen und wie es Leben verändern kann, neu bestimmt.

Während in der IFCM viele zustimmen, dass diese Verbindungen vorteilhaft sind, werden dort auch wichtige Fragen laut. Wie können die Verbindungen, die wir durch Chorsingen aufbauen, unsere Wahrnehmung in sinnvoller Weise erweitern? Was können wir von internationalem Choraustausch lernen und was nicht? Riskiert ein Ensemble, das sich mit den besten Vorsätzen international engagiert, unbeabsichtigt paternalistisch zu sein oder die ganz realen Unterschiede zwischen den Kulturen zu kaschieren? Hat Chorsingen tatsächlich – wie wir Chormusiker oft behaupten – eine einzigartige Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen, und wenn ja, woran genau liegt das? Überschätzen wir die Kraft des Chorsingens, Probleme zu lösen, wenn wir daran denken, dass Chormusik auch dazu benutzt wurde, soziale Gruppen zu unterscheiden? Wie werden Chöre und ihre Chorleiter aufgefordert, sozialverantwortliche Praktiken zu entwickeln? In Partnerschaft mit „Chorleiter ohne Grenzen“ und dem internationalen Chorleiter Austauschprogramm der American Choral Directors Association bringt dieses Symposium Experten und Innovatoren aus den USA und der Welt zusammen, um diese und andere Fragen zu erkunden.

Insbesondere bringt das Symposium Menschen aus der ganzen Welt zusammen, die einzigartige, wegweisende und lebensverändernde Projekte leiten. Das Format des Symposiums wird Plenarvorträge, Präsentationen über bestimmte Themengebiete und eine Postersession beinhalten, während der die Teilnehmer die Möglichkeit haben, Projekte und Ideen mit den Präsentatoren im direkten Dialog zu diskutieren. Großzügige Pausen zwischen den Präsentationen wie auch ein gemeinsames Mittagessen am Freitag, 22. Juni 2012, gemeinsames Singen, Konzerte, Proben und Aufführungen bieten den Teilnehmern des Symposiums Möglichkeiten zu informeller Interaktion. Das Symposium wird mit einem Galakonzert des Yale Alumni Chores und des New Haven Symphonieorchesters abgerundet. Im Anschluss an das Konzert haben die Künstler und das Publikum die Möglichkeit, zum Open Air Konzert auf den New Haven Green for the Arts & Ideas zu gehen.

 

Harkness Memorial Tower, erected in 1921, rises over the campus
Harkness Memorial Tower, erected in 1921, rises over the campus

 

Die Spanne der im Rahmen von “Chöre verändern unsere Welt” angesprochenen Themen reflektiert den einzigartigen Schwerpunkt des Symposiums auf Chorsingen und soziale Verantwortung. Die Workshops erkunden die Arbeit der Gefangenenchöre in den USA, der Chöre für Erwachsene mit physischen und neurologischen Behinderungen und die Threshold Chorbewegung, ein Chorprogramm nur für Frauen, deren Mitglieder am Bett von Menschen singen, die mit Leben und Tod ringen. Andere Workshops werden zeigen, wie professionelle Chöre wie der Berliner Rundfunkchorchor und Institutionen wie die Universität Toronto ihre kreativen Programme genutzt haben, mit neuem Publikum anzuknüpfen. Vorträge werden Themen behandeln wie erfolgreichen internationalen Choraustausch, interkultureller Kontakt durch Chorsingen, Chorsingen und geistige Gesundheit, Jugendchöre und soziale Verantwortung, sowie lesbische, schwule und Transgender-Chöre und deren heutige Relevanz. Ein detailliertes Programm und die Namen aller Vortragenden werden in Kürze bekannt gegeben. Informationen zur Anmeldung sind verfügbar unter www.yaleinternationalchoralfest.org.

 

Als Organisatoren dieses neuen Events sind wir ganz besonders gespannt auf die Aussichten und hoffen, dass Sie kommenden Juni in Yale dabei sein werden.

 

 

Mary Cohen, Assistant Professor, Music EducationMary L. Cohen ist Leiterin des Instituts für Musikerziehung an der Universität von Iowa, wo sie Chormethodik, Grund- und Graduiertenkurse unterrichtet und neben Forschung und Unterricht den Oakdale Prison Community Chor leitet. E-mail: mary-cohen@uiowa.edu

 

andre-de-quadrosAndré de Quadros ist Musikprofessor an der Universität Boston, künstlerischer Leiter der Arabischen Chorinitiative und des Internationalen Chorfestivals Bali, Chorleiter des Manado State University Chors und Gründungsmitglied von CWB. E-mail: adq@bu.edu

 

Jeffrey DoumaJeffrey Douma ist Dozent an der Yale School of Music, wo er Chorleitung im Chorprogramm für Graduierte unterrichtet und musikalischer Direktor des Yale Glee Club, des Yale Alumni Chors und der Yale Choral Artists ist. E-mail: jeffrey.douma@yale.edu

 

 

Aus dem Englischen übersetzt von Christina Kühlewein, Deutschland