Heutige Kinderchorpädagogik in Russland
Tatyana Zhdanova, Chorleiterin und Lehrerin
Trotz des Umstandes, dass in den 1990er Jahren die Zahl der Schul- und Hochschulchöre in Russland zurückging, hielt das Wachstum bei vielen anderen Gruppen an. Belege dafür liefern die Veröffentlichungen russischer und ausländischer Fachleute und ganz besonders auch die Ergebnisse der internationalen Chorfestivals in Europa, an denen Kinder- und Jugendchöre aus Russland seither teilgenommen haben.
Heute werden von weiterführenden Bildungseinrichtungen leistungsorientierte Kinderchorprogramme realisiert. Viele von ihnen knüpfen an Bewährtes an und verwenden seither Jahr um Jahr darauf, die großartigen Traditionen ihrer Vorgänger, zum Beispiel der im Russischen Chorverband organisierten Singschulen, wiederaufleben zu lassen. Während dieser Zeit pflegten sie weiterhin die Didaktik jener Singschulen, wobei sie verschiedene Arten außerschulischer Projekte anboten, mittels sommerlicher Chorfreizeiten oder Tourneen Freundschaften unter den Schülern und die sozialen Kompetenzen förderten, die Anzahl der Konzerte vergrößerten und den Ausbildungsbetrieb im Kinderbereich verbreiterten. Insbesondere ist heute von Bedeutung, dass in Russland Entscheidungsträger und Politiker offenkundig die Vorteile der Chorgesangstradition für die Pflege moralischer und gesellschaftlicher russischer Kulturwerte hervorheben und bereitwillig chorerzieherische Großprojekte fördern.
Schauen wir zum Beispiel auf folgenden Vorgang in der russischen Kulturpolitik: Im Herbst 2012 fiel auf Initiative des künstlerischen Leiters des Mariinsky-Theaters, Dirigent Valery Gergiev, und der stellvertretenden Ministerpräsidentin Olga Golodets die Entscheidung zur Erneuerung der russischen Chorverbände. Eines der vorrangigen Anliegen dieses Bündnisses war das Einrichten von Pflichtunterricht im Fach Singen an allen öffentlichen Schulen der Russischen Föderation. Der nächste Schritt gilt der Entwicklung musikerzieherischer Programme für Kindergärten und Schulen durch das Kultusministerium; dies ist am 17. Juni diesen Jahres bei einer Anhörung in der sog. Gesellschaftlichen Kammer der Russischen Föderation erörtert worden. Eine Reihe sozialer und öffentlicher Einrichtungen befürworten die Pläne zur Neubelebung der russischen Chorverbände sehr, einschließlich der russisch-orthodoxen Kirche, der Gesellschaftlichen Kammer, des Bundes sowjetischer Komponisten und anderer.
Erfreulicherweise braucht man beim Neuaufbau der institutionellen Chorerziehung nicht ganz von vorne anzufangen — wunderbare Methoden, großartige Chöre und Pädagogen sind erhalten geblieben. Sie alle helfen, die Erfolge vieler Kultur- und Bildungsprogramme für Kinder zu sichern, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von russischen Chorleitern initiiert wurden. Seit Anfang 1990 präsentieren sich auf Anregung des Moskauer Bildungsministeriums Kinderchöre auf dem Festival »Junge Talente aus Moskau«. Alljährlich nehmen über 6000 Schulkinder aus Moskau an den Darbietungen teil. Die »Radost-Kinderchorschule« (heute das »Zentrum für kreative Entwicklung und musik-ästhetische Kinder- und Jugendbildung«), die 1980 gegründet wurde und seither die Arbeit mit sog. Massenchören als Bestandteil ihrer Ausbildungsprogramme pflegt, wurde mit beratenden und planerischen Aufgaben für Massenchor-Projekte in Moskau betraut. Auf Initiative der Radoster Chorschule wurden vom Moskauer Bildungsministerium eine Reihe von Kinderchorprojekten aus der Taufe gehoben.
Im Jahr 1990 gründete man das Internationale Kinder- und Jugendchorfestival »Moskau klingt«. Bis heute ist dieses Festival das größte internationale, nicht-kommerzielle Jugendchor-Forum in Russland. Auf dem Festival versammeln sich alle zwei Jahre, jeweils im Frühjahr, mehr als zehntausend Chormusikliebhaber aus aller Welt. Unter den Teilnehmern finden sich Chöre aus Österreich, Armenien, Weißrussland, Bulgarien, Deutschland, Hong Kong, Georgien, Italien, China, Lettland, Litauen, Moldawien, Polen, den USA, Thailand, der Ukraine, Frankreich, Estland, Japan und aus weiteren Ländern. Für die anreisenden Chöre organisiert die Festival-Leitung spezielle Ausflugsprogramme zum Kennenlernen von Geschichte, Kunst und Kultur in der russischen Hauptstadt, wie zum Beispiel der Denkmäler, der Architektur, der Sehenswürdigkeiten und der Außenbezirke, wobei all dies dem Festival eine völkerverständigende Bedeutung verleiht. Informationen über das Festival »Moskau klingt« finden sich auf folgenden Seiten: www.radost-moscow.ru und www.choirsofmoscow.ru
Seit Januar 2000 wird für Moskauer Schulchöre ein Kinder- und Jugendchorwettbewerb um die beste Präsentation eines geistlichen Weihnachtsliedes durchgeführt (als Bestandteil des Internationalen Festivals für russisch-orthodoxe Musik). Üblicherweise nehmen über einhundert Chöre (mit mehr als fünftausend Sängern) an diesem Festival teil, darüber hinaus wird ein Chor allein aus Moskauer Schulkindern gebildet, und dieser wirklich einzigartige Chor vereint mehr als dreitausend Schüler von Moskauer Schulen, die das gemeinsame Repertoire in öffentlichen Veranstaltungen zur Aufführung bringen.
Im Herbst 2010 entschied sich die Radost-Singschule zu einem weiteren musikalischen Event — einem offenen Kreativwettbewerb für Kinder und Jugendliche namens »Musikland Moskau«. Für die Förderung von Partnerschaften zwischen Kinderchören war dies ein wesentlicher gemeinsamer Schritt verschiedener Stellen wie des Bildungs- und des Kultusministeriums, der Kommunalverwaltungen und anderer.
Zu den wichtigsten Ereignissen im Rahmen von Kinderchorfestivals gehören die Begegnungen von Teilnehmerchören mit einigen von Russlands renommiertesten Komponisten von Kinderchorliteratur, wie beispielsweise mit Yevgeny Krylatov, Gregory Gladkov, Valery Kalistratov, Anatoly Kiselev und vielen anderen.
Im Herbst 2012 beschloss das Moskauer Bildungsministerium ein aufwendiges Jugendbildungsprogramm mit dem Titel »Moskauer Kinder singen«, welches die wichtigsten Bausteine zur künstlerischen Entwicklung von Kinderchören in sich vereinigte, einschließlich der oben genannten Kreativprojekte. Im Rahmen dieses Programms wurden im Schuljahr 2012/2013 mehr als 60 Konzerte und Veranstaltungen mit Wettbewerbscharakter durchgeführt; hierbei hob man nicht nur den großen gesellschaftlichen Nutzen und somit den Bedarf an dieser Form kreativer Kinderchorarbeit hervor, sondern es gab auch großes Lob aus Fachkreisen — mit erkennbaren Effekten auf das allgemeine Kulturleben Moskaus wie auch Russlands im Ganzen.
In dieser Hinsicht haben wir heute die begründete Hoffnung, dass Regierung und Institutionen in Russland versuchen werden, Bedingungen herzustellen, unter denen die Jugendchöre Unterstützung erfahren und die Herausbildung von Kooperationen durch Vernetzung begünstigt wird — auch auf internationaler Ebene. Unsere Kollegen, die als Chorleiter selbst mit Kinderchören arbeiten, wenden große Bemühungen auf, um diese großartigen Projekte im heutigen Russland zu etablieren.
Zhdanova Tatiana Aramovna
(geb. am 23. April 1940) — Chorleiterin, sozial engagiert, Direktorin des Moskauer Internationalen Kinder- und Jugendchorfestivals »Moskau klingt« und weiterer russischer Musikfestivals — gehört heute zu den angesehensten russischen Künstlerpersönlichkeiten. Im Jahr 1980 gründete sie mit der »Radost-Kinderchorschule« (heute »Radost-Zentrum für kreative Entwicklung und musik-ästhetische Bildung«) die derzeit größte außerschulische Bildungseinrichtung in Moskau, mit Angeboten für Großchorprojekte ebenso wie für musisch-künstlerische Erziehung.
E-Mail: radost@radost-moscow.ru
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Mattersteig, Deutschland
Edited by Natalie Campbell, UK