Chorleitung in Zeiten Knapper Kassen

Tobin Sparfeld, Chorleiter und Lehrer

 

In wirtschaftlich stabilen und gedeihlichen Verhältnissen sind viele Chöre trotz aller Geldnöte erfolgreich geblieben. Doch vielerorts in der Welt mag die Finanzlage auch viele Chöre entmutigen, vielleicht sogar düster stimmen. Etatkürzungen und schwindende Budgets können den Blick auf die Zukunft trüben. Ein solches Tief entmutigt und kann uns in unseren elementaren Aufgaben behindern: bestens zu musizieren und unseren sängerischen Nachwuchs auszubilden.

Doch wie heikel Ihre finanzielle Situation heute sein mag, Ihr Chor kann auch bei erheblicher Einschränkung der Mittel Erfolg haben. Vor der Erörterung bestimmter Sparmaßnahmen sind zwei Merksätze anzuführen, deren Befolgung fast immer zu Einsparungen führt:

  • Planen Sie langfristig. Es ist viel leichter, für ein Problem eine preiswerte Lösung zu finden, wenn Sie Zeit zum Nachdenken haben. Kümmern Sie sich um eine frühzeitige Veranstaltungs- und Repertoirekonzeption über Monate im Voraus; besonders für jährlich wiederkehrende Projekte ist Planung mit einem ganzen Jahr Vorlaufzeit besonders hilfreich. Kreativität kommt nicht über Nacht. Sie ist ein Prozess des Ausprobierens (»trial and error«) und manchmal mit höherem Aufwand verbunden als erwartet.
  • Nutzen Sie Ihre Sänger. Denn sie helfen gern. Bitten Sie sie um Vorschläge zu allem, was dem Chor dienen könnte. Ich hörte eine herrliche Anekdote von einem Kollegen, der im Zuge der Konzertvorbereitungen seine Männerstimmen losschickte, um für Verdis Zigeunerchor einen Amboss zu beschaffen. Sie zeigten sich so begeistert, dass es wie eine Art Schnitzeljagd oder Schatzsuche aufgefasst wurde! Entdecken Sie die verborgenen Talente Ihrer Sänger und auch der Familien. Man weiß nie, wann es von Nutzen sein wird.

 

Die folgenden typischen Themen wurden von mir in fünf Kategorien eingeteilt:

Musik,

Probenraum,

Reisen & Tourneen,

Allgemeine Beschaffung von Geldmitteln (Fundraising) sowie

Öffentlichkeitsarbeit & Nachwuchswerbung.

Keiner dieser Begriffe wirkt ausgesprochen neu. Viele sind Allgemeingut. Gleichwohl dienen sie uns bei schwieriger Finanzlage hilfreich als Erinnerung und mögen Sie dazu anregen, neue Wege zu beschreiten.

 

Musik

Im wesentlichen wird Ihr Chorrepertoire aus drei Kategorien bestehen: Chorwerke vergangener Epochen, Volksliedsätze (auch aus aller Welt) sowie Zeitgenössisches. Mit etwas Fleiß finden Sie zu zwei der genannten drei Kategorien kostenloses Notenmaterial.

  • Stöbern Sie in Sammlungen gebührenfreier Chorwerke, zum Beispiel org oder IMSLP.org. Solche Internet-Angebote sind zwar schon seit Jahren sehr bekannt und vielbesprochen, doch beide genannten Sammlungen haben ihre Auswahl inzwischen wesentlich verbessert und gestatten Ihnen das Auffinden gebührenfreier klassischer Literatur. Es gibt in den Ländern unterschiedliche Vorschriften darüber, wann etwas als gebührenfrei gilt; darum vergewissern Sie sich bitte, dass Sie die gültigen Bestimmungen einhalten.
  • Schreiben Sie Ihre eigenen Lied- bzw. Volksliedsätze. Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Sie können Ihre Arrangements auf Ihre Sängerschaft zuschneiden. In vielen Fällen können Sie gedruckte Instrumental- und Vokalstimmen so umschreiben, dass dadurch ein Lied für Ihr Ensemble geeigneter wird. Viele verlegte Chorsätze wurden ursprünglich von Dirigenten geschaffen, die über wenige oder keine Mittel verfügten — für Chorbesetzungen mit jeweils ganz individuellen Bedürfnissen.
  • Manche Chöre haben angefangen, ihren Sängern die Notenanschaffungen im voraus individuell in Rechnung zu stellen. Am Ende des Jahres können die Sänger ihre Noten dem Chor vermachen, oder der Chor kann anbieten, Noten gegen Rückzahlung einer Schutzgebühr wieder in Besitz zu nehmen — zwecks Aufbaus einer Chorbibliothek. Dass hierbei die Kostenlast auf den Sängern ruht, kann bei der Finanzierung helfen.

 

Probenraum

Seien Sie einfallsreich und lehnen Sie keine denkbaren Räumlichkeiten ab, bevor Sie sich nicht einen persönlichen Eindruck verschafft haben. Schauen Sie sich in Ihrer Gegend nach Orten um, die zu Zeiten, in denen Sie proben, nicht genutzt werden. Dies könnten sein:

  • Kirchen und andere Gotteshäuser
  • Schulen
  • Verwaltungsgebäude
  • Senioren- und Pflegeheime
  • Einkaufs- oder Gemeindezentren
  • Leerstehende oder ungenutzte Immobilien
  • Privathäuser

Als Chorsänger habe ich schon an allen o.g. Orten geprobt. Einige waren nicht optimal, andere erwiesen sich für Chorzwecke als erstaunlich passend. Viele Einrichtungen wie auch Privatleute werden Ihnen ihre Räume gegen eine ermäßigtes Entgelt zum Proben überlassen oder vielleicht als Gegenleistung für ein Gratiskonzert.

 

Reisen & Tourneen

Knapp bei Kasse zu sein, bedeutet keineswegs, Ihrer Gruppe keine wunderbaren Reisen bieten zu können. Konzertreisen setzen Ihren Sängern lohnenswerte Ziele und fördern die Chorgemeinschaft.

  • Aufenthalte in Gastfamilien: Bieten Sie einem auswärtigen Ensemble einen Aufenthalt in den Familien Ihrer eigenen Chorsänger an — im Tausch gegen eine Unterbringung Ihrer Gruppe bei einem Gegenbesuch.
  • Ziehen Sie bei Reiseplanungen in Erwägung, Mitreisemöglichkeiten für Gäste anzubieten, deren Beiträge wiederum helfen können, die Reisekosten der Sänger zu subventionieren.

 

Allgemeine Beschaffung von Geldmitteln (Fundraising)

Dies gliedert sich in mehrere Rubriken wie Verkauf, Dienstleistungen, Tausch oder Werbung. Fundraising gelingt am besten, wenn Sie bei einer Anfrage eine Zweckbestimmung anmelden statt einer generellen Bedürftigkeit. Ein Spendenaufruf zur Finanzierung neuer Podeste oder einer Reise wird mehr Erfolg bringen als etwa ein Aufruf zu einer Stiftungsgründung oder allgemeiner Sanierung der Chorkasse.

  • Professionelle Kapitaldienstleister — Viele Unternehmen (fund-raising companies) bieten Vereinen eine finanzielle Unterstützung über den Verkauf ihrer Produkte an. Dies kann für die Sänger eine einfache Methode sein, an Einnahmen zu kommen, wobei aber die Gewinne zwischen Chor und Unternehmen aufgeteilt werden.
  • Verkauf von Sachspenden — Sammeln Sie in der Sängerschaft oder in der Öffentlichkeit Sachspenden, und organisieren Sie deren Verkauf.
  • Führen Sie eine Auktion durch — Möglicherweise sind örtliche Unternehmen bereit, Ihnen Geschenkgutscheine zur Verfügung zu stellen (entweder gratis oder zu reduziertem Preis). Durch die Versteigerung dieser Dinge an den Höchstbietenden können Sie eventuell Einnahmen erzielen, die über den eigentlichen Warenwert hinausgehen.
  • Kartenvorverkauf — halten Sie die Sänger dazu an, vor einem Konzert beispielsweise zehn Eintrittskarten für den Weiterverkauf zu erwerben. Viele Bühnenproduktionen nutzen diese Methode, um im Vorfeld einer Aufführung die erforderliche Ausstattung zu finanzieren. Indem dies Ihren Sängern das finanzielle Risiko auferlegt, Karten womöglich nicht an den Mann bringen zu können, sind sie in der Pflicht, den Chor zu unterstützen.
  • Verlosung eines großen Preises oder einer Reihe von Preisen (unter Beachtung der vor Ort gültigen gesetzlichen Bestimmungen für solche Veranstaltungen). Das könnte Preise wie Flüge, Reisen, Fahrzeuge, Elektro- und Haushaltsgeräte oder Bargeld einschließen.
  • Durchführung spezieller Fundraising-Konzerte zur allgemeinen Beschaffung von Geldmitteln.
  • Dienstleistungen oder andere Ereignisse — vielleicht Gruppenarbeit als Autowäscher oder sportliche Darbietungen, ein Singe-Marathon als Spendenaufruf, eine Kochveranstaltung, usw.
  • Auftritte bei Hochzeiten, Auftragsständchen, Darbietungen zum Valentinstag oder ähnlichen Anlässen.
  • Örtliche Restaurants und Geschäfte sind bisweilen bereit, einen prozentualen Anteil ihrer wöchentlichen oder abendlichen Einnahmen an Ihren Verein zu spenden (denn Sie werden natürlich so viele Leute wie möglich dazu verlocken wollen, die entsprechenden Geschäfte in dieser Zeit aufzusuchen).
  • Öffentliche Zuschüsse und Sponsoring durch Unternehmen — Es sind ganze Bücher allein über das Vorgehen bei der Beantragung von Zuschüssen der öffentlichen Hand geschrieben worden, darum möchte ich dies hier nicht vertiefen. Größere wie kleinere Unternehmen könnten bereit sein, Ihr Ensemble zu unterstützen. Verbindungen zu solchen Unternehmen lassen sich häufig über die Chorsänger oder über das Stammpublikum herstellen.
  • Austausch von Dienstleistungen — Sie sollten bei allen Dienstleistungen nach Rabatten fragen dafür, dass Ihr Verein den Namen des Unternehmens deutlich bewerben würde. Mehr als Nein sagen können sie nicht!
  • Verkaufen Sie Werbeanzeigen in Ihren Konzertprogrammen.

 

Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederwerbung

  • Mitgliederbindung ist von allen der preiswerteste Weg zur Mitgliederwerbung — Verfassen Sie eine persönliche Nachricht an jeden einzelnen Sänger, in welcher ihm am Ende des Jahres für seine Teilnahme gedankt wird. Wenn Sie ein großes Ensemble sind, nehmen Sie sich einfach jede Woche einige Schreiben vor, um die Arbeit besser zu verteilen.
  • Singen in Schulen oder an anderen Aufenthaltsorten Jugendlicher.
  • Probenabende mit Freunden: Veranstalten Sie eine Schnupperprobe, zu der Chorsänger Freunde mitbringen dürfen, um gemeinsam zu singen. Dies kann Gastsänger ermutigen, dem Ensemble beizutreten.
  • Studien haben gezeigt, dass Mund-zu-Mund-Propaganda die effektivste Werbemethode darstellt. Zudem ist sie umsonst. Kundschaften Sie so viele Wege wie möglich aus, um Menschen dazu zu bringen, über Ihren Chor zu reden. Die Sänger können helfen, Informationen zu streuen. Überlegen Sie, welche Handlungsoptionen in Ihrer Gemeinschaft funktionieren könnten.
  • Wenn auch ein weniger effektives Mittel der Kommunikation, so sind doch Pressemitteilungen an die örtlichen Zeitungen kostenlos und können helfen, die Aufmerksamkeit des Publikums zu steigern. Gestalten Sie Überschrift und Text so, dass die ersten Sätze fesseln, und vermitteln Sie Hintergrund- und Kontaktinformationen.

 

Ich habe diese Methoden als Dirigent wie als Ensemblemitglied eingesetzt. Manche Wege mögen in Ihrer Chorgemeinschaft besser funktionieren als andere. Fast alle erfordern auf unserer Seite einen höheren Fleiß bei Planung, Recherche, Verhandlungen und Gesprächen. Selbst wenn dieser Einsatz sich für den jeweiligen Moment nicht zu lohnen scheint, sollten wir uns daran erinnern, dass Sparsamkeit dabei hilft, als Musiker unseren Dienst zu tun. Robert Shaw sagte über unsere Aufgaben als Musiker einst folgendes:

 “Keiner von uns sollte vergessen, dass wir alle im Dienst einer gewaltigen und über uns selbst hinausragenden künstlerischen Schöpfung stehen, und wir tragen die Verantwortung dafür, deren Schönheit und Größe der gesamten menschlichen Gemeinschaft zugänglich zu machen — nicht nur einer bestimmten Schicht.”[1]

Indem wir mit eingeschränkten Mitteln vieles auf die Beine stellen, machen wir die Kunst des Chorsingens einem größeren Teil der Menschheit zugänglich und erlauben zugleich mehr Sängern, daran zu partizipieren. Im Glauben daran, dass Musik heilsam für die Menschheit ist, lasst uns danach streben, unsere Kunst so hell wie irgend möglich erstrahlen zu lassen und unser Gegenüber damit zu erbauen, wenn es am dringendsten benötigt wird.

 


[1] Blocker, Robert., ed. The Robert Shaw Reader. New Haven: Yale University Press, 2004, p. 388.

 

 

SparfeldTobin

Als früheres Mitglied der St. Louis Children’s Choirs hat Tobin Sparfeld die ganze Welt bereist, von Vancouver in Britisch Columbia im äußersten Westen bis in Richtung Osten nach Moskau in Russland. Tobin hat auch bei Seraphic Fire und im Santa Fe Desert Chorale gesungen. Tobin hat mit Chören aller Altersklassen zusammengearbeitet, so als Assistant Music Director des Miami Children’s Chorus genauso wie als Associate Director der St. Louis Children’s Choirs. Zudem lehrte er am Principia College und war Director of Choral Activities an der Millersville University of Pennsylvania. Er war außerdem Assistant Conductor des Civic Chorale of Greater Miami. Tobin erhielt sein DMA im Dirigieren von der University of Miami in Coral Gables und studierte dort bei Jo-Michael Scheibe und Joshua Habermann. Er erhielt zusätzlich ein Artist Teacher Diplom des von Doreen Rao geführten CME-Instituts. Er ist zur Zeit der Leiter der Musikabteilung am Los Angeles Mission College, das zum Los Angeles Community College District gehört. E-Mail: tobin.sparfeld@gmail.com

 

 

Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Mattersteig, Deutschland

Edited by J. Aaron Baudhuin, Germany