Chormusik Verändert Junge Leben in Australien
Gondwana National Indigenous Children’s Choir
Von Lyn Williams, Künstlerische Leiterin & Gründerin der Gondwana Chöre
Als Dirigenten sind wir angetrieben von Leidenschaft, Inspiration und auch vom Wunsch, die höchsten künstlerischen Standards zu erreichen. Als Chordirigenten haben wir auch das Privileg, an der exklusivsten Form des Musizierens Anteil zu haben. Ein Chor wird nur lebendig, wenn jede Stimme, jede Persönlichkeit durch die Aufführung dargestellt und ausgedrückt wird. Als Dirigentin von Kinderchören habe ich es auch höchst spannend gefunden, junge Menschen in der Umgebung des Chores reifen und gedeihen zu sehen, die dann weiter sehr gute Fachleute in Musik oder auch anderen Fächern wurden, weil sie die gleiche Leidenschaft und den gleichen Antrieb im Leben behalten, den sie auch in ihrem Chorgesang hatten.
Die Organisation, die ich im Jahr 1989 gründete, begann mit dem Sydney Children’s Choir und trainiert immer noch mehr als 400 Kinder pro Jahr in einem umfassenden Chor- und Musikprogramm, das in Sydney beheimatet ist. Im Jahr 1997 begann unser National Gondwana Choirs Programm mit den Gondwana Voices – ein echter nationaler Kinderchor, dessen Sänger aus allen Ecken von Australien kommen. Unsere alljährliche Gondwana National Chorschule umschließt mittlerweile mehr als 300 der talentiertesten jungen Sänger, Dirigenten, und neuerdings auch Chorkomponisten des Landes, die in einem Sommercamp zusammenkommen, dann Konzerte geben, und während des Jahres nationale und internationale Konzertreisen unternehmen. Die zahlreichen Gondwana Chöre treten auf hohem Niveau auf, wobei sie oftmals mit unseren besten Komponisten und Instrumentalensembles, wie der Sydney Symphony, dem Synergy Percussion Ensemble und dem Australischen Kammerorchester zusammenarbeiten. Der Gondwana National Indigenous Children’s Choir (= Nationaler Kinderchor der Ureinwohner) ist die neueste Gruppe in unserer Chorfamilie.
In den letzten Jahren war meine primäre Motivation als Chordirigentin, junge Menschen auf höchstmöglichem Standard auftreten zu sehen. Sie war immer gepaart mit einem starken Drang, neue Werke zu entdecken, in Auftrag zu geben und Zusammenarbeit und Aufführungen zu schaffen, durch die die starken Stimmen junger Menschen gehört werden konnten.
Wenn auch meine Motivation, künstlerische Spitzenleistungen zu erreichen, immer noch sehr stark ist, so habe ich doch neuerdings große Befriedigung dadurch erfahren, musikalische und soziale Gelegenheiten für junge und talentierte Menschen zu schaffen, die andernfalls niemals Zugang zu unseren weitläufigen und nationalen Gondwana Chorprogrammen hätten.
Der Gondwana National Indigenous Children’s Choir (GNICC) ist in den Jahren 2008 und 2009 aus einer bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen unserem Sydney Children’s Choir und Gemeinschaften der Torres Strait Islands (einer der abgelegensten und schönsten Gegenden Australiens – die zwischen dem nördlichen Teil des Kontinents und Papua Neu Guinea liegen) entstanden. Diese Zusammenarbeit schloss Kinder beider Gemeinschaften ein, die einander in ihren Heimatstädten in Sydney und den Torres Strait besuchten, und das Resultat des gemeinsamen Arbeitens war eine höchst erfolgreiche Kinderoper mit dem Titel Ngailu, Boy of the Stars, die hauptsächlich vom Torres Strait Islander Choreograph/Leiter Sani Townson und dem jungen australischen Komponisten Dan Walker geschaffen wurde.
Mir wurde durch diese Zusammenarbeit klar, dass es eine Menge und Tiefe an nicht gefördertem Talent im Bereich der australischen Ureinwohnergemeinschaften gab, und das wiederum zeigte mir, dass genau das das noch fehlende Bindeglied in unseren Gondwana Programmen war. Viele von Australiens indigenen Völkern leiden massiv unter sozialen Nachteilen. Das Niveau der Gesundheitsvorsorge und der Erziehung dieser Bevölkerung ist signifikant niedriger als in anderen Regionen Australiens, und traurigerweise sind sie auch in Australiens Verbrecherkartei überrepräsentiert. Und dennoch sind junge indigene Menschen mit Recht stolz auf ihre reiche und verschiedenartige Kultur. Das Talent junger indigener Australier im Bereich des Sports wurde schon lange anerkannt, während andere sich nach einer Gelegenheit sehnen, ihre Kultur und die Hoffnungen und Träume ihrer Generation durch ihre Lieder darzustellen.
Um mit den Chor beginnen zu können, setzten wir uns anfangs langen Diskussionen mit indigenen Führern und Künstlern aus, und langsam kristallisierte sich ein Plan heraus. Ich begann mit einer Serie von Workshops in städtischen, regionalen und abgelegenen Regionen Australiens, baute dabei Kontakte zu Schulen und indigenen Gemeinschaften auf – und suchte junge talentierte Sänger, wobei ich eng mit örtlichen Führern zusammenarbeitete, um lokale Unterstützung für das Projekt zu gewinnen. Das Interesse an diesem Programm war überwältigend.
In einem Projekt, das in gleichem Maße sozial wie auch musikalisch ist, strebt das GNICC danach, vielen talentierten Aboriginal- und Torres Strait Islander-Kindern Gelegenheiten anzubieten, dass sie durch das Chorsingen ihr Selbstvertrauen entwickeln, ihre Lebenserfahrung und damit auch ihren Horizont und ihr Potential erweitern können. Zu diesem Zweck haben wir eine dreiteilige Struktur entwickelt, die ganz unten beginnt, wo ich mit Kindern in Schulen und indigenen Gemeinschaften arbeite und dabei diejenigen Kinder identifiziere, die Talent und Enthusiasmus für das Singen zeigen. Eine Woche arbeite ich beispielsweise in Innenstadtschulen in Sydney, und in der nächsten könnte man mich bereits beim Durchqueren von krokodilverseuchten Gewässern im Northern Territory finden, um mit Kindern zu arbeiten, die niemals ihre isolierten Gemeinschaften verlassen haben.
Einmal ausgewählt, versammeln wir alle Kinder einer Region gemeinsam in einem Regionalmusikcamp, um auch mit anderen Dirigenten, Komponisten und verschiedenen indigenen Künstlern in den kreativen Künsten zu arbeiten. Das ist das Stadium, in dem die echte Arbeit beginnt. Die Kinder lernen über das Chorsingen einfache Notation, und persönliche Fähigkeiten, wie zum Beispiel Einsatz und Konzentration. Ein sehr wichtiger Aspekt, der immer in diesen Camps betont wird, ist kreative Aktivität und Komposition. Die Kinder sind immer aktive Teilnehmer beim Schaffen neuer Werke, die dann Teil ihres Repertoires werden. Oftmals entstehen diese Lieder in ihrer lokalen Sprache. Viele Indigenensprachen Australiens verschwinden sehr schnell, und die Kinder selbst spüren stark, dass ihre Lieder einen Anteil daran haben werden, ihre einmaligen Sprachen zu bewahren.
Aus diesen Regionalmusikcamps werden Kinder ausgewählt, um Teil des Gondwana National Indigenous Children’s Choir zu werden, der sich auf nationaler Ebene trifft, um an spezifischen Projekten und Aktivitäten zu arbeiten. Seit der Gründung des Chores hatten die Kinder des GNICC die Gelegenheit zu reisen und im Opernhaus von Sydney, einer großen Fernsehwebekampagne bei der Shanghai World Expo in China und in den Vereinigten Staaten von Amerika aufzutreten.
Wenn auch chorische Entwicklung generell sehr langsam vor sich geht, so gibt es doch Momente, in denen in einem einzigen Augenblick ein Leben für immer verändert werden kann und es für diese Person kein Zurück mehr gibt.
Im vergangenen Februar reiste ich wieder zu den Torres Strait Islands. In einer kleinen Schule auf der Thursday Island gab ich einen Chorworkshop, in dem ein kleiner, scheuer 9 Jahre alter Bub war. Von Anfang an war klar, dass Richard (Name geändert) das Singen liebte. Seine Stimme war klar und laut aus den Stimmen vieler anderer Kinder herauszuhören. Als ich das Gefühl gewonnen hatte, dass der Workshop gut lief, bat ich Richard, eine Passage für die Klasse alleine vorzusingen. Ich merkte, dass die ganze Klasse zusammenzuckte, aber Richard sang selbstbewusst und stolz. Später erfuhr ich von Lehrern, dass Richard kaum jemals mit jemandem gesprochen hatte, was auch die Mitglieder seiner großen Familie einschloss, dass er niemals laut vorlas, und dass er nie Fragen in der Klasse beantwortete. Richards Leben veränderte sich an dem Tag, an dem er herausfand, dass er eine Stimme hatte und wie ein Engel singen konnte.
Als Mitglied des Gondwana National Indigenous Children’s Choir hat Richard nun an einem Torres Strait Regionalmusikcamp teilgenommen und war später dann überhaupt das erste Mal in Sydney, um als Teil eines größeren Chores für Oprah Winfreys australisches Fernsehprogramm von den Stufen des Opernhauses von Sydney ein Konzert zu geben. Und wenngleich er immer noch ein schüchterner kleiner Knabe ist, so spricht Richard nun enthusiastisch von seiner Liebe zum Singen und seinen positiven Erfahrungen mit dem Indigenous Children’s Choir. Richards Welt ist nun eine Welt von grenzenlosen Möglichkeiten. Wenn auch der Effekt eines Chorprogramms selten so schnell und bedeutsam ist wie in diesem Fall, so hinterlässt der GNICC bereits einen deutlichen Eindruck im Leben vieler indigener Kinder in Australien.
Der GNICC ist nun ein wichtiger Teil der Familie der Gondwana Chöre. Seine Mitglieder sind leidenschaftliche junge Australier, die die Zuhörer tief berühren, wenn sie Konzerte singen. Aber der GNICC steht immer noch vor vielen Herausforderungen. Australien ist ein weites Land und die Kinder in abgelegenen Gegenden leiden wirklich unter der physischen, mentalen und erzieherischen Tyrannei solcher Entfernungen. Die wichtigste unter diesen Herausforderungen ist die Möglichkeit der Gondwana Chöre, den Chormitgliedern in abgelegenen Regionen regelmäßiges Training anzubieten, damit sie ihre gesanglichen, lesemäßigen und schreibtechnischen Fähigkeiten verbessern können – und auf diese Weise nach und nach ihr volles Potential ausschöpfen können. Deshalb sind die Gondwana Chöre auch im dabei, ein Internet Netzwerk einzurichten, das geschultere Sänger in städtischer Umgebung mit Kindern in entlegeneren Regionen verbinden soll, um Hilfe und Unterstützung bei den Entwicklungsprozessen zu geben.
Egal, ob diese jungen indigenen Sänger nun wählen werden, in der Zukunft Musiker zu werden oder nicht, wird das Engagement in ihrem Chor den Sängern auf jeden Fall einmalige Chancen bieten. Wir wissen bereits, dass die GNICC Sänger mit Sicherheit ihre Präsenz in der Schule erhöhen werden, dass sie sicherlich ein ständiges Gefühl für Einsatz entwickeln werden, welches wiederum zu größeren und besseren Leistungen führt und auch zu den Früchten des persönlichen Stolzes und des Gefühls, etwas erreicht zu haben. Sie werden ein größeres Australien und eine größere Welt sehen, werden mit Hunderten von anderen ähnlich denkenden und motivierten Kindern Freundschaft schließen, und sie werden ganz sicher eine Stimme haben, die die Träume ihrer Volksgruppe ausdrücken kann – jetzt und auch in Zukunft.
Lyn Williams ist Australiens führende Chorleiterin für Chöre junger Menschen, die auch zwei international anerkannte Chöre gegründet hat: den Sydney Children’s Choir im Jahr 1989 und den nationalen Kinderchor Gondwana Voices im Jahr 1997. Ihre herausragende Fähigkeit bei der Arbeit mit jungen Menschen ist international für ihre hohe Qualität und auf völlig neues Terrain vorstoßende Innovation anerkannt. Lyn dirigierte viele wichtige professionelle Chöre und Orchester Australiens, darunter die Symphonieorchester von Sydney, Adelaide und Melbourne, das Australian Chamber Orchestra, das Australian Youth Orchestra und die Sydney Philharmonia Chöre. Lyn ging mit ihren Chören weiträumig auf Tourneen, u. a. nach Europa, Asien, Nord- und Zentralamerika. Zum 10-jährigen Gründungsjubiläum im Jahr 2007 führte sie die Gondwana Voices im Rahmen einer internationalen Konzertreise nach Kanada, Frankreich und zu den BBC Proms in London, wobei sie der erste australische Kinderchor waren, der jemals bei diesem berühmten Ereignis gesungen hat. Im Januar 2004 bekam Lyn Williams die Medal of the Order of Australia (OAM) verliehen in Anerkennung ihrer Dienste an der Kunst als Gründerin und Leiterin der Gondwana Chöre. Email: lyn@gondwanachoirs.com.au
Aus dem Englischen übersetzt von Monika Fahrnberger, Österreich
Edited by Gillian Forlivesi Heywood, Italy