Frühkindliche Chorerziehung
Susanna Saw, Chormusikpädagogin, Malaysia
Normalerweise denken wir bei Kinderchören an Chöre, deren Mitglieder zwischen 6 und etwa 18 Jahren alt sind – also im Schulalter. Sie können sich länger konzentrieren und haben auch eine schnellere Auffassungsgabe. Sie sind in der Lage, auf Wettbewerbsniveau aufzutreten – in der Tat sind einige der besten Chöre der Welt Kinderchöre!
Doch was ist mit Kindern unter 6 Jahren? Können auch sie in einem „Chor“ singen? Um diese Frage zu beantworten, stellen wir uns eine ideale Chorwelt vor, in der unser idealer Chor existiert. Die meisten von uns denken, dass man in einem solchen Chor am besten eine musikalische Vorbildung mitbringen sollte. „Vorbildung“ in diesem Sinne bezieht sich auf die Fähigkeit, Noten zu sehen und Klang „zu denken“ – Musik also so einfach wie Worte lesen und schreiben zu können. Oft ist dies das Ergebnis einer langen musikalischen Ausbildung, die schon in jungen Jahren begonnen hat.
Die musikalische Früherziehung beginnt oft im Elternhaus, wo der erste Kontakt eines Kindes mit Musik in der Regel darin besteht, dass die Eltern ihren Babys Schlaflieder vorsingen und mit ihren Kleinkindern gemeinsam musizieren. In der Kinderkrippe und im Kindergarten erhalten viele Kinder außerdem musikalische Früherziehung, die ihnen hilft, ein Gefühl für Musik zu entwickeln. Diese frühe Basisarbeit bereitet ein Kind auf die eher formalisierten Methoden der Musikerziehung vor, die es vielleicht mit zunehmendem Alter kennenlernt, z. B. im Instrumentalunterricht oder beim fortgeschrittenen Chorsingen.
Mit anderen Worten: Ja, Kinder unter 6 Jahren können und sollten in einem Chor singen! Es fördert ihre Entwicklung in hohem Maße.
Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren fallen in die Kategorie der musikalischen Früherziehung. Das Ziel jeder Chorarbeit in diesen frühen Jahren sollte es sein, das Interesse des Kindes an der Musik zu wecken, eine entspannte, natürliche Stimmgebung und rhythmische Bewegung zu fördern und die emotionale Stabilität des Kindes durch Musik zu unterstützen. Das Lernen sollte Spaß machen, aber dennoch nach einem gut durchdachten Lehrplan ablaufen, ohne Leistungsdruck zu erzeugen. Der berühmte ungarische Musikpädagoge Zoltán Kodály betrachtete das „Singen“ als die natürlichste Form des Musizierens mit dem natürlichsten Instrument überhaupt, der Stimme. Die ersten Lebensjahre sind in der Tat eine sehr wichtige Phase für den Aufbau einer guten musikalischen Grundlage. Es ist sehr zu empfehlen, dass Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren an Chorerziehung teilnehmen, in denen gute Grundlagen für das Singen und Hören vermittelt werden.
Kinder sollten angeleitet werden, ihren Musikgeschmack und ihr ästhetisches Empfinden zu entwickeln, indem sie ihr Gehör für Musik sowie ein gutes Gefühl für Rhythmus und Bewegung entwickeln. In diesem Alter brauchen Kinder keine komplizierten Tanzschritte oder Bewegungen. Statt komplexer Tanzmuster und Choreografien eignen sich einfachere, tanzähnliche Bewegungen – das fördert die motorische Koordination und ein besseres Rhythmusgefühl.Lieder für Kinderchöre sollten didaktisch sorgfältig ausgewählt werden, idealerweise mit Blick auf die Lernsequenz. Die Kinder sollten daran gewöhnt werden, im Takt zu singen und lernen, Freude am aufmerksamen Zuhören zu entwickeln. Bei der Auswahl des Repertoires benötigt man eine entsprechende Fülle von Reimen, Singspielen, traditionellen Liedern und speziell für Kinder komponierten Liedern. In diesen prägenden Anfangsjahren des Musikunterrichts ist eine gute Auswahl an qualitativ hochwertiger Musik zum Hören gleichermaßen wichtig.
„Alle Menschen bevorzugen die Art von Musik, die sie in ihrer Kindheit kennengelernt haben. Ein früh entwickelter guter Geschmack ist schwer zu zerstören. Daher müssen wir mit den ersten Eindrücken behutsam umgehen, denn deren Auswirkungen können ein Leben lang spürbar sein.“ (Kodály)
In der musikalischen Früherziehung wird das Singen immer von Spielen begleitet oder mit Bewegung verbunden. Solche körperlichen Aktivitäten helfen den Kindern, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken, was wiederum ihre Freude am Singen erhöht. Regelmäßige, wiederholte Bewegung ermöglicht es dem Kind, den der Musik inhärenten Rhythmus zu spüren und ein Gefühl der Sicherheit zu entwickeln. Anschließend kann das Kind seine spontanen kreativen Fähigkeiten durch Variationen von Liedern und Spielen entwickeln, indem es die Melodie auf eine neue Weise vorträgt. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass wir den Kindern in diesem Alter keine Musiktheorie oder Musikimprovisation beibringen, sondern ihnen helfen, die musikalischen Konzepte, die sie kennenlernen, in ihren Alltag zu integrieren.
Spiele und Lieder beeinflussen die Emotionen eines Kindes. Durch Gruppenspiele entstehen kleinere Freundeskreise, und die Beziehung des Kindes zu seinen Klassenkamerad:innen und Lehrkräften fördert die Freude an der Musik insgesamt. Gruppenaktivitäten ermöglichen es den Kindern, Selbstvertrauen zu entwickeln und ihre Unsicherheiten zu überwinden; sie werden mutiger und unabhängiger. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Einzel- und Gruppenaktivitäten im Unterricht fördert die Selbstdisziplin und den Gemeinschaftssinn, der die Einstellung der Kinder prägt.
Bei der Planung von Lernsequenzen in der frühkindlichen Erziehung ist es wichtig, sowohl die körperliche als auch die geistige Entwicklung des Kindes zu berücksichtigen. Die entsprechenden Konzepte müssen daher in den verschiedenen Phasen des Kindesalters angemessen vermittelt werden. Die Angebote für diese Altersgruppe sollten kognitive, didaktische und pädagogische Faktoren einbeziehen. Wichtig ist auch, dass die Erzieher:innen, die mit frühkindlichen Gruppen arbeiten, erfahrene Pädagog:innen sind, die über ein gutes Verständnis für effektive Lehrmethoden verfügen.
In der heutigen Zeit ist es wichtig, dass der Unterricht eine Vielzahl von Methoden umfasst, sei es Präsenz- oder Online-Unterricht, vor allem, da Hybridunterricht inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Für Kinder in den ersten Lebensjahren ist es wichtig, stereotypen Unterricht zu vermeiden – dies erfordert von den Lehrkräften eine kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten, auch wenn sie dabei die eigene Komfortzone verlassen müssen. Durch Erfahrung entwickeln die Lehrkräfte ihre eigenen Variationen effektiver Unterrichtsmethoden, die sowohl ihnen selbst als auch den Kindern Freude bereiten.
Die Arbeit mit kleinen Kindern kann eine anspruchsvolle Aufgabe sein, die viel pädagogische Voraussicht erfordert. Sie ist jedoch die wichtigste Phase des Musikunterrichts, da sie den Grundstein für den Beginn des musikalischen Werdegangs eines Kindes legt. Durch die Verbindung ihrer Kenntnisse in der Chorleitung mit pädagogischen Ansätzen können die Chorleiter:innen den Kindern in diesen frühen Jahren helfen, eine Liebe zur Musik zu entwickeln, die ein Leben lang anhält und die Grundlage für zukünftige, noch umfangreichere musikalische Erfahrungen bildet.
Susanna Saw ist eine aktive Musikpädagogin, die die Musik- und Chorerziehung in Malaysia fördert. Derzeit ist sie Dozentin und Chorleiterin an der Fakultät für Musik der University of Malaya und am Malaysian Institute of Art. Im Jahr 2007 gründete Susanna Saw die Young Choral Academy in Kuala Lumpur, einen Ort für Chorliebhaber und Lehrkräfte, an dem diese mehr über Gesangs- und Chorerziehung erfahren können. Susanna wird regelmäßig als Jurymitglied zu verschiedenen internationalen Chorfestivals eingeladen. Außerdem ist sie aktives Mitglied des Arbeitskomitees des Asia-Pacific Choral Council, das unter der Schirmherrschaft der Internationalen Föderation für Chormusik steht. Sie ist außerdem Gründungsmitglied der International Choral Conductors Federation und gehört dem Beratungsausschuss der CHORALSPACE Academy an. Derzeit ist sie Vizepräsidentin der International Kodály Society, der World Youth and Children Choral Artists’ Association und der Malaysian Association for Music Education. https://youngchoral.com
Übersetzt aus dem Englischen von Astrid Fieß, Vereinigtes Königreich