Dirigenten ohne Grenzen - OFADAC/IFCM

Dirigenten ohne Grenzen – OFADAC/IFCM

Miraflores (El Impenetrable), Provinz Chaco – Argentinien

Der argentinische Chorverband (OFADAC) hat das Programm Conductors without Borders [Dirigenten ohne Grenzen) (DOG) ins Leben gerufen. Es ist Teil einer Vereinbarung, die dieses Jahr unterzeichnet und ursprünglich vom OFADAC im Rahmen seines dritten argentinischen bzw. ersten lateinamerikanischen Chorkongresses in Tandil (Provinz Buenos Aires) im Mai 2018 vorgeschlagen wurde.

Ein öffentlicher Aufruf auf der Webseite der Organisation (www.ofadac.org) richtete sich an alle Chorleiter in Argentinien. Dieser hatte das Ziel, zwei feste Dirigenten und drei Stellvertreter für Dirigenten ohne Grenzen an den beiden vorgeschlagenen Standorten zu finden: Miraflores, in der Nationalpark-Region El Impenetrable in der Provinz Chaco, und Huilque Menuco, eine Gegend in der Anden-Region der Provinz Neuquèn in Patagonien.

Dies wurde unter den argentinischen Fachleuten sehr positiv aufgenommen, und es gingen rund zwanzig Bewerbungen ein. Die Jury, bestehend aus Oscar Escalada (Mitglied in beiden Verbänden) und Annele Moroder (Mitglied im OFADAC und ehemalige Direktorin des Isaías-Orbe-Konservatoriums der Stadt Tandil), wählte aus den Bewerbern Marisa Lilian Anselmo sowie Roxana Lucía Muñoz als Chorleiterinnen und Laura María Favre, Romina Paula Fernández und María Jesús Bonel als Stellvertreterinnen aus. Die Kandidatinnen nahmen ihre Ernennung umgehend an und sind jetzt formell für das Projekt verantwortlich: Marisa Anselmo in Miraflores und Roxana Muñoz in Huilque Menuco. Gleichzeitig und dank Mario Figueroa, des Vizepräsidenten des OFADAC, wurden die für die Durchführung des Programms erforderlichen Mittel beschafft. Dies erfolgte dadurch, dass DOG in die Vereinbarung zwischen OFADAC und ADiCoRA (Verband der Chorleiter der Republik Argentinien) mit INAMU (Staatliches Institut für Musik) einbezogen wurde. Zu diesem Zweck wurde Rubén Videla berufen, die erste Phase des Programms in Miraflores zu verwalten. Mario Figueroa selbst wurde mit der Durchführung der zweiten Phase in Huilque Menuco betraut.

DOG Miraflores

Der Beginn

Um die erste Phase von DOG in Argentinien durchzuführen, wurde Kontakt zu Frau Prof. Adriana Cragnolini,  Schulleiterin der Schule Nr. 1034, aufgenommen. Sie war sehr daran interessiert, das Programm in ihrer Stadt durchzuführen. Sobald Frau Prof. Cragnolini die Rolle der Regionalkoordinatorin angenommen hatte, wurde folgendes in Angriff genommen:

  1. Kontaktaufnahme mit der Gemeindeverwaltung, um deren Unterstützung durch die Nutzung von Räumlichkeiten oder kommunaler Infrastruktur zu erbitten
  2. Durchführung einer Erhebung in der Gemeinde, um ortsansässige Mentoren mit entsprechenden Qualifikationen oder musikalischen Kenntnissen (Instrumente, Notenlesen, usw.) zu finden
  3. Einladung zur Anmeldung für die Mitgliedschaft im Chor für Kinder von acht bis 12/14 Jahren
  4. Verbreitung des Programms in den lokalen Medien und sozialen Netzwerken mithilfe eines dafür entworfenen Flyers und eines erklärenden Textes

Als Termin für das Programm wurde der 18. bis 26. Oktober festgelegt.

In Miraflores

Nach ihrer Ankunft in Miraflores nahmen Marisa Anselmo (designierte Chorleiterin für Dirigenten ohne Grenzen), Thierry Thiébaut (Vizepräsident der IFCM) und Rubén Videla (OFADAC-Geschäftsführer) zuerst an einer Besprechung mit allen ortsansässigen Mentoren teil und erklärten ihnen, wie das Programm vonstattengehen sollte.

Es wurde ihnen mitgeteilt, dass das Projekt in der Kirche San Rafael Arcángel  (im Bau) stattfinden würde. Kinder, die die Schule am Nachmittag besuchen, sollten von 9-11 Uhr teilnehmen und Schüler, die morgens zur Schule gehen, von 15-17 Uhr. Weiterhin sollten besondere Aktivitäten für Mentoren von 17-19 Uhr stattfinden. Diesen wurde dringend nahe gelegt, abgesehen von ihren eigenen Aktivitäten auch mindestens eine der beiden täglichen Proben für Kinder zu besuchen.

Während der neun Tage in Miraflores fanden insgesamt 14 Proben mit Kindern, acht für Mentoren sowie ein Abschlusskonzert mit dem „Kinderchor Miraflores“ statt. Das dargebotene Repertoire bestand aus zwölf der gelernten Werke, die zum Teil von den ortsansässigen Mentoren dirigiert wurden. Siehe unten der Bericht von Marisa Anselmo.

Bericht über den Projektverlauf in Miraflores (Chaco) vom 18. bis 26. Oktober 2019

CORO DE NIÑOS CANTORES DE MIRAFLORES (Kinderchor Miraflores)

Mit den Kindern, die an dem Chorprojekt teilnahmen, war es uns möglich, eine große Bandbreite an Aktivitäten durchzuführen, und wir haben ein beachtliches Repertoire erarbeitet. Die meisten Kinder im Chor stammten aus einem multikulturellen Hintergrund und einige gehörten zur Qom-Bevölkerungsgruppe.

Schon ab der ersten Zusammenkunft reagierten sie positiv und mit Enthusiasmus auf das musikalische Angebot. Die Proben begannen zum Teil mit melodischen Echos der Namen der Kinder (als Einführung), Bodypercussion (später Grundlage für die Begleitung einiger Stücke), Bewegungsspielen (um Grundschlag und musikalische Akzente zu erfahren) oder mit Kennenlernspielen zur Stärkung der Gruppendynamik.   Bei anderen Gelegenheiten ging traditionelles Aufwärmen mit Haltungs-, Atemübungen und Stimmübungen dem Lernen der Stücke voraus. Während der neun Tage wurden auch die Intonation der C-Dur-Tonleiter und Intervalltraining von Sekunde bis Oktave zusätzlich zum Einüben der Lieder in die Proben mit integriert.

Bodypercussion des Grundschlags und der Akzente einiger Lieder diente zur rhythmischen Vorbereitung und als Grundlage für die folkloristischen Stücke. Manchmal marschierten wir auch gleichzeitig, aber das führte dazu, dass von dem gestampften Erdboden eine Menge Staub aufgewirbelt wurde.  Da keines der Kinder wusste was ein Chor war, sahen wir uns in manchen Proben Videos von Kinderchören aus anderen Kulturen an, die Werke verschiedener Genres und Stilrichtungen darboten (vom Guaraní-Kinderchor bis zum Libera-Chor in London).

Von den über 100 Stücken, die ich ursprünglich in Erwägung gezogen hatte, konnten wir etwa 30 singen. Einige davon wurden nur zu Übungszwecken verwendet, manche hörten wir an, wieder andere spielten wir, und bei den meisten war es möglich, langsam ein Verständnis dafür zu entwickeln, was es heißt, im Einklang und mit rhythmischer Präzision zu singen oder einen Ton zu erzeugen, der ohne zu große Anspannung, aber mit Bauchstütze gesungen wird.

Schon ab der zweiten oder dritten Probe versuchten wir, einen Kanon zu singen (zwei, drei oder sogar vier Stimmen mithilfe der Mentoren und Helfer, die bei jeder der Gruppen mitmachten). In dem Lied Estaba el negrito aquel gelang es uns, die Hauptmelodie mit einem der Ostinatos zusammen zu singen.

Bei dem ersten Auftritt des Kinderchors Miraflores wurden 14 Lieder dargeboten: Zwölf wurden von den Kindern gesungen und die anderen beiden von den Mentoren. Ich bin der Überzeugung, dass wir in den neun Proben folgendes erreicht haben:

  1. die Kinder für das Chorsingen zu motivieren und bei ihnen Interesse zu wecken, diese Aktivität weiterhin fortzuführen
  2. intensive allgemeinmusikalische Ausbildung und Stimmbildung im Besonderen
  3. für 80% der Kinder, die zu den Proben kamen, den Zugang zu den höheren Stimmlagen zu erleichtern
  4. ein Repertoire zusammenzustellen, das eine gute Grundlage für die Weiterarbeit darstellt und in den geplanten Konzerten im November und Dezember aufgeführt werden kann
  5. den Kinderchor Miraflores zu gründen

Ausbildung der ortsansässigen Mentoren

Die Gruppe der ortsansässigen Mentoren bestand aus sechs Personen, von denen nur vier in der Lage waren, an allen neun geplanten Proben teilzunehmen, obwohl es ein weites Angebot an Terminen gab, um die Teilnahme zu erleichtern. Von den sechs Mentoren hatten zwei Musikunterricht bei Lehrern in der Nachbarstadt Castelli und hatten Grundlagenwissen im Notenlesen. Die anderen vier konnten am Anfang der Ausbildung keine Noten lesen.

In einem Gespräch erwähnte Thierry Thiébaut, dass er in Afrika jeden Tag einen Teil der Probe dem Solfeggiosingen gewidmet hatte, da er normalerweise mit Gruppen probte, die vorwiegend keine Noten lesen konnten aber, im Gegensatz zu den Mentoren in Miraflores, sehr viel Gesangserfahrung hatten. Nach meiner zweiten Probe mit den Mentoren entschloss ich mich daher, mit ihnen dasselbe zu tun und begann, mit der Gruppe 15 bis 20 Minuten täglich Notenlesen zu üben. Dabei verwendete ich das Buch „Successful Sight Singing“ („Erfolgreiches Blattsingen“) von Nancy Telfer.

Durch diesen kurzen aber zielstrebigen Vorstoß in die Musiktheorie, auf den die Mentoren sich mit vollem Engagement einließen, war es für sie einfacher, die verschiedenen Inhalte der Proben zu verstehen. Außerdem konnten sie diese schneller mit ihren Beobachtungen in den Proben mit den Kindern in Beziehung setzen, besonders, wenn es um Themen wie die Erweiterung des Stimmumfangs der Kinder, Diktion, verschiedene Arten von Einsätzen abhängig von den Anfangswörtern oder Ähnlichem ging.

Die folgenden der ursprünglich geplanten Ziele wurden erreicht:

  • Körperhaltung der Chorleiter
  • einfache und zusammengesetzte Takte schlagen
  • Einsätze geben mit und ohne Auftakt bzw. für ganze und unvollständige Takte
  • Abschläge am Ende und in der Mitte eines Musikstückes
  • ein Verständnis der Hauptbestandteile einer Probe
  • Lehrmethoden zum Einüben von Liedern: Echo ohne Unterbrechung, gemeinsame Melodie (gemeinsames Singen mit Chorleiter oder mit Aufnahme)
  • häufige Probleme mit der Tonqualität, die bei Kindern ohne musikalische Vorbildung auftreten können
  • Position der Streicher vor dem Chorleiter, sowohl während der Probe als auch im Konzert
  • Gebrauch von Keyboard, Gitarre und Aufnahmen während der Probe
  • Stimmmechanismus: Atemtrakt / Stimmerzeugung / Resonanzräume
  • Atmung, Übungen, Diktion
  • Besonderheiten der Stimme von Kindern im Grundschulalter: Stimmumfang und dessen Erweiterung sowie Passagio
  • Übungen, um den Kindern den Registerwechsel zu erleichtern
  • Stimmbruch: ein allgemeines Verständnis der Grundbegriffe
  • Auswahl und schrittweise Erweiterung des Repertoires je nach Schwierigkeitsgrad und Alter der Kinder
  • Notenlesen: Finden der Noten auf den Notenlinien, eine Vorstellung von Puls, Akzent, Richtung und verschiedenen Pausenzeichen (Viertelnote, Achtelnote, ganze Note)

Die Mentoren übten in den Gruppen- und Einzelproben normalerweise das gleiche Repertoire wie die Kinder, aber auch andere Lieder. Dieser Inhalt wurde ergänzt mit:

Übungen:

  1. einfache und zusammengesetzte Takte
  2. musikalische Beispiele von Einsätzen mit und ohne Auftakt bzw. für ganze und unvollständige Takte
  3. verschiedene Arten von Abschlägen
  4. Besonderheiten von Kinderstimmen (Stimmumfang und Passagio)

Versuche:

  1. Registerwechsel ohne Schwierigkeiten bei Kindern
  2. Kinder, die in der Bruststimme bleiben, aber der Lehrer kann ihnen mit angemessener Hilfe den Zugang zu den höheren Stimmlagen ermöglichen
  3. Kinder, die in der Bruststimme bleiben, aber der Lehrer schafft es nicht, ihnen den Übergang in die höheren Stimmlagen zu ermöglichen, da die entsprechende Lehrmethode fehlt, oder da eine angemessene Strategie entweder nicht gefunden bzw. nicht angewandt wurde
  4. verschiedene Vorschläge für angemessene Übungen mit den Kindern zur Diktion

Es gab zwei Schlüsselelemente, die die Ausbildung der Chormentoren ermöglichten: ihre Bereitschaft zu lernen und die Einbindung von Notenlesen in ihre Ausbildung.

Vier der Mentoren dirigierten im Konzert je ein Lied und einer zwei Lieder.

Ich freue mich sehr darüber, dass ein gutes Team zusammengestellt werden konnte, das zukünftig für den Kinderchor Miraflores zuständig sein wird: jeder mit verschiedenen Aufgaben und Begabungen, die sich gegenseitig ergänzen.

Wir konnten sogar ein paar Auftritte im November und Dezember und neues Repertoire für den Chor organisieren. Ich denke es wird dringend notwendig sein, nächstes Jahr noch mehr Proben für die Ausbildung von Mentoren anzuberaumen.  Obwohl viel gute Arbeit geleistet wurde, ist es wichtig, auf der vorangegangenen Ausbildung aufzubauen und die Mentoren mit weiteren wichtigen Aspekten der Chorarbeit vertraut zu machen, damit ein Weiterbestehen des Chors gewährleistet werden kann.

Schließlich möchte ich noch auf die wertvolle Hilfe von Rubén Videla aufmerksam machen. Er kümmerte sich nicht nur um die Organisation des Projektes Dirigenten ohne Grenzen in Miraflores, sondern er begegnete allen Herausforderungen mit größtem Einsatz, ob es sich nun um Gitarre- oder Tubulumspielen, Solosingen oder mit den Kindern, allgemeine Hilfe, Lösung technischer Probleme oder Anderes handelte. Er war ein sehr guter Reisebegleiter!!

Von Herzen möchte ich OFADAC dafür danken, dass sie mir die Möglichkeit gegeben haben, an diesem Projekt teilzunehmen. Es wurde dringend benötigt, war hervorragend geplant und hat den Grundstein für Stimmen, Träume und Lächeln gelegt! Mit den besten Wünschen!

Marisa Anselmo

Santa Fe, den 31. Oktober 2019

Folgemaßnahmen

Zeitgleich begannen wir mit der aktiven Hilfe der Gemeindevertretung Miraflores, Maßnahmen zu ergreifen, die das Fortbestehen des Projektes an diesem Ort sichern sollten.

Mit Blick auf dieses Ziel fand ein erstes Treffen mit der zukünftigen Gemeinderatsvorsitzenden Frau Prof. Carolina Libré – kürzlich gewählt und im Amt ab 10. Dezember – statt. Sie war sehr an dem Projekt interessiert und versprach, sich um ein Gespräch mit dem gewählten Bürgermeister, Dr. Jorge Frank, zu bemühen.

In diesem Treffen sicherte Herr Dr. Frank seine Unterstützung für das Projekt zu und brachte zum Ausdruck, dass er es als sehr förderlich für „die Freizeitgestaltung der Kinder und eine gute Möglichkeit, potentielles Talent zu fördern“ betrachtete. Weiterhin machte er darauf aufmerksam, dass es durch die kreative Nutzung von Freizeitflächen eine wichtige Rolle dabei spielen kann, die Kinder von gesundheitsschädlichen Aktivitäten oder solchen, die der Gemeinschaft schaden, abzuhalten, da es ein weitreichendes Suchtproblem in der Gemeinde gibt.

Zusammenfassung:

Meiner Meinung nach wurden die Ziele des Programms weitgehend erreicht, da die berufene Chorleiterin alles, was sie sich vorgenommen hatte, sowohl mit den Kindern als auch mit den ortsansässigen Mentoren, durchführen konnte. Zusätzlich wurden Schritte unternommen, um das Weiterbestehen dieses kreativen Raumes mit der Hilfe örtlicher Institutionen zu sichern.

Besonders schätze ich (trotz der Sprachschwierigkeiten) Thierry Thiébauts sehr positive Grundeinstellung und seine Umgänglichkeit, die in allen Aktivitäten zutage trat.

Rubén Darío Videla

OFADAC-Geschäftsführer

Übersetzt aus dem Englischen von Astrid Fieß, Vereinigtes Königreich