Wettstreit der Besten
8. Deutscher Chorwettbewerb, 12.-15. Mai 2010
Walter Vorwerk,
Musikjournalist
Er erinnert etwas an die Olympischen Spiele, denn alle vier Jahre lädt der Deutsche Musikrat, die gemeinnützige Projektgesellschaft zur Förderung des Musiklebens in Deutschland (German Music Council Non-Profit Company), die besten Chöre des Landes zum Deutschen Chorwettbewerb ein. Er fand diesmal vom 12. bis 15. Mai in der nordrhein-westfälischen Stadt Dortmund statt. Wer dorthin fahren durfte, war bereits ein Gewinner, denn er wurde als Siegerchor im Wettstreit auf Landesebene nominiert. Dass man gerade Dortmund aus Austragungsort auswählte, hat seinen guten Grund, denn es ist eine singende Stadt – 10.000 Laiensängerinnen und –Sänger sind in etwa 300 Chören organisiert. Vor acht Jahren wurde hier eine Chorakademie gegründet. Sie ist mit 1.300 Aktiven die größte Singschule Europas. Und deshalb ist der Kulturplan der Stadt auch mit Chormusik bereichert. Hier wurde, wie die Bürgermeisterin der Stadt, Birgit Jörder, versicherte, der Kulturetat trotz angespannter finanzieller Lage nicht gekürzt. Dortmund gehört nicht zuletzt auch zur Region der „Kulturhauptstadt Europas – RUHR 2010“. Und so war der 8. Deutsche Chorwettbewerb an Superlativen kaum zu überbieten.
Jürgen Budday, Gesamtvorsitzender der 11 Jurys, Vorsitzender des Beirates Deutscher Chorwettbewerb im Deutschen Musikrat und selbst Leiter des Maulbronner Kammerchores, erklärte, dass man mit so einer großen Beteiligung nicht gerechnet habe. Aus allen Teilen der Bundesrepublik kamen insgesamt 132 Chöre mit rund 5.000 Sängerinnen und Sängern nach Dortmund. Dieses Ergebnis bereitete den Veranstaltern nicht nur große Freude, sondern auch einige Probleme, denn aus finanziellen Gründen musste der Wettbewerb schließlich auf vier Tage reduziert werden.
Hans-Willi Hefekäuser, der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände, in dem etwa 2,5 Millionen sangesfreudige Menschen organisiert sind, ist auch Vizepräsident des Deutschen Musikrates und natürlich stolz auf die hervorragende Bilanz, die beim Chorwettbewerb gezogen werden konnte. „Der Deutsche Chorwettbewerb ist ein ganz besonderes Ereignis, denn hier werden Breite, Dichte, Leistung und Qualität des Chorgesanges in Deutschland eindrucksvoll demonstriert und unter Beweis gestellt“, sagt er.
Noch nie wurden so viele Preise vergeben wie diesmal – insgesamt 51. Nur wer solche Events organisiert, kann ermessen, was für Mühen dahinter stecken, um so etwas auf die Beine zu stellen. Seit 1993 ist Helmut Schubach der Projektleiter des Deutschen Chorwettbewerbes und des Deutschen Orchesterwettbewerbes im Musikrat, der Manager dieser Musikereignisse in Deutschland also. Natürlich kann er sich auf einen Stab freiwilliger Helfer stützen. Das beginnt bereits auf Landesebene: „Ja, es ist schon eine gute Sache, dass der Chorwettbewerb wie im Wettstreit ‚Jugend musiziert‘ auf Landesebene organisiert wird. Da muss man sich erst einmal beweisen und sich gegen die anderen in der jeweiligen Kategorie durchsetzen. Letztlich treten dann auf Bundesebene die Besten aller Sparten zum Wettstreit an. Aber sie kommen auch hierher, um voneinander zu lernen, neue Anregungen aufzunehmen und ein Rahmenprogramm für Dortmund zu gestalten. Man darf nicht alles nur auf den Wettbewerb reduzieren“.
Und es steht außer Zweifel, dass die Vorbereitungen auf den Deutschen Chorwettbewerb die Chöre zu intensiverer Arbeit und zu höheren Leistungen animieren. Das Ergebnis kann sich international sehen lassen. Die lange Liste der Preisträger kann man sich im Internet anschauen. Da sieht man zum Beispiel, dass der via-nova-chor München unter der Leitung von Florian Helgath in der Kategorie der großen gemischten Chöre den 1. Platz belegt und überdies noch den Preis für die beste Interpretation eines zeitgenössischen Werkes ersang („O Domine“ von Thomas Jennefeld), oder, dass das Männervokalensemble Camerata Musica Limburg unter Jan Schumacher als bester deutscher Männer-Kammerchor ermittelt wurde. Die große Berliner Chorszene schickte sieben Ensembles nach Dortmund, und man fuhr mit zwei zweiten und zwei dritten Preisen nach Hause. Es würde den Rahmen meines Berichts sprengen, hier alle 51 Preisträger zu nennen. Fest steht, dass die elf Jurys in den jeweiligen Kategorien keine leichte Aufgabe zu bewältigen hatten.
Auffallend war, dass diesmal noch mehr international renommierte Chorleiter aus dem Ausland neben den deutschen Experten in den Jurys mitwirkten als vor vier Jahren – sie kamen aus Belgien, Estland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Polen, Schweden, den USA und Venezuela. „Die Internationalität“ – so Helmut Schubach – „ist auch eine Wertschätzung unserer Arbeit. Die Beurteilung z.B. von Vocal-Jazz-Ensembles durch einen Vertreter aus den USA hat authentisches Gewicht. Und es ist immer eine Bereicherung, wenn auch Experten anderer Länder bei der Bewertung mitwirken. Das spüren die Chorleiter auch in den Beratungsgesprächen nach dem Wettbewerb. Da kann man so manche Anregung mit nach Hause nehmen.“
In der fünfköpfigen Jury der Kategorie „Gemischte Chöre – 16 bis 40 Mitwirkende“ arbeitete María Guinand mit, eine weltweit gefragte Frau, wenn es um Chormusik geht. Sie ist Professorin in Caracas, Venezuela, und die renommierteste Chordirigentin Südamerikas. Außerdem war sie Präsidentin und Vizepräsidentin und ist jetzt Beraterin (Advisor) der IFCM (Internationale Föderation für Chormusik), des Weltchorverbandes. Über ihre Mitarbeit in einer Jury des Deutschen Chorwettbewerbs sagt sie: „ Ich fühle mich sehr geehrt, und ich bin stolz, dass man mich hierher eingeladen hat. Dieser nationale deutsche Chorwettbewerb ist ein ganz wichtiges Moment im Leben der Chormusik. Er ist nicht nur bedeutsam für Deutschland, er ist eine Reverenz für Europa und andere Länder. Er ist beispielhaft für die Chormusik überhaupt. Was den Wettbewerb und meine Teilnahme als Jurymitglied betrifft, so ist es für mich wunderbar, den deutschen und ausländischen Chorexperten zu begegnen. Das ist für mich auch immer wieder ein Lernprozess, wenn ich erlebe, wie hervorragende deutsche Chorleiter dirigieren, oder wie sie ihre Programme gestalten. Einige sind auch aktiv auf Veranstaltungen internationaler Organisationen, da treffen wir uns dann wieder. Und dann ist für mich noch sehr wichtig, dass ich erlebe, wie so ein Wettbewerb alle vier Jahre organisiert wird. Interessant ist für mich auch der Weg, den die vielen jungen Chorleiter mit ihren Chören gehen, um hier dabei zu sein. Ich habe wunderbare Ensembles gehört mit sehr unterschiedlicher Klangfarbe, Ideen und Niveau, und sehr interessanter Programmgestaltung mit überwiegend zeitgenössischer Chormusik“.
Aber es gibt für María Guinand noch einen anderen Aspekt, der ihr beim Deutschen Chorwettbewerb auffiel: „Ich habe festgestellt, dass viele Chöre in Deutschland auch rein äußerlich ein farbiges Bild bieten. Hier ist eine junge Generation von Kindern mit Immigrationshintergrund herangewachsen, die im Kulturleben des Landes integriert sind und es bereichern. Die Kultur des Landes und auch die Chorlandschaft bekommt neues Blut, denn Integration heißt Leben in Deutschland. Das trägt enorm zum gegenseitigen Verstehen bei. Und so wächst die Zahl der wunderbaren Sängerinnen und Sänger und auch der Komponisten. Was hier geschieht, ist ein Meilenstein für die Chormusik.“.
Das ehrt nicht zuletzt den Mann, der Präsident des Deutschen Musikrates ist, Martin Maria Krüger, denn seine Projekte sind in vieler Hinsicht Motor für die Musikentwicklung in Deutschland: „Es gibt keinen Zweifel darüber, dass die Basis des menschlichen Ausdrucks mittels der Musik die menschliche Stimme, das Singen ist. Der Deutsche Chorwettbewerb macht darauf aufmerksam, was damit möglich ist, und er sendet auch ein Signal aus, wie wichtig das Singen ist.“
Aber, so grandios unsere Chorlandschaft ist, so kann sie dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit der Musikausübung und dem Musikverständnis in Deutschland Probleme gibt. Prof. Krüger spricht sie an: “Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass das Singen als ein zentrales und grundlegendes Bildungsgut gerade auch in der Grundschulausbildung erhalten bleibt und mehr noch, ausgebaut wird. Wir müssen leider eine ständig rückläufige Entwicklung des Singens an den allgemeinbildenden Schulen beobachten. Dass es seit einem Jahr eine Empfehlung der deutschen Kultusministerkonferenz gibt, das Fach Musik nicht mehr als eigenständiges Fach im Kanon der Grundschulen aufleuchten zu lassen, sondern als ein Teilstück der allgemeinen musisch-ästhetischen Erziehung zu sehen, zeigt den Trend, der Musik und dem Singen in den Schulen den Garaus zu bereiten. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, dass das nicht eintritt. Wir appellieren an die Politiker und an die Verbände, Einfluss darauf zu nehmen, dass die zu erwartenden verheerenden Folgen einer solchen Entscheidung bewusst werden und dass diese Entscheidung rückgängig gemacht wird. Wenn wir etwa 8 Millionen musizierender Menschen in Deutschland haben, davon 2,5 Millionen in Chorverbänden organisierte Sängerinnen und Sänger, dann ist das eine Macht, wenn man sie gebraucht.
Ich hoffe, sie tun das nicht nur durch Singen, sondern darüber hinaus auch in ihrem Umfeld, um für das zu kämpfen, wofür sie mit ihrem Singen stehen.“
Inwieweit dieser Appell auf fruchtbaren Boden gefallen ist, wird man vielleicht in vier Jahren, beim 9. Deutschen Chorwettbewerb 2014 erleben.
E-mail: walter.vorwerk@gmx.de