Kritikerhäppchen: Osanna, Chormusik von Clare Maclean
von Debra Shearer-Dirié, Chordirigentin und Musikpädagogin
Osanna, Chormusik von Clare Maclean
Sydney Chamber Choir, Dir. Paul Stanhope
(Tall Poppies label TP218, Australien)
Die Osanna Messe ist die Titelkomposition der neuesten CD des Sydney Kammerchors, die Werke der gebürtigen Neuseeländerin Clare Maclean vereint. Die kürzeren Kompositionen, die diese Einspielung ergänzen, sind wunderschöne Miniaturen: In the Year that King Uzziah died, Os anthos chorton (Als Blume der Gnade), Vive in Deo und We Welcome Summer (ein Satz eines Gedichtes von Michael Leunig). Diese a cappella Aufnahme rühmt die zahlreichen wundervollen Qualitäten des Sydney Kammerchores unter ihrem Direktor Paul Stanhope.
Die Mess-Sätze der Osanna Messe basieren auf den Cantus firmi der Messliturgie. Wie in Messen der Klassik und Romantik diktieren die Textabschnitte die Natur und den Charakter eines jeden Abschnittes. Die Sätze sind wundervoll gearbeitet, sowohl durch Macleans Tonsatz als auch durch die Ausführung von Stanhopes Interpretation, und bilden so eine vielfältige farbenfrohe Palette.
Der Eröffnungschoral des Kyrie scheint den Zuhörer anfangs in das Reich der Renaissancemesse zu entführen, aber der Eindruck ist eher kurzfristig. Die polyphonen Linien vermitteln zunächst die Illusion einer Renaissancemesse, aber Macleans kompositorische Sprache setzt sie in zeitgenössischer Manier. Die Linien wandern von unabhängiger Einheit – von den Sängern sehr schön mit viel Aufmerksamkeit für die Kontur der Linie und die Empfindsamkeit des Textes gearbeitet – in schimmernde Cluster um.
Maclean benutzt eine farbenreiche Palette kompositorischer Techniken, die der fesselnden Natur des Werkes als Ganzem noch zuspielt. Das Gloria stellt eine Reihe repetierender Ostinati vor, die sich zu minimalistischen Klangbädern wandeln. Die Mehrdeutigkeit von Dur- und Moll-Tonalität als Werkzeug eine Satzstruktur aufzubauen wird mit glockengleicher Präzision, und – obwohl eher selten – mit homophonen Abschnitten kombiniert, die den Reichtum der Homogenität des Ensembles eindrucksvoll zeigen.
Einzigartig für die Osanna Messe ist die Einbeziehung von Elementen der jüdischen Liturgie. Das Kyrie nutzt einen traditionellen Satz des Kol Nidrei, eines Gebets der Abkehr von Versprechen, die man gemacht, aber nicht gehalten hat. Das Gloria beinhaltet einen Satz des Aleinu, der jüdischen Morgengebete. Auch die Melodie des Sanctus, obwohl aus dem Kyriale IX, beinhaltet die Aleinu-Melodie. Das Sanctus ist in seiner Eröffnung besonders beeindruckend, und wieder werden wir Zeuge der kristallklaren Intonation des Sydney Chamber Choir. Dieser Satz zeichnet sich durch ein Fließen aus, das die Stimmen im Trugbild des Klanges ab- und anschwellen lässt.
Die Intonation der gesamten Aufnahme ist makellos. Dies wird besonders perfekt in der Einleitung der beiden Obertimmen demonstriert. Die klare Klangfärbung der hohen Stimmen, in Kombination mit dem vollen Klang der Unterstimmen ergibt das perfekte Timbre, um die verschiedenen Klangfarben dieses Werkes darzustellen.
Die Osanna Messe hat die 2012 Art Music Awards in der Vokal-/Chorkategorie gewonnen. Diese Art Music Awards werden jährlich von der Australasiatischen Gesellschaft für Aufführungsrechte (APRA) und dem Australischen Musikzentrum vergeben. Die vier Werke, die die Aufnahme ergänzen, sind Beispiele der früheren Werke Macleans. In the Year that King Uzziah died (2003) ist ein Satz der Gottesvision Isaiahs und vergrößert die Polarität der Außenstimmen des Ensembles, bei der die Soprani einen besonders exquisiten Ton zeigen. Os anthos chortour (2004) benutzt eine Mischung von Moll- und Oktatonischen Tonarten und hebt sich aus der Aufnahme durch seine rhythmische Schlagkraft hervor. We Welcome Summer (Wir begrüßen den Sommer) (1996) vertont ein Gedicht aus Micheal Leunigs Buch The Prayer Tree (Der Gebetbaum). Die einzigartige Dichtung und Macleans Musik feiern das starke Licht des australischen Sommers.
Eine starke Stimme der australischen Chormusik, der Sydney Chamber Choir, dessen Mitglied Maclean übrigens war, hat eine Aufnahme geschaffen, die man hören muss! Sie vermittelt der internationalen Chorwelt ein Beispiel der vielfältigen und hervorragend aufgestellten australischen Chorszene.
Debra Shearer-Dirié hat ihr Diplom am Kodály Institut in Kecskemét, Ungarn erworben, erhielt dann den Master in Musikerziehung und ihren Doktorgrad im Chordirigieren an der Universität Indiana, USA. Momentan in Brisbane, Australien tätig, lehrt sie Chordirigieren und Akustik an der Universität Queensland, dem ACCET Sommerkurs und dem Internationalen Sommerkurs in Chordirigieren in Neuseeland. Dr. Shearer-Dirié ist derzeit Redakteurin der Zeitschrift der Nationalen Australischen Chorvereinigung und arbeitet für diese Organisation im Nationalkonzil. Sie ist musikalische Leiterin des Brisbane Konzertchors, des Vox Pacifica Kammerchors, Fusion, und Vintage Voices. Email: debrashearer@gmail.com
Übersetzt von Brigitte Riskowski, Deutschland