Wahl des Kritikers: Endlose Grenzen, Bo Hansson (Hyperion CDA67881) Der Royal Holloway Chor, Leitung Rupert Gough

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Kritische Besprechung von Debra Shearer-Dirié, Chorleiterin und Ausbilderin

 

Diese Aufnahme, die dem Chorwerk von Bo Hansson (*1950) gewidmet ist, ist sowohl eine Huldigung des schwedischen Komponisten und seines melodischen Chorsatzes als auch eine Huldigung der eleganten Aufführung des Werkes durch den Royal Holloway Chor unter der Leitung von Rupert Gough. Im Zentrum dieser Aufnahme steht die Missa brevis (2008). Um dieses Werk herum gruppiert Gough eine Auswahl musikalisch entzückender a-cappella-Kompositionen Hanssons, wobei jedes Stück durch exzellente Textbehandlung und vollkommene Ausarbeitung der empfindsamen Nuancen zur Geltung gebracht wird.

Der schwedische Komponist Bo Hansson setzt seine musikalischen Talente nicht nur bei Kompositionen für die Stimme ein. Er begann sogar erst relativ spät in seinem Leben mit der Komposition von Chormusik. Am Beginn seiner Laufbahn stand die Beschäftigung mit Musik im Folk- und Jazzstil. Diese große Bandbreite von Einflüssen in Hanssons Leben erzeugt eine lebendig frische musikalische Sprache, die sich an der Liebe zur Melodie, dem Verständnis der Instrumente, für die er schreibt, und an der Einfühlung in jeden der vertonten Texte orientiert.

Die Missa brevis (Spuren 6-9) ist ein 6-stimmiger Chorsatz mit Orgel, unter Hinzufügung eines weiblichen zwei- bis dreistimmigen Diskantchores. Das Kyrie wird aus kleinen Motiven aufgebaut. Hansson erschafft eine stetig und allmählich sich entwickelnde Linie durch den Auf- und Abstieg jedes Motivs, von Zeit zu Zeit die Form der Motive verändernd, um sich ein wenig, sehr selten jedoch zu weit, vom Original zu entfernen. Beim „Christe eleison“ werden die Stimmen zusammengeführt in perfekt ausbalancierte Oktaven,  eingeleitet von einem hypnotisch sanften Herabgleiten der oberen Stimmen, bis zu dem Punkt, an dem alle Stimmen ineinander aufgehen und den „Christe eleison“-Teil dem Ende zuführen. Genau an diesem Punkt wird einem bewusst, dass es auch einen Orgelpart gibt. Hansson setzt den Orgelpart sehr sorgfältig ein, um die Stimmparts zu ergänzen und in der Wirkung zu verstärken, so dass der Orgelpart gänzlich mit den Stimmparts verflochten ist. William Baldrys Verständnis des Zusammenhangs des Orgelparts innerhalb der Komposition ist außergewöhnlich und trägt, mit mehreren empfindsamen Momenten, dazu bei, den starken Eindruck dieser Aufnahme zu vervollständigen.

Der Text des „Gloria“ aus dem Ordinarium der Messe führt von selbst zu einer Mischung des Metrums, um das natürliche Abebben und Fluten des Textes zu erhalten. Hansson greift in diesem Satz auf einem der Gregorianik ähnelnden Stil zurück, und in ihrer Interpretation verwenden Gough und seine Sänger große Sorgfalt darauf, jede Silbe im vollkommenen Licht und Schatten erklingen zu lassen.

Die herrliche Steigerung zu Beginn des „Sanctus“-Satzes wird über den Stimmaufbau erzielt, indem, beginnend mit dem Bass, eine Stimme nach der anderen auftaucht. Gough und seine Sänger arbeiten diese erste Klimax des Werkes sehr sorgfältig heraus. Das stimmlich reine Timbre der weiblichen Stimmen und die klare, präzise Intonation steigert die Wirkung des Tonsatzes Hanssons in diesem Satz. Es folgt das „Agnus Dei“, der einzige Satz der Komposition, der mit einem Einsatz der Orgel beginnt. Dieser Satz ist, verglichen mit den anderen drei Sätzen der Missa brevis, atonal, aber auch hier, es sei noch einmal gesagt, lässt das interpretatorische Einfühlungsvermögen der Sänger die Schönheit des „Agnus Dei“ in vollem Glanze erstrahlen.

Auch wenn  Hanssons Missa brevis mehrere wunderschöne Momente enthält, sind doch seine a-cappella-Kompositionen am beeindruckendsten. Die erste Komposition ist Som när handen, zugleich das erste Chorwerk Hanssons, für das er 1993 mit dem 1. Preis im nationalen schwedischen Kompositionswettbewerb ausgezeichnet wurde. Die Vertonung eines Textes von Annika Hultman Löfvendahl (*1956) beginnt im Unisono bei Tagesanbruch. Es folgt eine Mischung verschiedener kompositorischer Formeln, vom statischen Sonnenflimmern hin zu parallelen harmonischen Bewegungen und schließlich absteigenden melodischen Linien, die durch die oberen Stimmen noch hervorgehoben werden. Gough und seine Sänger erschaffen wirkungsvolle Klanglandschaften, um die Bedeutung des Textes jederzeit zu verstärken. Bis hin zum Unisono-Schluss ist der Klang immer perfekt ausbalanciert, und so werden wir auf eine vollendete Reise mitgenommen, auch wenn der letzte Unisono-Klang am Ende der Reise durch diese Komposition eine ganz andere Bedeutung annimmt.

Vom ersten bis zum letzten Ton bannen die Sänger des Royal Holloway Chores in Then I Heard the Singing (Spur 3) unsere Aufmerksamkeit, während der Text die Vision von der Geburt Jesu beschreibt, die die Heilige Brigitte von Schweden kurz vor ihrem Tod überkam. Auch hier ist Hanssons Tonsatz perfekt auf jede Silbe des Textes abgestimmt; nichtsdestoweniger muss auch Gough seine an jeder Stelle der Komposition makellose und formvollendete Aufführung hoch angerechnet werden.

Die beiden letzten Stücke dieser Aufnahme, Lighten Mine Eyes (Spur 10) und Endlose Grenze (Spur 11) verhalten sich wie Licht und Dunkelheit zum Ausklang dieser exquisiten Auswahl von Werken Hanssons. Im Besonderen ist hier das antiphonale Zwischenspiel verschiedener Stimmgruppen am Ende von Lighten Mine Eyes recht wirkungsvoll. Das letzte Stück, Endless Border wird mit flimmernden absteigenden Klangclustern in den oberen Stimmen eröffnet. Die Ausführenden sind hier sehr sorgfältig aufgestellt, um den Semi-Chor der sechs Solisten, umgeben von dem üppigen 10-stimmigen Chor, deutlich hörbar zu machen.

Als Ergänzung zu dieser atemberaubenden Aufnahme stellt Gough eine CD mit Noten zur Verfügung, zum Vergnügen für jeden Leser in einem perfekten Gleichgewicht von Fakten und kompositorischer Erzählweise.

 

ShearerDiriéDebraDebra Shearer-Dirié hat ein Diplom des Kodály Institute in Kecskemét, Ungarn, einen Master für Musikerziehung  und einen Doktor in Chorleitung der Indiana University, USA. Zur Zeit wohnhaft in Brisbane, Australien, hat sie Chorleitung und Gehörbildung an der University of Queensland, der ACCET Summer School, gelehrt und Chorleitung an der New Zealand International Summer School. Dr. Shearer-Dirié wirkt zur Zeit als Herausgeberin von The Australian National Choral Association’s Publication und arbeitet beim The National Council dieser Organisation mit. Sie ist musikalische Direktorin des Brisbane Concert Choir, des Vox Pacifica Chamber Choir, Fusion, und Vintage Voices. Email: debrashearer@gmail.com

 

Redigiert von Gillian Forlivesi Heywood, Italien

Übersetzt aus dem Englischen von Manuela Meyer, Deutschland