Vom Kritiker ausgewählt… Cantate Domino Canticum Novum, Kammerchor I Vocalisti
Von T. J. Harper, D. M. A., Chorleiter und Lehrer
Cantate Domino Canticum Novum
Kammerchor I Vocalisti
Mit Anna-Maria Hefele, Obertonsängerin
Hans-Joachim Lustig, Dirigent
Kirche des Stephansstifts Hannover
(2016; 73’ 09”)
Es kommt nicht oft vor, dass eine neue Choraufnahme es schafft, ein weit verbreitetes Motiv so zu zelebrieren, dass jede der Einspielungen sowohl von Kraft als auch von Substanz geprägt ist. Dies ist besonders selten, wenn sich das Motiv um ein einziges Textkonzept dreht. Mit Cantate Domino Canticum Novum hat der Dirigent Hans-Joachim Lustig genau das mit seinem Kammerchor I Vocalisti und der Obertonsängerin Anna-Maria Hefele mit großem Erfolg erreicht. Diese jüngste CD von Hans-Joachim Lustig, eine eklektische Mischung aus Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts, aufgenommen von März bis Juli 2016 in der Kirche des Stephansstift Hannover, betrachtet denselben Text in drei verschiedenen Sprachen: “Sing to the Lord a new song”, “Cantate Domino canticum novum” und “Singet dem Herrn ein neues Lied”.
Das übergeordnete Thema der CD, Cantate Domino Canticum Novum, erhält einen Großteil seiner Ästhetik und spirituellen Energie aus dem in der jüngsten Geschichte verankerten Satz Hugo Distlers, Singet dem Herrn ein neues Lied von 1934. Beeinflusst von den Kompositionstechniken von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, stellt Lustig mit Distlers Satz die lange Tradition der Kirchenmusik in das Zentrum der Aufnahme.
Zum Herz dieser Sammlung “neuer Lieder” gehört auch die einzigartige und kraftvolle Stimme der Obertonsängerin und Stimmkünstlerin Anna-Maria Hefele. Mit weiterführenden Studien am Carl Orff Institut des Mozarteum Salzburg und dem Deutschen Museum München hat sich Hefele auf Obertongesang spezialisiert, eine Gesangstechnik, die durch Filterung und Verstärkung der natürlichen Obertöne der Stimme klingt, als sänge eine Person zwei Töne gleichzeitig. In den Kompositionen von Uģis Prauliņš (1957), Hans Schanderl (1960) und Michael Ostrzyga (1975) erzeugt Anna-Maria Hefele einen neuartigen Klangteppich in jeder der drei Kompositionen, in denen sie mitwirkt, der zugleich berauschend, musikalisch und bemerkenswert feinfühlig ist.
Der Kammerchor I Vocalisti setzt sich aus Sängerinnen und Sängern aus dem norddeutschen Raum zusammen und wurde 1991 gegründet. Er hat internationale Bühnenerfahrung und belegte den ersten Platz beim 6. Deutschen Chorwettbewerb 2002, beim internationalen Kammerchorwettbewerb in Tolosa, Spanien, 2004 und beim internationalen Chorwettbewerb in Cork in Irland 2009. Ihr Leiter, Hans-Joachim Lustig, ist freiberuflicher Chordirigent, leitet ebenfalls die Chorknaben Uetersen und gibt Chorleitungsseminare in ganz Europa.
- *Cantate Domino von Uģis Prauliņš (b. 1957) wurde 2015 komponiert, eine Motette auf den Psalm 98 für 8-stimmigen Chor und Solo-Obertongesang. In diesem Werk erschafft Prauliņš eine außergewöhnliche Verbindung aus moderner klassischer Chorvokalisation und der Ausdruckskraft von Obertönen.
- Singet dem Herrn von Vic Nees (1933-2013) 2002 für 4- bis 6-stimmigen Chor und Sopransolo geschrieben. Dieser Satz des Psalms 98 gibt den hellen Lobesrufen in diesem Text einen erfrischenden neuen Blickwinkel.
- …Singet… von Thomas Hofmann (1958), komponiert 2000. Die Motette für zwei vierstimmige Chöre ist der geeignete Auftakt zu Distlers Singet dem Herrn. In diesem Satz ist die Textdeklamation die primäre Inspiration. Hofmann sagt dazu, “Mit der Wahl meiner kompositorischen Mittel und mit allen geeigneten allegorischen Mitteln in Form einer Apotheose erforderte die Klärung in der Form eine Musik mit offenem Schluss.”
- Singet dem Herrn ein neues Lied Op. 12 Nr. 1 von Hugo Distler (1908-1942) steht für das historische Herzstück dieser Aufnahme und wird mit großer Kultiviertheit und Klarheit behandelt. Es wurde 1934 komponiert. Die musikalische Sprache des Werkes ist stark vom Text beeinflusst und hat eine Verbindung zu Heinrich Schütz. “Auf diese Weise machen wir deutlich, dass der Psalmtext des Titels eine lange Tradition in der Kirchenmusik hat” – Hans-Joachim Lustig.
- Cantate Domino von Josu Elberdin (1976) ist eine Motette für 8-stimmigen Chor über eine Kombination der Texte aus den Psalmen 96 und 98. Charakteristisch für dieses Werk von 2011 sind parallele Quarten, Quinten und Oktaven, wobei die Männer- und Frauenstimmen unabhängig miteinander wechselwirken bevor sie zusammengeführt werden. Das Werk ist auch dadurch einzigartig, dass der Text teilweise auf Baskisch, der Muttersprache des Komponisten, gesungen wird.
- Cantate Domino von Hans Schanderl (1960) für 8-stimmigen Chor und Solo-Obertongesang wurde 2016 komponiert. Teile von Psalm 96 werden repetitorisch eingesetzt in Kombination mit phonetischen Silben und erfordern eine meisterhafte Obertonimprovisation. “Für mich war der Grundton der Komposition der Gedanke an den Ausdruck von Freude im Sinne eines hymnenartigen Jubelns, das sich in einem tanzartigen Stil in der musikalischen Textur entwickelt.” – Hans Schanderl.
- Singet dem Herr ein neues Lied von Aleksandar S. Vujić (1945) basiert auf dem Text von Psalm 149. Das Werk für 16 Stimmen ist eine Hommage an J. S. Bach. Der serbische Komponist Vujić sagt dazu: “Meine Idee war, Bachs Führung zu folgen, aber mit etwas Neuerem, das ihm einen neuen Impuls geben würde. Dabei beschränkte ich mich darauf, eine Dimension zu verwenden. Ich wählte unregelmäßige Rhythmen, wie es für den Balkan typisch sind, und wandte die Prinzipien von Bachs Doppelchorwerken an: Polyphonie, Homophonie und Imitation. Ich wollte keine extrem modernen Klänge finden und setzte mir deshalb bewusst Grenzen.”
- Cantate Domino von Vytautas Miškinis (1954) hat eine künstlerische Ausstrahlung, die dem Text und dem Subtext entspricht. Diese Arbeit ist durch ihren warmen und harmonischen Stil ansprechend.
- Canticum Novum (…ab extremis terrae) von Michael Ostrzyga (1975) wurde 2015/2016 für den Kammerchor I Vocalisti und eine Obertonsolistin komponiert. “Die Komposition bewegt sich zwischen verschiedenen Dimensionen: Musik ohne Text, Rezitationen ohne Musik, Semantik und Phonetik, Dekonstruktion und Rekonstruktion, Klarheit und Unschärfe, Geräusch und Ton, Untertöne und Obertöne, konkret und verklärt, werden und vergehen”, ein Werk der Extreme. “Die Worte ‘ab extremis terrae’ (von den Enden der Erde; Jesaja 42:10) blieben mir von Anfang an in einer anderen Bedeutung im Sinn, obwohl dies höchstwahrscheinlich nicht das ist, was im Kontext der Bibelpassage gemeint ist: als Verbindung zwischen der materiellen irdischen Welt zur immateriellen außerirdischen Welt. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, nur den Anfang des Textes zu verwenden und ihn aus dem konkreten Kontext zu befreien.” – Michael Ostrzyga
- Cantate Domino von Alwin Michael Schronen (1965). Dieses Werk von 2015 bezieht sich unverkennbar auf die Harmonien und den charakteristischen Stil der zeitgenössischen Vokalmusik des Baltikums. “Der Text drückt große Freude aus. Ich habe das in der Komposition durch einen Dreiertakt und ein doppelchöriges Arrangement eines dreistimmigen Frauenchors und eines dreistimmigen Männerchors ausgedrückt.” Der Aufbau mit überlappenden homophonen Texturen der Männer- und Frauenstimmen ist einzigartig.
Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Saus, Deutschland