Festival-Zeit in Polen
Advents- und Weihnachts-Chorfestival in Krakau
Internationaler Chorleiter/innen -Wettbewerb „Zur Polyphonie“
Andrea Angelini, ICB-Redakteur und Chorleiter
Polen ist zweifellos ein Land mit einer reichen chormusikalischen Kultur; und unsere Leser/innen werden sich sicher daran erinnern, dass vor ungefähr einem Jahr im ICB ein ausführlicher Sonderbeitrag über die Beziehung des polnischen Volkes zu seiner Chormusik erschienen war. Besonders in der Adventszeit findet normalerweise eine Vielzahl von sehr interessanten Aufführungen statt.
Ein Besuch in Polen ist immer wieder ein Vergnügen für mich, und ich nehme die Gelegenheit wahr, wann immer ich dorthin eingeladen werde: Die Geschichte des Landes, der Reichtum seiner Kultur, die Schönheit seiner Städte, die Freundlichkeit seiner Menschen und ihre Liebe zur Musik sind jeweils für sich genommen schon Grund genug für einen Besuch. Wenn die magische Stimmung des Krakauer Advents- und Weihnachts-Chorfestivals und des Internationalen Chorleiter/innen – Wettbewerbs „Zur Polyphonie“ dazukommen, kann man sicherlich ein unvergessliches Erlebnis erwarten.
Die Stadt Krakow selbst erfreut sich zu Recht großer Berühmtheit. Sie war die Hauptstadt des katholischen Polens bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, als diese Rolle auf Warschau übertragen wurde. Das an jene Blütezeit erinnernde mittelalterliche Zentrum der Stadt wurde 1978 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Der sehr beliebte Karol Wojtyla, Papst Johannes Paul II., lebte über 40 Jahre lang in Krakau; er vergaß niemals seine alten Lieblingsorte und erzählte gern von dieser Stadt. Es war der Wunsch der Krakauer Bevölkerung, dass er seine letzte Ruhestätte in der Kathedrale der Stadt an der Seite der Jagiellonen – und Wasa – Könige Polens finden sollte. Dies geschah nicht, und so gab es einige Auseinandersetzungen, als später diese Ehre dem Präsidenten Lech Kaczynski und seiner Frau zuteil wurde, die bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren.
Die strenge Schönheit der Kirchen der Stadt bildeten die Kulisse für das Krakauer Advents- und Weihnachts-Chorfestival, das vom 9. bis 11. Dezember 2011 stattfand. Chöre aus Norwegen, der Ukraine, Italien, Lettland, Südafrika, Russland und Singapur nahmen zusammen mit den Chören aus Polen teil. Erste Preise gingen an den Mädchenkammerchor KSSMS Lysenko, Ukraine (Kategorie: Kammerchöre), den Spigo Chor aus Lettland (Jugendchöre), den Ave Maria Chor aus der Ukraine (gemischte Chöre: Erwachsene), den Dunman Secondary School Choir aus Singapur (Kinderchöre) und den Oriana Frauenchor, auch aus der Ukraine (einstimmige Chöre: Erwachsene). Neben dem Hauptwettbewerb nahmen alle Chöre die Gelegenheit wahr, in den verschiedenen Kirchen der Stadt Sonderkonzerte zu veranstalten. Als Krönung der märchenhaften Stimmung fehlte nur der Schnee, aber es wäre unfair, den Organisator/innen dafür die Schuld zu geben. Für den reibungslosen Ablauf des Festivals sorgte sehr aufmerksam und erfahren Maciej Przerwa, künstlerischer Direktor von Polonia Cantat.
Mit dem Bummelzug fuhr ich quer durch Polen zu meiner nächsten Station Wroclaw (Breslau), wo vom 14. bis 17.Dezember 2011 der Internationale Chorleiter/innen –Wettbewerb „Zur Polyphonie“ stattfand. Wroclaw hat eine ganz andere Schönheit als Krakau, vielleicht weniger augenfällig auf den ersten Blick; aber man muss sagen, dass diese Stadt der Welt viele berühmte Menschen gegeben hat. Der berühmte Dirigent Otto Klemperer wurde dort geboren, ebenso der furchtlose Kampfpilot aus dem 1.Weltkrieg Manfred von Richthofen, besser bekannt als ‚Der rote Baron’. Im renommierten Veranstaltungsort der Karol Lipinksi Musikakademie traten die jungen Dirigent/innen an, um Stücke aus verschiedenen Epochen zu dirigieren, wobei sie sowohl die Schönheit der Musik so gut wie möglich zu Gehör bringen als auch ihr eigenes künstlerisches Einfühlungsvermögen darstellen wollten. Das Repertoire reichte von Monteverdi bis Debussy, schloss aber auch Werke von Sczymanowski, Koszewski, Jasinski und Lukaszewski ein. Natürlich hatte dieser Wettbewerb auch das pädagogische Ziel, Begegnungen und Ideenaustausch sowohl zwischen den Mitgliedern der Jury als auch unter den anderen Wettbewerbsteilnehmer/innen und zuhörenden Fachleuten zu fördern. Alle Aufführungen fanden in dem Theater der Akademie statt, das der Veranstaltung durch seine ausgezeichnete Akustik und eindrucksvolle Atmosphäre einen großen würdigen Rahmen verlieh.
Die fünfzehn jungen Wettbewerbsteilnehmer/innen aus der Ukraine, Weißrussland, Lettland und Polen bemühten sich, ihre eigene Interpretation der Musik den drei Workshop-Chören zu vermitteln, welche ihre Fähigkeiten und Flexibilität in der Umsetzung der Anweisungen der verschiedenen Dirigent/innen zeigten. Zum Abschluss des Wettbewerbs überreichten die Mitglieder der Jury, Zofia Urbanyi-Krasnodebska, Andrea Angelini, Hans Jaskulsky, Janis Lindenbergs und Ryszard Zimak die Preistrophäe an Alexander Humala, Weißrussland. Zwei Letten belegten den zweiten und dritten Platz.
Wie ganz Polen hat Wroclaw alle unsäglichen Grauen des 2.Weltkrieges durchlebt, bis es als eine der letzten größeren Städte von der Sowjetarmee befreit wurde. Unter der deutschen Besatzung wurde die Stadt in eine Festung verwandelt, die bis zum bitteren Ende kämpfen sollte: Nachdem alle Bewohner gezwungen worden waren, die Stadt zu verlassen, wurde sie erst nach verbissenem Widerstand – vier Tage nach dem Fall von Berlin – aufgegeben. Im Zuge des sorgfältigen Wiederaufbaus wurden wunderschöne historische Monumente in ihrer alten Pracht wiederhergestellt. Durch seine Lage an der Bernsteinstraße hatte Wroclaw einst seine wirtschaftliche und kulturelle Blüte erlangt; es war bekannt in ganz Europa wegen seiner Universität, die in einem großartigen barocken Gebäude untergebracht und teilweise für Besucher geöffnet war. Besonders erwähnenswert sind die Aula Leopoldina, die heute als
Auditorium genutzt wird, und der Musiksaal Oratorium Marianum, in dem legendäre Musiker wie Liszt, Brahms, Grieg auftraten. In,. Maria Kierska-Witczak, die Koordinatorin des Festival und Leiterin eines Workshop-Chores, zeigte sich sehr erfreut über den Erfolg der Veranstaltung.
Weitere Informationen unter:
Krakow Advent & Christmas Choral Festival: www.christmasfestival.pl
International Choir Conducting Competition Towards Polyphony: www.amuz.wroc.pl
Andrea Angelini studierte Klavier und Chorleitung. Er ist beruflich und künstlerisch sehr engagiert als Leiter verschiedener Chöre und Kammermusikgruppen. Er vermittelt seine besondere Sachkenntnis auf dem Gebiet der Musik der Renaissance in Workshops und auf Konferenzen in der ganzen Welt und wird oft gebeten, als Jury-Mitglied bei den wichtigsten Chor-Wettbewerben mitzuwirken. Zusammen mit Peter Phillips unterrichtet er schon jahrelang im Rahmen des Internationalen Kurses für Chorsänger/innen und –leiter/innen in Rimini. Er ist Künstlerischer Direktor des Voci nei Chiostri Chor Festivals und des Internationalen Chorwettbewerbs in Rimini. Seit 2009 ist er Chefredakteur des ICB. Seine Kompositionen wurden von Gelber-Hund, Eurarte, Canticanova und Ferrimontana veröffentlicht. Seine E-Mail-Adresse ist: aangelini@ifcm.net
Übersetzt aus dem Italienischen ins Englische von Ross Nelhams,UK
Übersetzt aus dem Englischen von Christa Sondermann, Deutschland
Edited by Gillian Forlivesi Heywood, Italy