Unsterblicher Theodorakis
Die Griechen hielten ihn für unsterblich, ihn, der unzählige Male eingesperrt und schwer misshandelt wurde, und der einen so aktiven Anteil am künstlerischen und politischen Leben seines Landes genommen hat.
Mikis Theodorakis hat sein Land fast ein ganzes Jahrhundert lang begleitet: Als Widerstandskämpfer während der Nazibesetzung (1941-1944), Gefangener im griechischen Bürgerkrieg (1946-49), Gegner der Militärdiktatur (1967-74) und wieder als Gefangener, bevor er ins Exil in Frankreich bis 1974 ging. Danach folgten für den früheren Schüler von Olivier Messiaen am Conservatoire de Paris mehrere Jahre der Beteiligung am öffentlichen Leben Griechenlands: Als Abgeordneter und sogar Minister (in der Regierung von Konstantinos Mitsotakis, dem Vater des derzeitigen Premiers) setzte er sich aktiv für die griechische Kultur und die Völkerverständigung (vor allem zwischen Griechen und Türken) ein. Einige Jahre lang dirigierte er den Chor und das Orchester der griechischen Rundfunk- und Fernsehgesellschaft.
Noch 2018, mit fast 93 Jahren und im Rollstuhl sitzend, ergriff er lautstark das Wort und forderte ein Referendum über die Frage Mazedoniens vor Tausenden vor dem Parlament versammelten Athenern. Die Chorwelt kennt vor allem seine Musik: angefangen von seinem magistralen Canto General, in welchem er das Gedicht von Pablo Neruda vertont hat, über seine zahlreichen Melodien auf Texte von griechischen oder spanischen Autoren bis zu den unvergesslichen Filmmusiken (darunter natürlich Alexis Sorbas, aber auch viele andere!), sowie Opern, Sinfonien, und Kammermusikstücke…
Theodorakis hat seine Stimme oft lautstark erhoben; doch seit dem 2. September dieses Jahres schweigt er. Seine Seele hat sich in den Athener Himmel aufgeschwungen, um dort seine Freunde Melina Mercouri, Pablo Neruda und viel andere wichtige Stimmen des 20. Jahrhunderts zu treffen. Liebe Leserinnen und Leser, ich möchte Ihnen ein Geheimnis verraten: ich hatte vor, Mikis Theodorakis für das ICB zu interviewen. Leider ist es nicht mehr dazugekommen. Überlassen wir also das Wort einigen Menschen, die ihn kannten…
Isabelle Métrope
Pariser Uraufführung im Februar 1981
1981 habe ich mit meinem Chor „La Brénadienne“ den Canto General aufgeführt. Ich habe ihn in Paris bei sich zu Hause Rue Notre Dame des Champs besucht, wo er wohnte, nachdem er Ende der 60er Jahre vom Militärregime interniert worden war. Ich hatte ihn angerufen, um ihn um Ratschläge zur Aufführung seines Canto General zu bitten, die ich damals mit meinen 180 Choristen vorbereitete. „Kommen Sie doch einfach vorbei“ antwortete er mir. Ich bin der Aufforderung gefolgt. Ich hatte keine Busukis zur Verfügung und wollte wissen, ob ich diese durch Querflöten ersetzen könnte. Wir haben zwei Stunden lang über seine Musik gesprochen. Er war ein leidenschaftlicher (und äußerst begeisternder!) Mensch, der mit mir diskutierte und Ausschnitte seiner Musik auf dem Klavier vorspielte… Bei der Gelegenheit zeigte er mir auch ein auf dem Pult seines Klaviers liegendes Manuskript, das er gerade fertiggestellt hatte: Neruda Requiem aeternam für Doppelchor, Klaviere und Schlagwerk, ein kurzes Stück von etwa 15 Minuten, welches er dem Canto General hinzufügte. Beim Anhören der Harmonien ergriff mich eine starke Emotion … Die Tränen kamen mir … Er schloss sein Manuskript und überreichte es mir mit den Worten: Sie werden die Uraufführung mit Ihrem Chor übernehmen. Wir haben dieses Requiem 1981 in der Kirche St. Marcel (Paris 13) bei einem Konzert gesungen, in dem wir auch die Petite Messe Solennelle von Rossini gegeben haben.
Thierry Thiébaut, Frankreich
Mit seiner Musik und seinen Liedern wird er weiter unsere Herzen verbinden und uns neue Welten eröffnen, so, wie jede große Kunst, die im Austausch mit ihrer Zeit und ihrer Geschichte steht.
Maria Farantouri, Sängerin
Canto General, August 1975 in Athen, in den Karaiskakis- und Panathinaikos-Stadien
Mikis hat uns 1974 in seiner lebhaften Art angesprochen. Er wollte ein weltberühmtes Ensemble an seiner Seite haben; er kannte uns sehr gut und bewunderte die reiche Klangfülle unserer Instrumente. Es war ihm wichtig, dass ihm die Percussions de Strasbourg bei seiner triumphalen musikalischen Rückkehr nach Griechenland zur Seite standen. Wir haben mit den Proben begonnen, gefolgt von einer Avant-Première in der Mutualité in Paris unter Beisein von François Mitterand.
In Griechenland verliefen die Proben in einer entspannten und angenehmen Atmosphäre. Mikis hatte viel Humor und wir auch … Die Ankunft im Stadion werden wir nie vergessen; wir sahen eine auf dem Rasen verlorene Bühne, was uns hinsichtlich des Klangs und der Wiedergabe beunruhigte. Aber unsere Zweifel sind sehr schnell verflogen dank der hervorragenden Techniker und der äußerst talentierten Toningenieure. Das Wort Triumph ist schwach, wir wurden von Mikis Begeisterung mitgetragen. Seine Kraft und Sensibilität kamen in seiner kraftvollen, tanzenden und singenden Art des Dirigierens voll zum Ausdruck. Zwischen ihm und seinen Musikern und Sängern bestand ein unsichtbares Band, genährt aus Leiden, Erbitterung, Mut und unglaublicher Freude. Wir waren hingerissen von dem vollen Stadion mit über 60.000 Menschen, die ihm als Symbol der Freiheit und des Kampfes zujubelten. Das Publikum war begeistert von den Siegesliedern. Wir selber waren erfüllt und wie von den Gesängen getragen. Am Ende des Konzerts gab es eine unglaubliche Ovation, die Menge drängte frenetisch auf den Rasen, um Mikis nah zu kommen.
Die Percussions de Strasbourg haben auf dieser Tournee unvergessliche Augenblicke erlebt: Uraufführung im Karaiskakis-Stadion in Piräus am 13. August, Aufführung im Stadion von Patras am 16. August, und wieder in Athen am 18. August, wo eine Doppel-LP live aufgenommen wurde. Das letzte Konzert erfolgte am 18. August in Thessaloniki, wieder unter Anwesenheit eines unglaublich zahlreichen Publikums.
Mikis, die Ikone, Mikis, der Revolutionär, Mikis, das Symbol.
Georges Van Gucht, Frankreich, Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres (französischer Ritterorden für Kunst und Kultur), Gründer der Percussions de Strasbourg, Professor h.c. des Conservatoire National Supérieur de Lyon
Übersetzt aus dem Französischen von Jutta Tagger, Frankreich
Mikis Theodorakis: Grieche und Weltbürger
Ich kenne keinen Griechen, der Theodorakis‘ Lieder nicht in Zeiten der Liebe, des Friedens, der Entspannung, der Unruhe oder bei Demonstrationen gesungen hat. Er hatte immer die richtige Musik, um unsere Seelen zu bewegen. Theodorakis war ungewöhnlich groß, ein musikalisches Genie und ein echtes Symbol für Stärke, Zusammenhalt, Würde, Hingabe und Patriotismus, und er führte ein leidenschaftliches Leben für die Musik, Griechenland, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Frieden in der Welt. Als Musiker, Aktivist und Intellektueller war er annähernd ein Jahrhundert lang eine einzigartige, international anerkannte und überschwängliche Persönlichkeit, die nicht nur der Musik und Kultur, sondern auch der Geschichte seinen Stempel als Anwalt für Demokratie und Frieden unauslöschlich aufdrückte.
“Ich musste dieses Leben leben, um diese Lieder zu schreiben” sagte er, und es war seine Musik, die große Dichtung auf die Lippen Aller brachte, die Konzertsäle, Stadien, Alleen und Kinos füllte, sein Mittel, um seinen Gemütszustand mitzuteilen. Er schuf Musik wenn er verliebt oder verzweifelt war, oder wenn er versuchte, Menschen zusammen zu bringen und durch gute oder schlechte Zeiten zu führen. Sein Ziel war immer zu vereinen und politische Leidenschaften zu dämpfen. Seine Musik ist ein Segen und die Antwort auf Gewalt. Sie ist eine Brise bewegender Melodien, in denen jede Note uns an seine Brillanz, seinen Mut, seine Liebe für sein Land und sein Angebot an die Menschheit erinnert.
Sehr bewegt und mit großem Dank sagen wir “Mikis” von Griechenland und der Welt adieu. Seine Musik und sein Geist begleiteten uns, inspirierten uns, begeisterten uns und machten uns zu besseren Menschen!
Stephanie Merakos, Musikwissenschaftlerin, Bibliotheksleiterin, Music Library of Greece “Lilian Voudouri”, The Friends of Music Society
Übersetzt aus dem Englischen von Lore Auerbach, Deutschland