Interview mit William Christie, Leiter der “Arts Florissants”

Les Arts Florissants

 

Jeffrey Sandborg

 

Für diejenigen, die mit dem Repertoire des französischen Barock schon vertraut sind und für alle, die es gerade kennenlernen, führen alle Wege zu William Christie und Les Arts Florissants (LAF). Dank Christie und seiner chorisch-instrumentalen Bewegung, die er vor über dreißig Jahren ins Leben rief, hat diese farbige, mannigfaltige, aber noch weitgehend unbeachtete Literatur eine Renaissance erlebt.

Unter Christies Leitung entstand die eindrucksvolle Diskographie der LAF mit fast achtzig Aufnahmen, die das 17. und 18. Jahrhundert umspannen, wobei tragédie-lyrique, Opernballett, Motette sowie die wichtigsten Genres des englischen und italienischen Barock im Mittelpunkt stehen. Das Ergebnis seiner Tätigkeit als Musikwissenschaftler ist eine immense Kollektion von Aufführungsausgaben, die die Liste der für die Aufführung solcher Musik zur Verfügung stehenden Werke erweitert hat.

1944 geboren, erhielt Christie seine Ausbildung in Harvard mit weiterführenden Studien in Yale. Er begann seine musikalische Karriere als Cembalist, ist heute aber eher als Wissenschaftler, Lehrer und natürlich Komponist bekannt. Sein Engagement für die Ausbildung junger Sänger ist deutlich sichtbar in Jardins des Voix, mit Sitz in Caen, und letzthin durch seine Berufung an die Juilliard School in New York. William Christies Arbeit wird in Anerkennung seiner unschätzbaren Förderung der Kultur seines Landes und deren Verbreitung im Ausland von der französischen Regierung gesponsert. 1993 erhielt der die Légion d’honneur, 2008 wurde er in die Académie des Beaux-Arts gewählt.

Während seiner Aufführungsreihe von Enchanted Island an der Metropolitan Opera in New York habe ich mich mit Maestro Christie getroffen. Unser Gespräch reichte von Themen der Aufführungspraxis zu Quellen für nützliche Aufführungsausgaben. Ich war besonders an seinen Überlegungen zu der Frage interessiert, wie man sein Repertoire Menschen nahebringen könnte, die noch nicht mit ihm vertraut sind.

 

Les Arts Florissants by Philippe Matsas
Les Arts Florissants © Philippe Matsas

 

Les Arts Florissants

 Jeffrey Sandborg: Erzählen Sie unseren Lesern doch bitte, wie die LAF entstanden sind.

William Christie: Nun ja, wie haben als Vokalensemble begonnen, damals, 1978/79. Es war ein Gemisch hauptsächlich aus Französisch, aber auch etwas Amerikanisch und Englisch. Unsere Idee war, eine kleine Aufführungsgruppe zu bilden mit acht bis zehn Sängern und ein paar Instrumenten. Wir wollten einen kritischen Blick auf Komponisten werfen, die damals viel gesungen wurden, wie Monteverdi oder Purcell, wollten uns aber auch weniger bekannten Musikern widmen, die nicht aufgeführt wurden. Einen besonders kritischen Blick wollten wir auch auf die französische Musik werfen, wir lebten ja in Frankreich. Was war los mit der französischen Musik, warum wurde sie nicht gesungen oder gespielt?  Lag es vielleicht daran, dass man es einfach nicht vernünftig machte? Das war natürlich die Lösung. Von da ab hat sich die Gruppe zu einem feststehenden Orchester und Chor entwickelt.

 

Die Gesamtstärke der LAF

JS Sie sagten, Sie haben mit acht bis zehn Leuten angefangen. Wie viele sind es heute?

WC Es sind wohl so an die hundert, die im Chor singen, und dann habe ich einen Pool von etwa einhundert Leuten, die im Orchester spielen. Fünfzehn bis zwanzig aus beiden Gruppen sind immer dabei. Aber es sind alles unabhängige Freiberufler. Und ich fülle die Gruppe immer wieder auf.

JS Kann man sagen, dass Ihre Zahlen vom Projekt bestimmt werden?

WC Natürlich. Wenn ich die Missa Solemnis aufführe oder Haydns Jahreszeiten, brauchen wir eine Menge Leute.

JS Woher kommen Ihre Sänger und Instrumentalisten?

WC  Es sind alles Freiberufler, das heißt, die Sänger oder Spieler bekommen jedes Mal einen Vertrag. Alle sind Berufsmusiker. Einige etwa teilen ihre Zeit zwischen mir und meiner Truppe und einer der anderen großen Barock-Ensembles in Europa; sie könnten z.B. nach England reisen, um ein Konzert mit Jiggy (John Eliot Gardiner) zu spielen oder mit Trevor Pinnock, oder sie könnten nach Amsterdam reisen, um mit Ton Koopman zu arbeiten. Meine Musiker sind sehr treu – einige von ihnen sind schon fünfzehn oder zwanzig Jahre mit mir zusammen, aber es sind alles Freiberufler. Und die Solisten werden ständig ersetzt. Aber einige, die wir lieben, behalten wir für sehr lange Zeit. Ich arbeite immer noch mit Sängern zusammen, die vor zehn oder fünfzehn Jahren als große Solisten zu uns stießen. Jemand wie David Daniels, oder Joyce di Donato.

JS Wenn es um Stimmen geht, welche Typen suchen Sie?

WC Es gibt ein Repertoire, für das man extrem virtuose Stimmen braucht, aber ich arbeite auch mit einem Repertoire, das junge Stimmen benötigt; viel davon ist französisch oder italienisch. Ich möchte ehrlich gesagt nicht, dass eine alte Drossel Purcell singt. Zu einigen der großen sakralen Werke von Monteverdi passen halt jüngere Stimmen, wie auch zum Oratorium von Charpentier. Mit sehr wenigen Ausnahmen haben wir es natürlich mit bel canto-Stimmen zu tun, das heißt, sie haben eine gute Koloratur, und es sind leichtere Stimmen als die, die du für das Singen von Gilda oder anderen Werken des 19. Jahrhunderts aussuchst. Und wir müssen sie ständig neu besetzen.

 

Jardins des Voix

WC Mit meinen Jardins des Voix hören wir uns jedes Jahr mehrere hundert Stimmen an, von denen wir dann zwischen sechs und zehn Leuten auswählen. Die machen etwa einen Monat lang ein Trainingsprogramm, und dann verkaufen wir weltweit Konzerte, die wir um sie herum gestalten. Diese Leute müssen jünger sein als dreißig, das heißt, es ist eine wunderbare Art, sich zu erneuern.

Man muss dabei beachten, dass ein Teil der Gesangskunst darin besteht, mit anderen zusammen zu singen. In den Konzerten, die wir mit ihnen geben, kommen Duette, Sextette usw. vor, es sind also Ensembles, bei denen die Sänger intelligent sein müssen, sachkundige Solosänger, aber auch Ensemble-Sänger.

JS Was meinen Sie mit „Training“?

WC Ganz einfach, wir haben die Stimmen, sagen wir zwei Bässe, zwei Tenöre, einen wundervollen weiblichen Mezzosopran, vielleicht einen Falsetto-Sänger und zwei Soprane. Und dann stelle ich ein Repertoire zusammen, das ich als für sie geeignet halte. Das ist für sie natürlich alles Neuland. Wir lassen sie das alles einüben, und so lernen sie, dieses Repertoire zu beherrschen.

 

Les Arts Florissants © Guy Vivien
Les Arts Florissants © Guy Vivien

 

Ablauf des Vorsingens

JS Beschreiben Sie doch bitte, wie das Vorsingen mit diesen jungen Sängern abläuft.

WC Wir haben es hier natürlich mit einem ganz speziellen Repertoire zu tun, so dass ich nach Leuten suche, die eine gute Stimme haben, eine schöne Stimme, und natürlich Technik. Dann achte ich auf das Engagement. Gefällt ihnen dieser Stoff wirklich? Das stieß mir bei den Vorsingen der letzten Zeit unangenehm auf: Viele dieser Youngster sind auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Sie dachten, so könnten sie gut nach Europa kommen und ihre Karriere starten, aber sie interessierten sich für Händel, Vivaldi oder Bach nicht mehr als für alles andere. Und tatsächlich, wenn man ihre Curricula liest, sieht man gleich, dass sie sich wohler fühlen mit einem Repertoire des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. 

JS Lassen Sie sie sich vorlesen?

WC Nein, ich möchte nichts verlangen, was sie in Verlegenheit bringt, aber man findet sehr schnell heraus, wer die wirklich Guten sind.

JS Streben Sie einen bestimmten Klang an, oder soll sich der Klang aus dem Repertoire ergeben?

WC Wir haben einen ganz besonderen Klang. Das hat mit Sprache zu tun und mit meiner speziellen Art, die Stücke anzugehen. Wenn man italienische Musik des frühen 17. Jahrhunderts singt, ist es natürlich nicht dasselbe, als wenn man italienische Musik des 18. Jahrhunderts singt. Man singt Rameau nicht genauso, wie man Bouzignac singt. Ich lasse mich von Sprache und Stil leiten.

 

Probleme

JS Die Renaissance der französischen Barockmusik ist offenbar nicht bis zu diesen Ufern vorgedrungen. Außer dem bekannten „aus den Augen, aus dem Sinn“ gibt es da noch Hürden, die jeder Dirigent zu meistern hat: die Verfügbarkeit verlässlicher Ausgaben, Fragen  der Aufführungspraxis, und vor allem die Verfügbarkeit von Stimmen machen dieses Repertoire schwieriger als andere.

WC Was Sie da über die Probleme sagen, ist, glaube ich, ganz zutreffend. Wenn Sie zum Beispiel zu einem Universitäts- oder professionellen Chor sagen, „Wir wollen einmal ein grand motet von Rameau aufführen“, ist das eine harte Nuss in dem Sinne, dass man Solisten, einen einigermaßen großen Chor und natürlich ein Orchester braucht. Dann ist da noch die Frage, ob für solche Musik ein Markt existiert.

JS Wenn Sie so viel Mühe und Kosten auf sich nehmen,  könnten Sie doch genauso gut Händel aufführen mit einem vorhersehbareren Kassenerfolg.

WC Ja, stimmt genau. Wissen Sie, in den Vereinigten Staaten besteht die Notwendigkeit, den Leuten zu gefallen. Man darf sich nichts vormachen, ich weiß von städtischen Symphonieorchestern mit einer großen Tradition symphonischer Musik, die „Star Wars“- Suiten spielen mussten, um bei Mitspielenden anzukommen. Das ist eines der großen Dilemmas, mit denen wir es in den Vereinigten Staaten zu tun haben. Dazu kommt noch, dass sich die Geschmäcker ändern. Aber das französische Repertoire bringt immer eine Reihe von Problemen mit sich. Es ist ein besonderer Musikstil, für den man seine Hausaufgaben machen muss.

 

Editionen

JS Was solche Hausaufgaben betrifft, fand ich es schwierig, an Partituren und Noten heranzukommen für etwas scheinbar so Einfaches wie Händel-Oratorien. Und für ein grand motet von Rameau bräuchte man sicher noch sehr viel mehr Beharrlichkeit, oder?

WC Es fängt mit Bibliotheksarbeit an, und Zugang zu guten Bibliotheken ist entscheidend. Damals, in den 1860er Jahren, hat Chrysander alles veröffentlicht. Inzwischen macht auch die Neue-Händel-Gesellschaft (Bärenreiter) gute Arbeit. Aber es ist noch nicht alles gediehen. Es gibt Opern und Oratorien, um die sich noch keiner gekümmert hat.  

JS Es gibt ein deutliches Bedürfnis nach akkuraten, modernen Ausgaben. Was machen Sie, wenn keine verfügbar sind? Stellen Sie Ihre eigenen her?

WC Sehr oft, ja. Ich besorge alle Noten selbst. Ich habe eine große Bibliothek, möglicherweise eine der weltbesten, was Aufführungsausgaben angeht. Sie ist so über die letzten 35 Jahre gewachsen.

JS Sie haben also über all die Jahrzehnte Ausgaben selbst erstellt?

WC Von Anfang an. Was wir zurzeit machen, ist ein Durchsichten von viel Händel. Ich bin dabei, eine neue Ausgabe von Belshazzar zu erstellen, was bitternötig ist.

JS Und welches sind ihre speziellen Verleger?

WC Wir sind unser eigener Verleger. Sie können unsere Website besuchen und werden feststellen, dass viele dieser großen Chorwerke schon veröffentlicht sind.

JS Wenn jemand ein Festival mit französischer Barockmusik veranstalten möchte,  wäre Ihre Website eine vernünftige Quelle?

WC Ja, das kommt sogar recht häufig vor. Gelegentlich bekommen wir eine Anfrage, ob bestimmte Notensätze ausgeliehen werden können, oder ob es Noten gibt für ein 50 mannstarkes Orchester oder einen Chor von fünfzig.

JS Hat diese Art musikwissenschaftlicher Tätigkeit Sie zum Dirigieren gebracht?

WC Nein, wie sahen uns nur der Notwendigkeit gegenüber, unser eigenes Material herzustellen, weil es keins gab. Aber jetzt, dreißig Jahre später, benutzen wir viele Faksimiles. Die Zeiten haben sich geändert, Gott sei Dank.

 

Empfehlungen

JS Abgesehen von Ihrer Diskographie, geben Sie uns doch bitte ein paar Ratschläge zur Erkundung dieser französischen Literatur des 18. Jahrhunderts.

WC Es gibt viel Material für Frauenchöre, ein immenses Repertoire mit geteiltem Sopran oder gelegentlich auch geteiltem Alt. In Frankreich würden sie nicht alti heißen, sondern bas dessus. Darunter findet sich viel köstliches Material. Kleine Motetten, einige sehr schöne Stücke von Charpentier, z.B. Ich denke, dass man, wenn man dieses Repertoire mag, sich die Werkkataloge dieser Komponisten beschaffen sollte. Eine Menge Material wird gerade neu veröffentlicht – Stradella, Scarlatti, Rossi, Monteverdi –, einiges davon in sehr guten Ausgaben. Und es gibt ein erstaunliches Repertoire für Chöre ab dem 17. Jahrhundert mit großartigen Stücken von Bouzinac, Lalande und Charpentier, und für alle möglichen Kombinationen.

JS Ist das Repertoire des frühen französischen Barocks in diesem Sinne genauso flexibel wie andere Musiken dieser Epoche, z.B. in Bezug auf ein continuo?

WC Nun ja, man kann viel machen mit kleineren Besetzungen, aber es gibt einen point of no return, ab dem man beginnt, die zugrundeliegende Motivation zu verlieren.

JS Man läuft also Gefahr, das grand in grand motet zu verlieren?

WC Genau.

JS Sie haben eben bestimmte Stimmtypen erwähnt wie bas dessus, dazu gibt es andere wie hautes-contre. An solche Stimmen zu kommen ist sicher eins der möglichen Hindernisse für die Aufführung dieser Art von Musik.

WC Ja, und es ist ein schwieriges Problem. Es gibt bestimmte Arten von Stimmen, die die Franzosen sehr lange benutzt haben, vor allem ihre Verwendung hoher, hautes-contre genannter Tenöre. Die Soprane liegen dessus. In einer Textur, die wir heute SATB nennen würden, hatte man einen hohen Sopran, darunter zwei Zwischenbereiche, einen mit hohen Tenören, den hautes-contre, den anderen mit niedrigen Tenören, sowie die Bässe.

Um dies adäquat aufzuführen, nimmt man keine weiblichen Altstimmen. Und Tenöre zu finden, die dieses Repertoire singen können, ist nicht so einfach.

JS Kann nicht ein hoher Tenor durch eine männliche Falsetto-Stimme ersetzt werden?

WC Wenn man keine Wahl hat, ja, aber das ist nicht wirklich das, was man möchte. Und dann gibt es auch noch andere Aufführungsprobleme wie Tonhöhe und Temperament. Dies mit modernen Instrumenten zu spielen, ist schwierig, weil es oft sehr hoch ist.

JS Was ist denn ihre Konzertfrequenz für das A?

WC Nun, wenn ich diese Stücke aufnehme, oder wenn ich eine französische Oper des späten 17. oder frühen 18. Jahrhunderts einspiele, haben wir es mit einem A zu tun, das einen ganzen Ton unter dem modernen A liegt.

 

William Christie © Denis Rouvre
William Christie © Denis Rouvre

 

Repertoire

JS Ich bin beeindruckt von der Breite Ihrer Diskographie, die einige Komponisten enthält, die ich gar nicht kannte, zum Beispiel Mondonville. Wie schaffen Sie es, all diese interessante Musik auszugraben?

WC Ich habe mich mein Leben lang mit früher Musik beschäftigt. Ich habe mit zeitgenössischer Musik angefangen, das aber bald aufgegeben. Wenn es zur eigenen Ästhetik gehört, unbekannte Stücke gut aufzuführen, muss man einfach in einer Bibliothek sein. Man muss gute Musikwissenschaftler kennen. Ich kenne einige der großen Monteverdi-Wissenschaftler, Tom Walker, Ron Curtis, und für das französische Repertoire habe ich endlos viele Leute kennengelernt. Es gibt Dinge, die wir vor Jahren transkribiert haben, die aber noch nicht aufgeführt wurden.

JS Und jemand wie Mondonville? Wo ist der Markt für jemand so Obskures wie ihn?

WC Eine mögliche Antwort ist, sich die Verkaufsziffern der Aufnahmen anzusehen. Oder, weil wir eine bedeutende Bibliothek haben, könnte z.B. jemand das grand motet oder Oratorium von Mondonville hören, und sie schreiben Arts Florissants und fragen, ob sie die Aufführungsnoten bekommen können. Nun, Mondonville hat sich in den letzten zehn Jahren überall verkauft, in Schweden, Deutschland usw. Er ist schwer zu singen, aber spektakulär und ungemein beeindruckend.

 

Juilliard

JS Erzählen Sie mir etwas über dieses neue Programm für frühe Musik bei Juilliard.

WC Das ist der große Kick. Jetzt, wo sich Juilliard früher Musik und historischen Aufführungen widmet, wird sich, glaube ich, hier in New York die Szene für frühe Musik in den nächsten Jahren verändern. Ich bin seit 2007 als Künstler in Juilliard ansässig. Wir haben jetzt eine Fakultät für Streicher, Tasteninstrumente, Flöte, Fagott, Oboe und Trompete. Die Stimmen, die wir im Moment benutzen, kommen aus der Abteilung für Vokalmusik.  Auch da haben wir einige ausgezeichnete Gesangslehrer, die begeistert von uns sind, da sie so ihre Schüler für guten Gluck, guten Bach, Händel und Monteverdi erwärmen können, wohl wissend, dass sie deren Stimmen damit keinesfalls schaden werden. Und sie sind sehr erleichtert darüber, dass es noch etwas anderes zu singen gibt als Verdi und Wagner.

 

Verständnis der Aufführungspraxis

JS Welchen Rat können Sie Dirigenten geben, die sich der Herausforderung dieses Repertoires stellen wollen, aber noch Zweifel haben wegen gewisser, anscheinend ungelöster Probleme der Aufführungspraxis?

WC Sich Aufnahmen verschaffen. Das ist eine sehr gute Art des Lernens. Auf dieser Basis kann man entscheiden, wie viele Leute man braucht, welcher Stimmtypen es bedarf. Ich glaube, dass die meisten von uns, die sich mit dieser Art von Musik beschäftigen, bei vielen derartigen Fragen einer Meinung sind.

JS Kann man sich auf diese Weise auch gut mit den verschiedenen Arten von Verzierungen vertraut machen?

WC Auf jeden Fall. Ich denke, dass Aufnahmen ein sehr gutes Mittel sind, ich habe da keinerlei Bedenken. Und eine gute Aufnahme ist leicht zu unterscheiden von einer Aufnahme, bei der der Betreffende kaum wusste, was er tat.

JS Nun ja, authentische zeitgenössische Verzierungen können sogar für gute Sänger ein Problem darstellen.

WC Man ist fast überall  in der Nähe eines Instituts mit einem Musikwissenschaftler oder einem ansässigen Dirigenten, der einem Tipps geben kann.

JS Möchten Sie noch etwas hinzufügen, was für Chorleiter nützlich sein könnte?

WC Letztendlich ist alles eine Frage von Neugier und Liebe. Wenn man den Stoff liebt, wenn man seinem Zauber erliegt, strengt man sich auch an, ihn zu verkaufen, zu produzieren oder andere zu überzeugen, das zu tun. Das ist das Wesentliche, worum es geht.

 

 

Addendum


 

Quellen

Um  französische Barockmusik weiter zu erkunden, könnte der interessierte Leser mit einer der unten aufgeführten Quellen beginnen.

  • Die Archive der  Arts Florissants, die sich in den Büroräumen der LAF in Paris befinden, enthalten tausende Partituren, die sich über dreißig Jahre angesammelt haben. Zur Förderung der französischen Kultur ist vieles von dieser Sammlung, einschließlich der Orchesternoten, für Ausleihe oder Verkauf freigegeben. Es ist nach Komponisten geordnet und über Arts Flo Media zugänglich: http://www.artsflomedia.com/ 
  • Christie empfiehlt denjenigen, die auf eigene Faust Schätze entdecken möchten, sich einige der Kataloge barocker Komponisten anzusehen. Besonders erwähnenswerte sind: 
  • Marc-Antoine Charpentier,  Amadeus Press, 1995:  Catherine Cessacs gründliche Untersuchung des Oeuvres von Charpentier, das den gesamten Katalog der 550 Werke des Komponisten enthält.
  • Thematic Catalogue of the Works of Michel-Richard de Lalande:  (1657-1726), OXFORD University Press, 2005.  In diesem Katalog gibt Lionel Sawkins über 3000 Musikbeispiele, Details zu Voraussetzungen für Aufführungen, Quellen, wie auch umfassende Indexe und thematische  Lokatoren. http://lionelsawkins.co.uk/

 

Viele Werke sind versteckt, aber zugänglich für Nachforschungen, Erwerb und Ausleihe durch Institute wie dem Centre de Musique baroque de Versailles (http://www.cmbv.fr/ ) und der Bibliotéque  Nationale’s Gallica Website (http://gallica.bnf.fr/ ).

 

Schließlich bietet die Website der Arts Florissants Kontakte und Informationen zum Ensemble: http://www.arts-florissants.com/site/accueil.php4

 

 

Übersetzt aus dem Englischen von Reinhard Kißler, Deutschland

 

 

Jeffrey Sandborg

Jeffrey Sandborg holds the Naomi Brandon and George Emery Wade Professorship in Music at Roanoke College where he has been Director of Choral Activities since 1985. His conducting credits of major choral/orchestral works with the Roanoke Symphony Orchestra include Verdi’s Requiem, Mozart’s Great Mass in C Minor and Handel’s Messiah. He has also led the Roanoke Valley Choral Society and Orchestra in performances of Vaughan Williams’ Hodie, J. S. Bach’s Mass in B Minor, and the Requiems of Joonas Kokkonen and Andrew Lloyd Webber. Sandborg remains active as a clinician, adjudicator, arranger, composer and choral scholar. He is the author of English Ways: Interviews with English Choral Conductors along with numerous articles on choral and vocal literature and practice. Email: sandborg@roanoke.edu