Interview mit Takatomi NOBUNAGA

Von Isabelle Métrope

Sehr geehrter Herr Nobunaga: aus welcher Region/Stadt kommen Sie und in wieweit hat das Ihre Arbeit als Komponist beeinflusst?

Ich bin in Tokyo geboren. Meine Eltern stammen aus der Präfektur Hiroshima, und meine Mutter war ein Opfer der Atombombe, ich bin also aufgewachsen mit ihren Schreckenserzählungen. Das hat mich dazu gebracht, viele Chorwerke auf Texte von Friedensgebeten zu schreiben.

Warum sind Sie Komponist geworden, und was war Ihr Weg in die Professionalität?
Ich habe schon als Kind gerne Partituren gelesen. Ehe ich mich versah, schrieb ich selber Noten. Mein Musiklehrer in der Grundschule hat mit großer Leidenschaft den Chorunterricht gemacht, die Begegnung mit ihm war einer der Hauptgründe, mein Herz an die Musik zu verlieren.  

Als Student hatte ich nicht im Sinn, hauptberuflich Komponist zu werden, ich bin also auch nicht auf eine musikalisch ausgerichtete Schule gegangen, noch habe ich Klavier- oder Kompositionsunterricht genommen. Ich war ein reiner Autodidakt. Nach meinem Abschluss an der Universität habe ich drei Jahre in der Stadtverwaltung gearbeitet, habe aber nebenbei Musik geschrieben. Das Komponieren wurde nach und nach zu meinem Beruf, nachdem ich mehrere Preise in Kompositionswettbewerben gewonnen hatte.

Komponieren Sie ausschließlich für Stimmen oder auch für Instrumente, und was macht das Komponieren für Chor so einzigartig (abgesehen von der Möglichkeit, Text hinzuzufügen)?

Das meiste sind tatsächlich Chorwerke, aber ich schreibe auch für Instrumente. Zu den größeren Werken gehört das Marimba Konzert (http://tiny.cc/yp96vz) und ein Stück für Blasorchester. Ich schreibe auch für Chor mit Orchester.

Was Chormusik so besonders macht, ist die Tatsache, dass die menschliche Stimme so viel mehr Gefühle ausdrücken kann, als das für Instrumente möglich ist. Ich denke, das ist ihre größte Stärke. Dazu kommt, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene noch je ihre eigenen Stimmfarbe haben und dass dieses Timbre nur in dem jeweiligen Alter zur Verfügung steht, auch das macht Chormusik so faszinierend.

Singen Sie selbst?
Als ich jung war, habe ich in einem Chor gesungen, aber jetzt habe ich keine Gelegenheit mehr dazu. Ab und zu habe ich die Gelegenheit, einen Chor zu dirigieren.

Was sind Ihre bevorzugten Themen für Chormusik und warum?

Das ist eine schwierige Frage, weil ich gerne verschiedene Kompositionstechniken einsetze. Eine Zeit lang habe ich am liebsten mit einer Art Soundscape-Technik gearbeitet. Damit verbunden war eine Ausweitung meiner Interessen bis hin zu künstlichem Echo, ebenso wie zu Heterophonie. Auf der anderen Seite habe ich auch großes Interesse daran, einfach nur die Schönheit der Melodie nach vorne zu bringen und Melodien zu schreiben, die zum Text passen.

Welche Musik, Musikepoche oder welcher Musiker repräsentiert Ihre musikalische Heimat?
Ich glaube nicht, dass ich so ein Herzstück habe. Mein Hauptinteresse gilt den Komponisten unserer Tage, was sie denken und kommunizieren, und das ist nicht begrenzt auf Chormusik. Von den japanischen Komponisten hat mich am meisten Akira Miyoshi beeinflusst.

Was bedeutet Chorgesang für Sie?
Sie ist einfach mein Leben. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Chorwelt?
Ich weiß nicht viel über die Chorwelt außerhalb Japans, daher beziehe ich mich ausschließlich auf Japan. Chormusik ist eher ein Genre, bei dem die Freude am Mittun wichtiger ist als die Freude am Zuhören.  Daher ist es nicht einfach, Menschen, die nicht selbst Chorsänger sind, in ein Konzert zu locken.

Ich glaube, Chorleiter, Chorsänger und Komponisten sollten noch mehr darüber nachdenken, wie man Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund in ein Chorkonzert bringt, so wie in Orchester- oder Opernkonzerte. Ich glaube, das würde zu einer Zunahme an Chören führen. Zum zweiten müssen wir, um die Kultur der Chormusik zu verbessern, gerade für Kinder und Jugendliche mehr Möglichkeiten schaffen, die Freude an der Chormusik zu erleben oder im Chor zu singen. Um das zu erreichen, brauchen wir vielleicht eine Bewegung, um die staatlichen Maßnahmen zu verändern. Ich glaube, dass es für Menschen, die sich in der Chormusik engagieren, wichtig ist, das nicht nur zum eigenen Spaß zu tun, sondern auch mit Blick auf die Gesellschaft.

Was sind Ihre aktuellen Projekte?

Meine Oper “Mountains and Seagulls“, die ihre Premiere in Matsumoto City, Nagano, im Januar 2022 hatte, wird in Matsumoto City am 23. und 24. Dezember 2023 wieder aufgeführt.

Ich plane auch weitere Choropern und eine große Oper in der Zukunft. Ich komponiere zwar leidenschaftlich gerne Chorwerke, aber ich möchte mich auch in anderen Bereichen der Bühnenkunst engagieren.

Takatomi NOBUNAGA: Geboren in Japan, 1971. Abschluss an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Sophia-Universität im Jahr 1994. Preise und Auszeichnungen: Der Asahi Award for Composition (Chormusik), 1994, 1995 und 1999, Preis im Sogakudo Wettbewerb Japanisches Lied (Komposition), 1998, Finalist des New Composer Award 2000, veranstaltet von der Japanischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik, Preis im Japan Musik Wettbewerb (Kammermusik), 2001. Größere Werke: Cantos Nuevos für gemischten Chor (oder Männerchor) und Klavier, Fragments –Notes of the War-Dead from Tokkotai Special Attack Units– for solo vocal (or male chorus) and piano, Marimba Konzert “The Crossed Sonar of Dolphins”, Oper “Mountains and Seagulls”

 


Chorstücke von Takatomi NOBUNAGA

Endlessly Flowing (Chapter 1, “From the Ruins” für gemischten Chor a cappella — Score info: https://www.panamusica.co.jp/en/product/11744/

Shunshu-Sanshu (Three Poems of Spring Sorrow) für gemischten Chor a cappella

Kan Kan Kakurembo (Nursery Rhymes of Wakayama) für Kinderchor oder Frauenchor a cappella — Score info: https://www.panamusica.co.jp/en/product/8392/

Hab’ ein Lied auf den Lippen

Gloria on the Horizon over the Sea (from “Two Glorias in Resonance” für gemischten Chor a capella) — Score info: https://www.panamusica.co.jp/en/product/26989/

Pana Musica, japanischer Vertreiber von Chornoten, hat eine Liste der veröffentlichten Chorwerke von Herrn Nobunaga erstellt: https://www.panamusica.co.jp/en/appeal/takatomi_nobunaga/

 

Übersetzt aus dem Englischen von Heide Bertram, Deutschland