Jerusalem – Chormusik Überschreitet Grenzen

Jerusalem ist die Stadt, die in uns edle Gesinnung und Spiritualität hervorruft. Es ist die einzige Stadt der Welt, die von allen drei abrahamitischen Religionen (Christentum, Islam und Judentum) als heilig verehrt wird. Jedoch provoziert Jerusalem auch territoriale Besitzansprüche. Umso ungewöhnlicher ist es, dass an diesem Ort im Februar 2010 drei Jugendchöre wiederholt zeigten, dass zusammen zu singen und zusammen zu arbeiten bewusst und nachhaltig helfen kann, diese Welt zu verbessern. In der Vergangenheit haben Kloster und Verwaltung der Kustodie des Heiligen Landes schon mehrfach Dirigierkurse für arabische und israelische Chorleiter ausgerichtet.

Die Zusammenarbeit der drei Chöre – des Efroni Chors aus Israel, des Sawa Chors aus dem palästinensischen Shefar’am und des Yasmeen Chors aus Ost-Jerusalem – besteht bereits seit längerer Zeit. Ihre Chorleiter Maya Shavit, Eva de Mayo und Rahib Haddad sowie Hania Soudah-Sabbara setzen sich bedacht und stetig für ihre gemeinsame Sache ein, um die Hindernisse zu überwinden, die die politische Wirklichkeit ihnen stellt. Dadurch ist diese grenzenüberschreitende musikalische Erfahrung für die jungen Sänger erst möglich. Schon seit mehreren Jahren haben verschiedene musikalische Begegnungen zwischen den jungen Leuten in Israel und Europa es ermöglicht persönliche Kontakte zwischen Chören mit ihren zukunftsweisenden Chorleitern zu knüpfen und dadurch ein Bewusstsein für die jeweils anderen musikalischen Traditionen zu schaffen.

Vor einigen Jahren hat die IFCM das Programm „Chorleiter ohne Grenzen“ gegründet. Dessen Ziel ist es, fachliche Kompetenz in Ländern aufzubauen, in denen es an Zugang zu Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Chorleiter mangelt. Durch die Aufnahme des beschriebenen Projekts in „Chorleiter ohne Grenzen“ – teilweise gefördert durch die Carpe Vitam Stiftung des Eric Ericson International Choral Centers – bekräftigte die IFCM den anhaltenden Bedarf an Unterstützung für Chöre und Chorleiter in grenzüberschreitenden Projekten. Bestehende unüberwindliche Grenzen sind sowohl für Araber als auch Israelis eine tägliche Quelle von Angst.

Jeder der genannten Chöre hat seine ganz eigenen Probleme und kommt aus ganz anderen sozialen Umfeldern. Der im arabischen Teil Israels beheimatete Sawa Chor wurde von Eva de Mayo und Rahib Haddad als arabisch-jüdische Partnerschaft gegründet. Daraus schöpft der Chor ein umfangreiches Gesangsrepertoire. Der Yasmeen Chor, bestehend aus katholischen Sängern Ost-Jerusalems, ist Teil des Magnificat Institutes, eines innovativen musikalischen Bildungsprogramms im Franziskanerkloster in der Altstadt Jerusalems. Der Efroni Chor aus dem israelischen Emek-Hefer bietet selbst ein umfangreiches und international anerkanntes Programm, das sich der Erkundung der vielfältigen israelischen Musik widmet.

Ich habe als Gast der drei Chöre an der Zusammenkunft teilnehmen dürfen. Nachdem ich mit jedem Chor einzeln gearbeitet hatte, kam mir auch die Ehre zuteil, mit allen zusammen kurz vor dem gemeinsamen Konzert zu proben – dieses stand unter dem Titel „Segen“ – und die abschließenden drei Stücke zu leiten. Das Konzert war bemerkenswert und bot ein faszinierendes und abwechslungsreiches Programm, das die kulturellen Hintergründe der drei Chöre zeigte. Der Efroni Chor sang beispielsweise erstmals hebräische Musik in diesem Teil Jerusalems.

Das „Segen“-Konzert sollte ursprünglich in der Augusta-Victoria-Kirche stattfinden, auf der Nordseite des Ölbergs, der für sowohl Christen als auch Juden heilig ist. Der Garten Gethsemane liegt am Fuße des Ölbergs. Erheblicher Widerstand von Seiten der örtlichen Palästinenser, die dieses Konzert als Zeichen der Normalisierung ansahen, veranlasste die Kirche jedoch, das Konzert kurzfristig nicht zu gestatten. In den Stunden vor dem Konzert haben daher die Organisatoren und Chorleiter, denen die menschliche Seite der Begegnung besonders am Herzen lag, beschlossen, das Konzert in den relativ kleinen Veranstaltungssaal innerhalb des Franziskanerklosters zu verlegen.

Trotz der bedrängten und nahezu intimen Bedingungen haben die Sänger mit ihren Chorleitern eine Atmosphäre von intensivem künstlerischen und persönlichem Engagement geschaffen. Es war großartig anzusehen, wie die drei Chöre aus hochgradig schwierigen Lebensumständen kommend und mit Englisch als einziger gemeinsamer Sprache einfach zusammen singen und miteinander interagieren, als sei es die natürlichste Sache der Welt. Die Chorleiter und das Publikum wurden von einer beispiellosen Welle von Enthusiasmus, Glücksgefühlen und Versöhnung erfasst.

Am Tag nach dem Konzert begann ich, einen Dirigierkurs für eine Gruppe von arabischen und israelischen Chorleitern zu geben. Für die meisten der jungen Teilnehmer mit umfassender musikalischer Erfahrung lag der Schwerpunkt des Kurses auf dem Erlernen von Dirigierfähigkeiten und –techniken, Stimmbildung und Blattsingen. Für mich war es sehr bewegend diesen Chorleitern zuzusehen, wie sie sich gegenseitig beim Lernen unterstützten, erfuhren, wie es ist, vor Gleichen zu stehen und wie sie ihren eigenen Dirigierstil entwickelten.

Die Kommentare der Projektteilnehmer bedürfen keiner weiteren Erklärung (siehe unten).

Musik kennt keine Grenzen und Chormusik hat durch ihren Zugang und ihre Anziehungskraft die Kraft, sowohl Herz als auch Seele einzubinden. Das Jugendchorkonzert und der Dirigierkurs bezeugen den Mut und die Vision der vier Chorleiter Maya, Hania, Rahib und Eva und der vielen Förderer ihrer Chöre. Die kommenden Jahre werden zahllose Herausforderungen für die Menschen in dieser Region bringen, aber Chormusik wird weiterhin helfen, Brücken zu bauen für bessere Verständigung sowie Trost zu spenden in schweren Zeiten.

 

Kommentar:

Für die Kommentare der Teilnehmer wird auf die englische Fassung des Artikels verwiesen.

 

Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Schnabel, Niederlande