Lagrime d’amante al sepolcro dell’amata
Von Franca Floris, Chorleiterin und Lehrerin
Buch 6 der Madrigale
Claudio Monteverdi sechstes Buch der Madrigale für fünf (und gelegentlich bis zu sieben) Stimmen enthält acht [alleinstehende] Kompositionen sowie zwei vollständige Madrigalzyklen: Il lamento d’Arianna (die Klage der Arianna) und Lagrime d’amante al sepolcro d’amata (Tränen eines Liebenden am Grab der Geliebten), eine Sestina [ein Gedicht, das aus sechs Strophen zu je sechs Zeilen besteht, mit drei extra Zeilen am Ende, und einem hochkomplizierten Reim-Schema – Übersetzerin].
Diese Zyklen wurden zwischen 1609 und 1610 in Mantua komponiert, wie wir aus einem Brief ersehen können, den der Sänger Bassano Cassola am 26. Juli 1610 an Kardinal Ferdinand schickte; darin teilte er mit, dass Monteverdi “ … dabei war, eine Gruppe fünfstimmiger Madrigale vorzubereiten, in drei Lamentationen unterteilt: die der Arianna mit dem üblichen Lied (was den Ruhm der Melodie bestätigt); die von Leandro und Ereo del Marini (verschollen); und die dritte, die ihm von Kardinal Ferdinando Gonzaga gegeben worden war – die des Hirten, dessen Nymphe gestorben war, Worte, die Scipione, Sohn des Grafen Lepido Agnelli, nach dem Tod von Signorina Romanina geschrieben hatte:.
Später, in Cremona, nahm Monteverdi diese Kompositionen erneut auf und revidierte ihre Anordnung. Schließlich schickte er das Manuskript an den Verleger Ricciardo Amadino in Venedig. Das Manuskript wurde später veröffentlicht, 1614, nur ein paar Monate, nachdem der Komponist selbst in Venedig angekommen war und sich dort niedergelassen hatte. Es ist unmöglich, dass die Madrigale im sechsten Band vor dem Umzug nach Venedig – nur ein paar Monate vor der Veröffentlichung des Bandes – geschrieben worden sind.
Il pianto di Leandro, ein Text von Marino, fehlt. Es ist unmöglich zu sagen, ob das daran liegt, dass Monteverdi das Projekt umformte, während er daran arbeitete, oder ob er die Vertonung unternahm, aber dann vernichtete, wie er es in der Tat mit anderen Kompositionen machte, die er nicht für wertvoll genug hielt, um sie zu vollenden!
Auf dem Titelblatt des Bandes finden wir die Zeile “Musikdirektor der venezianischen Republik von San Marco in Venedig”. Da keine Widmung vorhanden ist, ist anzunehmen, dass es sich bei der Veröffentlichung des Buches um eine geschäftliche Initiative handelte, das Ergebnis der Zusammenarbeit von Komponist und Verleger, ohne den finanziellen Rückhalt eines Gönners. Dies ist der Anfang einer unternehmenslustigen, fortschrittlichen und sehr wohl verdienten Freiheit von den Anordnungen von Kardinälen, Gönnern und wohlhabenden Bürgern, wodurch Monteverdi, der “Musikdirektor der venezianischen Republik” zu einem viel freieren Komponisten wurde.
Was die Wahl der Texte und ihre Anordnung innerhalb des Bandes angeht, so machte Claudio Gallico wesentliche Beobachtungen: “Die Verteilung der Stücke hat Methode und deckt sich eindeutig mit Unterschieden in der Form. Die Lamentationen von Rinuccini, Agnelli und den beiden Petrarchas fallen in diese Kategorie. Die anderen Reime werden in wechselnder Lautstärke dargeboten – sie sind unterteilt je nach rhetorischem Schema oder beziehen sich sogar auf direkte Dialoge, natürlich je nach ihrem Standort innerhalb des Textes”.
Im Unterschied zu den früheren Büchern fällt dieser Band in zwei Teile, von denen jeder eine polyphone Lamentation enthält (Arianna und die Sestina), gefolgt von einem Madrigal (aus den Sonetten CCCX und CCLXVII, Zefiro e Oimè, nach dem Tod von Laura, vielleicht auch wegen der persönlichen Trauer des Komponisten über den Tod seiner Frau im Jahre 1607), auf Verse von Petrarcha, begleitet vom basso continuo, aber nicht ausgeschrieben, seinerseits gefolgt von einem Madrigal, das für Cembalo bearbeitet ist.
Wie er es bereits im fünften Buch erprobt hatte, setzte der Komponist verschiedene Methoden ein, um die Madrigale mit dem Bass zu begleiten:
- der “folgende”[1] Bass ist ad libitum, wenn das Lied voll polyphonisch ist;
- der basso continuo[2] muss erklingen, wenn die Vokalstimmen sich langsam dahin entwickeln, dass sie innerhalb des polyphonen Gerüstes kompliziertere Sololinien haben;
- der “ausgeschriebene” [obligato] Bass (auf dem Cembalo) wird eingesetzt, wenn der Spieler als instrumentaler Gegenpart einen Dialog mit der Stimme führen muss, einer Stimme mit vielfältiger Fähigkeit, die Komposition mit schwierigen Solopassagen “einzufärben”, wodurch es zu emotionalen Reaktionen kommt; das Instrument muss in der Lage sein zu antworten, zu debattieren und in Wettstreit mit der Stimme zu treten, nicht nur ihr zu folgen und ihr nachzugeben.
Deshalb sind nicht alle die so bezeichneten Madrigale ausgeschrieben. In anderen Kompositionen benötigen die Texte, die durch Monteverdis neuen, fast architektonischen Klang inspiriert worden waren, offenbar eine wesentlichere und genau vorgeschriebene Intervention, die dem Instrument auf den Leib geschrieben worden ist.
Das Thema dieses so außergewöhnlich interessanten Bandes ist der Verlust – die Trauer über diesen Verlust, der Abschied, ein furchtbarer, aber gefasster Kummer. Wir dürfen nicht übersehen, dass Monteverdi einen eindeutigen Strich unter die a cappella Madrigale gezogen zu haben scheint (auch, in seiner Weise, eine Art Abschied, nicht wahr?). Diese Form, die inzwischen als veraltet galt, wurde durch die Ankunft des monodischen Stils verdrängt. Wir sehen jedoch, wie diese altmodische Form immer noch benutzt werden konnte, und dass diese altmodische Methode immer noch präsent war. Die Tatsache wird bestätigt, dass ein Komponist gemeinhin dazu neigt, Entwicklungen zu respektieren, aber dass er am Ende doch immer genau so schreiben wird, wie er es möchte.
Lagrime d’amante al sepolcro d’Amata
Wir haben schon zur Kenntnis genommen, dass Scipione Agnelli von Vincenzo damit beauftragt worden war, ein Werk zu schaffen zum ewigen Andenken an Caterina Martinelli, die als “la Romanina” bekannt war. Caterina war eine junge Sängerin, die, aus Rom kommend, im zarten Alter von dreizehn Jahren in Mantua erschien. Sie stand bereits in der Gunst des Herzogs, der Monteverdi nicht nur anwies, sie musikalisch auszubilden, sondern auch, sie in seinem Haus zu beherbergen.
Caterina Martinelli, Besitzerin einer außergewöhnlichen Stimme, wohnte bei der Familie Monteverdi, bis sie plötzlich und viel zu früh mit achtzehn Jahren an den Pocken starb. Der ganze Hof betrauerte “la Romanina”. Es war, als ob sie persönlich von dem Komponisten angeleitet und im Begriff gewesen war, den Charakter der Arianna anzunehmen.
So erkennen wir, dass – obwohl Lagrime von einem Herzog in Auftrag gegeben worden war, der von Caterinuccia besessen war – das Stück keineswegs gekünstelt ist. Wir wissen, dass Monteverdi immer noch den Tod seiner vor ein paar Monaten verstorbenen Frau betrauerte, und dass er noch nicht über diesen Verlust hinweg gekommen war. Es muss ihm ganz natürlich vorgekommen sein, sein Werk als “Ventil” für beide Todesfälle einzusetzen.
Herzog Vincenzio hatte die Aufgabe, den Text zu schreiben, an den Redner, Dichter, Theologen und berühmten Historiker Scipione Agnelli (1586-1653) vergeben. Unter dem Titel Lagrime d’amante al sepolcro dell’amata finden wir einen langen und ernsten Text, der aus wenig mehr als mäßigen Strophen von elf Silben pro Vers besteht. In der Lamentation “des Schäfers, dessen Nymphe gestorben ist” ist der Hirt Glauco der Herzog Vincenzo Gonzaga, die Nymphe Corinna ist Caterina Martinelli.
Der Herzog betrauert seinen Günstling, die Musikerin, die Aufführende. Er betrauert sie dermaßen, dass, als er einen Ersatz für Arianna finden muss, keine Sängerin gut genug ist. Niemand kann den Vergleich mit la Romanina aushalten. Als es an die Erstaufführung von Arianna ging, wählte Monteverdi Virginia Ramponi Andreini (1583-1630), eine gute Sängerin, aber vor allem eine hervorragende Schauspielerin in der commedia dell’arte, woraus wir sehen, dass die dramatische Interpretation des Textes von grundlegender Bedeutung für die Ausführung war; der Besitz einer außergewöhnlich guten Stimme allein reichte nicht.
In einer Aufführung, die sich darum bemüht, die Musik, den Text und den Zusammenhang zu respektieren, dürfen wir nicht vergessen, dass das Stück der Romanina gewidmet ist: obwohl im alten Stil komponiert und vorwiegend im Wechsel von homophonen und polyphonen Abschnitten (das Ergebnis ist unaushaltbarer Schmerz, verwoben mit tiefer Religiosität, nicht so sehr die Auflehnung gegen solch einen ungerechten und verfrühten Tod), so schwebt der Geist dieser Sängerin ständig über diesen sechs Madrigalen.
Die Komposition der Sestina – eindeutig, nachdem Arianna schon skizziert worden war – erinnert uns an die Tatsache, dass Monteverdi, während er an diesen Madrigalen arbeitete, nicht umhin konnte, an die außerordentliche Begabung dieser Sängerin, die Emotionen des Hofes anzurühren, zu denken. Deshalb – obwohl es im alten Stil geschrieben worden ist – muss dieser wichtige Aspekt bedacht werden, wenn die Stimme “korrekt” aufgeführt werden soll. Obwohl es keine Bühnenanweisungen gibt, müssen wir sicherstellen, dass der Hörer angerührt wird und Theater “hören” und “sehen” kann, einfach dadurch, dass er den Stimmen lauscht.
Durch sechs wiederkehrende, sich reimende Wörter in jeder Sestina ist der Dichter in einer literarischen Falle gefangen, aus der er nicht entkommen kann. Diese Wörter hätten jedem anderen Musiker das Leben schwer gemacht, aber dieser nur recht durchschnittliche Text fiel in die Hände von Monteverdi, dem es durch seine Musik gelang, ihn auf ein Niveau anzuheben jenseits von allem, dessen Agnelli sich hätte träumen können.
- “Incenerite spoglie” (Überreste werden zu Asche): der Solotenor beginnt in tiefer Lage und gibt das Thema an andere Sänger weiter, die von vorneherein die Schwere und den Ernst dieses Anfangs etablieren, zwischen Takt 6 und 7, durch die Halbtöne des cantus (f#-g) und altus (a-b), die die Lamentation[3] und die vorbeihuschenden Bewegungen auf die Worte “Sol” und “Cielo” verkörpern; und durch den ersten ausgeschriebenen Schmerzensschrei “Ahi, lasso!” und die Rückkehr in die tiefe Lage, als der Hirt/Glauco/Herzog Vincenzo sich über das Grab beugt (Katabasis).
Con voi chius’è il mio cor a marmi in seno” (Mit dir ist mein Herz tief in einer Marmorgruft begraben) wird von den drei oberen Stimmen vorgetragen; der Tenor, gefolgt vom Bass, dient als Echo für dieselben Worte. Diese unterstützen die neue Phrase “E notte e giorno vive in pianto in foco” (Und bei Nacht und bei Tag lebt es in Flammen, in Kummer), das im darauf folgenden “in duolo, in ira, il tormentato Glauco” (im Schmerz, in Auflehnung, der gequälte Glauco) zu Leben kommt. Wenn es den fünf Stimmen gestattet wird, die drei verschiedenen Sätze und Melodien gleichzeitig zu singen, dann entsteht die letzte, dramatischste Phrase, die sich in einer ausdrucksstarken, rhythmischen Erregung durchsetzen wird, die sich ständig verstärkt, mit “in duolo, in ira, il tormentato Glauco”, gesungen von den fünf Stimmen, womit der erste Teil der Sestina sein Ende findet. - Zu Anfang des zweiten Madrigals wird die Natur angerufen: “Sagt es, o ihr Flüsse”, um in einem ersten Abschnitt, der ein wenig von den “Schreien” der Soprane belebt wird (“L’aria ferir di grida in su la tomba erme campagne”) Zeugnis abzulegen vom Schmerz des Glaucus. Diese Schreie verhallen, und wir gelangen zu dem Teil der gesamten Sestina, den ich als intensivsten und dennoch gefasstesten Abschnitt empfinde: die drei Unterstimmen führen eine neue Phrase ein, in denen der unglückliche Hirte die Traurigkeit seines Lebens beschreibt: erst eine Stimme nach der anderen, dann, bei “poi che il mio ben coprì gelida terra” (seit meine Geliebte in die gefrorene Erde gelegt worden ist) alle zusammen, eine kompakte Mitteilung, fast gemurmelt, die diesen zweiten Teil mit einer “eingebauten” Verringerung der Lautstärke zu Ende bringt.
- Der Anfang des dritten Madrigals wird mit Akkordblöcken eingeführt: im fünften Takt nimmt das Volumen zu, denn der Alt und der Tenor, zu denen in Takt 6 die Melodie und der Bass treten, lassen den Satz stärker hervortreten. Im Takt 16, beim Text “prima che Glauco, di baciar, d’onorar lasci quel seno che nido fu d’amor, che dura trome preme” (bevor Glaucus das Küssen aufgibt und die Ehrerbietung der Brust, in der die Liebe gewohnt hatte, und die nun, zusammengedrückt, in einem traurigen Grab liegt), während der Bass lange Noten aushält und die Worte “prima che Glauco” wiederholt, bewegen sich die oberen Stimmen in Terzen, unterbrochen von Pausen, die suspiratio anzeigen, Wiederholungen (quel seno, quel seno), durch die das Ganze intensiviert wird, während erst der Alt, dann der Tenor sich mit der Wiederholung eben dieser Worte abwechseln. Diese kleinen Einwürfe werden ebenfalls von seufzenden Pausen unterbrochen. Danach sinkt die Musik ab.
Vom Takt 28 an, mit der Rückkehr des Satzes “prima che Glauco … “, schreiten die zwei höheren Stimmen in langen Notenwerten fort, während die unteren Stimmen weiter mit ihren unterbrochenen, schluchzenden und atemlosen Feststellungen beschäftigt sind. Ab Takt 34 bewegen sich die Melodie und die fünfte Stimme in Terzenparallelen. Bald setzen auch Tenor und Bass ein, während der Alt sein “quel seno” fortsetzt, was zu einem Diminuendo führt, das einen Höhepunkt vorbereitet, an dessen Ende sich die beiden oberen Stimmen und der Tenor, die den letzten Satz in Akkorden und in einer resignierten und gefassten Stimmung vortragen, zu Alt und Bass gesellen, um den herzzerreißenden Schmerz des Verlustes zu betonen, was zu einer unvermeidlichen Zunahme der Lautstärke führt. - Diesem tiefen, emotionalen Schmerz folgt die gefasste Resignation des vierten Madrigals, die durch vorwiegend homophone Stimmen in B (das einzige der sechs Madrigale, das B als Vorzeichen enthält) in tiefer Lage ausgedrückt wird. Nach einer kurzen aber ausdrucksvollen Fermate wiederholen die Stimmen den Satz “ma te raccoglie, o Ninfa” (aber der Himmel wird dich zu sich nehmen, o Nymphe), wodurch dieselbe Ausdrucksstärke erzielt wird wie in allen anderen Wiederholungen in der Sestina.
Von Takt 9 ab führt der Tenor – Glauco – die anderen Stimmen an, indem er deren musikalisches Material vorwegnimmt (Modulation von D-Dur nach d-Moll, dann nach A-Dur): er berichtet, dass dieser Tod auch von der Erde und von den “deserti boschi” (verlassenen Wäldern) betrauert wird. Ansprechende typische Madrigal-Motive in den beiden Oberstimmen, in Terzen davor und danach im Bicinium, dann ähnlich zwischen Alt und Tenor, werden zur Betonung der natürlichen Agogik des Textes eingesetzt (“e correr fium’ il pianto”) (und Tränen fließen in Strömen) und erklingen gleichzeitig mit der Melodie, die sich in langen Notenwerten bewegt; unauffällige Farbeinsprengsel bei “deserti Boschi” (Takt 22-23 in der Melodie und der fünften Stimme, immer noch ein Halbton aus der diatonischen Skala, um die Seufzer zu symbolisieren). Nach plötzlichen und kurzen Modulationen von G-Dur nach C-Dur, von G-Dur nach g-Moll, lädt der Tenor in Takt 25 wiederum all die anderen Stimmen ein, sich beim Satz “e correr fiumi il pianto” zur Homophonie zu vereinigen.
Die weitgehend akkordgebundene Struktur wird beibehalten für den ersten Bericht, wie die Lamentationen des Glaucus überall verstanden und sogar von den Dryaden (Nymphen der Bäume und des Waldes) weitererzählt wurden; all dies wird in tiefer Stimmlage und niedriger Lautstärke (drei Stimmen) vorgestellt, so dass derselbe Satz sich rasch und energisch wieder durchsetzt, wenn er von fünf Stimmen gesungen wird. Die Kraft, die aus dieser Durchsetzung hervorgeht, wird aber sofort gemäßigt: die drei tiefen Stimmen sinken ab zum Text “e su la tomba cantano i pregi dell’amato seno” (und singt über ihrer Gruft das Lob des Herzens seiner Geliebten), den Monteverdi in zwei kurze Melodien unterteilt: eine abwärtsführende, die sich in lautmalerischer Weise mit “tomba” beschäftigt, die andere, lebhafterer, für “cantano i pregi dell’amato seno”.
Selbst hier, und bis zum Ende des Madrigals, treten die zwei Melodien als Paare in Terzen auf und erklingen über einer Grundlage von ständigem Wechsel und stetiger Intensivierung. - Das fünfte Madrigal beginnt in a-Moll: alle fünf Stimmen besingen die körperliche Schönheit des Mädchens (“chiome d’or, neve gentil”); der Abstieg des Basses in einem der Haupttonart gemäßen Halbton betont die Trauer. In Takt 8, “o gigli de la man … “ (“o lily-white hand”) singen alle zusammen in a-Moll. (Der vorhergehende Abschnitt endet in A-Dur.) Wieder finden wir sinkende Halbtöne, diesmal im Bass und im Tenor, aber es ist doch ein Abschnitt, in dem sich leichte Bewegung und rhythmische Erregung zeigen – “ … ch’invido il cielo ne rapi” (welche der neidische Himmel gestohlen hat).
Im Mittelpunkt steht “quando chiuse in cieca tomba chi vi nasconde”” (obwohl du in dieser blinden Gruft eingeschlossen bist, wer kann dich verstecken?); tiefe Stimmregister und Homophonie werden eingesetzt, um uns die Gruft nahe zu bringen, die die Geliebte enthält (Takt 15 G-Dur bis 18 D-Dur; von 19 in C-Dur, dann a-Moll, und 22 endet in G-Dur).
Und hier, mit einer Modulation nach E-Dur, agieren die beiden höheren Stimmen als Echo für den zerreißenden Schmerz, den jammervollen Schrei, während die anderen den Rest des Textes vortragen (Kadenz in A-Dur in Takt 30).
“Ah muse qui sgorgate il pianto” (ah Musen, lasst Euren Tränen Lauf) wird von Monteverdi durch das literarische Konzept der Anrede und durch die zunehmende Erregung dargestellt, die sich im Wortrhythmus des Satzes und mit dem wohlbekannten diatonischen Halbton äußert, um die Klage zum Ausdruck zu bringen, die immer intensiver wird, weil die Stimmen sich immer wieder mit ab- und zunehmender Stimmdichte abwechseln und dadurch einen Satz, der dem Musiker eindeutig wichtig ist, betonen. - Achtzehn Takte lang gibt uns das sechste und letzte Madrigal den Eindruck eines ernsten, feierlichen, religiösen Rezitativs. Ab 20 imitieren sich die fünf Stimmen und bestehen darauf, “rissonar Corinna” – ein Echo des Namens der Geliebten, das auch jetzt wieder zu einem schmerzerfüllten Schrei wird, mit Doppelecho in der Melodie und kaum hörbaren Imitationen der fünften Stimme, aber dem starken und erregten Tempo der verbleibenden Stimmen (“dicano i venti ognor, dica la terra”).
Dieser Zentralabschnitt ist der dramatischste der gesamten Sestina und vielleicht der einzige mit ein paar extra chromatischen Läufen, die sehr seelenvoll sind und, zusammen mit einigen Dissonanzen, den Ausdruck des Schmerzes in den Vordergrund rücken – das wahre Leitmotiv des ganzen Werkes.
Für die letzten drei Zeilen, in denen alle sechs Schlüsselwörter der Sestina vorhanden sind: (“cedano al pianto i detti: amato seno, a te dia pace il ciel; pace a te Glauco, prega onorata tomba e sacra terra”), gab es einfach keine Darstellungsweise als die der Rhetorik – fast ein Gebet, die Stimmen immer in Akkorden, um abschließend die Wahl der Entspannung, der Resignation angesichts eines grausamen Schicksals, darzustellen, wie auch schon zu Anfang mit “incenerite spoglie”.
Lagrime al sepolcro dell’amata ist ein einmaliger Madrigalzyklus – einmalig dank seiner Ausdrucksstärke, die ausschließlich auf der Kraft des Textes basiert, Drama ohne Bühne.
Die Sestina ist als ebenso dramatisches Werk zu betrachten wie Lamento d’Arianna und, obwohl sie nicht für die Bühne konzipiert war, sollten die aufführenden Sänger sich dessen immer klar bewusst sein.
Theater – ja, aber die gesungene Worte müssen immer die Herzen der Hörer anrühren können, ja, sogar Gefühle auslösen; die Sänger müssen in der Lage sein, den Text zu vermitteln (die meisten im Publikum müssen ihn selbst ohne die Zuhilfenahme des Librettos verstehen können), ihn zum Leben zu erwecken, müssen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Stimmungen zum Ausdruck bringen, die von Freude (nur selten, denn es handelt sich um eine anrührende Klage) bis zu Schmerz, Agonie, Schreien und Resignation reichen – und all das nur mit der Kraft des Wortes, zusammen mit der Fähigkeit “aufzuführen” – ohne jede Spur von Aktivität auf der Bühne!
Sänger waren früher Spezialisten: es gab Sänger für Kapellen, Sänger für große Kathedralen, wo die Größe des Raums Kraft und Stärke der Stimme benötigte (die sforzata-Stimme, d. h. stark und kraftvoll); und Sänger für Kammermusik, die sich in erster Linie auf Ausdrucksfähigkeit und Beweglichkeit konzentrierten, in cantar dolce e soave!
Diese Spezialisierung, die durch Berichte, Theoretiker und Musiker der Vergangenheit belegt ist, ist also heute notwendig, wenn wir eine angemessene Ausführung der musikalischen und literarischen Sprache anstreben, die so klar durch den Komponisten in seiner Sestina zum Ausdruck gebracht worden war, damit wir heute dies Juwel der italienischen musica reservata würdigen können.
Ich ende mit einem Zitat aus dem Brief, den der Mönch, Dichter und Philosoph Angelo Grillo an Claudio Monteverdi schrieb, nachdem dieser ihm den sechsten Band der Madrigale als Geschenk geschickt hatte: “ … Und was für ein harmonisches Geschenk, das kann ich wahrlich bestätigen, denn ich betrachte es als eine Vollkommenheit, die – während ich sie empfange – nicht so sehr von der Erde kommt, sondern, während ich ihr lausche, vom Himmel zu mir gelangt zu sein scheint … “
Wenn auch in erster Linie ausgebildete Sängerin, so hat Floris Franca auch Komposition, Chorleitung und Gregorianik bei J. Jürgens, L. Agustoni, A. Albarosa, J. B. Goeschl und G. Milanese studiert. Die Begegnung und intensive Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Meister Piergiorgio Righele aus Vicenza war für ihre Ausbildung als Chorleiterin ausschlaggebend. Sie gründete und leitet das Complesso Vocale di Nuoro, einen Chor mit vollem Terminkalender für Aufführungen in Italien und im Ausland, der in nationalen und internationalen Wettbewerben Preise in diversen Gruppen und Kategorien gewonnen hat. Sie leitet den Kinderchor der N. 2 P. Borrotzu Gesamtschule in Nuoro, der unter ihrer Leitung zwei dritte Preise im Vittorio Veneto Wettbewerb (2004) und Malcesine Wettbewerb (2007) und den ersten Preis im nationalen Chorwettbewerb in Verona (2015) gewonnen hat. Frau Franca wird oft von Institutionen und nationalen und internationalen Vereinen eingeladen, Kurse in Gesang, Chorleitung und Chorinterpretation zu leiten und als Jurymitglied in nationalen und internationalen Chorwettbewerben zu fungieren. Sie war Mitglied der künstlerischen FENIARCO Kommission und war Präsidentin des künstlerischen FERSACO Komitees. E-Mail: frfloris@gmail.com
Scipione Agnelli (1586-1653)
Lacrime d’amante al sepolcro
dell’Amata (1614)
i
Incenerite spoglie, avara tomba
Fatta del mio bel sol terreno cielo.
Ahi lasso! I’ vegno ad inchinarvi in terra!
Con voi chius’è il mio cor a marmi in seno,
E notte e giorno vive in pianto, in foco,
In duol’ in ira il tormentato Glauco.
ii
Ditelo, o fiumi, e voi ch’udiste Glauco
L’aria ferir di grida in su la tomba
Erme campagne, e ‘l san le Ninfe e ‘l Cielo;
A me fu cibo il duol, bevanda il pianto,
Poi ch’il mio ben coprì gelida terra,
Letto, o sasso felice, il tuo bel seno.
iii
Darà la notte il sol lume alla terra,
Splenderà Cinzia il dì prima che Glauco
Di baciar, d’honorar, lasci quel seno
Che nido fu d’amor, che dura tomba
Preme; né sol d’alti sospir, di pianto,
Prodighe a lui saran le fere e ‘l Cielo.
iv
Ma te raccoglie, o Ninfa, in grembo il cielo.
Io per te miro vedova la terra,
Deserti i boschi, e correr fiumi il pianto.
E Driade e Napee del mesto Glauco
Ridicono i lamenti, e su la tomba
Cantano i pregi de l’amato seno.
v
O chiome d’or, neve gentil del seno,
O gigli de la man, ch’invido il cielo
Ne rapì, quando chiuse in cieca tomba,
Chi vi nasconde? Ohimè! Povera terra!
Il fior d’ogni bellezza, il sol di Glauco
Nasconde? Ah muse, qui sgorgate il pianto.
vi
Dunque, amate reliquie, un mar di pianto
Non daran questi lumi al nobil seno
D’un freddo sasso? Ecco l’afflitto Glauco
Fa rissonar Corinna il mar e ‘l Cielo!
Dicano i venti ogn’hor dica la terra,
Ahi Corinna! Ahi morte! Ahi tomba!
Cedano al pianto i detti, amato seno;
A te dia pace il Ciel, pace a te Glauco
Prega, honorata tomba e sacra terra.
Übersetzt aus dem Englischen von Irene Auerbach, UK
[1]Als die Begleitung von Gesangsstücken mit Tasteninstrumenten zuerst aufkam (besonders üblich in Venedig im sechzehnten Jahrhundert), pflegte er die Melodie mit der Wiederkehr des Basses – bereichert durch einfache Akkorde, die in die Tonart passten – zu begleiten. Diese Begleitungsmethode heißt “folgender Bass”.
[2] Basso continuo ist eine unabhängigere Methode, eine Melodie zu begleiten, als der “folgende Bass”: sie stellt sicher, dass die Aufführung keine Unterbrechungen erleidet, wenn der [gesungene] Bass schweigt. Diese Stimme hatte ihrer eigenen Zeile in gedruckten Partituren.
Wir erinnern uns an Agostino Agazzaris Traktat von 1607: “Das Spiel des basso continuo auf allen möglichen Instrumenten”, woraus hervorgeht, dass nicht nur Tasteninstrumente für den basso continuo eingesetzt wurden. Im Zuge der Verstärkung der Begleitlinie traten manchmal Theorben, Chitarronen und Hörner zum Tasteninstrument hinzu, was außerordentlich wirkungsvoll sein konnte. Damals wie heute wurde der basso continuo für Tasteninstrumente oft als bezifferter Bass geschrieben: unter einer einfachen Bass-Stimme wurden Ziffern gedruckt, die die benötigten Akkorde angeben.
[3] Selbst zu Anfang des Lamento di Arianna benutzt Monteverdi das diatonische Intervall a-b, das dann mehrmals wiederholt wird und eines der Charakteristika des ganzen Madrigals wird. (Wollte der Verfasser damit sofort an die betrauerte Arrianna/Romanina erinnern?)