Lasst uns in Liebe Einig sein
Festival Musica Sacra International
Walter Vorwerk,
Musikjournalist
21. bis 26. Mai 2010 Marktoberdorf/Ostallgäu
„Lasst uns in Liebe einig sein und mit den Freunden zur Ruhe kommen. Lasst uns im läuternden Licht des Himmels unsere Fehler erkennen …“, sang das Erguvan Ensemble Istanbul beim 10. Festival Musica Sacra International im bayerischen Marktoberdorf. Der Text stammt von Sultan Veled (1226 – 1312), Sohn des islamischen Mystikers und eines der bedeutendsten persischen Dichter des Mittelalters, Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207 – 1273), der durch seine sufistische Reformlehre der Liebe, Menschlichkeit und Einheit Maulana (persisch) oder Mevlana (türkisch), „Herr und Meister“, genannt wurde. Musik und Tanz beinhalten die Liebe und stellen eine Verbindung zu Gott her. Die Offenheit dieser islamischen Richtung kam auch beim 10. Festival Musica Sacra International zum Ausdruck. Dieses Festival, getragen von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände (ADC) und 1992 von Dolf Rabus initiiert, ist dafür geschaffen worden, dass sich die Weltreligionen Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus mittels der Musik näher kennen lernen, Missverständnisse abbauen helfen und ein Klima der gegenseitigen Achtung, des Verstehens und Toleranz entsteht. Die Musikgruppen und Künstler kamen aus Dänemark, Indien, Indonesien, Israel, Italien, Jordanien, Schweden, Tibet, Türkei, der Ukraine und aus dem Gastgeberland Deutschland. Dreizehn Konzerte fanden in Kirchen, Konzertsälen, Schlössern, Moscheen und Synagogen statt. Marktoberdorf ist und bleibt ein Beispiel für die Verwirklichung von Visionen des friedlichen Miteinanders der Völker.
Interessant ist auch die Tatsache, dass das bereits innerhalb verschiedener Gruppen und bei gemeinsamen Konzerten deutlich wurde. Ich möchte hier nur einige wenige Beispiele nennen:
Aida Swenson-Simanjuntak kam mit ihrem indonesischen Kinder- und Jugendchor CORDANA, den sie 1992 gegründet hatte. Das Ensemble besteht aus Kindern und Jugendlichen, die aus muslimischen, hinduistischen und christlichen Familien stammen. Es ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie unterschiedliche Religionen friedlich miteinander umgehen können. Aida hat sich das Ziel gesteckt, indonesische Kinder und Jugendliche an das Singen heranzuführen und ihnen eine musikalische Bildung zu ermöglichen. Die zumeist armen Familien könnten die Mittel dafür nicht aufbringen. Die Besucher des Festivals waren fasziniert von der grenzenlosen Hingabe der jungen Mädchen und Jugendlichen bei ihren Konzerten.
„The blessed day“ hieß eine Improvisation über ein schwedisches Volkslied, bei dem der indische Raga-Sänger Ashish Sankrityayan (Hindu), das schwedische St. Jacobs Vocal Ensemble (Christen) und als Sitar-Spieler ein Mitglied der israelischen Collegium Singers Tel Aviv (Juden) unter der Leitung von Gary Graden gemeinsam musizierten.
In der jüdischen Synagoge in Augsburg traten der im Schweizer Exil lebende Tibeter Loten Namling (Buddhist), ein Freund S. H. des Dalai Lama, und der Inder Ashish Sankrityayan gemeinsam auf.
Im Jugendchor Aswatuna Global Voices aus Jordanien singen unter Shireen Abu-Khader und André de Quadros Moslems und Christen gemeinsam … Die Dirigentin Shireen, eine Christin, lehrt nach ihrem Musikstudium in den USA heute in Ramallah und in Jerusalem. Der künstlerische Leiter, André, ist Professor für Musikerziehung an der Bostoner Universität. Er sagt: „Wir wollen den musikalischen Reichtum dieser Erde zeigen und zum gemeinsamen Singen über Grenzen hinweg animieren.“ Das ist der Geist von Marktoberdorf.
Zum begleitenden Programm des Festivals gehörten auch sieben Vorträge.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich Musica Sacra International erweitert hat. Im Programm „Musica Sacra on Tour“ nahmen Ensembles am 2. Ökumenischen Kirchentag in München teil, gaben Konzerte in der Dreifaltigkeitskirche in Worms und bei Musica Sacra Chimay in Belgien. Der „Geist von Marktoberdorf“ trägt Früchte auch auf einem anderen Gebiet, denn ein Projekt heißt „Toleranz macht Schule – für eine friedliche Zukunft unserer Kinder“. Hier werden in Schulen Filme gezeigt, die verschiedene religiöse Inhalte haben, und dazu treten Gruppen auf, die mit ihrer Musik diese religiösen Inhalte verdeutlichen. Dazu sagt der Festivalleiter Dolf Rabus: „Wir finden es außerordentlich wichtig, dass wir mit Kindern arbeiten. Nicht nur, weil sie unser zukünftiges Publikum sein könnten, sondern vor allem deshalb, weil man den Gedanken der Toleranz so früh wie möglich an junge Menschen herantragen muss, damit wir später ein offenes Land bleiben und werden. Das ist meines Erachtens für uns in Deutschland genauso wichtig wie für andere Länder“…
Stimmen zum Festival Musica Sacra International Marktoberdorf
Loten Namling: „Dass sich hier Musiker verschiedener Religionen treffen, ist eine in Realität umgewandelte Utopie… Musik hat uns alle vereint – das ist etwas sehr Schönes. Wir haben das Gefühl, wirklich etwas für eine bessere Welt zu tun… Das gibt mir neue Kraft, und es ist für mich auch eine große Ehre“.
Gary Graden, Chordirektor an der Sankt Jacobs Kirche in Stockholm: „…Es beschäftigte mich zum Beispiel sehr, wie meine schwedischen Sänger gemeinsam mit dem tibetischen und dem indischen Sänger auftreten können. Und wir haben tatsächlich eine Idee gefunden, wie das mit ganz einfachen Mitteln möglich ist – eine Improvisation, die unsere gemeinsamen Gefühle zum Ausdruck bringt. Das ist elektrisierend, diese wunderbare Begegnung von Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedener Stimmen und Sprachen, anderer Kulturen. Diese offene, kreative Atmosphäre ist für mich ein Teil von Spiritualität…“
Alexander Vatsek (Ukraine), Leiter des Kammerchores „Oreya“, Mitglied der IFCM: „Sich begegnen, sich gegenseitig hören, miteinander sprechen, miteinander singen – das ist Marktoberdorf. Gewiss, in jeder Religion gibt es normale Gläubige und Fanatiker. … Für alle existiert ein Gott … Das Göttliche, das uns vereint, heißt Liebe. Da ist es ganz egal, ob man aus der Türkei, aus Indonesien oder aus der Ukraine kommt. Uns vereint die Musik, sie ist für uns die Sprache des Herzens, und so verstehen wir uns und lernen voneinander.“
Volker Hempfling, Chorpädagoge, Leiter der Kölner Kantorei: „Das Aufeinanderzubewegen geht – wie Musica Sacra zeigt – mittels der Musik am unkompliziertesten. Gerade die Diözese Augsburg, die ihren Kirchen verboten hat, Musiker anderer Religionen in den Gotteshäusern auftreten zu lassen, sollte darüber endlich nachdenken und nicht nur vom ökumenischen Dialog reden, sondern Offenheit gegenüber anderen Religionen praktizieren“.
Aida Swenson-Simanjuntak: „Unsere Mitglieder kommen aus drei unterschiedlichen Religionen. Wir konzentrieren uns auf die Musik und auf die Texte und fühlen die Verantwortung dafür, egal, ob wir nun Korantexte, Bibeltexte oder Mantras musikalisch zelebrieren. Allen ist etwas gemeinsam: die Botschaft der Liebe. Wir sind Indonesier, und uns trennen die Religionen nicht, … Ich bin sehr berührt von dem, was hier beim Festival Musica Sacra geschieht. … Wir brauchen so etwas auch in Asien, um die Gewalt einzudämmen“.
Shireen Abu-Khader: „Das Festival ist für mich eine fantastische Gelegenheit, so vielen Leuten unterschiedlicher Kulturen zu begegnen. Wir sind ein multikultureller Chor und versuchen, die Visionen guten Zusammenlebens zu verwirklichen. Ich bin Christin, im Chor singen viele Moslems, und wir verstehen uns gut. Wir übersehen natürlich nicht, dass rundum Gewalt herrscht… Musik ist ein sehr kraftvolles Mittel, die Menschen zusammenzuführen, Toleranz und Verständnis zu fördern. Musica Sacra beweist, wie sich Menschen unterschiedlicher Kulturen begegnen können, um ihre Vision zu verwirklichen…“
Avner Itai, Gründer und Leiter der Collegium Singers Tel Aviv, Israel – er gehört zu jenen Persönlichkeiten, die die Gaza-Politik der israelischen Regierung kritisiert: „Die Idee Musica Sacra und deren Umsetzung ist wunderbar. Wir versuchen das im Kleinen auch bei uns, denn mein Ensemble nimmt seit Jahren am Projekt ‚Voices for Peace‘ teil. Wir praktizieren jüdisch-arabische Zusammenarbeit und führen jüdische, christliche und muslimische Musik gemeinsam auf. Hier in Marktoberdorf haben wir eine sehr gute Gelegenheit, Neues kennen zu lernen… Es [ist] für uns besonders wichtig zu erleben, wie es andere Chöre von anderen Kontinenten und anderen Kulturen machen, wie traditionelle Elemente in den Kompositionen verarbeitet werden. Es war sehr interessant für uns, wie zum Beispiel die jordanische Gruppe ihr Programm gestaltet hat.
E-Mail: walter.vorwerk@gmx.de