Martín Palmeri: Nisi Dominus (Psalm 127)

Reijo Kekkonen, Sänger und Herausgeber, Helsinki, Finnland

Argentinien und Uruguay gelten als die Heimat des Tangos. In vielen Ländern der Welt wird Tango getanzt – Tempo und Interpretation mögen variieren, aber die Liebe und Leidenschaft für die Musik ist allen gemeinsam. In Finnland zum Beispiel gibt es ein jährliches Tangofestival mit einem Gesangswettbewerb, bei dem die Tangokönigin und der Tangokönig des Jahres gekürt werden.

Der argentinische Komponist Martín Palmeri hatte seinen Durchbruch mit seiner Misa a Buenos Aires (1996), auch bekannt als Misatango. Seine Misa a Buenos Aires begründete ein ganz neues Genre: den Nueva Tango. Es verbindet die römisch-katholische Messe mit Tangomusik. Sein neuestes Werk in diesem Stil ist eine Auftragskomposition des deutschen Carus-Verlags zu dessen 50-jährigem Bestehen im Jahr 2022. Es basiert auf dem Text von Psalm 127, Nisi Dominus. Die Uraufführung fand im Juni 2022 beim Musikfestival ION in Nürnberg durch das Vokalensemble St. Lorenz und das Ensemble Kontraste unter der Leitung von Matthias Ank statt.

Nisi Dominus ist wie seine Vorgänger für Chor und ein typisches Tangoorchester geschrieben. Wie in Misatango gibt es auch in diesem Werk eine Sopransolistin. Für eine Aufführung ist es wichtig zu wissen, dass die speziellen Tango-Effekte vom Orchester ausgeführt werden und der Chor, wie der Komponist selbst sagt, keine zusätzlichen Anstrengungen unternehmen sollte, um “wie ein Tango zu klingen”. Zu diesen Effekten, die hauptsächlich von Klavier, Bandoneon und Kontrabass gespielt werden, gehören die so genannten arrastes(Schleifen), Synkopen, Marcati usw. Die Orchesterstimmen enthalten auch eine Akkordeonstimme, die bei Bedarf das Bandoneon ersetzen kann. Allerdings ist das Bandoneon als “Tango-Instrument” so emblematisch, dass man sagen könnte, es sei unersetzlich. Zu den Streicherstimmen schreibt der Komponist, dass auch ein Streichquintett verwendet werden kann. Die Oberstimmen der Divisi sind also vorrangig zu verwenden.

Interessant ist auch die Tempobezeichnung. Der Komponist hat Metronomangaben in die Partitur geschrieben, aber diese sind seiner Meinung nach das Maximum, die Tempi können langsamer sein, sollten aber nie schneller sein. Das ist sehr wichtig zu wissen, denn in vielen Ländern wird Tango in ziemlich schnellem Tempo gespielt. In einem langsameren Tempo hat man mehr Raum für Leidenschaft und Liebe.

Die Partitur ist im Carus-Verlag erschienen. Der Einband ist leuchtend gelb mit bunten Buchstaben, was mich irgendwie an La Boca in Buenos Aires erinnert. Der Text des Werkes ist in lateinischer Sprache, die Spieldauer beträgt ca. 18 Minuten. Der Schwierigkeitsgrad von Nisi Dominus wird vom Verlag mit 3 auf einer Skala von 1-5 angegeben. Damit ist es für viele Chöre leicht zu bewältigen. Die Komposition besteht aus drei Sätzen, die attacca vorgetragen werden. Der Chorpart bedient sich klassischer Kompositionstechniken und ist daher Chören vertraut, die vor allem geistliche Musik der Romantik zu singen gewohnt sind. Die Rolle des Orchesters ist, wie bereits erwähnt, die des Tangos.

Der Ambitus der Chorstimmen reicht vom G der Bässe bis zum g2 der Soprane. Das Sopransolo geht bis zum a2. Die Textur bleibt hauptsächlich auf dem Notensystem für jede Stimme. Die Intervalle sind nicht kompliziert – ein paar Tritoni, aber wenn man Bach gesungen hat, sind sie nicht allzu schwer zu lernen. Die Bassstimme ist wahrscheinlich für Baritonstimmen geschrieben. Ich vermisste echte Basseffekte, die z.B. gut zu den Klavier- und Kontrabassstimmen gepasst hätten, oder eine A-cappella-Passage mit gefühlvollem “Tango-Feeling”.

Die Balance zwischen Chor und Orchester funktioniert gut. Wenn man das Werk nur mit einem Streichquintett und nicht mit einem Streichorchester aufführt, muss man sich natürlich mehr um die Balance bemühen und die Sensibilität der Sängerinnen und Sänger herausfordern. Grundsätzlich ist die Vertonung professionell und nicht nur colla parte.

Beim Carus-Verlag und im gut sortierten Musikalienhandel sind Gesamtpartitur und Stimmen erhältlich. Das Orchestermaterial ist beim Verlag nur leihweise erhältlich.

 

Reijo Kekkonen (*1961) arbeitet derzeit als Verlagsleiter beim Musikverlag Sulasol (seit 1988). Er absolvierte 1991 die Sibelius-Akademie (Musikpädagogik, Violine, Gesang, Klavier, Oboe) mit Schwerpunkt Komposition (Vladimir Agopov, Tapani Länsiö) und Chorleitung (Matti Hyökki, Erkki Pullinen). Er spielte in verschiedenen Orchestern und Bands und arbeitete auch als professioneller Sänger (2. Bass), u.a. im Kammerchor des Finnischen Rundfunks, im Vokalensemble der Sibelius-Akademie und bei Cetus Noster. Kekkonen ist Jurymitglied bei Chor-, Kompositions- und Arrangementwettbewerben in der ganzen Welt. Er hatte mehrere Vertrauensposten bei Organisationen, Festivals und Wettbewerben in Finnland und im Ausland inne.reijo.kekkonen@sulasol.fi

 

Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Saus, Deutschland