Pärt und Penderecki: Unterschiedliche Stimmen und Gemeinsamkeiten
Von Daniel G. Dover, Universität von Georgia
In der vokalen Musik und der Chormusik des zwanzigsten Jahrhunderts haben Komponisten neue Kompositionsideen ausgelotet. Ein ausgewähltes Werk von George Crumb, wie Apparition, ruft ein Gefühl der Natur hervor. Crumb verwendet vokale Techniken, die Klänge der Natur imitieren, statt die Stimme nur für konventionelles Singen einzusetzen. Andere Komponisten wie Schönberg verwendeten die zeitgenössische Vokalmethode der Sprechstimme.
Zu den Komponisten, die zeitgenössische Ideen in ihren Chor- oder Vokalwerken verwenden, gehören Arvo Pärt und Krzysztof Penderecki. Pärt schafft seinen eigenen Kompositionsstil mit einfachen, homophonen Texturen und Dreiklangsverwandtschaften und, wenn überhaupt, nur wenig harmonischer Richtung. Penderecki erkennt man an seinen Vorreiterideen mit Tonclustern, Vierteltönen, Dreivierteltönen und verschiedenen Streicherklangtechniken. Penderecki setzte seine Ideen in Instrumentalwerken ein und übertrug sie auf seine Chorwerke.
Wenn man den Hintergrund und die Beschreibung der Stile dieser beiden Komponisten liest, könnte man meinen, dass ihre Werke nicht zu vergleichen sind. Wenn man jedoch beider Komponisten Bearbeitungen des Magnificat und andere Quellen für die Einflüsse auf ihre Stile heranzieht, so kann man Vergleiche ziehen die zeigen, dass diese beiden Komponisten mit ihren Konzeptionen und Ideen nicht allzu weit auseinander liegen.
Doch ehe die Art des Komponierens von Part und Penderecki verglichen wird, muss ein Grund gelegt werden. Im Folgenden gibt es Abschnitte mit Informationen: eine kurze Hintergrundbeschreibung ihrer Lebensläufe, eine Beschreibung ihrer Kompositionsmethoden und Darlegungen über die Behandlung des Magnificat mit ihren Methoden.
Hintergrund
Pärt wurde am 11. September 1935 in Paide, Estland, geboren. Er wuchs in Tallinn auf. Von 1958 bis 1967 arbeitete er als Aufnahmeleiter und komponierte Film – und Fernsehmusik für eine Abteilung des estnischen Rundfunks. Während dieser Zeit studierte er am Konservatorium in Tallinn Komposition bei Heino Eller. Seine ersten Werke, noch als Student, zeigen den Einfluss russischer Komponisten, Schostakowitsch und Prokofiev. Später verleugnete er diese frühen Werke.
Pärt ist vielen anderen Komponisten, einschließlich Penderecki, deren Karrieren bis heute in drei Perioden unterteilt werden können, nicht unähnlich. Pärts erste Periode, die um 1960 begann, war experimenteller Art. In dieser Periode war Pärt der erste Este, der Schönbergs Zwölftonmethode verwendete. In einem Interview mit J. McCarthy (1989) sagte er über seine Musik der frühen 1960er:
Ja, sie war von solchen Dingen wie Zwölfton, seriellen und aleatorischen Klängen beeinflusst; das alles kam aus dem Westen zu uns. Vielleicht hat das auch jemand in Russland gemacht, aber davon haben wir nichts gewusst. Aber man muss nicht viel wissen – wenn jemand sagt, dass es ein Land gibt, in dem die Leute auf einem Bein tanzen und man hat das nie gesehen, dann kann man es für sich ausprobieren, wenn man das will: man macht es vielleicht besser als die, die es als erste taten! (S. 130)
Nach Pinkerton (1996) war Pärts Orchesterwerk Necrolog, neben anderen Werken aus den frühen und mittleren 1960ern ein „nichterfüllendes Experiment“ mit aleatorischen Techniken und Serialismus. Jedoch gewann er mit zweien von ihnen 1962 in Moskau den ersten Preis beim gesamtsowjetischen Wettbewerb für junge Komponisten. Diese Werke waren die Kantate Meie aed (Unser Garten) für dreistimmigen Kinderchor und Orchester und das Oratorium Maailma samm (Schritt der Welt).
Entsprechend ging die erste Periode des zwölftonigen Experimentierens in seine zweite oder mittlere Periode über, die die Zeit von 1968 bis 1976 umfasst. In dieser Periode experimentiert Pärt in den Bereichen Tonalität, Vieldeutigkeit, Pastiche, Kollage und Pointillismus. Seine Kollagetechnik bestand darin, ganze Abschnitte oder Werke auszuleihen, um sie in seine experimentelle oder zwölftonige Struktur hineinzusetzen. In der Konstruktion seines Credos von 1968 verwendet Pärt chorisches Flüstern, Noten ohne Hälse und Höhennotation (eine aleatorische Methode).
An dieser Stelle tritt Pärt zu Studienzwecken in ein kompositorisches Schweigen ein. Unter den Komponisten und Schulen, die Pärt studierte, waren die Notre Dame Schule und die franko-flämischen Komponisten Machaut, Obrecht, Ockeghem und Josquin. Um 1971 nahm Pärts Musik eine tonale Perspektive an, die sich an die mittelalterlichen und klassischen Epochen anlehnte. Da er sein Ziel eines neuen Stils noch nicht erreicht hatte, zog sich Pärt bis 1974 in ein weiteres kompositorisches Schweigen zurück. Seine neueste kompositorische Devise errichtete Pärt in den Jahren nach 1974.
Kompositionsmethoden
Der neue Stil, in dem Pärt nach seinem kompositorischen Schweigen der frühen 1970er arbeitete, bestand aus frei fließenden, tonal gegründeten Harmonien, die sich stark von seinen früheren Stilperioden unterschieden. In Hillier (1989) „bezieht sich Pärts neuer Stil mit Namen ‚Tintinnabuli‘ auf das Läuten von Glocken, Musik, in der das musikalische Material sich in ständigem Fluss befindet, obwohl der Gesamteindruck einer von Stillstand, von ständigem Wiedererkennen ist“ (S 134). In Schnebeck (1993) sagte Pärt über seinen Stil:
Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser einzige Ton, oder ein stummer Schlag oder ein Augenblick der Stille trösten mich. Ich arbeite mit sehr wenigen Elementen, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. Ich arbeite mit dem primitivsten Material – mit dem Dreiklang, mit einer bestimmten Tonalität (S.23).
Hillier, ein Dirigent, der mit den Werken von Pärt vertraut ist, schrieb 1989 über Pärts Tintinnabulimethode
In dieser Musik nimmt Pärt den Dreiklang als Naturphänomen. Er klingt beständig durch die Tintinnabulation und ist sowohl das Mittel, Klänge zu erzeugen, als auch das hörbare Ergebnis solcher Arbeit. Dieser Dreiklang hat wenig mit struktureller Tonalität zu tun; es gibt weder ein Gefühl der Modulation noch der Spannung und Entspannung, die sonst mit tonaler Harmonie verbunden werden. Es ist einfach das Herausläuten eines Tones auf der Basis eines Zentraltones. Die Musik entwickelt sich nicht (im üblichen Sinn des Wortes). Sie dehnt sich aus und zieht sich zusammen – kurz gesagt: sie atmet (S. 134).
Pärt nahm sich Zeit, um die Werke von Komponisten des Mittelalters und der Renaissance zu studieren. Einige der Ideen, die diese frühen Komponisten einsetzten, waren der Orgelpunkt, der Hiatus, Wortbetonung und rhythmische Schlichtheit. Alle diese Ideen, einschließlich der Religion, werden in Pärts Tintinnabuli-Stil eingeschlossen. „Die Religion beeinflusst alles. Nicht nur Musik, sondern alles“ sagt Pärt (McCarthy, 1989, S. 132). Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass die von Pärt studierten Komponisten auch starke Bindungen an die Religion und religiöse Musik haben.
Behandlung des Magnificat
Pärts Bearbeitung des Magnificat ist für SSATB Chor a cappella mit einem Solosopran. In dem Magnificat (1989) ist am auffälligsten, welche Betonung Pärt auf Zeit legt. Es gibt keine Tempoangabe, und das Werk ist in bestimmte Phrasenblöcke aufgeteilt, die durch die Verwendung doppelter Taktstriche den Textphrasen entsprechen. Gepunktete Taktstriche überspannen die Seiten, die jedes Wort sorgfältig für die Betonung trennen. Darüber hinaus ist jene Note, die zwischen den gepunkteten Taktstrichen die längste ist, auch die betonte Silbe des Wortes. Eine Ausnahme wird gemacht für die Worte, die auf das Ende der Doppeltaktstrichabschnitte fallen. Die Endsilbe jeder Phrase bekommt mehr Länge um sie zu beenden. In der gesamten Rhythmusbehandlung von Pärts Magnificat ist der Gedanke der Textbetonung offensichtlich. Auf diese Weise stellt Pärt einen Gedanken wieder her, der in den Werken der frühen Komponisten, die er während seines kompositorischen Schweigens studierte, zu finden ist.
Ein anderer Gedanke in Bezug auf Zeit, den man in Pärts Werk findet, ist, wie er Zeitlosigkeit simuliert. Die betonten Silben jedes Wortes werden agogisch betont; außerdem haben die Worte des Textes ungleichmäßige Betonung. Daher wird kein erkennbares metrisches Muster erreichtet. Pärt verstärkt diese Unregelmäßigkeit, indem er den betonten und den unbetonten Textsilben unterschiedliche aufeinander folgende Notenwerte zuordnet. Zum Beispiel wird die betonte Silbe in einem Wort wie anima eine längere oder kürzere Notenlänge haben als das folgende Wort mea, womit eine weitere metrische Vieldeutigkeit entsteht.
Pärt hat eine faszinierende Art, in seiner Musik mit dem Orgelpunkt umzugehen. Der Orgelpunkt kam in der Musik bis dahin nur in den Bassstimmen vor. Pärt kehrt dies um und setzt den Orgelpunkt in bestimmten Abschnitten des Magnificats in die oberen Stimmen. Während dieser Orgelpunkt in den oberen Stimmen sitzt, können sich die mittleren Stimmen und der Bass frei bewegen. Pärts Basslinie widersetzt sich der üblichen Praxis der harmonischen Funktion. Die Bewegung des Basses ist nicht zielgerichtet. Vielmehr hält der Bass die Vieldeutigkeit des metrischen Musters aufrecht und hält die Harmonien statisch.
Pärt scheint keine große motivische Entwicklung in sein Werk zu setzen. Das einzige sich wiederholende Motiv im Magnificat ist nicht Melodie, sondern Spannung. Die Bewegung von einer kompakten Einstimmigkeit zu einer kleinen Sekunde schafft diese sich wiederholende Spannung. Die einzige erwartbare Lösung ist die Rückkehr zur vorhergehenden kompakten Einstimmigkeit. Die Spannung wird am häufigsten zu Beginn einer Phrase oder eines betonten Textes eingesetzt. In Pärts Technik ist die Entwicklung der Tintinnabulation aus einer Einstimmigkeit heraus wichtig, vor allem am Anfang eines Stückes. In anderen Worten: Pärt beginnt von einer Stimmlage in wenigen Stimmen und breitet [den Klang] von dort aus.
Eine letzte im Magnificat aus dem Studium der frühen Komponisten entnommene Idee ist die des Hiatus. Diese Definition des Hiatus zur Zeit der Schule von Notre Dame steht in Grout (1989, S.132).) „der Fluss der Melodie wird unterbrochen durch die Einfügung von Pausen, generell …. fehlende Töne werden von anderen Stimmen geliefert ….“ Pärt nutzt diese Idee nur teilweise. Die obere Vokallinie kann durch Pausen unterbrochen sein, aber die andere Stimme, die eingesetzt wird, um der pausierenden Stimme zu kontern, setzt die gleiche Linie ohne Unterbrechung fort. Das sorgt für einigen rhythmischen Reiz, abgesehen von der homophonen Blockbewegung von Text und Melodie.
Nach der Besprechung vom Pärts Hintergrund, seiner Kompositionsmethode und seiner Behandlung des Magnificats ist es nun an der Zeit, sich Pendereckis Hintergrund, seinem Kompositionsstil und seiner Behandlung des Magnificats zuzuwenden.
Hintergrund[1]
Penderecki wurde am 23. November 1933 in der polnischen Stadt Debica geboren. Als er aufwuchs, eroberten die Deutschen Polen. „Die Ungeheuerlichkeiten von Auschwitz fanden in seinem eigenen Hinterhof statt“ (Robinson, 1983, S.1). Diese Zeiten von Aufruhr und Streit mussten Pendereckis Kompositionsstil beeinflussen.
Penderecki wurde als frommer römischer Katholik erzogen. Er stellte fest, dass er in jungen Jahren vielleicht allzu fromm gewesen war. Der Einfluss der Religion auf Pendereckis Bearbeitungen religiöser Texte entwickelt sich von seiner Jugend an.
Die Künste hatten in Pendereckis Familie hohes Ansehen. Sein Vater und seine Onkel musizierten oft bei ihm zu Hause. Penderecki lernte Klavier spielen, aber für das gründliche Studium wählte er die Geige.
Penderecki trat 1951 in das Krakauer Konservatorium ein, um Geige zu studieren und mit der Kunst des Komponierens zu experimentieren. 1953 schrieb sich Penderecki am Konservatorium für das Studium der Komposition bei Franciszek Skolyszewski ein. Skolyszewski hatte großen Einfluss auf den beeindruckbaren Penderecki. Skolyszewskis Unterstützung und Glaube an Pendereckis Talent ermöglichten ihm 1954 das Studium an der Staatlichen Musikakademie in Krakau.
1958, nach dem Ende seiner sehr erfolgreichen Karriere als Student der Akademie, wurde Penderecki eine Stelle an der Akademie als Lehrer für Kontrapunkt und Komposition angeboten. Wegen seiner Vertrautheit mit religiösen Studien lehrte er auch am Krakauer Theologischen Seminar. Außerdem schrieb er für eine Zeitschrift als Berichterstatter für musikalische Veranstaltungen. Während dieser Zeit machte Penderecki sich einen internationalen Namen als Komponist von Strophes (1959), Emmanations (1958) Psalms of David (1958) und Thredony to the Victims of Hiroshima (1959-1961).
Penderecki unterscheidet sich in der Tatsache, dass beider Karriere sich in drei stilistische Perioden teilen lassen, nicht von Pärt. Pendereckis erste Periode (1956 – 1962) ist ähnlich wie die von Pärt eine des Experimentierens und der Erforschung. Die Isolierung Polens nach dem Zweiten Weltkrieg schuf eine Art kompositorischer Freiheit für die Komponisten jener Tage. Ein Komponist konnte einen persönlichen Stil entwickeln, der frei war von vielen der Einflüsse, die die Werke von Komponisten im restlichen Europa dieser Zeit durchzogen. Als er Polen besuchte, gab der Komponist Luigi Nono Penderecki einige Partituren von Schönberg, Webern, Krenek und Boulez zum Studieren. Pendereckis Stücke dieser Zeit waren vom Studium dieser Partituren ein wenig beeinflusst. Während dieser Zeit führte die unverwechselbare Sprache der Farbmusik zu neuen Musikstilen. Zu den Charakteristika dieser Sprache gehörten freie Serialität, eine Tempographik auf drei Linien, Zeit-Raum-Notation, halbtönige Cluster für Klangdichte und neue Klangfarben von Streichinstrumenten.
Pendereckis zweiter Stil hat größere persönliche Stabilität. In dieser Zeit (1962 – 1974) verschmolz Penderecki die vorantreibenden Ideen der Farbmusik-Ära mit einer Verehrung der Vergangenheit. Wie Pärt, blickte auch Penderecki auf die frühen Komponisten und den Gregorianischen Choral als Orte, von denen neues Material entwickelt werden konnte. Als man melodischen Inhalt und die Verwendung modalen, diatonischen und vierteltonischen Materials annahm, wurde das Serielle verlassen. Während dieser Periode wurden Pendereckis früheren Ideen zur Erforschung neuer Streicherklänge auf seine Vokalmusik übertragen. Diese Techniken wurden im Magnificat (1974) wie in anderen wichtigen Chorwerken dieser Periode eingesetzt (Lukaspassion, Stabat Mater, Dies Irae, Utrena und Kosmogonia).
Pendereckis dritte Periode ab 1974 ist eine des Ausdrucks. Die experimentelle Phase seiner ersten und zweiten Periode wird verlassen zugunsten eines dramatischeren, lyrischeren Stils mit einer post-Wagnerianischen Chromatik. Sein Violinkonzert (1976) wurzelt in Brahms und Sibelius. Wolfram Schwinger (1989) schreibt, dass die „neue Musik viel stärker von dem Quell starker melodischer Inspiration gewonnen wird“ (S. 84).
Kompositionsmethoden
Die Kompositionsmethode von Penderecki ändert sich am stärksten zwischen der zweiten und dritten Periode seiner Karriere. Dieser Abschnitt wird sich beschäftigen mit Pendereckis Kompositionsmethoden um die Zeit, in er das Magnificat komponierte, besonders in den 1960ern und 1970ern. In der Online-Quelle von Arnold wird Penderecki über seine Kompositionsmethode in den 1960ern zitiert:
Ich musste in Kurzschrift schreiben – etwas, das ich mir merken wollte, denn mein Kompositionsstil dieser Zeit bestand darin, ein Stück einfach erst zu zeichnen und dann nach der Tonlage zu suchen …. Ich wollte einfach Musik schreiben, die ergreift, Dichte, kraftvollen Ausdruck, einen anderen Ausdruck hatte … Ich glaube, dass diese Notation für mich im Anfang wie Kurzschrift war, wirklich, sich aus der Zeichnung des Stückes entwickelnd. Ich sah das ganze Stück vor mir – Thredony ist sehr einfach zu zeichnen. Erst ist da nur der hohe Ton, dann dieser sich wiederholende Abschnitt, dann dieser kommende und gehende Cluster – unterschiedliche Formen. Dann kommt der lautere Abschnitt, dann ein weiterer Abschnitt, dann ein Abschnitt, der in strenger Zwölftontechnik geschrieben ist. Dann geht es wieder zurück zu derselben Clustertechnik, und das Ende des Stückes ist ein großer Cluster, den man wie ein Quadrat zeichnet und dahinter fortissimo schreibt …. Ich wollte keine Taktstriche einfügen, denn diese Musik funktioniert nicht, wenn man sie in Takte zwängt (S.1)[2]
Wie man sieht, beschäftigte sich Penderecki in den 1960ern nicht damit, die Ideen von diatonischer Melodie und konventionellen Harmonietechniken zu fördern. Penderecki suchte nach einer Stimme in der Kraft von Klangmassen. Wenn man diese Klangmassenstrukturen in einer Partitur Pendereckis wie dem Magnificat (1974) sieht, erscheinen sie als schwarze Blöcke über einer Auswahl von Tonlagen, die der Komponist bestimmt. Die Blocks oder Cluster von Tonlagen können crescendieren, glissandieren, decrescendieren, sich ausdehnen oder zusammenziehen. Pendereckis Verwendung von Klangmassen-Strukturen entwickelte sich nach Arnold aus dem Einfluss von Xenakis [Online].
Penderecki war ein Pionier der nicht-traditionellen Spielweise von Instrumenten, vor allem von Streichinstrumenten. Neue Klangfarben wurden kreiert und mit den verschiedensten Techniken erforscht. Es folgt eine Liste dieser neuen Streicherklangfarben: die Verwendung von ‚gepackten‘ Gruppen von Viertel- und Dreivierteltönen, die gegen sich bewegende Streicherglissandi gesetzt werden; Klänge, die nahe an, auf und hinter dem Steg entstehen; Spiel unterhalb der Saiten und Spiel auf dem Holz des Instrumentes. Im Laufe der Zeit wurden die gleichen Klänge, die er durch nicht-traditionelles Spiel auf Streichinstrumenten erzielte, so übertragen, dass die Stimme diese Technik nachahmte.
Für die radikal neuen Techniken, die durch diese Methode des Klangclusterns und des nicht-traditionellen Instrumentalspiels entstanden, musste ein ganzes Notationssystem entwickelt werden. Penderecki war ein Pionier in der Entwicklung des Notationssystems dieser Zeit. Sein Notationssystem aus den 1960ern wird heute weltweit von Komponisten anerkannt (Robinson, 1983).
Ein anderer Einfluss auf Pendereckis Werk ist die Bedeutung der Religion, insbesondere der liturgischen Texte der römisch-katholischen Kirche. Penderecki hat auf viele dieser Texte komponiert. Seine politische und moralische Haltung überrascht nicht, wenn man den Einfluss der entsetzlichen Verhältnisse des Holocaust während seiner Jugend und seine religiösen Erfahrungen sowohl als junger Mensch wie auch als Dozent bedenkt. In der Online-Quelle, die die Verleihung der Grawemeyer Musikauszeichnung für Komposition bekanntgibt (1992) wird Penderecki beschrieben als „ein Komponist, bekannt dafür, durch seine Musik moralische und politische Botschaften auszusenden“ (S.1).
Ein letzter Einfluss, der in seinen Kompositionen der frühen 1970er aufzutreten scheint ist die Anerkennung früher Musikstile. In Arnold [Online] wird Penderecki zitiert:
Wir Komponisten mussten in den letzten dreißig Jahren jegliche Akkorde, die angenehm klingen, und jegliche Melodien vermeiden, weil wir sonst als Verräter bezeichnet wurden. Ich fühle mich frei, wenn ich etwas tun muss, das die Menschen oder die Kritiker von mir erwarten, ich fühle mich nicht frei. Manchmal muss die Musik anhalten und sich ein wenig entspannen, um andere Quellen zu finden, (mit denen) man fortfahren kann. Manchmal ist es gut zurück zu blicken und von der Vergangenheit zu lernen (S.1).
Penderecki scheint auf den Trend in seinem zweiten Stil anzuspielen, in dem er Ideen des Gregorianischen Gesanges verwendet und sich auf frühere religiöse Werke und ihre Komponisten wie J.S.Bach bezieht.
Behandlung des Magnificats[3]
Das folgende Zitat aus Arnold [Online] wurde geschrieben, nachdem Penderecki auf seine zweite Stilperiode zurückgeblickt hatte:
In diesem Stück [Magnificat] kam ich an eine Stelle, an der ich wegen der Musiksprache wirklich nicht weitergehen konnte: diese ganze komplexe Polyphonie wurde so kompliziert. Nach der Tripelfuge im Magnificat meinte ich, die gleichen Dinge nicht wiederholen und kompliziertere Musik schreiben zu können: ich hatte daran kein Interesse. Ich denke, das ist Schreiben von Musik, die nur Technik ist, und Musik, an der so viel Technik beteiligt ist, interessiert mich nicht. Meine Musik ist immer sehr persönlich gewesen, also muss ich aufhören, wenn sie zu technisch wird (S.1).
Pendereckis Bearbeitung des Magnificat (1974) teilt den Text auf in verschiedene Sätze. Das gesamte Werk dauert etwa 45 Minuten. Es benötigt zwei Chöre, einen Knabenchor und sieben Männersolisten, um nur die Stimmen zu besetzen. Penderecki fügt ein volles Orchester hinzu und eine kleine Perkussionsgruppe mit Harfe, Celesta, Harmonium, Klavier und Glockenspiel.
Wie oft in der Musik Pendereckis beginnt es mit einem Ton und fächert dann aus vom Hauptintervall der kleinen Terz, d – f. Penderecki spielt bei der Konstruktion seines Magnificats an auf einen früheren Komponisten liturgischer Texte. Beim ersten Satz handelt es sich um Bach. Bachs Magnificat ist in D-Dur. Penderecki trübt diese Terz in Bachs Magnificat mit den zusätzlichen Tönen Es, F und As. Dieser Akkord erscheint während des ganzen Stückes und wird manchmal transponiert.
Der zweite Satz ist die Tripelfuge. In ihr gibt es 55 echte kontrapunktische Stimmen. Penderecki kontrapunktiert sie mit Elementen vokaler Glissandi, Viertelton- und Dreiviertelton-Verwandtschaften und rhythmischer Vergrößerung der Viertelton-Verwandtschaften. Der Prozess der Tripelfuge kann so zusammengefasst werden: das dritte Thema wird als Kanon behandelt, das erste in doppelter und dreifacher Vergrößerung, die stretta hat Vierteltöne und die Coda verblasst mit Teilen des ersten und zweiten Themas.
Der dritte Satz beginnt mit einem terrassierten Tremolo der Streicher, das verblasst und den Beginn einer Bratschenmelodie ermöglicht. Die Männerstimmen breiten sich in zehn Stimmen aus, die sich schrittweise bewegen. Der dritte Satz mündet direkt in den vierten, nachdem der Chor Misericordia gerufen hat. Der vierte Satz wird von einem Solo-Bass gesungen, der mit einem Rezitativ beginnt, das Material des ersten Satzes verwendet; das Material des Basses bereitet auch den fünften Satz vor. Am Ende des Rezitativs geht das Bass Solo über in eine fließende melodische Linie.
Der fünfte Satz ist die Passacaglia. Ihr Thema besteht aus einem Basston, der 13 Mal wiederholt wird. In gewisser Weise dient das Thema selbst auch als Orgelpunkt, der das die anderen ungleichen Elemente dieses Satzes integrierende tonale Zentrum verstärkt. Im fünften Satz schreibt Penderecki einen cantus firmus für den Knabenchor auf den Text Magnificat, erst in F-Oktaven, dann auf As. Nach einem kurzen orchestralen Zwischenspiel kehrt der Chor mit einem C-Dur-Akkord zurück zum Ensemble; das Orchester jedoch zerstört die Klarheit, indem es zu dem Akkord jeden zusätzlichen benachbarten Ton spielt. Im Verlauf des Satzes verwendet Penderecki die Kompositionstechniken des Fauchens und Flüsterns im Chor.
Der kurze sechste Satz ist a cappella und wahrscheinlich dem Stil Pärts am nächsten. Penderecki präsentiert den Satz in einer langsam sich bewegenden Zeitlosigkeit, die um As im Wechsel mit G gebaut ist. Dieser Satz steht auch Pendereckis Stabat Mater aus der Passion am nächsten, einem anderen Werk für unbegleiteten Chor.
Der abschließende Satz ist das Gloria. Er eröffnet den Satz langsam mit Silben des Wortes Gloria, die isoliert gesprochen werden, als wenn das Wort aus der Ferne gehört würde. Der Knabenchor reflektiert diese Idee in einem vielschichtigen und rhythmisch variierten Abschnitt. Das zweite wichtige Thema des Schlusssatzes ist der Choral für Blechinstrumente. Der folgende Lento-Abschnitt nimmt das Choralthema des Blechs auf und fügt zwei hohe Trompeten in D dazu, zusätzlich zur bisherigen Besetzung. Der Höhepunkt des Satzes wird auf einem reinen Es-Dur-Akkord erreicht, einen Halbton höher als in Bachs D-Dur Fassung. Vor dem Ende der Coda bringt Penderecki jedoch das Element des Clusters zurück mit einem Zwölftonakkord im Chor, ehe er das Stück mit einem unisono C auf dem Wort Amen beendet.
Vergleich
Nachdem die Facetten von beider Komponisten Leben, beginnend mit ihrem Hintergrund bis zu ihrer Behandlung des Magnificat aufgezeigt wurden, können einige Elemente ihrer Einflüsse und Kompositionsstile verglichen werden. Das Folgende ist nur ein begrenzter Vergleich zwischen zwei anscheinend ungleichen Komponisten; jedoch könnten einige Aspekte des Vergleichs Licht werfen auf Trends, die auf natürliche Weise im musikalischen Kontext des zwanzigsten Jahrhunderts folgten.
Einer der wichtigsten Einflüsse sowohl auf Pärt als auch auf Penderecki war die Religion. Pärt ist frommer Russischer Orthodoxer und Penderecki ist frommer Römischer Katholik. Obwohl sich ihre Religionen in der Praxis unterscheiden, treten die gleichen fundamentalen Gedanken in den liturgischen Texten beider Konfessionen auf. Bearbeitungen religiöser und liturgischer Texte machen einen wesentlichen Teil des kompositorischen Schaffens beider Männer aus. Betrachtet man den Einfluss der Religion auf Pärts und Pendereckis Arbeiten, so erkennt man einen zur Religion gehörenden gemeinsamen Einfluss: Elemente des Gregorianischen Chorals. Penderecki verwendet das Gregorianik-Element des Orgelpunktes im fünften Satz des Magnificat. Pärt verwendet den Orgelpunkt auf ähnliche Weise, als etwas, auf dem die Melodie fließen kann. Pendereckis Einsatz des Orgelpunktes ist jedoch konventioneller, da er in die Basslinie des Stückes gestellt wird. Pärt setzt den Orgelpunkt in die höchste Stimme, damit die tonale Vieldeutigkeit verstärkt wird.
Ein letzter gemeinsamer Einfluss bei den beiden Komponisten ist ihr Experimentieren bei nur begrenztem Wissen über einen Sachverhalt. Serialismus, zum Beispiel, war eine Technik, über die in Polen und Estland nicht diskutiert wurde zu der Zeit, als Pärt und Penderecki damit experimentierten. Beide studierten Musik in einer höchst geschützten und isolierten Umgebung. Viele westliche Länder jedoch folgten dem seriellen Modell beim Komponieren. In McCarthy (1989) sagte Pärt, dass er nur wenige Quellen für das Studium hatte „abgesehen von einigen zufälligen Beispielen oder illegalen Kassetten“ (S.130). Mit anderen Worten: Kassetten von Werken, die nicht studiert wurden, galten für die Mächte, die Estland isoliert hielten, als illegal. Robinson (1983) hält fest, dass Penderecki bis 1957 nie ein Werk von Stravinsky gehört hatte. Es ist nicht schwierig zu verstehen, dass vielversprechende Komponisten unter diesen Bedingungen daran arbeiten, einen neuen und unabhängigen Stil zu entwickeln.
Pärt und Penderecki haben unterschiedliche Klänge, die von ihren Kompositionen ausgehen. Die Klänge zeigen jedoch unterschiedliche Konzepte ähnlicher Gedanken. Eine der ersten Gemeinsamkeiten der beiden Männer sind ihre Stilperioden. Jeder Komponist hat drei Stilperioden, in deren erster und dritter sie übereinstimmende Ideen in ihren Kompositionsstilen entwickeln. Ihre ersten Perioden betreffen beide das Experimentieren wegen des fehlenden Zugangs zu aktuellen Kompositionsmodellen. Diese Koinzidenz erklärt sich aus der politischen Isolation beider Länder während ihrer ersten Kompositionsschritte. Was jedoch gibt diesen beiden Künstlern, nachdem ihre Werke bekannter wurden und sie größere Freiheit zum Kennenlernen neuer Ideen bekamen, den Impetus, zu einer diatonischeren Art des Komponierens zurückzukehren? Die Antwort liegt in ihrer Verehrung der Vergangenheit. Beide Männer studierten den Gregorianischen Choral, um neue Einsichten in die scheinbar verlorengegangene Kunst der Tonalität zu gewinnen. Für beide Männer hatten die Elemente des Gregorianischen Gesanges tiefere Bedeutung als bloß als Ausdruck von Text durch Musik.
In Pärts und Pendereckis Kompositionsstilen betrifft eines der Elemente die Notation von Zeitlosigkeit in der Musik. Beide Komponisten vermitteln ein Gefühl von Zeitlosigkeit in ihren Partituren, indem sie keine Taktstriche setzen und durch agogische Betonung metrische Vieldeutigkeit schaffen. Beide haben Achtung vor der Bedeutung der Stille. Jede Fassung des Magnificat erwächst aus der Stille und zieht sich wieder zurück, um in der Stille zu enden. Die Stille ist eine starke Komponente in den Werken der beiden Komponisten. Während der Stille kann der Hörer dem nachgehen, was in der Musik gesagt oder nicht gesagt wurde.
Jeder Komponist hat seine eigenen Gedanken, wie man ein Gefühl des tonalen Wiedererkennens durch das Konzept des Stillstandes aufrechterhalten kann. Penderecki findet die Lösung in der Verwendung von Klangclustern, mit denen er eine tonale Ebene schafft. Der Hörer mag nicht vertraut sein mit der Tonalität des Stückes, jedoch bildet die Wiederholung von Clustertönen, die eine völlige Sättigung des Klanges bilden, ein bindendes Element, das während des Werkes Ruhepunkte schafft. Für Pärt sorgen einfach die Verwendung von Dreiklängen in der Tintannabulation und die Vermeidung harmonischer Bewegung für ein unverwechselbares Wiedererkennen tonaler Elemente. Der Mangel an durch einen Dreiklang geschaffene Richtung schafft ein Gefühl der Ruhe innerhalb des Werkes.
Ein letztes Paar von Vergleichen betrifft die Bedeutung des Textes und die Notationsarten eines jeden Komponisten. In ihren Bearbeitungen des Magnificats betonen beide Komponisten den Text. Für Pärt hängt die Textbetonung offensichtlich mit seiner Notationsmethode zusammen. Ein Ausführender kann nicht darüber hinwegsehen, dass jedes Wort durch gepunktete Taktstriche abgetrennt ist, die überhaupt nicht zu einem metrischen Muster gehören; außerdem ist jede Phrase durch einen Doppeltaktstrich abgetrennt. Auf diese Weise informiert Pärt den Ausführenden, dass der Text in dem Stück die höchste Bedeutung hat. In Pendereckis Bearbeitung ist der Text in kontrastierende Sätze gesetzt, die die Emotion hinter jedem Textabschnitt betonen. Seine graphische Notation mit Clustern und Glissandi betont den tieferen Sinn jedes Textabschnittes. Penderecki verwendet jedoch die Dissonanz als Teil seines allgemeinen Stils, im Gegensatz zu Pärts Art, Bedeutung durch Betonung zu akzentuieren.
Zusammenfassend: Komponisten mit vergleichbaren Ideen sind oft von verwandten Quellen beeinflusst. In den Kompositionsmethoden von Pärt und Penderecki tragen Einflüsse von Religion, vergangenen Komponisten und politische Isolation zu ihren Ähnlichkeiten bei. Die Akzeptanz, die sie als herausgehobene Künstler des Komponierens erfuhren, erklärt ihre Bereitschaft, später in ihren Karrieren andere Wege zu gehen. Pärt erklärt den besten Grund, warum zwei so offensichtlich unterschiedliche Techniken vergleichbar sind: „Alles in der Welt ist miteinander verbunden, wenn man eine Sache sieht, dann kann man viele andere verstehen“ (McCarthy, 1989, S.130).
Übersetzt aus dem Englischen von Lore Auerbach, Deutschland
Quellen:
- Arnold, B. Krzyzstof Penderecki (b. 1933). [Online]. einzusehen unter: http://www.emory.edu/MUSIC/ARNOLD/PENDERECKI.html [1997, May 12].
- Grawemeyer. (1992). Announcing the 1992 winner of the Grawemeyer Award for Music Composition. [Online]. Grawemeyer. einzusehen unter:
http://www.louisville.edu/groups/npio-www/grawemeyer/muswin92.html [1997, May 12] - Grout, D. & C. Palisca. (1988). A History of Western Music. New York: W. W. Norton & Co.
- Hillier, P. (1989). Arvo Pärt – Magister Ludi. Musical Times, 80, 134 – 137.
- McCarthy, J. (1989). A interview with Arvo Pärt. Musical Times, 80, 130 – 133.
- Pärt, A. (1989). Magnificat. Wien, Österreich: Universal Edition A. G.
- Penderecki, K. (1974). Magnificat. New York: Schott Music Corp.
- Pinkerton II, D. (1996). Minimalism, the gothic style, and tintinnabulation in selected works of Arvo Pärt. Unveröffentlichte Masterarbeit, Duquesne University, Pittsburgh.
- Robinson, R. (1983). Krzysztof Penderecki: A guide to his works. Princeton, New Jersey: Prestige Publications.
- Schenbeck, L. (1993). Discovering the choral music of Estonian composer Arvo Pärt. Choral Journal, 34, 23 – 30.
- Schwinger, W. (1989). Krzysztof Penderecki: his life and his work. (W. Mann, Trans.). London: Schott & Co. Ltd. (Original veröffentlicht 1979).
[1] Die Hintergrundinformation über Penderecki stammt bis auf das abschließende direkte Zitat aus Robinson.R. (1983) Krzysztof Penderecki: A guide to his Works. Princeton, New Jersey: Prestige Publications (S. 1-7)
[2] (sic) In der Quelle befanden sich grammatische Fehler.
[3] Die für diesen Abschnitt verwendeten Informationen stammen bis auf das erste direkte Zitat aus Schwinger, W. (1989). Krzysztof Penderecki: his life and his work. (W. Mann, [engl.] Übers.). London: Schott & Co. Ltd. (Original veröffentlicht 1979). (S. 226 – 230).