Über die Konzeption interessanter, lebendiger Chorproben

Dr. John Warren, Director of Choral Activities, Syracuse University
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Mattersteig, Deutschland

Probenvorbereitung mag im Alltag mühselig sein, und als Ausgangspunkt ist hierfür ein Schema oder Muster nützlich. In diesem Beitrag beschreibe ich zwei Probenmodelle, die Ihnen beim Entwickeln durchgängig effektiver Probenverläufe helfen können.

Meine bevorzugte Methode beruht auf Abwechslung:

  1. Beginnen Sie mit etwas Flottem, Geläufigem, womit jeder bequem ins Singen findet und positiv eingestimmt wird. Für Proben am Morgen empfiehlt es sich, nicht mit einem besonders hohen oder lauten Stück anzufangen und hierauf auch gar nicht allzu viel Zeit zu verwenden, zumal man hierfür etwas Vertrautes wählen sollte. Gewöhnlich beginne ich mit einem Lied in höherem Tempo, so dass der Chorgruppe durch die Musik Energie zugeführt wird.
  2. Sorgen Sie in der Probe durchgängig für Abwechslung – im Tempo, im Schwierigkeits- und im Bekanntheitsgrad. Zwar ist es unmöglich, im Verlauf immer alle drei Parameter zu variieren, aber mindestens einen zu verändern hilft, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Besonders heikel ist das Aneinanderreihen mehrerer langsamer Stücke, denn die Sänger könnten an Lust verlieren, singen womöglich kraftloser und verlieren die Konzentration. Fortwährend nur leichte oder sehr vertraute Lieder zu proben, kann dasselbe bewirken. Singt eine Gruppe für gewöhnlich mit zu wenig Kraft und Energie, beginne ich gern mit zwei schnelleren Stücken, wovon das zweite die sängerisch höheren Anforderungen stellt und mehr Probenzeit erfordert.
  3. Lassen Sie einem neuen oder besonders anspruchsvollen Lied ein bekannteres oder leichteres folgen. Dies beugt Frust im Chor vor und fördert das Selbstvertrauen.
  4. Bieten Sie zum Abschluss etwas Fröhliches oder Geläufiges an, so dass die Sänger gutgelaunt aus der Probe gehen. Hierbei ist eine positive Stimmung am Ende der Probe wichtiger als das Durchsingenlassen von etwas Altbekanntem. Wenn Sie bei anspruchsvollerer Musik wahrnehmen, dass der Chor nach echtem Vorankommen das Gefühl empfindet, etwas geleistet zu haben, dann halten Sie genau dort inne, denn nichts ist schöner als der Klang, wenn Chormitglieder nach einer Probe das Geübte auf den Gängen noch weitersingen oder -summen.
  5. Binden Sie ausreichend Lieder in die Probe ein, denken Sie aber auch daran, hin und wieder ein Lied von vorn bis hinten durchsingen zu lassen, bisweilen auch ohne an ihnen zu arbeiten. Dies dauert nicht lang und vermittelt dem Chor einen Eindruck vom Gesamtwerk. Ein gutes Gleichgewicht zwischen dem Üben einzelner Passagen und dem Durchsingen ganzer Lieder herzustellen, kann knifflig sein. Gestaltet sich eine Probe weniger ergiebig als erhofft, liegt dies oft an zu hohem Zeitverbrauch für zu wenige Stücke, etwa nur zwei oder drei in einer ganzen Stunde. Chorproben gelingen abwechslungsreicher, wenn man die Lieder rascher aufeinander folgen lässt und bei jedem eine ganz bestimmte Zielsetzung verfolgt. Ich persönlich bevorzuge für eine 50-minütige Probe fünf bis sieben Stücke nebst Einsingen. Wird an kurzen Abschnitten gefeilt, so ist die Einbindung in den Gesamtzusammenhang entscheidend, indem man die Takte vor und nach der zu übenden Stelle mit einbezieht. Das Arbeiten an den Übergängen ist später für eine gelungene, überzeugende Darbietung von großer Bedeutung.
  6. Sorgen Sie für Abwechslung hinsichtlich der Tonlage und der gesanglichen Anforderungen, denn für die Stimmpflege und -entwicklung ist dies unerlässlich.

Entwirft man auf diese Art Chorproben, so ist es dienlich, das Repertoire hierfür in vier Kategorien einzuordnen: langsam und einfach, langsam und schwierig, schnell und einfach sowie schnell und schwierig. Wählen Sie für das erste und letzte Lied der Probe jeweils etwas schnelles Einfaches. Gestalten Sie die übrige Liedfolge alternierend, üblicherweise Schnelles und Langsames im Wechsel, und wählen Sie hierfür passendes Übematerial aus. Variation in Stilistik, Epoche, Herkunft, Struktur usw. trägt zu einer erfolgreichen, bunt gemischten Chorprobe bei.

Beispiel für einen Probenplan
Syracuse University Singers

TITEL

KOMPONIST

ÜBUNGSSCHRITTE

ZEIT (Min.)

Einsingen

   

5–6

Star-Spangled Banner
(mäßiges Tempo)
(einfach)

Traditional

Aufstellung im Kreis
durchsingen
Vokalausgleich

6

Gnome
(schnelles Tempo)
(mittelschwer)

Bruno Regnier

Sitzordnung nach Stimmgruppen
Töne und Rhythmus absichern bei ausreichend Zeit:
französischen Text lernen

10

Ubi Caritas
(langsames Tempo)
(einfach bis mittelschwer)

Maurice Duruflé

im Kreis
Hauptmelodie und 4-stimmigen Männersatz ausbalancieren im SATB-Abschnitt Töne üben
Textbehandlung

12

Unknown Region
Seiten 6 bis 9
(schnelles Tempo)
(recht schwierig)

William Schuman

Sitzordnung mit Sopran beim Tenor und
Alt beim Bass
Textsprechen zum Sichern von Rhythmus und PhrasierungTöne kontrollieren
(sehr dissonant)

13

I Got Me Flowers aus: 5 Mystical Songs
(langsames Tempo)
(einfach)

Vaughan Williams

normale Sitzordnung

auf Text singen an Phrasierung und Vokal-

ausgleich arbeiten

5

My Soul’s Been Anchored
(schnelles Tempo, Spiritual)
(geläufig)

Moses Hogan

normale Sitzordnung den Einleitungsteil glätten Feinschliff der letzten 3 Seiten

7

Desweiteren braucht nicht alles in derselben Sitzordnung geprobt zu werden. Die meisten Sänger mögen es, sich im Raum zu bewegen und in verschiedenen Choraufstellungen zu singen. Probieren Sie das Singen im Kreis – es erlaubt Ihnen, alle Stimmen gleich gut zu hören, und Ihren Sängern, besser aufeinander zu hören. Wir proben häufig in Stimmgruppen-Kreisen – jede Stimmgruppe bildet hierbei ihren eigenen Kreis, wodurch die eigene Stimmgruppe besonders gut gehört werden kann, aber durchaus auch die anderen. Bietet man so etwas im Wechsel mit klassischem Singen in Reihen oder auch gemischter Aufstellung an, kann auch dies die Chorprobe interessant halten und die Sänger motivieren.

Manchmal ist es nicht möglich, das Probenprogramm wirklich bunt gemischt auszuwählen, beispielsweise bei der Vorbereitung eines längeren mehrsätzigen Werkes oder eines Programms mit Werken einer bestimmten Stilart, einer Epoche oder eines Komponisten. Dennoch kann das Prinzip der Abwechslung Anwendung finden, wenngleich dies sicherlich aufwendiger ist. Sorgen Sie für möglichst viel Kontrast und planen Sie Ihre Probe entsprechend. Probieren Sie andere Tempi, als für die spätere Aufführung vorgesehen. Ein langsames Stück im schnellen Tempo singen zu lassen, kann für Belebung sorgen und dem Chor einen tieferen Sinn für Phrasierung vermitteln. Schnelle Stücke langsam durchzusingen, schärft den Sinn für Genauigkeit.

Eine weitere wirkungsvolle Möglichkeit für die Probengestaltung ist das Planen eines großen Spannungsbogens:

  1. Beginnen Sie mit etwas in tieferer Stimmlage, das leicht, vertraut und stimmlich nicht anstrengend ist. Verwenden Sie auf dieses Stück nur wenig Zeit.
  2. Vergrößern Sie in der Folge mit jedem Stück die stimmlichen und geistigen Anforderungen und den jeweiligen Zeiteinsatz.
  3. In der Mitte der Probe sollte am Lied mit der aktuell höchsten Priorität gearbeitet werden. Hier fordern Sie Ihre Gruppe am meisten und verwenden die längste Zeitspanne.
  4. Nach diesem zentralen Musikstück sollten bei den weiteren Programmpunkten die Anforderungen und die jeweils eingeplante Zeit wieder reduziert werden.
  5. Das letzte Stück sollte keine Schwierigkeiten bereithalten und leicht oder heiter sein, mit wenig Zeitaufwand.

Hier ein Beispiel, diese zeitplanerische Methode auf eine einstündige Chorprobe anzuwenden:

STÜCKE

ZEIT (Min.)

Einsingen

4

langsam, einfach, tiefere Tonlage

4

anspruchsvoller

7

anspruchsvoller, höhere Anforderung

10

am anspruchsvollsten, höchste Anforderung

15

noch anspruchsvoll, aber weniger fordernd

10

recht einfach oder vertraut

6

Einfach, lockerer

4

Diese Methode ist besonders an solchen Tagen nützlich, an denen Ihr Chor müde oder unterspannt wirkt. Sie erlaubt dem Dirigenten, auf den Chor Energie und Konzentration zu übertragen, anstatt sich zu bemühen, auf eine lustlose Gruppe mit entsprechend angepasster Energie zu reagieren. Das Prinzip der zunehmenden Intensität und Erwartungshaltung kann auch in den o.g. ersten Typ der Probengestaltung integriert werden. Ein Lied hebt oder senkt die Anforderungen an den Chor, das nächste variiert in Tempo, Struktur oder Stil usw. Dies sorgt für eine erfrischende, kurzweilige Chorprobe. Wenn Ihre Sänger zur Probe erscheinen, können Sie an Gestik, Mimik, an den Unterhaltungen und daran, wie gut auf Sie reagiert wird, die Stimmung und Kondition des Chores ablesen. Der Chorleiter sollte diese Faktoren wahrnehmen und das anfängliche Probentempo darauf einstellen, um es dann schrittweise auf das gewünschte Maß zu steigern.

Unabhängig davon, wie Sie Ihre Proben planen möchten, ist es wichtig, folgende Grundsätze zu beachten, auf denen beide Methoden fußen:

  1. Arbeiten Sie beim Proben mit zügigem Tempo.
  2. Bieten Sie in jeder Probe ein abwechslungsreiches Repertoire an.
  3. Nehmen Sie sich für die Probe zu jedem Lied ein bestimmtes Ziel vor.
  4. Tragen Sie den stimmlichen Bedürfnissen der Sänger Rechnung.
  5. Achten Sie auf die Stimmungslage im Chor.
  6. Verschaffen Sie den Sängern Erfolgserlebnisse.

John F. Warren ist Associate Professor of Music und Director of Choral Activities der Syracuse University, an der er drei Chöre leitet und Studierende im Grund- und Hauptstudium in den Fächern Dirigieren, Chorliteratur und Probentechnik unterrichtet. Er erlangte Studienabschlüsse an der University of Miami und am Conservatory of Music der University of Cincinnati College. Daneben arbeitete Dr. Warren mit zahlreichen bedeutenden Dirigenten, darunter Robert Shaw, Frieder Bernius, Christoph Eschenbach, Robert Page, Helmuth Rilling, Digna Guerra, Rodney Eichenberger, Jo-Michael Scheibe und Elmer Thomas. Dr. Warren bekleidete mehrere Ämter in der American Choral Directors Association, hielt Vorlesungen, war Jurymitglied und dirigierte Festivalchöre im Osten der Vereinigten Staaten und auf Kuba. E-Mail: jfwarr01@syr.edu