Reincarnations: A Century of American Choral Music

Kritiker von Tobin Sparfeld, Lehrer und Dirigent
Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Saus, Deutschland

 

Reincarnations: A Century of American Choral Music
Seraphic Fire, Anna Fateeva & Patrick Dupré Quigley
℗ 2014 Seraphic Fire Media
(73:36)

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In Nordamerika hat die Unterstützung für professionelle Chöre deutlich zugenommen. Davon profitiert auch Seraphic Fire, ein vor 13 Jahren in Süd-Florida gegründetes Ensemble. Unter der künstlerischen Leitung seines Gründers und Dirigenten Patrick Dupré Quingley hat sich das Grammy-nominierte Ensemble als eines der bedeutenden und innovativen Ensembles in den USA etabliert, das Sänger aus dem ganzen Land zu Live-Auftritten und Aufnahmen akquiriert. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich von 2007 bis 2008 eine kurze Zeit bei Seraphic Fire mit sang). Die Organisation hat ebenfalls das Firebird Chamber Orchestra gegründet, das mit Seraphic Fire bei orchestralen Chorwerken zusammen arbeitet, aber auch unabhängiges Orchesterrepertoire erarbeitet.

Seraphic Fire war schon immer ein Verfechter amerikanischer Chormusik, was sich auch im Namen spiegelt, der aus einer Phrase von William Billings’s Invocation abgeleitet ist. Ihr jüngstes Album Reincarnations enthält getreu dieser Tradition eine Sammlung innovativer Arbeiten aufstrebender amerikanischer Komponisten sowie einiger traditioneller Werke aus dem großen Kanon.

Das Album beginnt mit zwei zeitgenössischen Werken. I Cannot Attain Unto It von Nico Muhly (Jg. 1981) ist eine ruhige Komposition mit ausdrucksstarken sich wiederholenden Echoeffekten und imitativen Gesangslinien. Während es viele Momente von Bitonalität und scharfen Dissonanzen enthält, wird es gleichzeitig von einer zugrunde liegenden konsonanten harmonischen Struktur getragen. Es folgt Light of the Common Day von Shawn Crouch (Jg. 1977). Er schrieb es im Andenken an seine verstorbene Schwiegermutter. Die motorische Klavierbegleitung erzeugt eine Energie unter den lang gezogenen Gesangslinien, die sich langsam von Dissonanzen zu Konsonanzen entwickeln und bei Oktavparallelen innehalten.

Die nächsten zwei Aufnahmen lassen uns zurück hören in eine unverwechselbare Tradition der amerikanischen Chormusik. Diese anonymen Shaker Lieder aus dem 19. Jahrhundert reflektieren die Ideale eines einfachen Lebens, von Frömmigkeit und Pazifismus. Give Good Gifts One To Another besteht aus einer simplen freudigen vierteiligen Hymnus Struktur mit offenen Harmonien, während das Arrangement von Followers of the Lamb die Eigenheiten eines Trinkliedes mit der Feierlichkeit christlicher Texte verbindet. Seraphic Fire modifizieren hier ihre Stimmen zu einer derberen Stimmtechnik, wie sie in der traditionellen amerikanischen Chormusik üblich war.

Das anschließende Stück ist Death and Resurrection von Paul Crabtree (Jg. 1960). Diese längere Vertonung einer Kollage traditioneller amerikanischer Texte baut ihr stimmliches Motiv in der Mitte zu einem emotionalen Höhepunkt aus. Der letzte Abschnitt ist eine akkordische Deklamation auf den Imperativ: “Verrichte all Deine Arbeit so, als habest Du tausend Jahre zu leben und so, wie Du sie tätest, wenn Du weißt, dass Du morgen stirbst”. Während Seraphic Fire auf dem Album durchgehend sehr gute Intonation zeigt, ist sie in diesem Stück teilweise unsicher.

Mit Samuel Barber’s drei Reincarnations folgt ein Komponist des zwanzigsten Jahrhunderts. Die bekannten Werke vertonen Texte des Dichters James Stephens. Ihre scheinbare Einfachheit wird widerlegt durch anspruchsvolle Tessitur, harmonische Verschiebungen und unerwartete rhythmische Einsätze. Mary Hynes, das erste Stück, ist eine Hommage an die Liebe mit leidenschaftlichen Ausrufen auf die Worte “She is a rune!”. Im mittleren Teil, Anthony O’Daly, beklagen die Oberstimmen die ungerechtfertigte Hinrichtung eines ortsansässigen Bauern und Gemeindeverwalters über einem Ostinato der Bass-Gruppe. Das Stück steigert sich zu einem emotionalen Höhepunkt, bevor es durch dissonante Sprünge abfällt. The Coolin, eine Referenz an die Geliebte, ist eine sinnliche Liebeserklärung an die Geliebte des Autors.

Es folgen vier Aufnahmen mit zeitgenössischen amerikanischen Komponisten. Dan Forrests Good Night Dear Heart ist ein simpler, warmer, homophoner Segensspruch nach einem Text von Mark Twain.

As There Are Flowers von Colin Britt verwendet eine ansteigende Tonfolge, die sich Spannung aufbaut und konsequent wieder löst. Das ist eine der intensiveren Aufnahmen auf dem Album. I Am von Dominick DiOrio ist etwas anspruchsvoller. Er verwendet geschichtete Klangcluster als Begleitung eines Sopransolos zur dramatischen und kraftvollen Vertonung des bekannten Gedichts von Mary Elizabeth Frye “Do Not Stand At My Grave And Weep”. Jake Runestads Fear Not, Dear Friend ist die nächste Aufnahme. Aus einem weichen Anfang heraus wächst das ausgedehnte Werk zu einem mächtigen Höhepunkt und mündet in einen opulenten Schluss.

Der Leser kennt vielleicht Frank Tichelis Earth Song, ein konsonantes akkordisches Werk mit modern erweiterten Dissonanzen. Seine wiederkehrende Harmonie ist sowohl ausdrucksstark als auch düster und einer der bewegendsten Momente des Albums.

Reincarnations schließt mit Morten Lauridsens Mid-Winter Songs ab. Quigley beschreibt Lauridsen passend als den “Senior-Staatsmann der amerikanischen Chormusik”. In seinem Liederzyklus aus dem Jahre 1980 vertont er fünf Texte des Dichters Robert Graves. Das erste Lied, Lament for Pasiphaë, weist einige scharfe Dissonanzen zu ausdrucksvollen Gesangslinien auf, während die übrigen Lieder wieder deutlich auf Lauridsens bekanntere Wohlklänge hinweisen. In der Mitte gibt es ausgedehnte Soloparts für das begleitende Klavier, die die Pianistin Anna Fateeva mit ähnlichem Rubato und ähnlichen Nuancen wie Lauridsen selbst interpretiert.

Viele Aufnahmen legen nicht genug Wert auf die Reihenfolge der Stücke. Reincarnations findet hingegen immer eine gesunde Balance zwischen zeitgenössischen und mehr traditionellen Abschnitten. Die zeitgenössische Stückauswahl werden die meisten Leser trotz des geringen Bekanntheitsgrades unwiderstehlich finden und repräsentativ für die Zukunft der amerikanischen Chormusik. Ein zusätzliches Kompliment haben die ausgezeichnete Qualität des Albums und des CD-Booklets verdient. Schade, dass die in dem Eliteensemble nur selten vorkommenden Homogenitäts- und Intonationsprobleme ausgerechnet in der Titelkomposition des Albums vorkommen.

Für Liebhaber amerikanischer Chormusik ist die Aufnahme ein Muss. Hörer, die mit zeitgenössischen Chorkomponisten wie Dominick DiOrio, Jake Runestad, Nico Muhly und Dan Forrest wenig Erfahrung haben, sollten sich auf jeden Fall das Album genauer ansehen, um über die Musiker zu erfahren, die die Zukunft der Chormusik gestalten.

Info: http://goo.gl/vk3suP

 

Als ein früheres Mitglied des St. Louis Children’s Choirs ist Tobin Sparfeld durch die ganze Welt getourt, von West, Vancouver, British Columbia, bis Ost, Moskau, Russland. Tobin hat auch bei Seraphic Fire und Santa Fe Desert Chorale gesungen, neben seiner Arbeit mit Chören aller Altersgruppen, als stellvertretender musikalischer Leiter des Miami Kinderchors und als stellvertretender Leiter der St. Louis Children’s Choirs. Ausserdem lehrte er am Principia College und war Leiter der Choraktivitäten an der Millersville University of Pennsylvania, und er war Assistent-Dirigent der Civic Chorale of Greater Miami. Tobin erhielt seinen Doctor of Musical Arts in Dirigieren von der University of Miami in Coral Gables, wo er bei Jo-Michael Scheibe und Joshua Habermann studierte. Er erhielt ein Artist Teacher Diplom vom CME Institute, geleitet von Doreen Rao. Zurzeit ist er Leiter der Abteilung Musik am Los Angeles Mission College, das zum Los Angeles Community College District gehört. E-Mail: tobin.sparfeld@gmail.com