Besprechung einiger Chorwerke

Von Debra Shearer-Dirié

 

Emanuele d’Astorga  Stabat Mater

SATB mit Begleitung

Oxford University Press

Der Stabat Mater Text wurde in Europa erstmals im 14. Jahrhundert durch fahrende Musikanten bekannt. Erst viel später fand der Text seinen Weg in die Römische Liturgie, nachdem er 1495 in einem Buch mit italienischer Poesie erschienen war, das von Jacopone da Todi veröffentlicht wurde. 1727 machte Papst Benedict XIII. den Text unter dem Titel Septem Dolorum BMV („die sieben Schmerzen der Heiligen Jungfrau Maria”) der gesamten katholischen Kirche zugänglich; von nun an wurde er jeweils am Karfreitag aufgeführt.

Emanuele d’Astorga (1680 – 1757) stammte aus Augusta auf Sizilien. Robert King, der Herausgeber dieser Veröffentlichung, bezeichnet ihn „als einen der farbigsten Vertreter der Musik des frühen 18. Jahrhunderts”. Als Komponist wuchs Astorga über den Rahmen eines Berufsmusikers hinaus und wurde besonders für seine Kammermusikstücke bekannt. Die Stabat Mater Vertonung ist vielleicht sein nachhaltigstes Werk und weist typische Wesensmerkmale der Barockzeit auf.

 

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Stabat Mater VS for OUP 2nd proof 100512
Stabat Mater VS for OUP 2nd proof 100512 

 

Für eine Ausgabe klassischer Chorwerke wurde das Stück für Soloquartett (SATB), gemischten Chor, Saiteninstrumente und Orgel arrangiert, und zwar mit dem Augenmerk  auf Amateurmusiker in einfacher Notierung ohne unnötige Schnörkel. Die Partitur ist modern und einheitlich geschrieben mit leicht spielbarer Klavierbegleitung, an einigen Stellen zusätzlich vereinfacht.

Das Werk ist in 9 Abschnitte geteilt, wobei der Chorpart in den Sätzen 1,4,7 und 9 den Grundpfeiler bildet. Das Motiv Stabat Mater im ersten Satz beschwört mit ihren erst in absteigenden Quintintervallen und danach wieder aufsteigenden verminderten Sexten, die aus den lange gehaltenen kombinierten Noten der Sopran-und Altstimmen zu Beginn des Stückes herausquellen, die Klage Marias unter dem Kreuz. Die einzelnen Motive werden langsam von einer Stimme auf die nächste weitergereicht, während Astorga den Schmerz und die Trauer der Szene aufbaut. Zu den Worten des Textes pertransivit gladius (ein Schwert durchsticht) komponiert Astorga eine chromatisch ansteigende Tonfolge in den tiefen Stimmen, während die hohen Stimmen eine absteigende Tonfolge singen, so dass der Eindruck eines die Haut durchbohrenden Schwerts entsteht.

Der zweite und dritte Satz wurden für Solo-Trio (O quam tristis et afflicta) und Solo-Quartett (Quis est homo) geschrieben. Der vierte Satz (Eia Mater) beginnt einfach mit einer einzelnen Notenzeile, um die sich eine Intervalllinie schlingt, die – ohne sich zu weit von ihr zu entfernen – immer wieder zu dieser zurückfindet. Die Fugeneinsätze geschehen sehr ruhig zu dem Text „Oh Mutter, Quell der Liebe”. Während sich der Satz weiter entwickelt, werden die Linien chromatischer, und wir spüren die Wucht des Schmerzes. Die Sätze 5,6 und 8 sind wiederum für Solostimmen geschrieben, der Chor setzt in den Sätzen 7 und 9 ein. Der letzte Satz (Christe, quum sit hinc exire) bewegt sich zwischen Adagio und Allegro, und seine Fugeneinsätze beenden das Werk in C- Dur. King weist darauf hin, dass dieser Satz „den Hörer von der Trauer der Jungfrau sanft hinführt zu der etwas optimistischeren „Siegespalme” des Karmeliter Messbuchs“.

Das Stück dauert etwa 30 Minuten und kann sowohl mit einem Streichquartett als auch mit einem kleinen Streichorchester aufgeführt werden, wobei eine Basslaute zur Begleitung des Kammerorgel-Generalbasses empfohlen wird. Obwohl das Werk in seinem Chorteil ganz einfach aufgebaut ist, lässt uns Astorgas Komposition die intensive Aussage dieses Textes erfahren. Astorgas Stabat Mater wird nicht oft aufgeführt, diese Neuausgabe von Robert Koch macht sie jedoch zur idealen Wahl für das kommende Osterfest.

 

Will Todd  Der Ruf der Weisheit (The Call of Wisdom)

SS (oder SA) und Orgel. Auch für SATB erhältlich

Oxford University Press 2012 W 172

Will Todds Arbeiten reichen von groß angelegten Oratorien über kleineren Werken bis zu seinen Jazz Messen wie die Messe in Blau (Mass in Blue), die 2003 uraufgeführt wurde. Seine Werke werden von Tyalgum Press, Boosey & Hawkes und Oxford University Press (OUP) verlegt und veröffentlicht. Seinen Ruf der Weisheit hat die OUP herausgebracht; er liegt sowohl in einer SS (oder SA) als auch in einer SATB Fassung vor. Bei beiden Fassungen ist die Orgel das Begleitinstrument.

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Das Stück wurde von der St. Paul’s Cathedral für den Dankgottesdienst zum diamantenen Thronjubiläum in diesem Jahr in Auftrag gegeben. Es ist eines von jenen einzigartigen Werken, die wunderbar einfach aufgemacht sind und doch überwältigend auf den Hörer wirken. Eine einzelne Singstimme beginnt mit einer Melodie von 8 Takten, die sich in nur einer Sexte bewegt, in ihrem Charakter elegant und einfach. Im Gegensatz zu dieser ersten Melodie beginnt die zweite mit einer herrlichen Septime, die einen ziemlichen Kontrast zur ersten Melodie darstellt. Dieses Eröffnungsintervall ist wundervoll melodisch, zumal die Orgel eine None zur Harmonie beiträgt. Wiederum nur 8 Takte lang, sind diese beiden Melodien die Basis für das gesamte Werk, die sich in jedem Satz untereinander austauschen, wobei von Zeit zu Zeit sich eine fließende hohe Diskantmelodie dazu gesellt.

Der Text stammt von Michael Hampel, der eine Stelle aus dem Alten Testament (Sprüche 8) verwendet. Da es nur vier Minuten dauert, würde das Werk gut zu einem Programm mit geistlicher Musik als kleiner Ohrenschmaus zwischendurch passen, aber ebenso gut auch in ein Programm mit weltlicher Musik. Todd sagt, dass seine Musik Menschen einander näher bringen soll. Ich denke, das stimmt genau: sie ist einfach genug selbst für einen Kirchenchor, der auf gelungene Phrasierung achtet, und ein Kinderchor könnte zusätzlich einen schönen Beitrag zu den einstimmigen Melodien leisten.

 

Gabriel Jackson: Vidi Aquam

SSATB und Orgel

Oxford University Press New Horizons N 89

Gabriel Jacksons Musik wird regelmäßig auf der ganzen Welt aufgeführt und aufgezeichnet. Als assoziierter Komponist der BBC Singers hat er mehrere beachtliche Auftragswerke komponiert. Sein Vidi Aquam entstand als Auftragswerk der „Freunde der Lincoln Kathedrale” zu deren 75jahrfeier. Es kombiniert die Texte des Vidi Aquam, dem in der Osterzeit gesungenen Antiphon, mit dem Confitemini Domino und endet mit dem Gloria Patri.

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Begleitet von leisem, von der Orgel erzeugtem Wasserplätschern, lässt der melismatische Charakter des Soprans zu Beginn jedes Gefühl für den Takt vermissen, sondern klingt eher nach einem Choral, obwohl Jackson den Vidi Aquam Choral selbst nicht benutzt. Die hohen Stimmen antworten jeweils mit einem Alleluja. Erst wenn der gesamte Vidi Aquam Text gesungen ist, setzen die Männerstimmen mit dem Confitemini Text ein. Der abrupte rhythmische Gegensatz dieses Abschnitts währt nicht lange, denn er verschmilzt sogleich mit dem Text des Quoniam in saeculum misericordia eius. Dieser Abschnitt ist sicherlich ein Highlight mit seiner harmonischen Bewegung, die in ständiger Auflösung begriffen scheint. Der abschließende Gloria Patri Abschnitt kehrt zum Charakter des ersten Abschnitts zurück, anstatt jedoch den leisen Wettstreit des Dupletgefühls in den Vokalstimmen mit dem Tripletgefühl der begleitenden Orgel zu akzentuieren, verbinden sich die Vokalstimmen am Ende mit dem Takt der Orgel. Am Ende des Stückes verbinden sich die Stimmen in einer homophonen Auflösung.

Jacksons Vidi Aquam eignet sich für einen semi-professionellen Kammerchor, der in der Lage ist, nicht nur den melismatischen Tonfolgen, sondern dem ganzen Stück eine elegante Form zu geben.

 

 

ShearerDiriéDebraDebra Shearer-Dirié hat ein Diplom des Kodály Institute in Kecskemét, Ungarn, einen Master für Musikerziehung und einen Doktor in Chorleitung der Indiana University, USA. Zur Zeit wohnhaft in Brisbane, Australien, hat sie Chorleitung und Gehörbildung an der University of Queensland, der ACCET Summer School, gelehrt und Chorleitung an der New Zealand International Summer School. Dr. Shearer-Dirié wirkt zur Zeit als Herausgeberin von The Australian National Choral Association’s Publication und arbeitet beim The National Council dieser Organisation mit. Sie ist musikalische Direktorin des Brisbane Concert Choir, des Vox Pacifica Chamber Choir, Fusion, und Vintage Voices. E-mail:

debrashearer@gmail.com

 

Übersetzt von Silke Klemm, Deutschland

Edited by Gillian Forlivesi Heywood, Italy