Das Wesentliche schönen Singens: Eine dreistufige kinästhetische Annäherung von Karen Tillotson Bauer

Rezensiert von Tobin Sparfeld, Chordirigent und Lehrer

 

Die Autorin Karen Tillotson Bauer lehrt seit über 30 Jahren Gesang und Gesangspädagogik und ist derzeit Professorin an der North Park Universität in Chicago, IL. Sie war Präsidentin der Landesgruppe Chicago des Nationalen Verbands der Gesangspädagogen. In ihrem Buch bezieht sich Bauer auf ihre langjährige intensive Erfahrung und beschreibt ihre Bemühungen, eine praktikable Vokaltechnik für den klassischen Gesang zu entwickeln.

Wie der Titel vermuten lässt, konzentriert sich Bauers Buch auf die kinästhetischen Aspekte des Singens, es beschreibt Empfindungen und physische Schritte der guten belcanto Technik genau. Dieses Buch enthält keine anatomischen Bilder oder Diagramme des Kehlkopfs, ebenso wenig findet der Leser Links zu Hörbeispielen. Stattdessen gibt es Beschreibungen der einzelnen Schritte, die für ein gesundes und effizientes Singen nötig sind. Obwohl es kein eigenständiges Lehrbuch für Vokalpädagogik darstellt, ist es doch eine wertvolle Quelle.

Das Buch besteht aus drei Teilen. Kapitel 1 gibt einen Überblick über Bauers Methode für gesundes Singen (die wiederum in drei Stufen unterteilt ist), sowie über die angemessene Haltung beim Singen. Statt sich auf die Position von Kopf und Schultern zu beschränken, beschreibt Bauer die gute Haltung als Linienführung des gesamten Körpers. Dieser kurze Abschnitt rät dem Sänger, diese Linienführung zu spüren, indem er sich gegen eine Wand stellt und sich der natürlichen Krümmung des Rückens gegen diese Wand bewusst wird, um dann eventuell einen Schritt vorzugehen und in der gleichen Haltung zu bleiben.

Im 2. Kapitel beschreibt Bauer ihre dreistufige Methode, die sie im Buch “ÖÖVen” nennt: das heißt, „Öffne den Körper“, „Öffne die Kehle und die Resonanz“ und „Verbessere die Artikulation“. Der Schritt „Öffne den Körper“ bezieht sich auf die Wirkung richtigen Atmens. Statt des mehrdeutigen Begriffs „Atemstütze“ benutzt Bauer lieber Ausdrücke wie Atemkontrolle oder Atemmanagement. In ihrer Lehrerfahrung hat sie herausgefunden, dass die meisten Sänger – selbst fortgeschrittene – kein klares Konzept ihres Atemprozesses haben. Die Sänger sollen eher spüren, wie der Torso beim Einatmen durch die Muskeln ausgeklappt wird, statt dass man den Atem herauspresst. Es werden einige nützliche Konzepte beschrieben, wie die Idee, dass die Muskeln für die Ein- und Ausatmung die gleichen sind. Ein anderer wertvoller Tipp rät Sängern, einen kleinen Extra-Atem am Ende eines jeden Einatmens zu holen, um ein „Haken“ des sich schließenden Kehlkopfs nach der Einatmung zu verhindern.

„Öffne die Kehle und die Resonanz“ beschreibt die Methode, seinen Körper für einen schwingenden Klang zu öffnen. Bauer schlägt hier vor, sich beim Einatmen ein Gähnen vorzustellen, um den Kehlkopf zu senken und die Zunge und den Kiefer zu entspannen, und so wenige Muskeln wie möglich bei der Klangproduktion zu benutzen. Sie beschreibt kurz die Funktion des Rachens und des Mundes bei der Gestaltung der Klangresonanz. Jedes Kapitel wird durch hilfreiche Übungen ergänzt, die dem Schüler helfen sollen, sich mit jedem Schritt vertraut zu machen.

Der dritte Schritt: „Verbessere die Artikulation“ beschäftigt sich mit der Resonanz und der Diktion. Bauer vermeidet den Begriff „vorderer Stimmsitz“, der zwar in der Vokalpädagogik in den letzten Jahren sehr häufig benutzt wurde, jedoch irreführend und zuweilen kontraproduktiv sein kann. Vorausgesetzt, dass der Sänger eine offene Atmung und eine offene Kehle zeigt, kann er die Vorderfront des Mundes nutzen, um Vokale und Konsonanten klar zu artikulieren. Während dieses Schrittes sollte der Sänger beginnen, sich auf den produzierten Ton zu fokussieren.

Bauer liefert eine hilfreiche Beschreibung der Stellung von Mund, Lippen und Zunge für alle fünf reinen Vokale. Sie gibt ebenso eine wundervolle Anleitung, wie man bei den atemstoppenden Konsonanten (p, t, k, etc.) direkt zum Vokal weitersingt. Chorintonation leidet häufig in diesen schwierigen Momenten, in denen die Sänger es nicht schaffen, den Übergang von Konsonanten zum offenen, resonanten Vokal im Mundraum effektiv zu gestalten.

Die weiteren Kapitel erläutern die Prinzipien der Register, die Erweiterung des Stimmumfangs, Legatosingen und Musikalität. Bauer beschreibt einen „Zwei-Register“-Zugang zur Gesangstechnik („schwer“ und „leicht“), in dem sie beschreibt, dass die Übergänge bei Frauen im unteren Bereich des Stimmumfangs, bei Männern im oberen Bereich erscheinen. Techniken, durch diese Übergänge zu kommen und beide Register zu verbinden, werden für Männer und Frauen separat beschrieben.

Interessanterweise führt Bauer das Staccato-Singen als eine der letzten Techniken ein (nach dem Legato), ein Vorgehen, das von anderen pädagogischen Methoden abweicht.

Trotz des mit Worten oft schwer zu beschreibenden Themas ist Das Wesentliche schönen Singens in einer direkten, klaren Sprache geschrieben. Das Lese-Niveau entspricht dem von jüngeren Studenten und Schülern. Die Terminologie des Buches entspricht dem der jüngsten Stimmforschung, während Bauer umsichtig ihre Gründe für eigene Begriffe erklärt. (Stimm“themen“ statt Stimm“probleme“).

Das Buch bietet eine knappe aber verständliche Einführung in das Internationale Phonetische Alphabet, und die Vokalübungen können sowohl in der Stimmbildung als auch in der Chorarbeit direkt eingesetzt werden.

Während es für Gesangslehrer hilfreich ist und vielleicht als Lektüre für Gesangschüler empfohlen werden kann, ist Das Wesentliche schönen Singens keinesfalls ein Pädagogik-Lehrbuch, da es Themen wie anatomische Modelle des Kehlkopfs, Stimmeinteilungen, Terminologie des IPA, fortgeschrittene Vokalpädagogik und Stimm-Literatur ausklammert. Seine effektiven zielführenden Übungen und klaren Beschreibungen, wie man gängige Stimmfehler korrigieren kann, machen es dennoch zu einem handlichen Begleiter für alle, die mit Sängern jeden Alters arbeiten.

 

Als früheres Mitglied des St. Louis Kinderchores ist Tobin Sparfeld durch die ganze Welt gereist, von Vancouver, British Columbia, im Westen bis Moskau, Russland im Osten. Tobin hat bei Seraphic Fire und im Santa Fe Wüsten-Chor gesungen. er arbeitete mit Chören aller Altersgruppen, war Assistent beim Miami Kinderchor und Vize-Direktor des St. Louis Kinderchores. Er lehrte am Principia College, war Chordirektor an der Millersville Universität in Pennsylvania und war Dirigierassistent beim Civic Chorale of Greater Miami. Tobin erlangte sein DMA in Dirigieren an der Universität von Miami in Coral Gables und studierte bei Jo-Michael Scheibe und Joshua Habermann. Er hat darüber hinaus ein künstlerisches Lehrerdiplom des CME Instituts von Doreen Rao. Er ist derzeit Chef der Musikabteilung des Los Angeles Mission College, einem Teil des Los Angeles Community College Districtes. E-Mail: tobin.sparfeld@gmail.com

 

Übersetzt aus dem Englischen von Brigitte Riskowski, Deutschland