Der Internationale Stasys Šimkus-Chorwettbewerb in Litauen
Von Vytautas Miškinis, Dirigent, Komponist und Präsident des litauischen Chorverbunds
Stasys Simkus, der litauische Komponist, Dirigent, Musik-Publizist, Folklorist, Lehrer und Macher und Impulsgeber der Musikervereinigung Litauen, steht in engem Zusammenhang mit dem kulturellen Leben in Klaipėda, der größten Hafenstadt Litauens. 1923,nachdem das Gebiet Preußisch Litauen wieder an das litauische Staatsgebiet zurückgegeben worden war, hat Šimkus dort ein Konservatorium gegründet, das über die Jahre viele erfolgreiche Berufsmusiker hervorbrachte. Auch ein Symphonieorchester hat er aufgebaut, das zahlreiche Konzerte mit klassischem Repertoire darbot. Die größte Errungenschaft des Komponisten ist jedoch eine Kollektion an harmonisierten und popularisierten Volksliedern, die er mit seiner eigenen Musik weiterentwickelt, neu erschaffen oder ergänzt hat. Šimkus’ Schaffungen für die Chormusik und seine sagenhafte Chorleitung gelten heutzutage als Richtlinie für spirituelle und musikalische Selbstdarstellung in Litauen.
Einige Kunstakteure, die sich in Klaipėda unter Federführung von Vytautas Blūšius zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben, entwickelten die Idee, zu Ehren Stasys Simkus’ einen internationalen Chorwettbewerb ins Leben zu rufen. Das Produkt dieser Idee ist der heutige Internationale Stasys Šimkus-Chorwettbewerb, der den besonderen Verdiensten des Komponisten in der Musikkultur gewidmet ist und Choraktivitäten und die Entwicklung von Chorkultur auf der ganzen Welt fördern soll.
Die ersten vier Veranstaltungen fanden jährlich statt, bevor man 1979 beschloss, den Wettbewerb alle zwei Jahre abzuhalten.
Der allererste Wettbewerb fand 1976 statt. 14 Chöre unterschiedlichster Konstellationen (Männer-, Frauen- und Gemischte Chöre) aus ganz Litauen nahmen an dem Event teil. Der zweite Internationale Stasys Šimkus-Chorwettbewerb galt dem 90. Ehrentag des Komponisten im Jahr 1977. Damals reisten bereits 20 verschiedene Chöre zur Veranstaltung an. Beim dritten Wettbewerb im Jahr 1978 nahmen 31 Chöre teil.
Der Juryvorsitz wurde abwechselnd von Klemensas Griauzdė, Antanas Jozėnas, Lionginas Abarius, Uno Jarvela und Venno Laul übernommen.
Gegen Ende 1988 wurde Aukuras, der Chorverband von Klaipėda, gegründet, der sich fortan auch um die Organisation sowie etwaige andere Belange des Internationalen Stasys Šimkus-Chorwettbewerbs kümmerte. Der erste Vorsitzende dieses Verbands war Robertas Varnas.
Der erste ausländische Chor nahm beim achten Wettbewerb im Jahr 1989 teil. Unter den 16 Chören befand sich ein gemischter Jugendchor aus Tallinn in Estland. Diesem Chor verliehen die Preisrichter eine besondere Auszeichnung.
Der neunte Wettbewerb fand im Oktober 1992 mit insgesamt 16 verschiedenen Chören statt, darunter ausländische Chöre aus Lettland, Estland und Schweden.
1995 wurde dann der zehnte Internationale Stasys Šimkus-Chorwettbewerb veranstaltet. Hier wurden zum ersten Mal der Kleine (in der Kategorie der Jugendchöre) und der Große (in der Kategorie der Erwachsenen-Chöre) Bernstein-Pokal von der Stadtverwaltung Klaipėdas an die Gewinnerchöre verliehen.
Die Gewinner beider Kategorien waren zum einen der Kammerchor der Vytautas-Magnus-Kirche in Kaunas (Chorleitung: Rolandas Daugėla) und zum anderen der Aukuras Chorverband von Klaipėda (Chorleitung: Vladimiras Konstantinovas und Alfonsas Vildžiūnas). Vorsitzender Präsident der Jury war Venno Laul aus Estland.
Beim zwölften Internationalen Stasys Šimkus-Chorwettbewerb im Oktober 1999 nahmen insgesamt 19 Chöre aus Deutschland, Polen, Lettland, Estland und Litauen teil. Die Jury wurde gebildet aus Venno Laul (Vorsitzender, Estland), Jan Lukaszewski (Polen), Edgars Račevskis (Lettland), Vytautas Miškinis und Robertas Varnas (beide Litauen).
In der zweiten Runde gewann der deutsche Männerchor Cantabile Limburg unter Leitung des großartigen Dirigenten Jürgen Fassbender den Großen Bernstein- Preis und damit den Hauptgewinn.
Noch während der Vorbereitungsphase auf den 13. Wettbewerb gab es einen Wechsel in der Wettbewerbsleitung. Robertas Varnas, ein Mitgründer und der langjährige Leiter des Aukuras Chorverbands von Klaipėda, trat von seiner Position als Vorsitzender des Wettbewerbsausschusses zurück; Algis Zaboras übernahm die Pflichten an seiner Stelle. Der 13. Wettbewerb fand im Oktober 2001 statt, und auch wenn es nicht viele teilnehmende Chöre in diesem Jahr gab, so kamen sie doch aus aller Welt. Zum ersten Mal waren Chöre aus Slowenien und Rumänien vertreten. Auch Lettland und Litauen waren wieder dabei. Diese Veranstaltung wurde von drei Preisrichtern angeführt: dem Vorsitzenden Vaclovas Augustinas (Litauen), Algis Zaboras (Litauen) und Edgars Račevskis (Lettland).
Der Frauenchor des Eduardas-Balsys-Kunstgymnasiums Klaipėda gewann unter Leitung von Zita Kariniauskienė den Großen Bernstein-Preis.
2003 war das Jahr des 14. Internationalen Stasys Šimkus-Chorwettbewerbs. 18 Chöre aus Litauen, Lettland, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Finnland, Estland, Bulgarien, Slowenien und Polen nahmen teil. Den Kleinen Bernstein-Preis trug der Mädchenchor Emilis Melngailis aus Liepāja unter Leitung von Andris Kontauts (Lettland) davon. Der Große Bernstein-Preis hingegen wurde an den Frauenkammerchor J. B. Foerster unter Leitung von Lukaš Vasilek (Tschechische Republik) verliehen.
Kurz vor dem 15. Wettbewerb im Jahr 2005 entschied sich Professor Algis Zaboras, Litauen zu verlassen und von der Leitung des Aukuras Chorverbands von Klaipėda zurückzutreten. Der frühere Vorsitzende Robertas Varnas übernahm zeitweise wieder diese Position und führte alle Vorbereitungen auf den Wettbewerb erfolgreich durch. Die Jury bestand in diesem Jahr aus fünf Preisrichtern: Janis Lindbergs (Vorsitzender, Lettland), Vaclovas Augustinas, Arūnas Pečiulis (Österreich), Jury Rent (Estland) und Alfonsas Vildžiūnas (Litauen).
Der Kleine Bernstein-Preis ging an den Kinderchor Perpetuum Mobile vom Juozas-Gruodis-Konservatorium in Kaunas unter Leitung von Beata Kijauskienė (Litauen).
Der Große Bernstein-Preis hingegen wurde an den Männerkammerchor Revalia unter Leitung von Hirvo Surva (Estland) verliehen.
Nach Beendigung des 15. Internationalen Stasys Šimkus-Chorwettbewerbs gab es einen weiteren Wechsel in der Leitung des Aukuras Chorverbands von Klaipėda: Robertas Varnas trat von seiner kurzzeitigen Position als Verbandsleiter zurück. 2006 wurde Algirdas Šumskis zum leitenden Vorsitzenden des Chorverbands gewählt. Auch ihm oblag die Organisationspflicht des Internationalen Chorwettbewerbs, der er gut und gerne nachkam.
So wurde der 16. Wettbewerb 2007 organisiert. Chöre aus Lettland, Litauen, Estland, Polen, Weißrussland, Ghana, der Ukraine, Ungarn und Dänemark waren dieses Mal vertreten. Ehrenwerte Künstler des Chorgesangs waren eingeladen, als Preisrichter zu urteilen. Jean Claude Wilkens aus Belgien, Generalsekretär der IFCM, agierte als Vorsitzender der Jury. Weitere Mitglieder waren Vytautas Miškinis, Hirvo Surva (Estland), Maris Sirmais (Lettland) und Robertas Varnas.
Der Kleine Bernstein-Preis ging an den Mädchenchor Via Stella aus Vecumnieki unter Leitung von Liene Batna und Česlav Batna (beide Lettland).
Der Große Bernstein-Preis ging an die Vokalgruppe Anima Sola vom Kulturzentrum in Ogre unter Leitung von Marite Pūrina (Lettland).
2009 – Jahr des 17. Chorwettbewerbs. Gruppen aus Lettland, Russland, Schweden und Litauen trafen in Klaipėda ein. Die Jury bestand aus fünf Mitgliedern: Gustav Adolf Rabus (Vorsitzender, Deutschland), Hirvo Surva, Vytautas Miškinis, Romans Vanags (Lettland) und Alfonsas Vildžiūnas.
Der Kleine Bernstein-Preis wurde an den Kinderchor der Vydūnas Mittelschule in Klaipėda unter Leitung von Arvydas Girdzijauskas (Litauen) verliehen.
Den Großen Bernstein-Preis trug das Vokalensemble Balsai unter Leitung von Egidijus Kaveckas (Litauen) heim.
2011 fand nun der 18. Internationale Wettbewerb statt. 14 Chöre aus Litauen, Lettland und Estland gaben ihre Gesangskünste zum Besten. Professor Gabor Hollerung, einer der früheren Künstlerischen Leiter vonr Interkultur (Stiftung für internationale Musikwettbewerbe), saß der Jury in diesem Jahr vor. Die Preisrichter waren Ene Uleoja (Estland), Aira Birzina (Lettland), Vytautas Miškinis und Zita Kariniauskienė (Litauen).
Der Große Bernstein-Preis sowie ein Preisgeld von 1.500 Euro wurde an den gemischten Chor Juventus der Universität von Lettland unter Leitung von Janis Petrovskis verliehen. Ein Kleiner Bernstein-Preis wurde 2011 nicht vergeben.
Der jüngste Internationale Stasys Šimkus-Chorwettbewerb schließlich fand vom 22. bis 24. November 2013 in der litauischen Hafenstadt Klaipėda statt. Die Jury bestand aus dem Vorsitzenden Ralf Eisenbeiß, Künstlerischer Leiter der Weltchorspiele Interkultur in Deutschland, sowie ferner Andrea Angelini (Italien), Aira Birzina (Lettland), Vytautas Miškinis und Tomas Ambrozaitis (Litauen).
Weniger litauische Chöre als erwartet meldeten sich zu dieser Veranstaltung an (nur 11 an der Zahl), vermutlich da die Finalrunde des Nationalen Chorwettbewerbs in Vilnius am Ende desselben Monats ausgetragen wurde.
Ein Kleiner Bernstein-Preis wurde auch 2013 nicht verliehen.
Der Große Bernstein-Preis sowie ein Preisgeld von 1.500 Euro wurde beim 19. Chorwettbewerb an den Jugendchor Intis aus Liepāja unter Leitung von Ilze Valce (Lettland) verliehen.
Auch der Sonderpreis von der litauischen Chorunion für die beste Programmdarbietung ging an den Jugendchor Intis. Der Sonderpreis vom litauischen Volkskultur-Zentrum für die beste Darbietung einer Komposition eines nationalen Komponisten ging an den gemischten Chor Laiks aus Liepāja unter Leitung von Ilze Balode (Lettland).
Der Sonderpreis des Aukuras Chorverbands von Klaipėda für die beste Darbietung des Pflichtwerkes Jerusalem Surge von Vaclovas Augustinas wurde dem gemischten Chor Bel Canto des Lehrerhauses Vilnius verliehen, unter Leitung von Artūras Dambrauskas (Litauen). Bel Canto gewann ebenso den Sonderpreis der Stadtverwaltung Klaipėdas für die beste Darbietung einer modernen Komposition.
Vytautas Miškinis (geboren 1954) ist Künstlerischer Leiter des Knaben- und Männerchors Ąžuoliukas, Professor für Chorleitung an der litauischen Musikakademie sowie Präsident des litauischen Chorverbunds. Seine musikalische Karriere begann er bereits im jungen Alter von sieben Jahren als Chorsänger und vertiefte diese später als Künstlerischer Leiter ab dem 25. Lebensjahr. Ihm wurden in der Chormusik zahlreiche prestigeträchtige Auszeichnungen bei nationalen sowie internationalen Wettbewerben zuteil. Derzeit hat er die Position der Künstlerischen Leitung und des Chefdirigenten beim litauischen Chor-Festival inne. Miškinis hat Chordarbietungen geleitet, Seminare zu den Themen Musikerziehung und Chorleitung gehalten und diese an universitären Einrichtungen gelehrt, er war Preisrichter bei internationalen Chor- und Chorkompositionswettbewerben und hat darüber hinaus zahlreiche Workshops in vielen Ländern weltweit veranstaltet. Ihm verdankt die Musikgeschichte ca. 800 Kompositionen für die Chormusik, die in Litauen nicht weniger gerne als in anderen Teilen der Welt von Chören aufgeführt werden. Viele seiner Kompositionen wurden unter anderem in Frankreich, Deutschland, Slowenien, Italien, Spanien, Japan, Lettland und den USA veröffentlicht und aufgezeichnet. E-Mail-Adresse: vmiskinismaestro@gmail.com
Übüersetzt aus dem Englischen von Magdalena Lohmeier, England