Das Studium der Chorleitung in aller Welt: Afrika, Südafrika

Rudolf de Beer, Lehrer und Dirigent, Präsidiumsmitglied der IFCM
Übersetzt aus dem Englischen von Lore Auerbach, Deutschland

 

Musik, Tanz und Gesang (einzeln und in Gruppen) waren immer, wie in allen uralten Kulturen, Teil des Alltagslebens in Afrika. Seit der Kolonialisierung änderte sich die Gesangstradition, und eine strukturiertere Art des Gruppensingens, der Chorgesang, wurde zum wesentlichen Teil der kulturellen Aktivitäten auf dem Kontinent. Die wichtige Rolle, die die Kirche dabei spielte, sieht man an den vielen Kirchenchören, die heute noch bestehen. Die Grundlagen, die von den Missionaren bei den christianisierten Afrikanern durch das Lehren europäischer Choräle gelegt wurden, waren der Beginn des vierstimmigen Singens von nicht-europäischen Gruppen. Dies kann als die erste ‚Ausbildung‘ im Chorsingen in der Region betrachtet werden.

In Südafrika entwickelte sich diese Tradition zu einer Vermählung afrikanischer und europäischer Kulturen, bei der jede fest auf ihren eigenen Beinen stand und zugleich Aspekte der anderen Kultur integrierte. Nach englischer Tradition wurden Wettbewerbe zum wesentlichen Teil des chorischen Lebens in Südafrika. In viele wurde später Chorleiterausbildung aufgenommen.

Eine Anzahl von Bildungseinrichtungen, von Schulen über Lehrerausbildungsinstituten bis zur Universitätsebene, waren auch Sitz einiger der besten Chöre des Landes. Das führte wiederum zur Einrichtung von Kursen zur Chorerziehung an einigen dieser Institutionen, wenn auch bei den meisten früher Afrikaans sprechenden Universitäten überwiegend als Teil des allgemeinen Musikstudiums. Leiter dieser Chöre gingen nach Europa, um Chorleitung zu studieren, zum Beispiel Philip MacLahan, der Dozent und Dirigent an der Universität Stellenbosch war und Deutschland besuchte, um bei Kurt Thomas zu lernen.

Die Englisch sprechenden Universitäten folgten in ihren Musikkursen dem Vorbild des Vereinigten Königreichs, was für Südafrika die Übernahme der Royal Schools und das abgestufte System der Trinity-Examen für die meisten Instrumente und die Musiktheorie einschloss.

Die Afrikaans sprechende Gemeinschaft richtete ihre eigenes, ebenso beliebtes Prüfungssystem unter der Universität von Südafrika (UNISA) ein. Alle diese abgestuften Prüfungssysteme schlossen später Examen für Chöre und Dirigenten ein, allerdings ohne den Kandidaten eine Ausbildung in Dirigiertechniken anzubieten. Wie in anderen Disziplinen mussten diese Dirigenten private Lehrer finden.

Dossier_02_Studying_Choral_Conducting_SouthAfrica_picture_1
Philip McLachlan and his wife Helen Radloff (1944)

Sowohl europäische als auch afrikanische Chöre organisierten Treffen für Chöre oder Dirigenten. Die afrikanischen Chöre jedoch konzentrierten sich auf Wettbewerbe, während die europäischen Gruppen sich auf Symposien und Workshops konzentrierten, wie die regelmäßigen nationalen Versammlungen des Südafrikanischen Chorverbandes. Die Kirche spielte allerdings immer noch eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Chortradition und die Ausbildung von Chormusikern. Anglikanische Kirchenmusiker wurden in der englischen Tradition ausgebildet, die eine Chorleiterausbildung einschloss. Diese Tradition ist in Südafrika immer noch sehr wichtig.

Bereits vor den ersten demokratischen Wahlen für alle Menschen in Südafrika reisten viele Chöre und Dirigenten ins Ausland, auf Konzertreisen oder um an Wettbewerben teilzunehmen. Diese Dirigenten trugen sich auch bei vielen Festivals und Symposien für Kurse, Workshops und Meisterklassen ein. Der Bedarf an formaler Ausbildung für Dirigenten wurde immer größer. Einer der Gründe war, dass der Durchschnittschor sich nicht mit anderen Chören, zum Beispiel in Europa, messen konnte, wo eine Ausbildung für Chormusiker schon viel verbreiteter war.

Aber erst 1994 fand eine wesentliche Verlagerung der Schwerpunkte in der Ausbildung von Dirigenten statt, als Universitäten begannen, ihre Curricula zu erweitern, um zukünftige Chorleiter umfassender auszubilden. Nach dem Politikwechsel in Südafrika war der erste skandinavische Chor, der Südafrika nach einem langen Kulturboykott besuchte, die Schola Cantorum von der Universität Oslo. Seine Leiterin, Kåre Hanken, die zugleich Generalsekretärin des Norwegischen Chorverbandes war, überzeugte diese Organisation von der Notwendigkeit, die neue Demokratie durch die Gründung einer nationalen Chororganisation für alle Menschen in Südafrika und durch die Ausbildung von Chorleitern zu unterstützen. Die norwegische Regierung förderte diese Bemühungen finanziell und stellte weitere Mittel bereit, um in Südafrika Kurse auf Hochschulniveau einzurichten. Diese Gelder wurden verwendet, um Kurse an der Nelson Mandela Metropolitan University einzurichten, und Hanken war die erste Dozentin dieser Kurse. Andere Universitäten begannen ihre eigenen Kurse einzurichten – die Universitäten von Pretoria, Kwazulu Natal, Bloemfontein und Stellenbosch sind hierfür Beispiele.

Die informellen Kurse, die mit Wettbewerben und Festivals verbunden sind, entwickelten sich auch, um Dirigenten in unterschiedlichen Bereichen auszubilden, die von Partituranalyse über Vorbereitung und Interpretation bis zu Dirigier- und Gesangstechniken reichten. Einige dieser Festivals sind das National Choir Festival, gesponsort von Old Mutual [eine Versicherung, Anm. d. Übers.] und die Animato Choir Competition of the ATKV (Afrikaans Language and Cultural Association). Diese Kurse konzentrieren sich jedoch auf die Pflichtwerke dieser Wettbewerbe oder Festivals und nicht auf allgemeine Chorleitungstechnik.

Heute ist es möglich, Chorleitung als Teil von Zertifikats- oder Diplomkursen oder an vielen höheren Ausbildungsstätten des Landes als Teil formaler universitärer Programme zu studieren. Es ist an der Universität von Stellenbosch sogar möglich, Chorleitung anstelle eines Instrumentes als künstlerisches Hauptfach zu wählen.

Nicht alle Kurse beinhalten eine umfassende Ausbildung für Dirigenten, und Interessenten müssen die korrekten Informationen finden, zum Beispiel in den Prospekten der Universitäten. Das Spektrum dessen, was in Modulen der Chorleitung unterrichtet wird, schließt Gehörbildung, Gesangstechnik und Ensemblesingen, Partiturspiel, schulpraktisches Klavierspiel, Kirchenmusik, Dirigiergestik, die Geschichte und Didaktik der Chorerziehung, Musikgeschichte und Theorie ein. Einige Universitäten bieten nur einige dieser Aspekte, andere bilden die Studenten intensiv in allen diesen Disziplinen aus, um sie zu umfassend gebildeten Musikern und Chorleitern zu entwickeln.

 

Rudolf de Beer, Kantor in den Kirchen von Steinkjer und Egge (Norwegen), ist Dirigent des Steinkjer Kammerchors, Gospelchors, Männerchors, Kirchen-Kinderchors und des Trønder Chors. Als gebürtiger Südafrikaner dirigierte er früher unter anderem den Potchefstroom Kammerchor, den Nordwest Kinderchor, den Drakensberg Knabenchor, den Landesjugendchor von Südafrika, den Excelda Nationalen Kammerchor (ein Projekt der Jeunesses Musicales von Südafrika), den Mecer City of Tygerberg Chor und das Stellenbosch Männervokalensemble. Ehe er nach Norwegen zog war er Dozent für Chorleitung, Dekan der Musikerziehung und künstlerischer Leiter der Schola Cantorum an der Musikfakultät der Universität Stellenbosch in Südafrika. Er studierte an der Potchefstroom University, während er seinen Master in Chorleitung und Musikwissenschaft/Musikerziehung an der Universität Oslo erwarb. Er schloss seine Promotion in den gleichen Fächern durch ein „joint venture“ zwischen der Nelson Mandela Metropolitan University in Port Elizabeth und der norwegischen staatlichen Musikakademie in Oslo ab. Außerdem veröffentlichte er wissenschaftliche Artikel und komponierte Musik für Chöre, von der einiges von Hal Leonard (USA), Norsk Musikforlag und Cambridge University Press (UK) veröffentlicht wurde. E-Mail: rdbifcm@gmail.com