Der Chor: Werkzeug von sozialer Inklusion in Aserbaidschan

Der Chor: Werkzeug von sozialer Inklusion in Aserbaidschan

Von Leyla Muradzade, Dirigentin und Sängerin

Die Enstehung und der Ausbau einer Chorkultur in Aserbaidschan haben eine lange Entwicklung hinter sich. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist diese Form künstlerischen Ausdrucks Aserbaidschan nicht eigen. Ich möchte anmerken, dass Uzeyir Hajibeyov, ein bedeutender aserbaidschanischer Komponist, Publizist und Pädagoge, der einen unschätzbaren und vielfältigen Beitrag zur Entwicklung der Berufsmusik in Aserbaidschan geleistet hat, die Voraussetzungen für Chorkunst schuf, was die Intergration bzw. die Übernahme von Aspekten der europäischen Kultur und gleichzeitige Bereicherung durch landeseigene Traditionen ermöglicht hat.

Die Geschichte dieses Genres in Aserbaidschan stammt aus dem Jahr 1908, als “Leyli and Majnun”, die erste im Nahen Osten veröffentliche Oper, von dem genialen Hajibeyov komponiert wurde. Der Komponist hat damit Voraussetzungen für zukünftige Leistungen in der aserbaidschanischen Chormusik geschaffen, indem er zwei wichtige Traditionen in der Oper zusammenführte: östliche Monotonie mit europäischer Polyphonie.

Nun möchte ich die Leserinnen und Leser über das Projekt namens “Yüksəl, ey Azərbaycan” (Erhebe dich, Aserbaidschan) informieren, das ich Anfang 2019 initiiert habe. Zunächst möchte ich anmerken, dass diese Sozialinitiative im Mai dieses Jahres abgeschlossen werden wird, zu welchem Zeitpunkt auch ein Choralbum herausgegeben werden soll, an dem ca. 250 Kinder und Jugendliche beteiligt waren. Ziel des Projekts war es, Chormusik für Kinder und Jugendliche zu fördern, um damit auch deren gemeinschaftliche Gesangskunst zu entwickeln und zu verfeinern. Der Chor stellt die perfekte Verkörperung einer Idealogie von Solidarität und Gleichheit dar. Es ist zudem noch anzumerken, dass die Teilnahme von Kindern mit körperlichen Behinderungen am Projekt deren Aktivität signifikant gesteigert und auch wesentlich dazu beigetragen hat, deren musikalisches Potenzial zu entdecken. Diese jungen Menschen waren immer mit großer Begeiterung bei den Proben. Alle Kinder litten an einer Sehbehinderung unterschiedlicher Ausprägung, manche waren sogar zu 100% sehbehindert. Aus dem Grund musste ich mit den Kindern sowohl einzeln als auch in der Gruppe arbeiten, um die Projektziele zu erreichen. Die Auswahl eines angemessenen Repertoires sowie ein vorhandener Sinn für Klang und Rhythmus bei den Teilnehmern waren im Verlauf von großer Bedeutung. Obwohl ich auf mehrjährige Erfahrung mit Kinderchorarbeit zurückblicken kann, konnte ich hier zum ersten Mal erste Erfahrungen mit sehbehinderten Kindern sammeln, von denen viele keine musikalischen Vorkenntnisse hatten. Natürlich wusste ich schon vorher, dass es schwierig sein würde, ein Gesangsensemble zu erreichen. Deshalb beschloss ich, mit jedem einzelnen an der Stimmbildung zu arbeiten, organisierte Stimmbildungskurse. Im Weiteren arbeiteten wir in Kleingruppen von 2-3 Kindern. Als Letztes brachte ich dann als Solistin einen Chor von 15 Kindern zusammen, der das Lied “Odlar Yurdu” (“Feuerland”) aufnehmen konnte. Vor diesem Prozeß benutzte ich die Namensruf-Methode, um die Verbindungen zwischen den einzelnen Gruppen zu kappen. Das heißt, wir übten das ununterbrochene Lesen desselben Satzes zwischen den Kleingruppen. In Aserbaidschan ist ein ähnliches Projekt mit Blindenschrift in Planung. Musiklehrer werden damit anfangen, das Lehrbuch von G.A. Smirnov, “Notes on the Braille System” (GA Smirnov, “The Post Office”) zu verwenden. Das Lehrbuch ist für sehbehinderte Kinder entwickelt, die ihrerseits andere sehbehinderte Kinder in Musik unterrichten.

In der Weiterentwicklung dieses Projekts habe ich vor, neue Intiativen zu starten, um Chormusik und Gesang zu fördern, v.a. für Kinder und Jugendliche ohne musikalische Vorbildung. Da soziale Verantwortung ein wichtiger Aspekt meiner Anschauung ist, liegt mir viel daran, die aktive Teilnahme von benachteiligten oder ausgegrenzten Gruppen der Gesellschaft zu erreichen, die besondere Bedürfnisse haben und somit auch Unterstützung brauchen.

Leyla Muradzade, geboren 30.4.91 in Baku. Abschluss der musikalischen Sekundarschule und Aufnahme an der Baku Musical Academy (nach Uzeir Hajibayli benannt) 2008 mit Hauptfach Chorleitung. Sie hat 2014 einen Master-Abschluss in der Geschichte und Theorie der Chorleitung erworben; danach folgte 2015 ihre Promotion am Azerbaijan National Conservatory. 2008 erhielt sie den Preis “Special Stipend of the President of Azerbaijan” als “besonders junges und begabtes” Mitglied des “Children’s Chapell Choir” nach der Teilnahme am Konzert “Goodwill angels of Azerbaijan” bei der UNESCO in Paris. Ihre berufliche Karriere begann dann 2012 im “Azerbaijan State Choir” als Chormitglied. Gleichzeitig begann sie als Kinderchorleiterin der “State Children’s Philharmony”. E-mail: mouradzadeah@gmail.com

Übersetzt aus dem Englischen von J.Aaron Baudhuin, Deutschland