Größere Wertschätzung, klare Aufgabenverteilung, mehr Fortbildungen
Alexandra Jachim, Autorin eines aktuellen Leitfadens zum Thema, über Grundlagen für erfolgreiches Chormanagement
Vielen fehlt das Handwerkszeug
Von Daniel Schalz, Redakteur von Chorzeit Das Vokalmagazin
Frau Jachim, was sind die wichtigsten Eigenschaften, die eine Chormanagerin beziehungsweise ein Chormanager mitbringen sollte?
Zunächst einmal sollte er oder sie selbst in einem Chor singen oder gesungen haben. Denn einerseits sollte man die besonderen gruppendynamischen Prozesse kennen, die in einem Chor ablaufen. Vor allem aber muss man wissen, was es bedeutet, musikalisch zu arbeiten. Das gilt im Grunde für jede Art von Kulturmanagement: Grundsätzlich muss man kaufmännisch denken, aber auch großes Verständnis für die Besonderheiten künstlerischer Arbeit aufbringen – zumal diese beiden Seiten oft als Widerspruch empfunden werden. Um diese also erfolgsversprechend zusammenzubringen, muss man sehr einfühlsam mit den beteiligten Personen und Gruppen umgehen – vom Chorleiter über die einzelnen Stimmgruppen und Solisten oder weitere beteiligte Künstler bis zu Außenstehenden wie Sponsoren, Pressevertretern und so weiter.
Gerade der Chorleiter respektive die Chorleiterin ist dabei oft der härteste Verhandlungspartner, wenn es um Budgeteinsatz oder personelle Kapazitäten geht …
Das stimmt. Deshalb ist es wichtig, dass der Chormanager oder die Chormanagerin nach Möglichkeit auf Augenhöhe mit der künstlerischen Leitung arbeitet. Leider sind viele – auch große und renommierte – Kulturbetriebe immer noch sehr hierarchisch strukturiert, und die künstlerische Leitung ist dabei in der Regel höher angesiedelt als der organisatorische und wirtschaftlich verantwortliche Managementbereich. Dabei sind beide Bereiche gleich wichtig – der eine kann ohne den anderen überhaupt nicht arbeiten! Was nützen die tollsten künstlerischen Ideen, wenn sich diese nicht umsetzen lassen, weil keine Sponsorengelder eingetrieben wurden oder weder Publikum noch Presse zum Konzert kommen, weil keine vernünftige Öffentlichkeitsarbeit gemacht worden ist?! Und umgekehrt braucht der Chormanager das Produkt, also die gute künstlerische Leistung, um seine Aufgaben umsetzen zu können.
Dennoch sollte bei der Chorarbeit aber doch die Musik im Mittelpunkt stehen.
Selbstverständlich. Ich würde drei Zieldimensionen definieren, von denen die Erfüllung des Kulturauftrages, also das Musizieren an sich, sicherlich die erste ist. Zwei weitere Aspekte aber sind für eine langfristig erfolgreiche Chorarbeit ebenso wichtig, und die werden vernachlässigt oder gänzlich außer Acht gelassen: Nämlich bestimmte Zielgruppen – vom Publikum über Chorsängernachwuchs bis zu öffentlichen und privaten Sponsoren – zu erreichen und außerdem den Bestand zu sichern – auch dies bezieht sich neben dem wirtschaftlichen Bestand wieder sowohl auf Sängerinnen und Sänger als auch das Publikum oder anderweitig am Chor interessierte Menschen oder Personengruppen.
Vielen Chören und gerade deren Chorleitern ist das allerdings viel zu wirtschaftlich gedacht – schließlich ist es in der Regel nicht ihre Motivation, Geld zu verdienen.
Diese skeptische Grundeinstellung gegenüber Begriffen wie «Zielgruppen» oder «Markt» beobachte ich auch, gerade in der Laienchorszene. Dabei ist die von mir genannte Herangehensweise nur auf den ersten Blick rein wirtschaftlich. In Wirklichkeit wirken nämlich auch die beiden nicht-künstlerischen Dimensionen der Chorarbeit viel tiefer: Schließlich funktioniert auch das gemeinsame Singen nur so lange, wie man genügend Sängerinnen und Sänger hat – man muss also aktiv um neue Chormitglieder werben. Und wer schon da ist, bleibt wiederum länger dabei, je wohler er sich fühlt. Wie gerne jemand im Chor singt, hängt eben nicht nur vom Chorleiter oder dem Repertoire ab, sondern maßgeblich auch von Faktoren wie Atmosphäre in der Gruppe, Konzerterfolge, öffentliche Wahrnehmung und so weiter. Verschiedene Umfragen und Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass das Wohlbefinden von Chormitgliedern sogar mehr von diesen Dingen als von der musikalischen Arbeit abhängt. Deshalb sollte man zum Beispiel auch die Bedeutung des einzelnen Chormitgliedes für die Gruppe nicht nur nach seinen sängerischen, sondern auch seinen sozialen Kompetenzen beurteilen. So sind Sängerinnen und Sänger, die sich aktiv um Neuzugänge kümmern, ihnen die «Spielregeln» erklären, sie in die Gruppe einführen, für die Stimmung im Chor unglaublich wichtig. Und wenn man sich wohl fühlt und glücklich ist, singt man auch motivierter – und besser! Um diese vermeintlichen Kleinigkeiten kann sich der Chorleiter jedoch meist nur unzureichend kümmern, weil er dazu keine Zeit hat – und das in der Regel in seiner Ausbildung auch nicht gelernt hat.
Womit Sie die Ausbildungs- beziehungsweise Fortbildungsmöglichkeiten für diesen Bereich ansprechen: Halten Sie das Angebot im deutschsprachigen Raum für ausreichend?
Hier gibt es sicherlich großen Nachholbedarf. Wie gesagt, kommen etwa organisatorische, wirtschaftliche Aspekte und Fragen der Führung in der Ausbildung von Chorleitern viel zu kurz. In der Praxis ist es dann so, dass sie – entgegen ihrer Erwartungshaltung – nach einigen Monaten in ihren ersten Jobs merken, dass sich drei Viertel ihrer Arbeit um die nicht-musikalischen Probleme drehen. Hier wäre es eine große Hilfe für sie, wenn diese Aufgaben andere Chormitglieder übernehmen würden, aber vielen Chören fehlt hierfür einfach das nötige Handwerkszeug. Denn gerade für den Laienbereich gibt es viel zu wenige Fortbildungsmöglichkeiten, bei denen sich motivierte Sängerinnen und Sänger entsprechend fit machen können.
Was ist Ihrer Ansicht nach der Grund, dass das Weiterbildungsangebot nicht größer ist?
Mir scheint, als hinken die Kultur und insbesondere die Chorszene da gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen hinterher. So hat sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen längst das Bewusstsein durchgesetzt, dass Fragen über Führungsstruktur und -stil, Kommunikation nach innen und außen oder Entscheidungsprozesse eben keine sogenannten «soft skills» sind, sondern elementare Bedeutung für die Zusammenarbeit von Menschen haben. Sogar die extrem hierarchisch aufgebaute katholische Kirche etwa beschäftigt sich mittlerweile intensiv mit solchen Fragen. Nur in der Kultur wird oft immer noch von wenigen Menschen von oben bestimmt, wo es lang gehen soll. In den Chören ist das eben oft der Chorleiter, der fast sämtliche Entscheidungen alleine trifft. Dieses Modell wird auf Dauer scheitern. Natürlich wird auch in einem Chor der künstlerische Leiter bestimmte Dinge immer selbst und eigenmächtig entscheiden – es kann nicht über jede musikalische Frage demokratisch abgestimmt werden. Aber es geht um eine Grundhaltung: Bin ich bereit, gewisse Entscheidungskompetenzen an die Gruppe oder auch Einzelne abzugeben, weil diese dafür möglicherweise mehr Zeit haben oder auch einfach besser qualifiziert sind?
Stichwort Qualifikation: Gerade im Laienbereich übernehmen die organisatorischen Aufgaben in der Regel Ehrenamtliche, die keine entsprechende Ausbildung dafür haben.
Richtig, das ist definitiv die gängige Realität – wie in der überwiegenden Mehrheit von Non-Profit-Organisationen. Abgesehen vom mangelnden konkreten, also handwerklichen Wissen – zum Beispiel für die Öffentlichkeitsarbeit oder das Fundraising –, ist es vor allem schwierig, dass die Leute meist keine ausgebildeten Führungskräfte sind, die Aufgabe des Chormanagers aber eine Führungsaufgabe ist. Und sie ist multifunktional: Ein Chormanager ist Chorsprecher, Budgetverwalter und -gestalter, Vermittler, Konzertagent, Öffentlichkeitsarbeiter, Fundraiser und noch vieles mehr auf einmal.
Ganz schön viel Verantwortung für eine einzelne Person!
Genau, deshalb empfehle ich Chören zwei grundlegende erste Schritte, wenn sie diesen Bereich angehen wollen. Als allererstes sollte man ganz klar definieren, wofür man als Chor steht und welche Ziele man erreichen möchte: Welche Musik wollen wir singen? Wie wollen wir in der Öffentlichkeit auftreten? Was ist möglicherweise unser Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Chören? Dafür muss man sich als Gruppe richtig Zeit nehmen, zum Beispiel in einer zweitägigen Klausur übers Wochenende. Im zweiten Schritt werden dann, abgeleitet aus den Zielen, ganz klare Aufgaben definiert, die wiederum an einzelne Chormitglieder aufgrund ihrer Kompetenzen verteilt werden. In vielen Chören fehlen gerade diese konkreten Aufgabenstellungen. So könnte man zum Beispiel jüngere Chormitglieder mit der Einrichtung einer Facebook-Seite betrauen. Sehr wichtig ist dabei aber, dass die Gruppe konkrete Erwartungen an die Verantwortlichen formuliert, damit diese für sich entscheiden können, ob sie das überhaupt leisten können.
„Es ist absolut notwendig, dass man auch im Ehrenamt Qualität bei der Arbeit verlangt.“
Gerade im ehrenamtlichen Bereich werden Menschen oft mit Aufgaben überfrachtet, die sie weder von ihrer Qualifikation her noch zeitlich schaffen können. Das führt zu Frust auf allen Seiten. Ein klassisches Beispiel sind Internetseiten von Chören: Oft werden mit der erstmaligen Einrichtung Leute beauftragt, weil sie vielleicht gut programmieren können. Danach haben sie aber keine Zeit, aktuelle Termine oder Konzertberichte einzupflegen, so dass die Seite mehr oder weniger brachliegt – weil vorher nicht klar darüber gesprochen wurde, wie das in Zukunft gemacht werden soll. Das gilt übrigens insbesondere für das Verhältnis von Chorleiter und zum Beispiel dem Chorvorstand – gerade die Schlüsselpositionen sollten klare Absprachen miteinander haben, welche Aufgaben von wem übernommen werden.
Allerdings ist der Chor ja oft froh darüber, dass sich überhaupt jemand meldet, der sich kümmert.
Und genau das ist das Problem! Es ist eine Milchmädchenrechnung, sich einfach damit zu begnügen, dass es zum Glück irgendjemand macht. Es ist nicht nur zulässig, sondern geradezu notwendig, dass man auch im Ehrenamt Qualität bei der Arbeit verlangt. Langfristig zahlt es sich für alle Beteiligten aus, wenn bei der Suche nach den geeigneten Leuten für bestimmte Jobs etwas mehr Zeit und Sorgfalt investiert wird. Man unterschätzt nämlich leicht, wie viel durch falsche Besetzungen im organisatorischen Bereich kaputt gemacht werden kann: Wenn an der Abendkasse jemand sitzt, der mit Stress nicht umgehen kann, und dann etwa unfreundlich zu Besuchern ist, deren reservierte Karten nicht bereitliegen, wird sich das direkt auf die Stimmung im Saal auswirken: Und der Chor fragt sich dann, warum das Publikum so schlecht drauf ist, obwohl er doch ganz toll singt. Generell vergessen Chöre oft, wie wichtig der Rahmen eines Konzertes ist, damit sich das Publikum wohlfühlt: Wie sieht der Raum aus? Unterstützt ein Lichtkonzept die inhaltliche Umsetzung? Welche Unterstützung erhält das Publikum, um einen leichteren Zugang zu den aufgeführten Werken zu finden? Wird das Konzert moderiert? Kann man die übliche Bühnensituation aufbrechen, etwa indem sich die Sängerinnen und Sänger im Raum verteilen? Wie wird die Konzertpause gestaltet? Die meisten Menschen gehen nicht mehr nur wegen der Musik ins Konzert, sondern weil sie sich ein emotionales Gesamterlebnis erhoffen. Die Qualität des Produkts Konzert muss stimmen – aber die Servicequalität rundherum auch! Das sollte ein Chor bedenken. Der Chorleiter kann sich um diese ganzen Dinge unmöglich kümmern – aber der oder mehrere Chormanager.