What A Wonderful World! Corona Children’s Chorus Camp 2010

 

Von Sanna Valvanne, Dirigentin und musikalische Direktorin des Corona Children’s Chorus Camp

 

Fast einhundert Kinder singen vor mir – mit leuchtenden Gesichtern, strahlenden Augen und ganz und gar bei der Sache. Die Menschen haben sich vor dem Queens Museum of Art am Corona Park in New York versammelt, um sich die allererste Aufführung eines Corona Children’s Chorus Camp anzuhören. Vor nur 2 Wochen, als das Camp begann, hatten die meisten dieser Kinder niemals vorher in einem Chor gesungen, manche hatten noch niemals gesungen. Für sehr viele von ihnen ist dies das erste Konzert und der erste Auftritt auf einer Bühne überhaupt. Der Himmel ist leuchtend blau und die Sonne scheint, gerade wie in dem Lied “What a Wonderful World“, das die Kinder aus vollem Herzen singen.

Das Konzert und das Camp waren wie ein Wunder und ein wahr gewordener Traum. Erst vor einem halben Jahr machte ich den Plan für dieses Camp. Mein Freund, Alvaro Rodas, bat mich, das Chorprojekt meiner Träume für Kinder und Jugendliche in Corona ins Leben  zu rufen. Dies war der erste Schritt seines von El Sistema inspirierten Jugendmusik Projekts in New York. Ich hatte keinerlei Einschränkungen, da ohnehin alles von Grund auf neu aufgebaut werden musste. Es war inspirierend, die Freiheit zu haben, die bestmögliche Auswahl für Kinder zu treffen, die normalerweise nicht das Glück haben, die erhebende und das Leben ändernde Macht des Musikmachens zu erleben.

Corona ist ein lebhaftes, dicht bewohntes und zu 80% hispanisches Viertel in Queens, New York. Fast die Hälfte der Erwachsenen dort haben keinen Schulabschluss und rund 20% leben unterhalb der Armutsgrenze. Große kommunale Musikprogramme für die Jugend existieren nicht. Alvaros Ziel war es, durch die Gründung von Musikerziehungsprogrammen mit Jugendchören und Orchestern nicht nur das Leben der Kinder, sondern das des gesamten Viertels zu verändern und zu verbessern. Seine Idee stammte vom Venezuelan Youth Orchestra Movement, bekannt als El Sistema, geleitet von Dr. José Abreu, das über 35 Jahre in Venezuela und anderen lateinamerikanischen Staaten erfolgreich war. Ursprünglich Profi-Schlagzeuger und Kulturmanager aus Guatemala, war Alvaro unter den ersten 10 Teilnehmern, die am New England Conservatory in Boston von der Abreau Gesellschaft ausgebildet wurden.

Ich war sehr vertraut mit der phänomenalen Venezuelan Youth Orchestra and Choir Bewegung, und fühlte mich glücklich und geehrt, durch dieses Camp ein Teil davon zu sein. Ich kannte die Venezuelan Choral Masters Alberto Grau und Maria Guinand gut, und hatte Dr. Abreu und Gustavo Dudamel durch Erkki Pohjola kennen gelernt . Ich hatte auch Workshops in Venezuela durchgeführt. Angeregt von den Venezolanern, hatten wir mit Kari Ala-Pöllänen in Guatemala eine Kinder- und Jugendchorbewegung initiiert. Ich war Zeuge der Macht, die das Singen wirklich hat, der Macht, Leben zu ändern und soziale Verbesserungen herbeizuführen. Die Mission war, das jetzt in Corona zu tun.

Mein Plan war, idealerweise ca. 100 Kinder im Alter von 9-15 Jahren zu haben und zwei Wochen mit ihnen zu üben – mit genügend Pausen zum Spielen und  Essen. Außerdem sollte ein Wochenende  dabei sein und auch einige Aktivitäten, die gar nichts mit Singen zu tun haben. Meine Ziele für das Camp waren dieselben, um die es auch in meiner kreativen und ganzheitlichen Methode “Musik machen mit Körper und Seele“ geht:

  1. Liebe und Enthusiasmus für Musik und Singen bei den Kindern zu wecken, indem ich meine mit ihnen teile.
  2. Sie in Lieder verschiedener Kulturen und Stile mit Hilfe von Bewegung, Vorstellungskraft, Dramatik, Kreativität und Spaßübungen einzuführen.
  3. Ihnen zu zeigen, was sie alles mit ihren Stimmen machen können und wie viel Spaß es macht, mit der Stimme zu singen und zu spielen.
  4. Sie frei und offen zu machen, so dass sie frei und fröhlich mit der Stimme und ihrem ganzen Wesen sich selbst und der Musik Ausdruck verleihen können.
  5. Zu strahlen wie die Sterne und die Freude am Singen und an der Musik machen mit allen in einem Abschlusskonzert zu teilen.

Alvaro arbeitete wirklich hart, um das Unmögliche möglich zu machen. Das erste erfolgreiche Corona Children’s Camp fand vom 9.-21. August 2010 in Corona, Queens, New York statt. Alles, was ich geplant hatte geschah, und noch viel mehr. Ungefähr 100 Kinder von 6-16 Jahren blieben während des gesamten Camps. Wir hatten gleich viele Jungen und Mädchen. In diesen 10 Tagen passierten Wunder. Zuerst waren viele Teilnehmer sehr unsicher, schüchtern und nervös, und ich konnte ihre Stimme kaum hören. Aber Tag für Tag, Augenblick für Augenblick öffneten sich diese wunderbaren jungen Menschen weiter und gaben der Musik und dem Singen mehr und mehr von ihrer Aufmerksamkeit, ihren Stimmen, ihrem ganzen Wesen. Sie lernten 12 Lieder in 13 verschiedenen Sprachen der ganzen Welt mit unterschiedlichen Stilen, Klängen, Bewegungen, Harmonien, Solos, in a-capella und einige mit unterschiedlichen Instrumenten. Sie lernten alles auswendig und das nur durch  Zuhören.

In einer so kurzen Zeit wurden diese  Kinder strahlende Künstler und mutige Solisten, die nicht nur im Abschlusskonzert vor Publikum sangen. Da das Projekt eine unglaubliche Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog,  sang der Chor schließlich live in einer Fernsehshow, vor dem New Yorker Bürgermeister bei einer improvisierten Performance auf der Strasse und für zahlreiche Zeitungs- und Radioreporter.

Die Sänger wurden zu einer wahren Gemeinschaft, einem richtigen Chor, zu einer Stimme. Sie lernten, entwickelten sich, übten und arbeiteten so hart mitten in der Sommerhitze ohne Klimaanlage und Stühle. Sie hatten vorher keine Ahnung, was ein Chor ist, wie er sich anhört, wie eine Probe ist, wie man sich in einer Vorstellung verhält, was musikalische Ausdrücke bedeuten, was die Stimme halten oder nicht halten heißt, oder von Dynamik, lautlos atmen, Musik und Stimme fließen lassen, usw… Alles musste von Grund auf gelehrt und gezeigt werden. All meine Erfahrung, Methode, Techniken, Tricks, Vorstellung, Kreativität, Geduld und Vertrauen wurden einem praktischen Test unterzogen. Und sie haben gelernt!! Obwohl ich wusste, dass Kinder zu allem fähig sind, hat es mich doch fast umgehauen, was hier alles möglich war.

Ohne das fantastische Team von acht Musiklehrern wäre das nicht möglich gewesen. Sie sangen im Chor mit, erhielten eine Ausbildung von mir, halfen und leiteten die Koordination des Camps, kümmerten sich um die Kinder und sorgten für einen reibungslosen Ablauf. Sie ermöglichten es, dass ich mich um jeden einzelnen Sänger kümmern konnte. Ich glaube, dass diese Kinder sich im Chor so engagiert haben ist teilweise auch darauf zurückzuführen, dass ich mich entschied, sie einzeln anzuhören und Stimmunterricht zu geben. Jedem nur wenige Minuten, aber es wirkte wie ein Zauber. Die meisten von ihnen hatten bisher keine Vorstellung davon, wie gut sie sich anhörten, und dass sie tatsächlich singen konnten.

Indem ich mir die Zeit nahm, mit jedem Einzelnen zu sprechen, fand ich heraus, wie wichtig es ist, ihnen zu erklären, dass jede Stimme wichtig war, jeder einzelne war gleich wichtig für den Chor und dass wir sie alle bräuchten, um ein Chor zu sein. Genau wie ein  Fußballteam. Genau wie im Leben. Und nicht aufgeben. Dass man hart arbeiten musste, um richtig gut in etwas zu werden,  auch wenn es gerade mal keinen Spaß machte. Es würde es wert sein und reich belohnen. Sie mussten all das hören und auch, dass sie alles hatten, um großartig zu werden. Und sie wurden so großartig! Beim Abschlusskonzert dachten sie an alles, was ich ihnen beigebracht hatte, und sie gaben ihr Allerbestes. Ohne jegliche vorherige Erfahrung und trotz aller Herausforderungen, die ein Open Air Konzert selbst für geübte Künstler mit sich bringt, sangen sie besser als je zuvor! Ich hatte sogar 24 Solisten aus dem Chor, die im Konzert furchtlos alleine in ein Mikrofon sangen – und fantastisch klangen.

Nach dem Konzert sprach mir eine Mutter ihre Dankbarkeit dafür aus, dass die Kinder diese Chance bekamen, in einem liebevollen Umfeld ihre Herzen öffnen und mit ihren Gefühlen in Kontakt kommen zu können. Dank des heilenden Effekts des Camps, sagte sie, war ihre Tochter zum ersten Mal in der Lage gewesen, zu weinen und damit dem Schmerz über die Scheidung der Eltern Ausdruck zu verleihen. Alle Eltern wollten, dass der Chor weiter besteht. Er sollte es, und der Rest von Alvaros Musikprojekt sollte auch wahr werden. Genau wie in Finnland und Venezuela, wo hochqualifizierte Musikerziehungsprogramme ohne Rücksicht auf wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Status allen zugänglich gemacht wurden, wird nichts diese Kinder in den USA oder wo auch immer davon abhalten, diese Möglichkeiten zu erhalten. Ich bin bewegt und ewig dankbar für die Großzügigkeit von Freddie und Myrna Gershon, die fast das gesamte Geld für das Camp spendeten. Sie machten es völlig kostenlos für die Kids, gaben uns Hoffnung für die Zukunft und zeigten uns, dass es möglich ist!

Die Wirkungen des Camps haben uns alle verändert. Mayra, ein kleines Mädchen aus dem Camp, gab mir eine hübsche Zeichnung, die sie gemacht hatte. Sie hatte ein Bild von uns, dem Camp und unserem Mottolied “What A Wonderful World“ entworfen. Da flossen Herzen, Blumen, ein Regenbogen, Sonnenschein und Bäume aus einem braunen Backsteinbau, genau wie das Louis Armstrong Recreation Center/ELMCOR, wo wir probten. Es ließ mich die wichtigste Lektion dieses Camps erkennen: Die Umstände müssen nicht perfekt sein, aber wir können mit unserer Musik eine wunderbare Welt erschaffen, lieben und spielen. Wir haben diese Macht. Musik hat diese Macht. Und das ist es, was wir im Corona Children’s Chorus Camp getan haben. Wir haben eine wundervolle Welt in uns und um uns erschaffen. Die Kinder, ihre strahlenden Gesichter, ihre reinen Herzen und ihrem unschuldigem Geist, die  klaren Stimmen, die Lieder, das Spielen und das gemeinsame Musizieren erzeugen so viel Freude, Liebe und Schönheit, indem sie das Wunder in Allem zum Vorschein bringen. In der Tat: WHAT A WONDERFUL WORLD!

 

sanna-valvanneSanna Valvanne ist eine innovative Dirigentin aus Finnland. Sie ist weltweit anerkannt für ihre kreative und ganzheitliche Methode mit Chören zu arbeiten: “Making Music with Body and Soul“. ,   Sie kombiniert sprachlichen Ausdruck mit Bewegung und Dramatik. Sie ist ehemalige Sängerin, Assistentin und Sprachtrainerin des weltbekannten Tapiola Choir und hat ihren Master in Musik an der Sibelius Akademie gemacht. Sanna lebt in den USA und ist eine bekannte Workshopleiterin, Gastdirigentin und Künstlerin mit Chören rund um die Welt. Email: info@sannavalvanne.com.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Anne Stahl, Deutschland