Arbeiten an einem Rätsel: Ein Gespräch mit John Duggan
Cara Tasher, Chorleiterin und Lehrerin
Ich hatte die Musik von John Duggan das erste Mal beim ACDA 2011 gehört, als dem Denverer Ensemble Kantorei eine umwerfende Aufführung von „Futility“ gelang, einer Szene aus dem Gedicht von Wilfried Owen. Ich war so bewegt vom Stück, dass ich es zu den UNF Chamber Singers brachte und wir es viele Male in Florida und auf unserer Tournee im Mai in Südafrika aufführten. Die Rückmeldung des Publikums auf diese Aufführungen war derart, dass ich mich gezwungen sah, John offiziell als „neue“ Stimme der Chormusik der IFCM-Gemeinschaft bekanntzumachen. Es folgen Auszüge aus unserem Gespräch per Email.
Cara Tasher: Ihre Fähigkeit, in die Tiefe zu gehen – sowohl textlich als auch musikalisch -, legt nahe, dass Sie eine starke persönliche Beziehung zum Thema Tod haben. Können Sie etwas mehr darüber erzählen?
John Duggan: Ich bin mir nicht ganz sicher, was eine „starke persönliche Beziehung“ zum Tod genau bedeutet, aber ich mache mir jeden Tag Gedanken darüber. Die Musik ist in der Lage, tiefe Gefühle und Geheimnisse auf eine besondere Art zu bejahen. Sie bietet zwar keine Antworten, aber ähnlich wie Lyrik ist sie eine Sprache, in der wir für unsere Trauer Freude, für unseren Glauben und unsere Zweifel Bestätigung finden. Ich fühle mich zu solchen Texten, die diese Themen behandeln, hingezogen. Ich fing an, Chormusik zu komponieren, kurz nachdem meine Mutter gestorben war. Ihr Tod machte mir klar, wie wenig Zeit wir im Leben haben.
CT: Auf der Grundlage der Aufführung von Futility waren meine Sänger neugierig darauf, welcher Teil des Gedichts Sie bewegte, ihn zu vertonen.
JD: Ich hatte schon immer eines von Owens Gedichten vertonen wollen, als sich 2007 die Gelegenheit anbot, für die Commotio disc Night zu schreiben. Owen bringt dieses Gefühl des Nicht-Verstehen-Könnens in der Begegnung mit dem Tod auf den Punkt. Die Lautmalerei (‘gently’, ‘whispering’), das Geschick und die Kunstfertigkeit von unreinen Reimen (once/France, tall/toil) gekoppelt mit der rauen, emotionalen Wucht der letzten Zeilen, die schnell von Fassungslosigkeit zu Verzweiflung wechseln, haben mich inspiriert. Die erste Strophe war relativ einfach zu vertonen. Ich fand, dass die Anfangsphrase des Tenors die lyrische Stimmung gut einfängt, die zwischen dem Tenor, dem Cello und dem Refrain herrscht. Aber die zweite Strophe machte mir Schwierigkeiten: Ich hatte zwar Ideen, wusste aber nicht, wie ich sie miteinander verbinden sollte. Ich hatte kurze Zeit zuvor Richaforts Requiem in memoriam Josquin des Prez aufgeführt. Richafort benutzt zwei Phrasen von Josquins Musik als cantus firmi. Ich nahm einen kurzen Teil davon, in dem Josquin mit „c’est douleur non pareil” (es ist Schmerz ohnegleichen) zitiert wird, und integrierte ihn in die letzten Zeilen von Futility. Dann wusste ich wieder nicht weiter. Der Teil von Richafort ging nahtlos über in die letzten beiden Zeilen meines Stückes – ich fand nur keinen Übergang in ihn hinein. In einem Brief an seine Mutter kurz vor ihrem Tod beschreibt Owen einen Angriff auf eine feindliche Stellung: „Ich verlor meine irdischen Kräfte und kämpfte wie ein Engel.“
Ich hörte im Kopf den Satz „fallen angel“ aus einem Song von Robbie Robertson – er passte.
CT In Ihrem Werk ist etwas Mystisches und Exotisches, was sich manchmal durch eine fehlende Terz im Akkord, das Mischen von Tongeschlechtern, die Verwendung von Quintparallelen und Choral usw. ausdrückt. Sie verbinden das Getragene der Werke Duruflés, die Kargheit Pärts mit der Wärme von Whitacre, ohne dabei die Meister zu vergessen. Da mag ich aber ganz daneben liegen. Bitte beschreiben Sie Ihre Vorgehensweise beim Komponieren.
JD Wie ich schreibe, variiert stark. Wenn es um Chormusik geht, dann fange ich häufig mit dem Text an. Vielleicht bewegen mich bestimmte Phrasen oder Zeilen; dann baue ich Tonskizzen auf, indem ich Stimmen mit dem Computer aufnehme. In diesem Stadium denke ich noch gar nicht so sehr an die Struktur, als dass ich mich vielmehr auf das Emotionale oder auf die musikalische Antwort auf den Text fokussiere. Diese Ideen werden improvisiert und auf einander geschichtet, was oft zu unerwarteten Ergebnissen führen kann. Ich übertrage manche dieser Skizzen dann in eine Partitur, die es mir ermöglicht, mir über Struktur, Stimmgebung und Farbe Gedanken zu machen. Ich bewege mich so von der albernen Improvisation in Richtung einer formellen Architektur. Ich benutze auch ein Keyboard, was dem Ganzen eine senkrechtere Sicht ermöglicht. Der Komponist Francis Pott sagt, dass die Spannung und Auflösung zwischen dem Waagerechten und dem Senkrechten ein Eckpfeiler der Komposition sei. Ich finde die Idee von John Cage anregend, dass Komposition eine Erkundung der Beziehung zwischen Tönen sei – besonders treffend für meine elektronischen Kompositionen. Die Technik ermöglicht so viel; sie ist also gleichzeitig ein Segen und eine Falle.
CT Wer hat Sie musikalisch beeinflusst? Haben sie Lieblingskomponisten?
JD Fast alles, was ich höre, beeinflusst mich. Entweder es interessiert mich oder es stößt mich ab oder beides. Als Knabe sang ich unheimlich gern Gregorianische Choräle, und ich orientiere mich an deren schlichter Ausführung und rhythmischer Raffiniertheit auch heute noch. Damals war Victoria meine Heldin. Die Tenebrae Responsorien sind besonders emotionsgeladen. Als Teenager spielte ich in vielen Orchestern und war besonders angetan von Tschaikowskys letzten drei Symphonien, Schostakowitschs 5. und Strawinskys Ballettsuiten.
Arvo Pärts Musik hat einen großen Einfluss. Als ich eines seiner Stücke das erste Mal hörte, hat das in mir den Wunsch geweckt, selber zu komponieren. Ihm scheint es gelungen zu sein, alt und neu mit einander zu verbinden. Das erlaubte es mir und gab mir auch die Zuversicht, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich bin ein Riesenfan von Peter Gabriel und den Talking Heads, aber auch von Klassik-Pop-Crossovern wie Murcof und Jon Hassell. Auch die Nordeuropäer machen großartige Musik. Christian Wallumrød ist ein Favorit wie auch Arve Henriksen. Wenn Sie eine noch detailliertere Antwort haben möchten, dann müsste ich meine eigene Radiosendung haben!
CT Gibt es eine Erfahrung mit Musik, die Ihnen als besonders magisch in Erinnerung geblieben ist?
JD Oje, das ist schwierig; ich habe das Glück gehabt, so viele zu machen. Als Knabe Tallis‘ O Sacrum Convivium in der Westminster-Kathedrale aufzuführen; im Stoneleigh-Youth-Orchestra Fagott in Schostakowitschs 5. zu spielen; eine Aufführung der irischen Band Moving Hearts bei einem Festival in Wales zu sehen.
CT Verspüren Sie eine umfassendere Verantwortung für die Zukunft der Chormusik, wenn Sie komponieren?
JD Eigentlich nicht, aber ich sehe mich als Teil einer laufenden Tradition, zu der ich hoffentlich etwas Wertvolles beitrage. Als ich 2011 beim ACDA in Chicago war, hat mich die Begeisterung in den USA für Chormusik umgehauen. Die Traditionen sind ganz anders, aber genauso fesselnd wie die in Großbritannien. Die Gelegenheit, hieraus zu lernen, ist einer der Gründe, warum mein Beruf als Komponist so aufregend ist.
CT Was ist die Quelle Ihrer besten musikalischen Ideen?
JD Die Komposition ist wie das Arbeiten an einem Rätsel. Der größte Fortschritt ist das Produkt harter Arbeit – die 99% Schweiß, von denen Edison immer sprach. Die Inspiration kommt oft unverhofft, wenn ich nicht bewusst an meine Arbeit denke. Solche Momente sind wie Geschenke, wie Besuche von einer Muse. Oft geht es um ein Zusammenkommen scheinbar unüberbrückbarer oder entgegengesetzter Ideen. Manchmal bediene ich mich auch Ideen anderer Komponisten und integriere sie in meine Arbeit. Neulich vertonte ich ein Stück von Ivor Gurney und baute das meiste davon auf einer Komposition von Purcell auf. Als ich dann die Unterlage von Purcell wegnahm, stellte ich erfreulicherweise fest, dass meine Musik auf eigenen Beinen stehen konnte. Spaß ist auch ein wichtiger Faktor dabei – die Kompositionen anderer zu zitieren und dann zu schauen, ob es jemandem auffällt.
CT Wie viele Kompositionsaufträge nehmen Sie jährlich an? Was sind ideale Auftragsbedingungen? Was wäre Ihr Traumauftrag bzw. was steht bei Ihnen als nächstes auf dem Wunschzettel?
JD Ich komponiere etwa ein Dutzend Stücke pro Jahr, die Hälfte davon sind Auftragsarbeiten. Den Rest mache ich, weil ich Spaß daran habe oder einen Drang verspüre, es zu tun. Im Moment arbeite ich an zwei neuen Stücken. Eines ist eine Vertonung für Schlagwerk und Chor des Gedichts von Wilfred Owen Dulce et Decorum est. Das andere ist ein Weihnachtslied für Choros, einen örtlichen Chor.
Neulich übernahm ich einen Posten als Creative Arts Fellow am Wolfson College in Oxford. Das College fördert unglaublich, was Geisteswissenschaften angeht, und hat ein fantastisches Klaviertrio, The Fournier Trio, sozusagen als Artists-in-Residence. Ich komponiere ein Stück für sie, was mein erster Ausflug in die Kammermusik ist. Ich werde auch an so einer Art Klanglandschaft arbeiten mit Hilfe von Samples aus dem College-Alltag. Ich möchte, dass Kollegiumsmitglieder mit Hilfe von Sprache, Gesang, Instrumenten oder was sonst noch zur Verfügung steht, einen Beitrag zu einer „Bestandstonaufnahme” des Ortes und seiner Einwohner leisten! In den letzten Jahren habe ich viele Stücke für Tänzer komponiert und habe darüber hinaus einige Ideen für eine Zusammenarbeit mit Crossover, einer intergenerationellen Gruppe mit unheimlich talentierten Tänzern.
Nächstes Jahr werde an einem wichtigen neuen Werk für meinen Chor Sospiri arbeiten. Der Chor hat neue Musik von zehn Komponisten auf der Grundlage von Texten aus dem zweiten Weltkrieg in Auftrag gegeben; diese wird im kommenden Sommer aufgenommen und zum hundertjährigen Jubiläum des Kriegsausbruchs 1914 herausgegeben.
Zu Regina Coeli
JD Das habe ich im Frühjahr 2010 geschrieben. Sospiri hatte kurz davor den Choralgesang Regina Coeli aufgenommen, eine wunderschöne und schlichte marianische Antiphon, die in der Osterzeit gesungen wird. Ich hatte mich entschlossen, eine polyphone Version zu schreiben, die die zeitlose Schönheit dieser Antiphon einfängt. Ich habe es in einer einzigen Sitzung niedergeschrieben. Dabei benutzte ich eine Art Call-and-Response-Struktur, die die Antiphon wiederholt. Ich hatte die Vorstellung, dass es in der Westminster-Kathedrale aufgeführt werden könnte, die eine wunderbare und dankbare Akustik hat. Daher wählte ich dieses dynamische Auf und Ab und die Pausen zwischen den Phrasen.
John Duggan war Chormitglied in der Westminster-Kathedrale und studierte Musik am Keble College in Oxford. Er arbeitet als professioneller Musiker und Tontechniker und leitet – zusammen mit dem Tenor Christopher Watson – seinen eigenen Chor Sospiri. Vor zehn Jahren hatte er den Ehrgeiz, selber Chormusik zu komponieren, und verwirklichte dadurch einen Kindheitstraum. Sein Werk wird von Novello und Shorter House herausgegeben. Zur Zeit arbeitet er als Creative Arts Fellow am Wolfson College in Oxford. Email: john@sparkspublishing.com
Besuchen Sie auch:
http://soundcloud.com/john-duggan/regina-coeli-duggan
http://soundcloud.com/john-duggan/futility
Aufgrund ihrer Erfahrungen in Ensembles wie dem Glen Ellyn Children’s Chorus, dem Chicago Symphony Chorus, dem Atlanta Symphony Chorus, dem Trinity Choir at Wall Street, Conspirare, und Experiment in International Living, ist Dr. Cara Tasher, Leiterin chorischer Aktivitäten an der University of North Florida (Jacksonville), darum bemüht, ihren Sängern Begeisterung für hervorragende Leistungen und eine Wertschätzung anderer Kulturen zu vermitteln. Vor kurzem hat sie als Chorleiterin der Opera de Bellas Artes in Mexico City gearbeitet. Tasher hat Meisterwerke für Berufschöre vorbereitet und mit zahlreichen High School und Gemeinde-Ensembles gearbeitet. Als associate conductor des Young People’s Chorus von New York City hat sie zwei Ensembles sowie jährliche Workshops ins Leben gerufen, die immer noch gedeihen. In den vergangenen fünf Jahren hat sie als künstlerische Direktorin/Chorleiterin des Vocalizze Festivals in Portugal auf hohem Niveau weitergearbeitet und war in den USA als Gastdirigentin, Workshopleiterin und Preisrichterin tätig. Cara hat an der University of Cincinnati College-Conservatory of Music, der University of Texas in Austin, der Sorbonne und der Northwestern University studiert und ist gegenwärtig Mitglied des Florida Board of the American Choral Director’s Association.
Email: cara.tasher@unf.edu
Übersetzt von J.Aaron Baudhuin, M.D.,BA, Germany
Edited by Aaron Kircher, USA