XVIII Europa Cantat Festival, Turin (Italien) 2012
Giorgio Morandi, Journalist, Sänger und Mitglied der IFCM
Vom 27. Juli bis 5. August fand, nach drei Jahren harter Arbeit eines großen Teams bei FENIARCO/ECA (des Italienischen Nationalverbands Regionaler Chorverbände und die Europäische Chorföderation) das herausragende Chorfestival ‘Europa Cantat’ in der prächtigen Stadt Turin in Italien statt. Es nahmen Gruppen und Solo-Künstler aus 42 Ländern auf vier Kontinenten teil. Die abschließenden Pressemitteilung der European Choral Association-Europa Cantat enthält Zahlen, die eine Vorstellung von der Größe dieses Festivals vermitteln.
‘Wenn der Vorhang des Festivals fällt, erscheinen einige aufsehenerregende Zahlen. In den 10 Tagen des Festivals haben Turin und das Piemont über 4000 Teilnehmer (Sänger, Chorleiter und Komponisten) willkommen geheißen. Und wir müssen die beeindruckende Zahl von 871 Gastkünstlern hinzufügen, Vokalgruppen, Instrumentalisten und Tänzer. Wir müssen auch an die 131 Workshop-Leiter und die 322 Ehrenamtlichen (eine unglaubliche wertvolle Ressource), 150 Mitglieder des internationalen Organisationsteams, 25 junge aufstrebende Eventmanager und dreizehn professionelle Tontechniker denken. Die 111 geplanten Konzerte wurden mit großer Begeisterung angenommen, wie den online-Buchungsportalen und den Schlangen an den Abendkassen anzusehen war. Jeden Abend waren die Plätze in den zahlreichen Konzerten ausverkauft. Allabendlich waren allein auf der Piazza San Carlo zwischen 2500 und 3000 Zuhörer versammelt. Die Zahl der Teilnehmer bei den verschiedenen Musikworkshop-Angeboten war ebenso beeindruckend: 41 Workshops unterschiedlicher Länge und 47 “Schnupper-Workshops” von ein oder zwei Tagen hatten begeisterte Teilnehmer. Das Music Expo Projekt für Musikverleger präsentierte 25 nationale und internationale Herausgeber. Über 50 offiziell akkreditierte Journalisten aus aller Welt besuchten das Festival. Neben all dem bisher Genannten waren noch viele andere auf verschiedenen Ebenen in das Festival involviert, das 125 Chöre, 25 Gastkünstlergruppen, zehn nationale bzw. regionale Jugendchöre und eine große Zahl Einzelteilnehmer, Amateure und Zuhörer aller Altersgruppen und Nationen umfasste‘.
Man muss sagen, dass das Event ein großer Erfolg war – noch größer, als die Organisatoren sich das hatten vorstellen können. Und, unglaublich aber wahr – die Regengötter trugen stark zum Erfolg bei! Nur um dabei zu sein, warteten sie bis zum letzten Tag (welch ein Timing, und was für ein Sturm!) und erschienen dann zwei Stunden vor Beginn der Schlusszeremonie.
Glücklicherweise halfen die vielen Arkaden dieser herrlichen Stadt, dass der Regen weder die Turinreise so vieler ruinierte, noch die große Aufgabe gefährdete, die von Organisatoren und Helfern so erfolgreich vorbereitet wurde. Dieses triennale europäische Chorevent hat bereits achtzehn Mal stattgefunden, doch nun zum ersten Mal in Italien. Die Veranstaltung ist – und wird es lange bleiben – ein Indikator für die internationale Vitalität der Chormusik und für die enormen Entwicklungen der Italienischen Chormusik und der Chorverbände in Italien während der letzten 15 Jahre.
Diese wurden nicht nur durch die organisatorischen Fähigkeiten der Italiener, sondern vor allem durch die große Zahl italienischer Chöre und Sänger (etwa 30% der Teilnehmer) und die hohe Qualität ihrer Aufführungen bewiesen. Ebenso darf man feststellen, dass die Mehrzahl der Teilnehmer des Europa Cantat Festivals junge Leute waren, was erklärt, warum das Event beim Jugendprojekt Torino Città Giovane der Stadt Turin gelistet war. Dieses wurde mit dem Ziel organisiert, eine Reihe von Veranstaltungen zu schaffen, die das städtische Engagement für die Jugend über die letzten Jahre sichtbar macht. Die Atmosphäre, sicherlich musikalischer als bei jedem anderen größeren Event, für das die Menschen in Turin in den letzten drei Jahren Gastgeber waren, war nicht die einzige außergewöhnliche Sache. Selbst die Farbe der Stadt wechselte: Magenta, die offizielle Farbe des Festivals, war die dominante Farbe für zehn Tage, überall sichtbar auf Tausenden von Plakaten, Flyern, Roll-Ups und Bannern und auf den T-Shirts der ehrenamtlichen Helfer.
Vieles verdankte das Festival der immensen, unermüdlichen Arbeit der Mitarbeiter und Ehrenamtlichen, die von Sante Fornasier, Präsident von Feniarco und der European Choral Association – Europa Cantat, verständig geschult, unterstützt und geleitet wurden. Nach dem Festival schrieb ein Chorleiter:
“… Ich durfte die Study Tour für Chorleiter und die Abschlusspräsentation des Workshops zu Monteverdis Chormusik besuchen, sowie Workshops und Konzerte, die in der ganzen Stadt gesungen wurden… das ist eine erfreuliche und wichtige Erfahrung für Chorleiter und Sänger, die es wert ist, im Gedächtnis zu bleiben, auch wenn sie im Ausland stattfindet.”
Dieses Zwischenstatement führt zu einer Vorstellung – aus Platzmangel natürlich kurz gehalten – einiger Hauptveranstaltungen und der wichtigsten Aspekte des Turin-Festivals.
Kann man hunderte Kulturen in einem einzigen Chor vereinen? Sicher, und dies wurde durch eine der beliebtesten täglichen Aktivitäten des Festivals bewiesen. In den Herzen der Teilnehmer, aber auch der Bevölkerung Turins wird das Offene Singen als Event im Event sicher als magischer Moment geschätzt und erinnert werden. Jeden Abend trafen sich auf der Piazza San Carlo Tausende Menschen unter der präzisen und freundlichen Leitung von Michael Gohl, mit Unterstützung des Accademia Feniarco Chores und berühmter Gastdirigenten. In dieser zauberhaften Umgebung sangen Tausende Menschen Hunderte von Liedern aus einem Repertoire von Klassik über Tradition bis zur Moderne, das aus verschiedenen Ländern zusammengestellt war. Um die Wichtigkeit des Ereignisses zu unterstreichen, bekam jeder Teilnehmer das nützliche und attraktive Songbook, das sowohl als Führer durch die gesungene Musik als auch als Erinnerung an das Festival geschätzt wird.
Es gab derart viele Workshops, dass es unmöglich ist, alle hier aufzuzählen. Aber einer muss unbedingt Erwähnung finden: Der Titel „Chor – Liebe auf den ersten Blick“ hat wirklich ein packendes Programm angeregt. Das Wort „Liebe“ im Titel ist äußerst bedeutsam: es spielt auf die Liebe zur Musik an, aber diese ist eng an unsere Zuneigung zu unserer Familie und unsere Geliebten geknüpft. Auffallend war, dass dieser Workshop besonders beliebt war bei Ehefrauen, Ehegatten und Verwandten von Chorsängern, die bereits Mitglieder eines Chores sind. Alle diese Menschen wollten den Grund ihrer Angehörigen für deren Liebe zur Chormusik herausfinden. Der Workshop gab ihnen die Genugtuung, einmal ihren eigenen Stimmen zuzuhören und sich daran zu erfreuen. Er stellte heraus, wie der Körper, beginnend mit der richtigen Atmung und Haltung, eine wichtige Rolle beim Singen spielt. Rhythmus, Intonation und Grundlagen des Notenlesens waren andere Aspekte, die von den Teilnehmern mit großem Enthusiasmus und Freude aufgenommen wurden. Der Erfolg dieses Workshops ist durch Rilke, einen Teilnehmer und meinem Übersetzerkollegen im Redaktionsteam des täglichen Magazins ReadyTONews belegt.
Dieses Blatt hat ebenfalls Erwähnung verdient, aber ich belasse es dabei zu sagen, dass es die beste Tageszeitung eines Chorevents war, die Sie je gesehen haben (nehmen sie ein interessiertes und unparteiisches Redaktionsmitglied beim Wort).
Das Turin Festival, wie auch bereits die vorherigen, zeigte, dass in der Chorwelt Monteverdi, Vivaldi, Bach und Händel Stars sind, die niemals aus der Mode kommen. Obwohl es anders scheint, zieht klassische Musik nach wie vor die meisten Zuhörer an. Das bewies die große Zahl derjenigen, die trotz ausverkaufter Konzerte an der Tür der San Filippo Kirche standen, um wenigstens stehend ein tolles Konzert mitzuerleben.
Trotzdem soll dieses Interesse an klassischer Musik nichts an dem für jene Musik wegnehmen, die für das Volk (populäre oder Popmusik) geschrieben wurde, oder aus dem Volk kommt (Folk music). Diese Genres waren in ihrer ganzen Breite ebenso auf dem Festival präsent in all ihrer Unterschiedlichkeit: von den Vereinigten Staaten bis zum Baltikum, von Spanien bis Finnland und nicht zu vergessen die Hybridformen der afrikanischen Rhythmen in lateinamerikanischer Musik. Die Volksmusik des Mittelmeeres war besonders gut repräsentiert, ein reichhaltiges musikalisches Patchwork aus Okzitanien, Mallorca, Dalmatien, Süditalien, Tunesien und Nordafrika. Man kann sicher sagen, dass das Europa Cantat Festival in Turin eine Weltreise war (wie unbestreitbar im Workshop für Frauenstimmen mit dem Titel “Let’s Travel” unter der Leitung von Basilio Astulez bewiesen wurde). Nichts fehlte auf diesem Festival, noch nicht mal Experimentelle Musik, wie z.B. die Fusion von Chorgesang mit elektronischer Musik. Professor Stefano Bassanese von der Universität Turin erklärte den Gedanken dahinter in einem Interview in ReadyTOnews:
“Wir mögen es nicht wahrnehmen, aber Elektronik steht an der Wurzel vieler unserer alltäglichen Interaktionen mit Musik: nicht nur, wenn wir eine CD, eine MP3 oder eine LP anhören oder ein digitales Keyboard benutzen, sondern auch in diversen anderen Situationen, zum Beispiel, wenn open-air Verstärkung benutzt wird … sie erlaubt uns, den Klang der Stimme in Echtzeit zu modifizieren …”
Da gibt es keinen Zweifel: Elektronik und Elektroakustik haben sich verändert und werden weiter die Art verändern, wie wir über Musik denken, wie wir sie hören, sie spielen und komponieren. Die Chorwelt kann und darf diesen Fakt nicht ignorieren.
Um unseren kurzen und unvollständigen Bericht des Festivals zu beschließen, möchten wir all diejenigen erwähnen, die mit ECA-Europa Cantat und FENIARCO zusammengearbeitet haben, um dieses achtzehnte Europa Cantat Festival in Turin möglich zu machen: die ACP (Verband Piemonteser Chöre), die Piemonteser Regionalverwaltung, die Provinz und die Stadt Turin, die Zusammenarbeit mit der Compagnia di San Paolo Stiftung und der Handelskammer.
ECA-EC General Assembly (three pictures)
Das Schlusswort dieses Berichtes muss den beiden führenden Männern des Festivals gehören: Der erste ist Carlo Pavese, der Künstlerische Leiter des Turin Festivals, und er ist sehr froh über das Ergebnis:
“Europa Cantat ist ein einzigartiges Festival, das der Stadt Turin 5000 Stimmen gebracht hat, die mit Passion und großem musikalischen Wert gemeinsam gesungen und der Stadt eine unvergessliche Erinnerung beschert haben. Ich bin überzeugt, dass die Stadt ein spezielles und dauerhaftes Willkommen für dieses Event ausgesprochen hat. Die Orte, Gebäude und darüber hinaus die Einwohner Turins waren Teil dieses großen Chores, der jeden Abend die Piazza San Carlo in ein Symbol der Harmonie und Schönheit verwandelte.“
Bei der Abschlusszeremonie des Festivals hielt Sante Fornasier, Präsident der European Choral Association-Europa Cantat und von FENIARCO folgende Rede, bevor er den Stab an die Verantwortlichen aus Pécs (Ungarn), den Gastgeber des 19. Festivals 2015 übergab:
“Wir sind am Ende dieser außergewöhnlichen zehntägigen Reise angekommen. Gemeinsam waren wir alle freudige und aktive Protagonisten in dieser wunderschönen Stadt, die uns großzügig willkommen geheißen und uns ihre künstlerischen Schönheiten und die vielen schönen Aufführungsorte beschert hat, in denen wir Lieder hören und unsere Musik selbst singen konnten … Wir wurden ebenso von der ganzen Piemonteser Region empfangen, in der 25 Konzerte in allen Provinzen stattfanden. Wir haben dieses Festival gefeiert, indem wir unsere Seelen genährt haben. Wir werden die Schwingungen des Festivals in unsere eigenen Länder heimnehmen und werden sie lange in unseren Herzen bewahren, um unsere noble, echte und sehr spezielle Passion zu nähren.“
Übersetzt ins Deutsche von Brigitte Riskowski, Deutschland
Edited by Gillian Forlivesi Heywood, Italy