Paul Bester (T1, Südafrika, neuer Teilnehmer) und K
atie Rohwer (A1, USA, mehrfache Teilnehmerin)
Paul: Das Treffen des Weltjugendchores auf Zypern wurde durch eine Reihe organisatorischer E-Mails in Schwung gebracht. Eine freundliche, aber entschiedene Person schickte uns ins Detail gehende E-Mails, unterschrieben mit den reizenden Worten “Wärmste Grüße, Vladimir“. Vor meinem inneren Auge entstand das Bild eines Cheforganisators: sicher in seiner Arbeit, hoch motiviert im Kontakt zu den Mitgliedern. Meine Erwartungen an das Projekt steigerten sich ganz vorsichtig. Nach vielen langen und kurzen Reisen gelangten wir alle zum Flughafen von Larnaca auf Zypern – dem Höhepunkt unserer Reise. Wir Südafrikaner gehörten zu den ersten, die an jenem Tag auf dem Flughafen ankamen. Voller Aufregung und Vorfreude warteten wir auf alle Teilnehmer, die aus ihren jeweiligen Heimatländern anreisten. Jedes neue Gesicht bot die Möglichkeit, entweder einen alten Freund wiederzusehen oder einen neuen Freund fürs Leben zu finden. Im Rückblick wird mir klar, wie richtungsweisend diese ersten Begegnungen für uns waren.
Wir sammelten und tauschten Namen und Herkunftsländer. Einige Leute umarmten sich, andere weinten, aber alle strahlten. Wir begrüßten das heiße Klima von Zypern, als wir aus dem gekühlten Flughafen traten, um unsere erste gemeinsame Reise als Weltjugendchor anzutreten.
Der Bus folgte den gewundenen Straßen durch die Tiefebene der zypriotischen Landschaft und den steilen Bergwegen zu unserem Ziel, Pedoulas. Zum ersten Mal konnten wir anfangen, einander kennen zu lernen und hofften durch unsere Fragen Gemeinsamkeiten in dem Wirrwarr der Kulturen zu entdecken.
Ich hatte nicht erwartet, dass die älteren Teilnehmer uns so einladend in ihrer Mitte aufnehmen würden. Ich denke, dass dieser Empfang im besonderen Maße die Gruppendynamik förderte, so dass jeder einbezogen war und seinen ganz eigenen Platz im Chor finden konnte.
Katie: Während der Busfahrt zu den Höhen der zypriotischen Berge war ich überrascht, nur eine Handvoll vertrauter Gesichter in meiner Nähe zu sehen. Viele liebe Freunde von früheren Treffen hatten schon die Altersgrenze erreicht, und mir wurde klar, dass wir in diesem Sommer nicht wieder zusammenkommen würden. Mein letztes Treffen hatte begonnen. Die Energie im Bus war spürbar, und ich begann schnell, mit einem neuen Teilnehmer aus Bulgarien zu plaudern. Mit innerem Schmunzeln stellte ich, fast ungläubig, fest: Nach sechs Jahren Projekt-Erfahrung spüre ich immer noch die Neugier, Nervosität, Aufregung und reine Freude an der ersten Beziehung zu einem Mitsänger vom anderen Ende der Welt. Meine Erinnerung raste zum ersten Treffen zurück, als ich als 24-Jährige nur meine Landsleute kannte. Ich dachte darüber nach, wie sich mein Leben, meine Weltsicht und mein musikalisches Können durch die Teilnahme am Weltjugendchor geändert hatten.
Als wir um die letzte Straßenecke bogen, lag vor uns bis zum Berghang das Dorf Pedoulas. Ganz durchdrungen von dem Gefühl, den Gipfel meiner vergangenen Erfahrung erreicht zu haben, stieg ich aus dem Bus und schloss mich den Vorstellungsgesprächen und Umarmungen all derer an, die wieder einmal vereint waren.
Jedes Jahr findet im Dorf Pedoulas die Sommer-Musikakademie für das Jugendsinfonieorchester Zypern unter der Leitung von Ayis Ioannides statt. Seine Vision hat uns dorthin gebracht. Das zypriotische Verwaltungsteam: Nora, Ayis, Maria, Iro, Yiorgos und Tefkros empfingen uns mit der übersprudelnden zypriotischen Gastfreundschaft, die wir im Verlauf des Monats immer wieder aufs Neue genießen sollten. Diesem Team schulden wir grenzenlose Dankbarkeit für ihren Enthusiasmus und bemerkenswerten Arbeitseinsatz vor und während des Treffens.
Die ersten zwei Wochen des Treffens waren einem a cappella –Programm gewidmet, das Cecilia Rydinger Alin aus Schweden leitete. Im zweiten Teil des Treffens unter dem Taktstock des Maestro Ayis wurde zusammen mit dem Orchester für die Aufführung von Pendereckis Lacrimosa und Beethovens 9. Symphonie geprobt. Diese beiden Werke waren Teil des offiziellen Programms im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich von Zyperns Übernahme der Präsidentschaft des Europarates.
Sehr schnell wurde offensichtlich, dass dies eine Gruppe ganz besonderer Sänger war. wir schließlich am folgenden Tag zur Probe zusammenkamen, verwandelte sich der Funke, der vorher schon übergesprungen war, in eine Flamme. Alte und neue Teilnehmer schienen mit einem gemeinsamen Ziel die Sporthalle zu betreten: auf höchstem Niveau zu musizieren und mit aufgeschlossenen Kollegen aus allen Winkeln der Erde musikalische und zwischenmenschliche Beziehungen zu entwickeln. Ein Chorklang erfüllte den Raum mit einer Strahlkraft und Klarheit, die mir den Atem verschlugen. Ich stellte mir vor, wie dieser Klang, diese Darstellung einer vollkommen verbundenen Menschheit, mutig, ja dreist verkündete, wie unsere Welt werden könnte; ich folgte dem Klang durch das geöffnete Fenster der Hallendecke, hinauf zu den Pinienwäldern der Berge, hin zum Dorf, wo er die bescheidenen Zyprioten überraschte und sich in ihren Ohren und Seelen einnistete.
Unser erster Durchgang von Poulencs Exultate Deo bestätigte uns, dass dies Treffen 2012 eine der engsten, künstlerischsten, engagiertesten und begeisterndsten Sommerakademien werden würde.
Die künstlerische und menschliche Fülle, die wir in a cappella-Proben und Konzerten erlebten, verdanken wir allein unserer Dirigentin. Cecilia und ihre Auswahl des Repertoires brachten die Inbrunst und die Botschaft des Chores wunderbar zum Ausdruck. Wir fühlten die Schönheit Zyperns, der „großen, kleinen Insel“ durch die reichen Harmonien von Ildebrando Pizettis 2 Composizioni Corali. Das ‘Kyrie’ und ‘Sanctus’ aus Frank Martins Messe forderte den Chor und erhöhte unser gesamtes Lebensgefühl. Benjamin Brittens Hymn to St. Cecilia rundete die erste Hälfte des Programms ab – wir zitierten den Text dieses Stückes häufig während der Session zu Ehren unserer Leiterin:“ Selige Cecilia/ Erscheine als Vision allen Musikern/ Erscheine und begeistere sie“. Frau Rydinger Alin führte uns meisterhaft durch Jan Sandströms Biegga Luothe, Rautavaaras Suite de Lorca und Whitacres Lux Aurumque. Wir hatten die wunderbare Gelegenheit, ein zypriotisches Stück, In Memoriam, von unserem eigenen Ayis Ioannides aufführen zu dürfen. Cecilia brachte auch einige ihrer Lieblingsarrangements schwedischer Volkslieder mit, darunter Alfvens Och jungfrun, Gardemars Slängpolska efter Byss-Kalle und Rehnquists I Himmelen. In Proben und Vorträgen brachte sie uns nicht nur die schwedische Chortradition und ihre Erfahrungen mit Eric Ericson näher, sondern sie lehrte uns auch, wie man ein gutes Musiker-Ensemble und ein besserer Mensch wird.
Paul:. Jedes Mal wenn ich von meinen Pizetti – Noten zu Cecilia aufsehe, ist es mir, als wenn sich unsere Augen träfen. Ich hatte nichts erwartet, das dem Ehrfurcht gebietenden Chorklang, der aus den Körpern der mich umgebenden Sänger hervorbrach, gleich kam. Unsere Stimmen verschmolzen zu einem klingenden Strom, der durch Cecilias rhythmische Präsenz zum Leben gebracht wird. Jede sanfte Geste und nuancierte Bewegung ihrer Hände wurde gekonnt von den Stimmen der Welt ausgeführt. Während der Pause gruppierten wir uns gewöhnlich nach unseren Herkunftsländern und bereiteten uns auf die zweite Hälfte vor.
Wir betraten die Bühne, wenn Vladimir, unser Chormanager, unser Land aufrief; wir verbeugten uns und nahmen mit unseren Kollegen unseren Platz auf der Bühne ein. Land für Land füllte sich die Bühne und bildete den Weltjugendchor.
Die Stimmung eines jeden Konzerts wurde durch die Umgebung wunderbar gesteigert. Zypern bietet Atem beraubende Aufführungsorte, und wir hatten die Ehre, sie mit unseren Stimmen zu füllen. Unsere a cappella-Aufführungen fanden an verschiedenen Orten der Insel statt. Die erste war im Pedoulas Gymnasium: Wir sangen für die Bewohner von Pedoulas aus Dankbarkeit für ihre grenzenlose Gastfreundschaft. Es war ein bewegendes Ereignis, denn sie hatten ihr Dorf für die Welt geöffnet; ganz erstaunliche Freundschaften bildeten sich.
Die zweite Aufführung fand unter freiem Himmel in dem alten Theater von Paphos Odeon statt, nicht weit vom legendären Geburtsort der Aphrodite. Ich dachte, das Fehlen eines akustischen Raumes würde die Fülle unseres Chorklangs irgendwie beeinflussen, aber sogar der Sternenhimmel schien in jener Nacht näher zu sein. Die Erde schien uns zu umarmen; eine uralte Energie umgab uns, hervorgebracht von den Hügeln und Mauern, die im 2.Jahrhundert nach Christi Geburt errichtet wurden.
Die dritte und letzte Aufführung mit Cecilia fand im Ayia Napa Meeresmuseum statt.
Auf einer Glasplatte über einer Ausstellung alter Schiffe war der Chor aufgestellt. Es war sehr eigenartig: Jedes Mal wenn man auf den Boden sah, dachte man für den Bruchteil einer Sekunde, man würde einen halben Meter über dem Boden schweben. Vor uns stand in Originalgröße eine detailgetreue Nachbildung eines dieser alten Schiffe. Wenn sich dieser Anblick mit der stimmungsvollen Musik verband, stellte ich mir manchmal vor, wir würden tatsächlich über dem Untergrund schweben. Diese Stimmung erreichte ihren gefühlsgeladenen Höhepunkt, als Cecilia ihre Abschiedsworte als unsere Chorleiterin vortrug und sie ihrem persönlichen Helden, Maestro Eric Ericson, dem ersten Leiter des Weltjugendchores, widmete. Dieser Augenblick wird für den Rest meines Lebens in meinem Gedächtnis haften bleiben.
Katie: Nach dem Abschied von Cecilia traten wir den zweiten Abschnitt unserer musikalischen Reise an: Penderecki und Beethoven mit dem Jugendsinfonieorchester Zypern. Wir probten mit unseren Stimmgruppenleitern und mit dem gesamten Chor unter dem Leiter der Bass-Gruppe, Inaki Encina. An den Abenden probte der Chor mit dem Orchester zusammen unter der Leitung von Ayis. Während der Woche probten wir weiter und genossen den zypriotischen Sommer: Wir aßen Pommes Frites und Bohnen, wanderten in den Bergen, gingen zum Strand und besichtigten in Pedoulas die Byzantinische Kirche aus dem 15. Jahrhundert, die Weltkulturerbe ist. Viele Sänger bildeten kleine Ensembles und gaben Mittagskonzerte, welche das Team der Sommer-Musikakademie organisierte. Nur in diesem Chor kann man erleben, wie ein kroatischer Sopran mit einem Kontratenor aus Venezuela übt, oder wie kanadische , guatemaltekische, amerikanische, ungarische und finnische Sänger ein Quintett eines bulgarisch-niederländischen Teilnehmers einstudieren, oder wie 60 Leute von sechs Kontinenten gemeinsam lachen, tanzen, sich entspannen als wären sie schon langjährige Freunde mit keinerlei kulturellen Barrieren. Chorsänger mischten sich unter die Orchestermusiker, wodurch sich Freundschaften entwickelten. Es war anregend, an einer Akademie teilzunehmen, deren Ziel es war, künstlerische Exzellenz und interkulturelles Verständnis unter jungen Musikern zu fördern
Die Zusammenarbeit verband ähnliche Aufgaben; beide Organisationen widmen sich der Umgestaltung der kulturellen Landschaft und der Unterstützung einer gemeinsamen kulturellen Entwicklung. Wir veranstalteten drei wunderbare Konzerte: eines im alten Freilicht-Theater von Kourion am Strand und zwei in Nikosia im Rahmen der europäischen Festivitäten.
Dank der Vorstellungskraft und Führung durch Aysis und des ermutigenden Textes der 9. Sinfonie, wuchs bei Chor und Orchester das Verständnis für die Botschaft „Alle Menschen werden Brüder..“.
Im Flugzeug von den USA nach Zypern überlegte ich, wie sich dieses Treffen gestalten würde im Vergleich zu meinen früheren Erfahrungen. Auf dem Rückflug dachte ich über die Kraft dieses Treffens und die Kunst des Chorsingens nach. Vielleicht weil es mein letztes Treffen war – aber nie zuvor fühlte ich mich so zufrieden. Nie zuvor hatte ich in einer so begabten und doch so bescheidenen Gruppe gesungen. Niemals hatte ich mir das intensive Gefühl der Verbundenheit, der Zugehörigkeit zu einer globalen Familie vorstellen können.
Chormusik vereint uns, und wenn wir dies Erlebnis auf der Insel Zypern, dem Geburtsort der Göttin der Schönheit und der Liebe teilen, verwandelt es unser Mensch-Sein.
Katie and Paul: Und so kehren wir mit dem Herz voller Schönheit und Liebe in unsere verschiedenen Winkel der Erde zurück und zehren vom gemeinsamen Wunder des Weltjugendchores, bis wir wieder zusammenkommen.
Übersetzt von Christa Sondermann, Deutschland
Edited by Hayley Smith, UK