Tisa Mrhar
Das Weltsymposium für Chormusik fand vom 25. bis 30. April in Istanbul statt und wurde von mehr als 2500 Sängerinnen und Sängern aus der ganzen Welt besucht.
Das Weltsymposium für Chormusik ist ein Projekt der Internationalen Föderation für Chormusik, das seit 1987, als es in Wien ins Leben gerufen wurde, alle drei Jahre stattfindet. Im Jahr 2020 sollten die Liebhaber der Chormusik in Auckland, Neuseeland, zusammenkommen, doch wurde das Symposium aufgrund einer Pandemie abgesagt. Im Jahr 2023 sollte das Symposium dann in Katar veranstaltet werden, wurde dann aber mit Unterstützung des türkischen Ministeriums für Kultur und Tourismus weniger als ein Jahr vor dem geplanten Termin nach Istanbul verlegt. Das diesjährige Treffen von Experten aus aller Welt fand somit in einer Stadt mit mehr als 15 Millionen Einwohnern statt, einer multikulturellen Grenzstadt zwischen Ost und West. In dieser Hinsicht war das zentrale Thema des Symposiums „Changing Horizons“ eine Einladung, sich mit den verschiedenen Musikkulturen der Welt auseinanderzusetzen, nach neuen Entwicklungen und Richtungen in der Chormusik Ausschau zu halten und vor allem die bisherigen (re)kreativen Praktiken zu hinterfragen.
Ein lebhaftes Festival von der Früh bis in den Abend
Das reichhaltige Programm des Festivals war vor allem in der ersten Tageshälfte geprägt von morgendlichen Keynote-Präsentationen, Vorträgen, Workshops, Meet-the-Composer-Sessions, Lesungen, Diskussionsrunden, Gesprächsrunden, Lounges und der EXPO, während die Nachmittage und Abende den Konzerten gewidmet waren. Die Bildungsveranstaltungen am Vormittag boten einen kompakten Einblick in eine Vielzahl neuer Entwicklungen auf dem Gebiet der Chormusik, vor allem aber boten sie Gelegenheit, fremde Musikkulturen und deren Chorliteratur kennenzulernen, was den besonderen Reiz des diesjährigen internationalen Treffens ausmachte. Besonders angetan waren die Teilnehmer von den vielfältigen Präsentationen von Chorwerken aus dem Nahen Osten und anderen, weniger bekannten Kulturen, die sich durch nicht temperierte Systeme und unterschiedliche musiktheoretische Rahmenbedingungen auszeichnen.
Mehr als 55 Chöre aus aller Welt
In der Türkei, der Gastgeberin des Weltsymposiums für Chormusik, wurde das Singen im Chor erst in den Anfangsjahren der 1923 von Mustafa Kemal Atatürk gegründeten Republik eingeführt. Die ersten organisierten Formen des chorischen Gesangs entstanden also in den 1920er und 1930er Jahren, wobei Musikschulen und Konservatorien sicherlich eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des chorischen Gesangs spielten. In den 1970er und 1980er Jahren wurden dann die ersten professionellen Chöre gegründet, und zu Beginn des 21. Jahrhunderts erlebte der Chorgesang einen großen Aufschwung, insbesondere im Zusammenwirken mit Amateur-Kulturvereinen, die in allen größeren Städten der Türkei gegründet wurden. Das diesjährige Symposium führte daher mehr als 30 türkische Chöre verschiedener Genres zusammen.
Insgesamt traten beim Festival mehr als 55 Chöre auf, die bei den Nachmittagskonzerten präsentiert wurden, während elf ausgewählte Ensembles auch bei den abendlichen Galakonzerten im neu renovierten Atatürk-Kulturzentrum auftraten. Die Organisatoren haben darauf geachtet, dass die teilnehmenden Chöre alle Kontinente möglichst ausgewogen repräsentieren, so dass das diesjährige Programm wirklich abwechslungsreich war.
Zwei Meisterkurse unter der Leitung von renommierten Mentoren
Parallel zum regulären Programm wurden zwei Meisterkurse abgehalten: ein Meisterkurs für Dirigieren mit Ragnar Rasmussen und Lorenzo Donati und ein Meisterkurs für Komposition mit Ko Matsushita. Am ersten Kurs nahm auch die slowenische Dirigentin Klara Maljuga teil, Gewinnerin des letztjährigen 2. Nationalen Wettbewerbs für slowenische Chordirigenten: „Ein mehrtägiger Aufenthalt unter den wachsamen Augen exzellenter Mentoren und mit einfühlsam agierenden Chören, die auf jede deiner Schwächen reagieren, ist wirklich das ideale Szenario für eine Dirigentenausbildung. Das Seminar selbst war so intensiv, dass mein Kopf voller Eindrücke war. Die Tage waren wirklich lang und die Nächte zu kurz. Meine Freizeit habe ich vor allem dazu genutzt, die Komponisten und ihre Philosophien kennenzulernen – nicht zuletzt, weil wir Dirigenten uns manchmal mit ihren zeitgenössischen Werken schwertun. Nicht vergessen zu erwähnen möchte ich die neu geknüpften Freundschaften, den Austausch von Partituren, Interpretationspraktiken, didaktischen Ansätzen sowie Lebensprinzipien und die Möglichkeit, Beziehungen zu entfernten Bekannten aufzufrischen.”
Auch Zuzanna Koziej, die in Italien lebende polnische Komponistin und Arrangeurin, die am Meisterkurs für Komposition teilnahm, hob die fruchtbaren Diskussionen und neu geknüpften Freundschaften zwischen Komponisten und Dirigenten hervor: „Der Meisterkurs war eine großartige Gelegenheit, unsere eigenen Stücke und die unserer Kollegen aufgeführt zu hören und gleichzeitig aus den Proben zu lernen und Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was schwierig zu singen ist und was am besten funktioniert. Wir erhielten wertvolles Feedback von Ko Matsushita, unserem Tutor, dem hervorragenden Masis Gözbek, dem Dirigenten, aber auch von den Sängern, was für mich ebenso wichtig ist. Die Möglichkeit, unsere Werke vor den Teilnehmern der WSCM zu präsentieren, war eine großartige Erfahrung, die Möglichkeiten für künftige Projekte und Kooperationen bietet. Am meisten Spaß machte mir die Diskussion mit den Dirigenten, die an dem Meisterkurs Dirigieren teilnahmen. Wir sprachen über die Beziehung zwischen Komponist und Dirigent und stellten fest, wie wenig wir wissen, aber auch, wie viel wir voneinander lernen können.”
Ausbildung von Nachwuchsmanagern
Neu im Programm der internationalen Festivals unter der Schirmherrschaft der Internationalen Föderation für Chormusik ist YOUNG, ein Programm für internationales Jugendkulturmanagement. Es wurde zum zweiten Mal in Folge organisiert und hat dieses Jahr wieder zehn junge Menschen aus der ganzen Welt aufgenommen. Nach ihrer Ankunft nahmen diese zunächst an einem zweitägigen Einführungskurs teil, in dem sie die Organisation des Festivals und sich gegenseitig kennenlernten und zusätzliche Kompetenzen im Managementbereich erwarben. Anschließend wurden sie in das Organisationsteam des Festivals aufgenommen, in dem ihnen jeweils eine bestimmte Aufgabe zugewiesen wurde. In diesem Jahr nahm Jaime João, ein Chorleitungsstudent aus Portugal, an dem Programm teil: „Teil des YOUNG-Teams in Istanbul zu sein, war eine unvergessliche Erfahrung. Was für ein Glück, mit so vielen erfahrenen Veranstaltern und Musikern mehr als zwei Wochen lang zusammenarbeiten zu können, in einem denkbar knapp bemessenen Zeitfenster, das es mir mehr als ermöglichte, so viele Dinge über diese Welt zu lernen, dass ich das Gefühl habe, nicht aufhören zu können, als ob mir alle Energie der Welt zur Verfügung gestellt wurde, um einen Weg zu finden, jeden Teil dieser Erfahrung und alles, was ich gelernt habe – und hoffentlich weiter lernen werde – mit nach Hause zu nehmen.“
Bis zum nächsten Mal?
„Ich konnte viele Bekannte begrüßen, die ich lange nicht mehr gesehen hatte, habe neue inspirierende Menschen kennengelernt, in Vorträgen und Sitzungen viel gelernt und wunderbare Konzerte genossen, bei denen ich nicht nur die besten Chöre aus verschiedenen Regionen der Welt hören konnte, sondern auch sehr gute türkische Chöre, die für mich zum Teil neue Entdeckungen waren. Ich freue mich darauf, mehr von ihnen zu hören, sie und türkische Dirigenten bei internationalen Veranstaltungen auf der ganzen Welt zu treffen und wieder in die Türkei zu kommen, wo ich jetzt viele weitere Freunde habe, die unseren Aufenthalt zu einem großartigen Erlebnis gemacht haben!“ So fasst Sonja Greiner, Generalsekretärin der European Choral Association, ihre Eindrücke des Symposiums zusammen. Viele weitere zufriedene Besucher kehrten aus Istanbul zurück, und die Veranstaltung wird sich sicherlich positiv auf die Entwicklung der türkischen Chorlandschaft und ihre Umgebung auswirken, wie auch Burak Onur Erdem, Direktor des Festivals, betonte: „Von nun an ist die Türkei eines der wichtigsten Zentren der Chormusik. Dieses Festival hat unsere Horizonte verändert. Jetzt sehen wir die Welt mit neuen Augen, wir hören sie mit neuen Ohren.”
Leider ist die Zukunft derartiger Treffen eher ungewiss, da kaum ein Land finanziell bereit ist, sich in der derzeitigen unsicheren Lage für die Organisation solch großer Kulturprojekte einzusetzen. Außerdem erfordern sie die Arbeit eines gut koordinierten Organisationsteams über mehrere Jahre und viele andere Beiträge, aber ihre positiven kurz- und langfristigen Auswirkungen machen sie in der heutigen globalisierten Welt der Chöre unverzichtbar. Verschiedene Plattformen, Festivals, Symposien und Ausstellungen fördern die Entwicklung der gesamten Chorlandschaft, sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene, und vor allem ermöglichen sie es all jenen, die sie schaffen, alte und neue Kontakte zu pflegen und einen offenen Meinungs- und Gedankenaustausch zu fördern, um so die Harmonie unserer schönen (Musik-)Welt zu schaffen.
Tisa Mrhar absolviert derzeit ihr Masterstudium in Rechts- und Musikwissenschaften an der Universität Ljubljana. Sie engagiert sich aktiv in der nationalen und internationalen Chorszene. Seit 2016 singt sie im Akademischen Chor Tone Tomšič, den sie auch zwei Spielzeiten lang als dessen Vorsitzende leitete. Im Juli 2021 war sie Teilnehmerin des Young Event Management Programme (YEMP) beim Europa Cantat Festival in Ljubljana, und 2022 nahm sie am YOUNG, Youth International Cultural Management Programme, bei der World Choral Expo in Lissabon teil. Im Rahmen ihres Studiums absolviert sie derzeit ein Praktikum beim Öffentlichen Fonds der Republik Slowenien für kulturelle Aktivitäten unter der Leitung von Mihela Jagodic. Außerdem schreibt sie über (Chor-)Musik für die Zeitschriften der Jeunesses Musicales Slovenia und des Öffentlichen Fonds für kulturelle Aktivitäten und gestaltet Sendungen für die nationalen slowenischen Radioprogramme.
Übersetzt aus dem Englischen von Petra Baum, Deutschland