Duane R. Karna, Lehrer und Chorleiter
Sowohl in meinem eigenen Singen als auch in meiner Arbeit mit Chören und Sängern habe ich untersucht und damit experimentiert, wie die akustischen Voraussetzungen verschiedener Räume den Einsatz der Atemkontrolle, die Wahl der Vokalfarben, die Auswahl der Tempi, der verschiedenen Artikulationen, der Lautstärken und der Intonation eines Sängers beeinflussen.
Eine Live-Akustik mit gutem Widerhall erlaubt einem Sänger, die Stimme klüger einzusetzen in Bezug auf eine gesunde Vokalbildung mit einem besseren Sinn für das Verhältnis von Atem und Ton. Die Stimme bewegt sich besser in solch einer akustischen Umgebung und erlaubt bessere Entscheidungen des Sängers darüber, wie er seine Stimme am besten einsetzt.
Wir alle haben in unserer Chorarbeit und im Sologesang beobachtet, wie die besonderen akustischen Eigenschaften eines Raumes unsere Wahl der Tongebung und des Timbres beeinflussen. Ein Live-Probenraum oder -Konzertsaal macht den Ton oft heller, manchmal erfordert er Timbre-Schattierungen und Veränderungen der Vokale, die besser in diese besondere akustische Umgebung passen. Viele Sänger werden in einer Live-Akustik, die einige Vokalveränderungen erfordert, um sich an die akustischen Einflüsse auf die Qualität der Vokalfärbung und den Vokalausgleich des Chores einzustellen und diese auszugleichen, ihre Vokale unbewusst dehnen. Ein akustisch dumpfer Probenraum oder Konzertsaal wiederum beeinflusst Sänger und Chöre ebenso und bringt sie dazu, einen Ton hervorzubringen, der oftmals gepresst, grell, weniger hell ist und dem es an Resonanzen fehlt.
Ein Raum mit gutem Widerhall erlaubt es dem Ton, sich einfacher zu bewegen als in einem Raum, dem es an Hall mangelt, und dies wiederum hilft den Sängern dabei, ihre Stimme und ihre Atemführung klüger einzusetzen. Ein akustisch stumpfer Raum stellt Anforderungen an die Stimme des Sängers, an die Atemführung und die Auswahl der Tempi, die für den Sänger oftmals nachteilig sind in Bezug auf eine gesunde Stimmgebung. Typischerweise führt diese Art von akustischer Umgebung zu einem angestrengten, forcierten Singen, das zu einer Fehlstellung des Kehlkopfes führt, die wiederum große Anforderungen an die am Gesang beteiligte Muskulatur stellt.
Akustische Umgebungen fordern für ein erfolgreiches Singen auf der Bühne von Sängern, Chören und Chorleitern Entscheidungen über Tempo, Artikulation und Dynamik. Ein Raum, dem ein guter Widerhall fehlt, benötigt schnellere Tempi, damit die Sänger einfacher singen können und dabei hoffentlich eine Tongebung erzeugen, die gesund und tragfähig ist und durch eine gute Atemführung unterstützt wird. In einer Akustik mit gutem Widerhall werden Sänger, Chöre und Chorleiter häufig langsamere Tempi wählen, damit der Gesamtklang nicht matschig wird – was besonders wichtig ist für polyphone Chorwerke und Kompositionen, die aus vielen Achtel- und Sechzehntelnoten bestehen.
Was die Dynamik betrifft, so ist es in einem Raum mit Live-Akustik viel leichter leise zu singen als in einem Raum mit wenig oder gar keinem Widerhall. Allerdings ist es in einem Raum mit Live-Akustik auch gefährlich leicht und eine Versuchung für die Sänger zu forcieren.
Sänger müssen klug auswählen, wenn sie die Dauer der Notenwerte, die Art und Weise der Artikulation (akzentuiert, staccato, betont, sforzando, gedehnte Noten, Melismen, tenuto etc.), Deutlichkeit der Aussprache, Gebrauch von stimmhaften und stimmlosen Konsonanten sowie die Lautstärke und Intensität der Artikulation bestimmen, denn all diese musikalischen, stimmlichen und textlichen Entscheidungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den besonderen akustischen Eigenschaften und dem Hall eines Raumes.
Die akustischen Eigenschaften von Probenräumen, Kirchen und Konzertsälen haben ebenso einen direkten Einfluss auf die Intonation und die Qualität des Chorklangs. Die Aufstellung von Stimmen innerhalb des Chores trägt dazu bei, wie ein Sänger sich selbst im Vergleich zu anderen Sängern seiner Stimme und im Vergleich zum gesamten Chor hört. Chorsänger müssen beides hören – den Klang ihrer eigenen Stimme und den Klang der anderen Chormitglieder.
Abhängig von der besonderen Akustik eines Raumes bewege ich mich oft um einzelne Sänger innerhalb des Chores herum, während ich versuche, ihr Timbre, ihre Intonation, Lautstärke und ihr Vibrato an die Nachbar-Sänger anzupassen wie auch an die akustische Reaktion des Raumes. Das starke Bedürfnis, die eigene Stimme zu hören, die so genannte Rückkopplung, sowie die Wahrnehmung des übrigen Chorklangs, die so genannte Referenz, sind bedeutendere akustische Faktoren beim Chorgesang.
„Sten Ternström hat untersucht, was er „Self-to-Other ratio (SOR)“ nennt [Anm. des Übersetzers: SOR beschreibt das Verhältnis von sich selbst zu den anderen]. Dieses Phänomen mag sich letztlich auf die Aufstellungs-Wünsche eines Sängers beziehen. Im Chor richtet sich ein Sänger nach zwei Klängen: dem Klang seiner eigenen Stimme und dem Klang des Chores als Ganzes. Chorsänger haben offenbar bestimmte Vorlieben in Bezug auf die Balance zwischen ihrem eigenen und dem übrigen Klang. Nach Tenströms Untersuchungen können dann, wenn der Referenzklang des restlichen Chores die Rückkopplung von der eigenen Stimme übertönt – was in einem Chor vorkommen kann, der in sehr enger Aufstellung der Sänger singt –, viele Arten von Problemen entstehen: forciertes Singen, Intonationsprobleme und eine unzulängliche Tongebung. Die Raumakustik kann das Problem natürlich sogar noch verschlimmern, besonders in sehr trockenen und in überakustischen Räumen.“ 1
Da die Aufstellung der Stimmen innerhalb des Chores eine ständig sich verändernde Variable in unserer Chorarbeit darstellt, ist dies eine der wichtigsten Entscheidungen, die ein Chorleiter treffen muss. Ich bin der Ansicht, dass Chorsänger dann am besten singen, wenn sie in SATB-Quartetten aufgestellt werden, so dass niemals zwei gleiche Stimmen direkt nebeneinander stehen, und mit ausreichend Platz zwischen den Sängern, damit sie sich selbst besser hören und auch die übrigen Stimmen, die das gesamte Stimmengefüge bilden. Eine Aufstellung mit Raum zwischen den Sängern führt zu unabhängigerem Singen, besserer Tongebung, größerer Hörfähigkeit und besserem Intonationsvermögen.
Chorleiter, die über größeres Wissen zu diesen Beziehungen verfügen, können die Bedingungen für Auftritte und Proben optimieren (indem sie etwa den Raum zwischen den Sängern verändern, die Position einzelner Sänger innerhalb des Chores wie auch die Aufstellung des gesamtes Chores und/oder die Raumakustik beeinflussen).
„Untersuchungsergebnisse auf dem Gebiet der Chorakustik bieten konkrete Praxisanleitungen für Ihren Chor. Stellen Sie Ihre Sänger mit ausreichend seitlichem Abstand auf, am besten 18-24 inches [ca. 50 bis 65 cm]. Geben Sie ihnen entsprechenden Raum auch nach vorne und hinten (etwa eine freie Reihe zwischen allen Reihen). Da Chöre und Konzertorte alle unterschiedlich sind, kann es notwendig sein, mit der Aufstellung zu experimentieren, um optimale Bedingungen für Ihren Chor zu erhalten. Bedenken Sie, dass Untersuchungsergebnisse auch gezeigt haben, dass sich „schwächere“ Sänger als erste gegen größere Abstände wehren, besonders in alle Richtungen. Diese Sänger werden hierdurch möglicherweise erstmalig genötigt, sich selbst zu hören. „Durchschnittliche“ und „starke“ Sänger wiederum bevorzugen diese Aufstellung häufig. Männerstimmen, besonders Bässe, mögen eher mit geringerem Abstand agieren, gerade wenn sie im Mittelblock des Chores aufgestellt sind. Sopranstimmen wiederum werden sich häufig am besten machen mit so viel Raum wie möglich um sie herum. Lassen Sie Ihre Sänger am Prozess des Experimentierens teilnehmen. Nicht alle Stimmen geben die gleiche akustische Energie von sich, und einige individuelle Variationen des Abstands können sehr gut funktionieren (abhängig von Ihren individuellen Sängern). Die räumliche Aufstellung Ihrer Sänger ist keine magische Methode, um alle Probleme des Chorklangs zu beheben. Aber sie kann eine erstrebenswerte Ergänzung des Chorklangs bedeuten und gleichzeitig Intonation und Klangmischung verbessern. Schließlich handelt es sich um eine Strategie, die sich nicht direkt an die Stimme wendet und die bei kleinen und mittelgroßen Ensembles recht einfach anzuwenden ist.“2
Die letztendliche Platzierung der Sänger innerhalb des Chores und innerhalb eines bestimmten Raumes hat starke und direkte Auswirkungen auf den entstehenden Chorklang und die Intonation. Und – hoffentlich – wird die letztendliche Platzierung und Anordnung der Sänger innerhalb des Chores und innerhalb eines bestimmten Raumes
„… den Ensemble-Effekt oder Chor-Effekt steigern; dieser tritt auf, wenn viele Stimmen und ihre Echos einen quasi-zufälligen Klang von solcher Komplexität erzeugen, dass der normale Mechanismus der hörenden Lokalisierung und Verknüpfung außer Funktion gesetzt wird. Anders ausgedrückt: Der Chor-Effekt kann den Klang von seinen Quellen auf magische Weise loslösen und ihm eine unabhängige, beinahe ätherische Existenz ganz eigener Art verleihen. Der Eindruck dieses außergewöhnlichen Phänomens, das innerhalb des Chores besonders stark empfunden wird, ist einer der Reize des Chorgesangs.“ 3
Fußnoten:
- James Daugherty, Spacing Your Singers Can Make a Difference, Unison, 1999, p. 4.
- James Daugherty, Spacing Your Singers Can Make a Difference, Unison, 1999, p. 4.
- Sten Ternström, Acoustical Aspects of Choir Singing, Royal Institute of Technology, 1989, p. 10.
Nachdruck von “Acoustical Considerations for Church Choir Directors” The Chorister, December/January 2000. Copyright © 2000 Choristers Guild. Used by permission. All rights reserved.
Weiterführende Literatur:
Vance Breshears, Build for Sound: Notes from a Consultant on How to Build Acoustics Into a Church, Your Church, Jan./Feb. 2000, Vol. 46, No. 1: 26-30.
James Daugherty, Spacing, Formation, and Choral Sound: Preferences and Perceptions of Auditors and Choristers, Journal of Research in Music Education, Fall 1999, Vol. 47, No. 3: 224-238.
James Daugherty, Spacing Your Singers Can Make a Difference, Unison, Washington State American Choral Directors Association Newsletter, Spring 1999, Vol. 12, No. 3: 3-4.
Duane R. Karna, Choir Acoustics, Unison, Washington State American Choral Directors Association Newsletter, Winter 1999, Vol. 12, No. 2: 7-9.
Duane R. Karna, and Sten Ternström, “Choir.” Applied Music Psychology – Creative Strategies for Music Teaching and Learning. Richard Parncutt and Gary McPherson, Editors. London, England: Oxford University Press, 2002.
David Lubman and Ewart Wetherill, Acoustics of Worship Spaces. New York: American Institute of Physics Inc., 1985.
Steven Powell, Choral Intonation: More than Meets the Ear, Music Educators Journal, May 1991: 40-43.
Scott R. Riedel, Acoustics in the Worship Space. St. Louis, Missouri: Concordia Publishing House, 1986.
Sten Ternström and Johann Sundberg, “Acoustics of Choir Singing” in Acoustics for Choir and Orchestra, Publication No. 52, Stockholm, Sweden: The Royal Swedish Academy of Music, 1986: 12-22.
Sten Ternström and Johann Sundberg, How Loudly Should You Hear Your Colleagues and Yourself?, STL-QPSR, RIT, Stockholm, Sweden, 1984, Vol. 4: 16-26.
Sten Ternström and Johann Sundberg, “Intonation Precision of Choir Singers” in Journal of the Acoustical Society of America, 1988, Vol. 84: 59-69.
Sten Ternström, Acoustical Aspects of Choir Singing, Dissertation, Royal Institute of Technology, 1989. Stockholm, Sweden: RIT Library, 1990.
Sten Ternström, Hearing Myself with the Others – Sound Levels in Choral Performance Measured with Separation of Their Own Voice from the Rest of the Choir, Paper presented at the 22nd Symposium: Care of the Professional Voice, Philadelphia, PA., 1993.
Sten Ternström, Kor Akustik, Stockholm, Sweden: Carl Gehrmans Musikforlag, 1987.
Duane R. Karna ist Direktor für Chormusik und Professor für Musik an der Musikfakultät der Ball State Universität in Muncie, Indiana. Er hat an der Universität von Puget Sound (Tacom, WA), an der Southern Methodist Universität (Dallas, Texas) und an der Universität von Arizona (Tucson, Arizona) studiert. Dr. Karna unterrichtet Chorleitung für Fortgeschrittene und leitet den Kammerchor der Ball State Universität. Email: drkarna@bsu.edu
Übersetzt von Stefan Simon, Deutschland