Von Prof. Harald Jers
Einleitung
Viele Chorleiter stimmen sicherlich überein, dass die Qualität eines Chores oft mit den Qualitäten des Chorleiters einhergeht. Dass Chordirigenten deshalb eine große Bandbreite und Vielseitigkeit auf zahlreichen Gebieten vorweisen müssen, liegt auf der Hand und der Erfolg ihrer Arbeit steigt mit jeder ausgiebigen Beschäftigung mit den wichtigsten chorischen Aspekten. Es ließe sich eine lange Liste notwendiger Fähigkeiten nennen. Ein Aspekt wird meist eher selten in Betracht gezogen: die Akustik. Denn die Musik basiert unwiderlegbar auf physikalischen Gesetzen. Das Wissen um akustische Naturgesetze kann Chorleitern deswegen wichtige Hilfestellungen geben, unterschiedliche Zusammenhänge zu verstehen und daraus wertvolle musikalische Konsequenzen ziehen. In den meisten Fällen wird bei Problemen ohne dieses Hintergrundwissen eine Lösung aufgrund von persönlichen Erfahrungen oder intuitiv gefunden. Dieser Artikel versucht exemplarisch deutlich zu machen, wie akustisches Wissen systematisch für Musiker nutzbar gemacht werden kann.
Objektive Physik und subjektive Beurteilung
Zahlreiche Begriffe wie „Frequenz“, „Obertöne“ und „Resonanz“ sind für Sänger und Gesangslehrer eine Selbstverständlichkeit. Sie stammen ursprünglich aus dem naturwissenschaftlichen Begriffsrepertoire und verleihen einer ansonsten eher intuitiv geprägten Gesangspraxis einen fundierten Charakter. Führt man sich aber beispielsweise die Diskussionen über die Bewertung von Gesangsstimmen und ihre ästhetische Beurteilung vor Augen, kommt es häufig zu unterschiedlichen Ansichten und oft auch Streitigkeiten. Allzu häufig liegt es am unterschiedlichen Gebrauch der akustischen Begriffe sowie an fehlenden objektiven Beurteilungskriterien. In der Akustik als Teilbereich der Physik sind die Termini klar definiert und können somit für den Musiker eine Hilfe darstellen. Außerdem bieten akustische Analysemethoden eine Möglichkeit, objektive Kriterien zu entwickeln, die eine optimale und notwendige Ergänzung zu langjähriger Gesangserfahrung und pädagogischen Fähigkeiten darstellen. Nachdem die Akustik der Singstimme schon seit vielen Jahrzehnten untersucht wird, ist die Erforschung der Chorakustik durch die technische Entwicklung von Messsystemen und Analysesoftware sowie notwendiger, weitreichender Fachkenntnisse in Gesang, Chorleitung, Psychoakustik, Physik, Signaltheorie, Messtechnik und Raumakustik erst in den letzten Jahren in größerer Intensität möglich geworden.
Gesang akustisch betrachtet
Vereinfacht kann man sich die Akustik der Klangerzeugung von Gesang folgendermaßen veranschaulichen: Die Lunge stellt die Energie zur Verfügung, so dass am Kehlkopf als Quelle der Primärklang erzeugt wird. Der darüber liegende Vokaltrakt dient als Filter und lässt je nach Formung des Vokaltraktes die Naturtöne mit unterschiedlichen Lautstärken durch dieses System. An den Lippen kommt es noch zu einer weiteren Filterung im Rahmen der Schallabstrahlung, die den Klang ein weiteres Mal verändert. Durch akustische Eigenschaften der Schallausbreitung sowie der Raumakustik wird an jedem Ort im Raum der Schall mehr oder weniger stark verändert ankommen. Die letzte Variation erfolgt durch das Ohr und die neuronale Umsetzung an das Gehirn als wahrgenommener Schall beim Zuhörer. Einzelne Aspekte dieser langen Kette von Schallereignissen und -veränderungen sollen in diesem Beitrag ein wenig hinterleuchtet und in einen chorpraktischen Zusammenhang gestellt werden.
Klangproduktion
Vokalklang
Die Sprech- und Gesangsstimme besteht sowohl phonetisch als auch akustisch hauptsächlich aus Vokalen und Konsonanten. In der nebenstehenden Grafik ist eine Spektralanalyse eines Vokals dargestellt, die verdeutlicht, wie die Verteilung der Frequenzen bei diesem Laut aussieht.
Vokal „a“ auf einem Ton: Grundton mit Obertönen mit besonders viel Energie im tiefen Frequenzbereich |
Vokale sind Hauptklangträger und verantwortlich für einen schönen Stimmklang und Lautstärke. Die spektrale Analyse zeigt den Grundton mit zahlreichen Obertönen. Die Kraft des Vokalklangs und damit der Stimme liegt im tieferen Frequenzbereich.
Vokalformanten
Diejenigen Frequenzbereiche, in denen die Naturtöne größere Lautstärken aufweisen, werden Formantbereiche genannt. Für jeden Vokal gibt es charakteristische Formantbereiche, die zur Wahrnehmung genau dieser Klangfarbe notwendig sind, und Vokalformanten heißen. Es gibt mehrere Formanten, die man von tiefen zu hohen Frequenzen durchnummeriert. Die beiden ersten Formanten sind für die Hörwahrnehmung eines Vokals und dessen Verständlichkeit maßgeblich und ausreichend. Die darüber liegenden höheren Formanten charakterisieren eher das Timbre und die Artikulations-Eigenarten eines Sprechers oder Sängers. Die Vokalformanten unterscheiden sich sowohl von Mensch zu Mensch als auch zwischen Frauen, Männern und Kindern bzw. verschiedenen Stimmfächern. Für einige Vokale sind Kombinationen der beiden Vokalformanten spezifisch und im folgenden Diagramm aus den gemittelten Formantlagen dargestellt:
Vokalformanten (1 und 2) im Gesang (die wichtigeren der beiden Vokalformanten sind mit höherer Deckkraft abgebildet) |
Für den Gesang sind somit diejenigen Obertöne verstärkt, die im Bereich der jeweiligen Vokalformanten liegen. Im Chor wird deswegen die Intonation innerhalb der Stimmgruppe maßgeblich auch durch die gleiche Vokalbildung bestimmt, also den möglichst gleichen Vokalformanten. Bei Intervallen oder Akkorden im Chor sind diejenigen gleichen Obertöne und Vokalformanten ausschlaggebend für eine gute Intonation.
Aspekte der Stimmbildung
Jede anatomische Veränderung der Stellung von Zunge, Gaumensegel, Kehlkopfposition, Mundöffnung und Unterkiefer führt zu einer Veränderung des Vokaltraktes. Diese Veränderungen finden bei phonetischen Ereignissen statt und folgen bei Sprache sehr schnell aufeinander. Einige der in der Stimmbildung relevanten Aspekte wie Stimmsitz, Tragfähigkeit, Volumen, Vokalausgleich, Klangverstärkung und Obertönigkeit der Stimme können anhand dieser akustischen Betrachtungsweise erklärt und differenziert angewendet werden.
Vokalausgleich
Beispielweise wird in der Stimmbildung beim sogenannten Vokalausgleich angestrebt, die Vokale stärker miteinander verschmelzen zu lassen und der Stimme eine unabhängig von der Vokalfarbe einheitliche Grundfärbung zu geben. Akustisch gesehen hängt der erste Vokalformant stark von der Stellung der Kiefer und der zweite Formant vornehmlich von der Zungenstellung ab. Der Vokalausgleich erfolgt somit durch Variation von Kiefer- und Zungenstellung, entweder gleichzeitig oder unabhängig voneinander. Somit erklären sich damit auch verschiedene stimmbildnerische Ansätze, die auf Veränderungen von Unterkiefer- und/oder Zungenstellung beruhen und eine Balance von Vokalverständlichkeit und Einheitlichkeit der Stimme zum Ziel haben. Da diese separate Steuerung viel Übung benötigt, ist dies ein langer Lernprozess, der im Gesangsunterricht oder der chorischen Stimmbildung oftmals thematisiert wird.
Sängerformant
Die Tragfähigkeit der Gesangsstimme ist sowohl solistisch als auch chorisch von besonderem Interesse. In diesem Zusammenhang kommt dem Frequenzbereich zwischen 2000 und 4000 Hz besondere Bedeutung zu. Dieser Bereich, auch „Sängerformant“ genannt, bezeichnet die deutliche Lautstärkeanhebung der Obertöne bei diesen Frequenzen. In direktem Zusammenhang mit dem Sängerformant steht auch der Begriff des „Stimmsitzes“, der in der Stimmbildung als ein wichtiges Ziel thematisiert wird. Denn durch Verbesserung des Stimmsitzes wird eine Verstärkung der Obertöne bewirkt, ähnlich wie die Verstärkung des Sängerformanten.
Spektren eines gesungenen Tones (kleines as, 200 Hz Grundtonfrequenz) auf dem Vokal „a“ Ohne Stimmbildung/Gesangsunterricht |
Spektren eines gesungenen Tones (kleines as, 200 Hz Grundtonfrequenz) auf dem Vokal „a“ Mit Stimmbildung/Gesangsunterricht |
In der nebenstehenden Grafiken sieht man deutlich die Anhebung der 11.-15. Obertöne bei einem gesungenen Ton mit Sängerformant im Vergleich ohne Sängerformant. Übertragen auf die Chormusik kann die Ausbildung des Sängerformanten und der damit zusammen hängende Stimmsitz auch von Bedeutung sein. Er kann für eine höhere Brillianz, Textverständlichkeit und Durchhörbarkeit sorgen. Desweiteren ermöglicht er eine höhere dynamische Bandbreite bei vergleichsweise recht geringer Anstrengung der Sänger, was den Gesang klangvoll und natürlich werden lässt.
In der folgenden Grafik sind die durchschnittlichen Spektren von einem Orchester und Gesang dargestellt. Man sieht über einen großen Frequenzbereich, dass die Stimme nicht lauter als das Orchester ist. Nur im Frequenzbereich von ungefähr 2000 bis ca. 3200 Hz sind die Obertöne lauter als die des Orchesters. Dadurch ist ein Sänger über so viele Instrumente hinweg überhaupt zu hören. Besonders ist auch hier, dass dem Ohr die Obertöne in diesem Frequenzbereich ausreichen, um die Grundtonhöhe wahrzunehmen. Da die Abstände zwischen den Obertönen äquidistant sind und der Frequenz der Grundtonhöhe entsprechen, kann das Ohr diese Tonhöhe eindeutig zuordnen. Im Chorgesang trifft man oftmals die Situation an, in der Sänger mit Gesangsunterricht bereits im Stande sind, mit Sängerformant zu singen. Dadurch wird man diese auch über den Durchschnitt des Chores heraus hören können. Neben dem weit verbreiteten Ziel von Chorleitern, die besser ausgebildeten Sänger zu „deckeln“ und damit aufzufordern, mit weniger Sängerformant zu singen, gibt es noch die andere etwas nachhaltigere, evtl. etwas aufwendigere Strategie, dass alle anderen Sänger an das Singen mit Sängerformant herangeführt werden. Vorteil dieses Verfahrens ist eine deutlich größere dynamische Bandbreite des Chores und ein hellerer, flexiblerer und frischerer Chorklang.
Sängerformant eines Sängers mit Orchester |
Konsonanten – stimmhaft und stimmlos
Im Gegensatz zu den Vokalen und deren Verbindungslaute werden stimmlose Konsonanten ohne Beteiligung der Stimmlippen gebildet und hauptsächlich durch Reibung und Brechung von Luftströmen an den Artikulationswerkzeugen erzeugt. Durch diese tonlose, also unperiodische Klangerzeugung besitzen sie ein auf alle Frequenzen breit verteiltes Spektrum, welches meist die Hauptenergie im höheren Frequenzbereich bis ca. 12.000 Hz aufweist.
Stimmloser Konsonant „sch“: überwiegende Energie im hohen Frequenzbereich |
Bei stimmhaften Konsonanten und Klingern entstehen Mischformen von periodischen und unperiodischen Schwingungsformen, in denen sich die jeweiligen Anteile überlagern. In einer gesungenen Melodie treten somit neben dem Grundtonverlauf und den zugehörigen Obertonveränderungen auch in Abhängigkeit vom Text zahlreiche spektrale Veränderungen auf, die einen spektralen Verlauf über der Zeit abbilden. Die Konsonanten trennen und strukturieren die Vokalklänge somit sinnvoll.
Durch die breite Frequenzanregung im Ohr und die höhere Energie, werden Konsonanten meist recht stark wahrgenommen. Daraus erklärt sich auch das Phänomen in der Chorpraxis, dass nicht genau gemeinsam erklingende Konsonanten deutlich wahrgenommen und auch als störend empfunden werden. Eine Verstärkung der Konsonanten wird dem Laien-Chorsänger diese Problematik sicherlich verdeutlichen, führt aber zu einer unausgewogenen Lautstärke-Balance mit den Vokalen. Da die Energie der Konsonanten recht hoch ist, genügt sicherlich eine normale Artikulation der Konsonanten bei gleichzeitigem Erklingen, was sowohl durch Sensibilisierung der Chorsänger als auch durch entsprechende dirigentische Präzision erreicht werden kann.
Schallabstrahlung von Sängern
Neben der Qualität und dem Klang der Gesangsstimme ist auch die Schallübertragung vom Chorsänger zum Zuhörer im Proberaum oder im Konzertsaal wichtig. Hauptverantwortlich ist dafür die Art und Weise, wie der Schall den Sänger verlässt, und in welche Richtungen die Abstrahlung mit welcher Intensität erfolgt. Diese so genannte „Richtcharakteristik“ bezeichnet eine Eigenschaft des Sängers, die nur von der Körpergeometrie und den akustischen Absorptions- und Reflektionseigenschaften des Körpers abhängt. Durch Lippen, Nase, Ohren, Kopf, Schultern und den ganzen Oberkörper wird der Schall für jede Frequenz unterschiedlich gebeugt, reflektiert oder absorbiert. Für jede Frequenz eines gesungenen Tones, d. h. für den zugehörigen Grundton und für die jeweiligen Obertöne, ergibt sich ein unterschiedliches Abstrahlverhalten, wie man in einigen beispielhaften Grafiken untenstehend erkennen kann. Die abgebildeten Grafiken zeigen Kugeldiagramme, die das Schallverhalten um den Sänger herum darstellen. Es handelt sich um die Darstellung des Schalldrucks in Dezibel (dB), einer physikalischen Größe, die beim Zuhörer angenähert der empfundenen Lautstärke entspricht. Die Stärke der Abstrahlung wird sowohl durch die Abweichung von der Kugelgeometrie als auch durch unterschiedliche Farbtöne entsprechend einer Farbskala dargestellt: rote Farbe entspricht starker Abstrahlung, blaue Farbe entspricht einer geringen Abstrahlung. Die Blickrichtung des Sängers ist in Pfeilrichtungen dargestellt. Exemplarisch ist hier das Abstrahlverhalten von drei Teiltönen der oben besprochenen Spektren vertreten.
Grundton (200 Hz)
11. Oberton (2400 Hz)
15. Oberton (3400 Hz)
Das hier für drei Teiltöne dargestellte Abstrahlverhalten ist auch bei den anderen Teiltönen des Gesangsspektrums festzustellen und wirkt sich je nach Stärke des Obertons auf den gesamten Klang aus. Besonders im Bereich des verstärkten Sängerformanten zwischen 2000 und 3600 Hz sind deutliche Richtwirkungen zu verzeichnen. Je stärker die Richtwirkung nach vorne gerichtet ist, desto tragfähiger und klangvoller wird der Ton beim Zuhörer wahrgenommen werden. Dies unterstreicht noch einmal die wesentliche Bedeutung des Sängerformanten.
Eine optische Darstellung dieser Abstrahlung wird mit den zwei folgenden Grafiken der Abstrahlcharakteristik in zwei Ebenen der Aufsicht und Seitenansicht angedeutet. Die Frequenzangaben bezeichnen die Mittenfrequenz der jeweils gemittelten Werte innerhalb eines Oktavbandes. Die Flächen zeigen die Hauptabstrahlungsgebiete der Gesangsstimme: dunkelgraue Flächen bezeichnen eine Pegelabnahme im Verhältnis zum höchsten Pegel von 0 bis –3 dB, graue Flächen von -3 bis –6 dB und hellgraue Flächen von -6 bis -10 dB. Ungekennzeichnete Bereiche besitzen höhere Pegelabnahmen als -10 dB.
Hauptabstrahlungsbereiche von Sängern (Mittelung in Oktavbändern) |
Konsequenzen für die Gesangs- und Chorpraxis
Zusammengefasst lässt sich die Abstrahlung für Sänger folgendermaßen formulieren: Bei tiefen Frequenzen von 80-500 Hz ist die Abstrahlung nahezu kugelförmig. Für diese Frequenzen ist also die Ausrichtung des Sängers nicht von Bedeutung. Bei mittleren Frequenzen von 500-2000 Hz ist die Hauptabstrahlung hauptsächlich frontal nach unten gerichtet; bei etwas höheren Frequenzen erfolgt stärkere Abstrahlung nach oben rechts und links bei einer reduzierten Abstrahlung nach hinten. Jedoch besteht auf der Rückseite des Sängers ein lokales Maximum aufgrund konstruktiver Interferenz. Bei hohen Frequenzen von 2000-5000 Hz wird neben der starken Abstrahlung nach vorne auch ein großer Teil der Energie rechts und links emittiert; nach hinten lässt die Abstrahlung stark nach.
Um ein großes Klangvolumen für einen Solo- oder Chorsänger zu erzielen, ist somit die Positionierung im Konzertsaal und in Bezug auf das Orchester von besonderer Bedeutung. Damit auch die seitlich, nach oben oder nach hinten gerichtete Schallenergie nicht verloren geht, sind gut ausgerichtete Reflektionswände von großer Wichtigkeit. Für die Konzertsituation in der Chorpraxis haben die Untersuchungen ebenfalls Konsequenzen:
- Die Obertöne bei Vokalen besitzen jeweils unterschiedliche Abstrahleigenschaften, dadurch wird der Klang in unterschiedlichen Richtungen als verschiedene Klangfarben wahrgenommen
- Die Positionierung von Sängern kann somit als künstlerisches Mittel benutzt werden, um die klanglichen Vorstellungen des Chorleiters umzusetzen
- Zu beachten ist hierbei insbesondere die Position von Nachbarsängern, die die Klangfarben durch Absorption stark verändern können
- Konsonanten haben aufgrund der hohen Frequenzen eine recht starke Richtwirkung; über größere Entfernung und durch Hindernisse können diese aber stark gedämpft werden
- Reflektionswände sollten in ausreichender Höhe hinter den Chor positioniert werden, um auch den relativ hohen Energieteil der Abstrahlung nach hinten durch Reflektion nach vorne nutzbar zu machen
- Ein größere Abstand zwischen den Sängern dient einer größeren Klangentfaltung anstelle einer Absorption durch den Nachbarsänger
- Auch zwischen den Chorreihen sollte für genügend Platz gesorgt sein
- Die Podesthöhe sollte ausreichend hoch angesetzt werden, damit der etwas nach unten gerichtete Schall nicht in der Kleidung der vorderen Chorreihen verschwindet
Schallausbreitung
Der Gesang eines Chorsängers, d. h. die oben beschriebene Schwingungsform, breitet sich in Form einer Welle vom Sänger kugelförmig aus. Sie unterliegt damit den Gesetzmäßigkeiten von mechanischen Wellen. Beim Auftreffen auf Hinternisse seien hier kurz die drei wichtigsten Phänomene erwähnt:
- Reflektion: Schallwellen werden bei großen Hindernissen wieder zurückgeworfen, der Reflektionswinkel entspricht dabei dem Einfallswinkel.
- Absorption: Beim Auftreffen auf ein Hindernis vermindert sich bei der Absorption die Energie der Schallwelle. Diese Wegnahme der Energie ist für verschiedene Frequenzen stark unterschiedlich und von den akustischen Eigenschaften des Hindernisses abhängig.
- Beugung: Schallwellen können durch Hindernisse auch eine Ablenkung der Ausbreitungsrichtung erfahren. Dieses besondere Wellenphänomen ist ebenfalls stark frequenzabhängig und wirkt sich je nach Größenverhältnis von Wellenlänge zu Größe des Hindernisses unterschiedlich stark aus.
Raumakustik
Auf den Gesetzen der Schallausbreitung beruhend entsteht in Konzertsälen, Kirchen oder sonstigen Musikräumen eine bestimmte akustische Ausprägung. Dieses raumakustische Ergebnis ist abhängig von der Position der Schallquelle (z. B. Chor) und des Schallempfängers (z. B. Zuhörer). Das Schema dieser Raumakustik soll anhand der folgenden Grafiken kurz erläutert werden: Der Schall eines Sängers im Chor gelangt zum einen durch die Luft auf direktem Wege zu einem Zuhörer im Publikum. Weitere Schallwege erfolgen leicht verzögert nach einer Reflektion an Decke, Wand oder Boden. Diese bilden die frühen Reflektionen. Da der Schall auch mehrfach reflektiert werden kann, erreicht der Schall des Chorsängers den Zuhörer auch deutlich verzögert; die Summe dieser Schallereignisse nennt man Nachhall. Je nachdem wie schnell der Schall im Raum an Energie verliert, ist die Länge des Nachhalls.
Schallausbreitung und Energieverteilung im Raum |
Die Akustik eines Raumes wird hauptsächlich geprägt durch vier Aspekte: die Größe des Raumes, die Form, die akustischen Eigenschaften der Oberflächen und die Position der Schallquellen:
- Größe des Raumes: Räume mit großem Volumen besitzen eine lange Nachhallzeit, die durch die Absorptionsflächen minimiert wird. Aufgrund der großen Entfernungen nimmt die Schallenergie und wahrgenommene Lautstärke beim weit entfernten Zuhörer deutlich ab. Außerdem kann es durch die relativ langsame Schallgeschwindigkeit (der Schall legt 34m in ca. 1/10 Sekunde zurück) zu Laufzeitunterschieden zwischen Originalschall und verschiedenen Reflektionen kommen. Dies führt zu Unschärfen und störenden Überlagerungen. Aber selbst bei kleineren Räumen können ungünstige Reflektionen die Verständlichkeit deutlich beeinträchtigen.
- Form: Eher günstig sind Raumformen, bei denen der Schall möglichst direkt zum Hörer gelangt, ohne von Reflektionen verstärkt oder geschwächt zu werden. Dies hilft dem Zuhörer bei der Zuordnung der Schallquelle. In vielen Kirchen gibt es aber oft auch zahlreiche Rundflächen, in denen der Schall allseitig zur Mitte zurückgeworfen wird, beispielsweise im Chorraum der Kirche, Überwölbungen oder einer Kapelle. Dort kommt es zu unangenehmen Interferenzen oder Laufzeitunterschieden, die Irritationen beim Hörer bewirken.
- Akustische Oberflächeneigenschaften: Harte und glatte Oberflächen reflektieren sehr gut, daher dauert es recht lange bis die Energie einer Schallwelle abgebaut ist, was zu langen Nachhallzeiten führt und in Kirchen oftmals als laut wahrgenommen werden. Offenporige und so genannte schallweiche Flächen wie zum Beispiel Textilien wirken schallschluckend. Die Akustik eines Raumes wird wesentlich von der Art und Verteilung dieser Oberflächen bestimmt. Bei Anwesenheit von Personen beeinflussen diese die Akustik des Raumes ebenfalls durch Absorption. Räume können durch Veränderung dieser Oberflächen deutlich verändert werden. Weiche und offenporige Materialien, z. B. durchgängig verlegte Bankpolster machen aus einer lauten Kirche eine leise.
- Position der Schallquellen: Schallquellen werden verstärkt, wenn sie unmittelbar vor einer reflektierenden Fläche liegen. Je weiter die Schallquelle von der Wand entfernt ist, desto weniger stark wird sie durch die Reflektion gestützt und umso größer ist der Laufzeitunterschied der Reflektion zum Direktschall. Lautstärke, Präsenz und Durchsichtigkeit der Musik lassen sich somit rein durch die Lage der Schallquellen zu Wänden variieren.
Chor und Raum
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Zusammenhang von Raum und Chor. Hier ist insbesondere die Hörbarkeit der Sänger innerhalb eines Chores auf der Bühne von der Klangwahrnehmung der Zuhörer im Publikumsbereich zu unterscheiden, die beide von der Raumakustik abhängen. Diese wird durch die geometrischen und akustischen Eigenschaften von Wänden, Decke, Boden oder größeren Gegenständen eines Proben- oder Konzertraumes als akustisches System vorher bestimmt. Die oben beschriebene Richtcharakteristik von Sängern und die unterschiedliche Position der Chorsänger auf einer Bühne haben somit einen wichtigen Einfluss sowohl auf die Hörbarkeit der Mitsänger als auch den Gesamtklang beim Zuhörer im Publikum. Jeder Sänger ist eine Schallquelle, deren Schall in dem akustischen System reflektiert oder auch an Gegenständen gebeugt werden kann. Dieses Verhalten ist stark frequenzabhängig und bestimmt damit die Energieverteilung im Raum. Grob gesehen unterscheidet man das Nahfeld um die Sänger herum von dem Fernfeld in größerem Abstand, je nachdem wie hoch der Direktschallanteil des Sängers ist, d. h. der Anteil, der auf direktem Weg zum Mitsänger bzw. zum Publikum gelangt.
In einem Raum mit viel Nachhall und häufigen Reflektionen an den Wandbegrenzungen ist das Nahfeld um jeden Sänger herum recht klein, d. h. die Sänger befinden sich schon bei kleinen Abständen von ihren Mitsängern im Fernfeld. Dies bedeutet, dass die Sänger unabhängig von Ihrer Position auf der Bühne einen ähnlichen Höreindruck vom Gesamtchor haben werden und die Aufstellung weniger Einfluss auf die Hörbarkeit haben wird. Ebenso wird sich die Wahrnehmung im Publikum aufgrund der Formation nur unmaßgeblich ändern. Jeder Chor hat sicherlich diesen Eindruck schon einmal gehabt, dass es in einer „halligen“ Kirche sehr schwierig ist, andere Sänger aufgrund des Gesangs zu lokalisieren. In einem »trockenen« Raum mit wenig Nachhall ist das Nahfeld deutlich größer und die Aufstellung und Formation in einem Chor bzw. auch die Abstände der Sänger untereinander können einen Einfluss auf die Hörbarkeit der Chorsänger haben. Diese bessere Hörbarkeit der Chorsänger untereinander hat damit auch ein besseres Gesamtergebnis für den Zuhörer zur Folge.
Anordnung des Chores: Formation – Aufstellung – Abstand
Bei der Choraufstellung differenziert man grundsätzlich drei verschiedene Aspekte:
- Mit der Aufstellung wird im Normalfall die Anordnung von Sängern innerhalb einer Stimmgruppe bezeichnet. Hier gibt es unterschiedliche Herangehensweisen und Philosophien. Manche Chorleiter bevorzugen, Chorsänger mit ähnlichem Timbre oder Lautstärkevermögen möglichst beieinander zu platzieren. Andere Chorleiter versuchen gerade diese Positionierung zu vermeiden und wechseln alternierend unterschiedliche Klangfarbentypen ab, so dass es zu Anpassungseffekten kommt und sich die Stimmen aneinander ein wenig angleichen. Zu beachten ist hier die Problematik, dass Sänger mit ähnlichem Timbre es deutlich schwieriger haben, die jeweilige andere Stimme wahrzunehmen. Daraus können ohne Beachtung ungünstige Folgen für die Intonation oder Lautstärkebalance entstehen. Die sozialen und zwischenmenschlichen Kriterien sind sicherlich ein weiterer wichtiger Grund für die Aufstellung im Chor, auf den hier nicht näher eingegangen wird.
- Die Formation bezeichnet die Anordnung der Stimmgruppen an sich. Hier haben viele Länder gewisse Traditionen, die sicherlich zu einem großen Teil aus der gesungenen Literatur heraus entstanden sind. Außerdem spielen dabei auch praktische Aspekte wie die Größe der Sänger eine Rolle und die daraus resultierende Möglichkeit, den Chorleiter gut zu sehen. Auch die Besetzungsgröße der einzelnen Stimmgruppen machen bestimmte Formationen eher sinnvoll. Im Folgenden ist eine Tabelle mit drei recht üblichen Formationen und einiger Vor- und Nachteile abgedruckt:
- Der Abstand zwischen Chorsängern wird oft nicht berücksichtigt. Zum einen wirkt sich der Abstand auf das Lautstärkeverhältnis eines Sängers im Chor im Verhältnis zum Rest des Chores aus. Hier gibt es gewisse Lautstärkebalancen, die günstig für den Chorsänger sind und andere ungünstig, stark abhängig vom umgebenden Raum. Zum anderen kann der Abstand eine andere Klangentfaltung bei Zuhörer sorgen, die klanglich beabsichtigt wird.
Formation |
Vorteile |
Nachteile |
Schema der Formation |
Blockformation |
Klang ist oft lauter als in Reihenformation Nutzbar für polyphone Werke |
Sänger an den Rändern des Chores haben evtl. Probleme andere Sänger ihrer Stimmgruppe zu hören Sänger in der Mitte einer Stimmgruppe haben möglicherweise Probleme die eigene Stimme von Sängern ihrer Stimmgruppe zu unterscheiden |
SSSAAATTTBBB Chorleiter |
Reihenformation |
Besonders geeignet für homophone Musik, um Einsätze und gute Balance der Stimmgruppen wahrzunehmen |
Einige Stimmgruppen sind weiter weg von der eigenen Sängerposition |
TTTTTTBBBBBB Chorleiter |
Gemischte Aufstellung (in SATB-Quartetten) |
Fördert Selbstbewusstsein Stimmen mischen sich mehr beim Zuhörer und klingen oft lauter Sänger können sehr einfach die anderen Stimmgruppen wahrnehmen; verbessert oft die Intonation |
Benötigt vorheriges Training Sänger sollten erfahren sein Sänger fühlen sich manchmal „allein“ Schwierig für Chorleiter einzelne Stimmgruppen dirigentisch zu steuern |
SATBSATBSATB Chorleiter |
Vor- und Nachteile von üblichen Chorformationen
Die Akustik eines Chores im Raum ist ein Resultat aus der Klangproduktion der einzelnen Sänger, dem Abstrahlverhalten, der Akustik des Raumes und der Anordnung der Chorsänger darin. Damit lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Chorformation und Aufstellung ein künstlerisches Mittel zur Realisierung einer Klangvorstellung ist, das jeder Chorleiter bewusst einsetzen kann und dafür jeweils eine Entscheidung treffen muss. Die Formation von Chören ist weniger eine gegebene Tatsache, der sich der Chorleiter unterordnen muss.
Hören und Wahrnehmung
Nach diesem schon recht komplizierten Schallweg durch den Raum erreicht die Musik das Ohr des Zuhörers im Publikum. Abhängig von dieser Position sind die Eindrücke durchaus unterschiedlich. Das Ohr stellt somit einen weiteren Filter dar, der vom Gehirn unterschiedlich „übersetzt“ bzw. interpretiert wird und als Klang letztendlich vom Zuhörer wahrgenommen wird. Weiterhin sei noch erwähnt, dass ebenso das Hörvermögen einen wichtigen Einfluss auf die Wahrnehmung des Chorklanges hat. Im Alter nimmt das Hochton-Hörvermögen ab, das bedeutet, dass die Konsonanten schwächer gehört werden und möglicherweise der Sinn des Textes nicht mehr verstanden wird, obwohl die Vokale noch laut gehört werden.
Audio-Aufnahme von Chören
Die oben genannten Aufstellungen und Formationen sind maßgeblich für die Situation eines Chores im Raum und den Zuhörer im Publikum bedeutsam. Für die Aufnahme sowohl als Live-Mitschnitt oder in einer Studio-Situation gelten andere Gesetzmäßigkeiten, da die Ohren der Zuhörer an den weit entfernten Plätzen im Publikum nun durch die Hauptmikrofone und ggf. Stützen ersetzt werden und damit deutlich näher am Chor positioniert sind. Dadurch entfallen die stark wirksamen Einflüsse der Seitenwände und deren Reflektionseigenschaften und es liegt ein deutlich anderes akustisches System vor.
Zusammenfassung
Die Akustik im Chor ist ein komplexes System zahlreicher miteinander wechselwirkender Parameter. Neben der reinen Signalproduktion durch den Kehlkopf und den Vokaltrakt als Filter erfährt die menschliche Stimme weiterhin eine frequenzabhängig unterschiedliche Abstrahlung durch die Richtcharakteristik. Desweiteren beeinflusst die Position auf der Bühne bzw. die Position der Chorsänger innerhalb des Chores das Abstrahlverhalten; zusätzlich wird das Aufeinander-Hören der Chorsänger sowohl von der relativen Position zueinander als auch vom umgebenden Raum deutlich beeinflusst. Für die weitere Schallausbreitung im Raum sind Parameter der Raumgeometrie und deren akustische Eigenschaften maßgebend. Die Wahrnehmung beim Zuhörer erfolgt als ein weiterer Filter akustischen Gesetzen, ist darüber hinaus aber auch einer subjektiven Beurteilung unterlegen.
Harald Jers ist Dirigent und Professor für Chorleitung an der Musikhochschule Mannheim. Er leitet internationale Dirigierkurse und Workshops an europäischen Musikhochschulen und Akademien. Darüber hinaus ist er Juror bei Chor- und Kompositionswettbewerben sowie Referent an internationalen Musikakademien und bei Fachsymposien. Ein besonderes Markenzeichen seiner dirigentischen Arbeit stellt die Kombination von verschiedenen Disziplinen dar, welche auf Studienabschlüssen in Dirigieren, Schulmusik/Hauptfach Gesang, Kirchenmusik und Physik beruht. Musikalisches Hintergrundwissen durch intensive Forschungstätigkeit im Bereich Chor- und Raumakustik nutzt er zur qualitativen Verbesserung des Chorklangs, für eine effektivere Probenmethodik und zur optimierten Aufstellung von Orchester und Chor. Mit seinem Kammerchor CONSONO konnte er zahlreiche internationale Chorwettbewerbe gewinnen, was auf seine intensive Chorklangarbeit zurückgeht. Homepage: www.haraldjers.de