Chortraditionen und Chorleben in Israel

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Naomi Faran, Chorleiterin und Gründerin der Moran-Chöre in Israel
Im Westen hat die Chortradition mit ihren Wurzeln in der Kirche viele Komponisten dazu angeregt, Werke zu schaffen, die zum Kern eines reichen musikalischen Erbes wurden. In Israel ist die Lage vollkommen anders: das Chorsingen ist ein sehr neues Phänomen, höchstens ein paar Jahrzehnte alt. 

Das Chorsingen in Israel fand seinen Anfang mit der Wende zum 20. Jahrhundert, mit der Ankunft in Israel von Judenaus aller Herren Länder.  In den 1930er und -40er Jahren, als der Nationalsozialismus in Deutschland zunahm, waren es Musiker, Dirigenten und Komponisten aus ganz Europa, die sowohl die vokale als auch die instrumentale Musik förderten.  Zu den erwähnenswerten Komponisten aus diesem Zeitabschnitt, die die Grundlage für diese neue Gesangskultur schufen, gehören Alexander Boskowitsch, Mordekai Seter, Eden Partosch, Paul Ben Haim, Nissim Nissimow, Jeheskel Braun und Tswi Awni.  Diese Komponisten schrieben in einem Stil, der biblische Texte aus dem Alten Testament mit der Wirklichkeit, wie sie sie im neuen Land erlebten, verschmolz. 

Der Kibbuz war der Brennpunkt der Entwicklung einer israelischen Kultur des Singens.  Festivals, gemeinsame Veranstaltungen, das Alltagsleben, Krieg und Verlust dienten alle als Rohmaterial für Komponisten und eine frische israelische Schaffenskraft.

Der Nahe Osten, im Mittelpunkt der internationalen Politik und eine instabile Region, was sowohl Politik als auch Religion angeht, ist die Heimat der drei Hauptreligionen des Westens: Judentum, Christentum und Islam.  Israel ist traditionsbedingt mehr dem Westen zugeneigt, während Ägypten und Syrien von der Sowjetunion beeinflusst wurden.  In dem musikalischen Schmelztiegel, der das Besondere in Israel ausmacht, spielt arabische Musik ausÄgypten, Syrien und dem Libanon eine wichtige Rolle.  Das ist die Musik der arabischen Mitbürger, und die Juden, die aus arabischen Ländern nach Israel auswanderten, hatten daran Teil und gaben sie an ihre Nachkommen weiter. In Israel haben wir heute eine wahrlich unglaubliche und wunderschöne Mischung der verschiedenen Kulturen, des Ostens wie des Westens. 

The National Israel Vocal Center HaBayit LeShira

In Israel gibt es ungefähr 120 Laienchöre und über 700 Vokalensembles, die wir chavurot zemer nennen – etwa: Singgruppen. Darüber hinaus existieren im Lande vier ganz ausgezeichnete Kinderchöre, dazu Schulchöre und Singgemeinschaften

Die Erwachsenenchöre widmen sich den bestmöglichen Aufführungen des europäischen Repertoires – große Werke mit Orchester, aber auch israelische Werke und Volkslieder.

Im Brennpunkt der Aufmerksamkeit der chavurot zemer stehen einfache, populäre israelische Lieder.  Die jeweiligen Dirigenten haben tausende Bearbeitungen geschrieben, die bei Treffen im ganzen Lande aufgeführt werden.

Die Kinderchöre sind die Kronjuwelen in unserem Chorleben.  Klassische israelische Lieder und Stücke aus dem klassischen Repertoire, bearbeitet für Kinderchor, sowie Originalwerke und neue Bearbeitungen kommen zur Aufführung und repräsentieren Israel in der ganzen Welt.

Inside the National Israel Vocal Center Habayit LeShira
Israelische Volksmusik

Das Zusammenkommen von Juden aus der ganzen Welt in Israel schuf ein Mosaik der Kulturen, der Rhythmen, der Melodien, der Harmonien und Texte.  Diese Lieder sind zum Gemeingut geworden; sie machen allen bei riesigen Offenen Singen große Freude und sind ein unabdingbarer Teil des Volkstanzes.  Eine umfassende Gruppe von Volksliedern gehört zu den Zeremonien anlässlich des [israelischen Gegenstücks zum] Volkstrauertag; sie erinnern an den schmerzlichen Verlust von Soldaten in den nimmer-endenden Kriegen und sind voller Heimweh zum Land.  Sie handeln von Liebe und Verlust und bringen die hebräische und die arabischen Sprachen zusammen.  Diese Lieder sind untrennbar mit dem Alltag der Menschen in Israel verwoben. 

 

Moran Chor

Ich gründete den Moran Chor im Jahre 1986 – ein Jahr, das wahrhaftig das glücklichste meines Lebens war.  Ich war Musiklehrerin in Beit Jitzchak, dem moshav (Dorf) wo ich bis heute lebe.  In dem kleinen Musiksaal, umgeben von tönernen Instrumenten und Instrumenten, die die Kinder selbst aus natürlichen Materialien angefertigt hatten, schufen wir Stücke und Lieder, und unsere Fantasie flog himmelwärts. 

Sowie ich erst einmal einen Chor hatte, strebte ich nach Zusammenarbeit mit Komponisten.  Mir war klar, dass die Inspiration für einen israelischen Kinderchor aus der Folklore kommen musste, zusammen mit Originalbearbeitungen für den Chor.  Ich arbeitete zusammen mit Jeheskel Braun, Menachem Wiesenberg, Haim Permont, Gil Schohat, Josef Bardanschwili, Elia Scheriff, Schlomo Gronich und vielen anderen wunderbaren Komponisten. Diese Verbindung zu den Komponisten hat sich im Laufe der Jahre nur verstärkt, und heutzutage schreiben die führenden Komponisten des Landes, jung wie alt, für die Moran Chöre.

Inzwischen ist der Moran Chor zu einer Pyramide von Chören geworden: das Cecilia Ensemble: eine achtköpfige Gruppe von Berufsmusikern, ausgebildete Opernsänger das Moran Ensemble: 24 junge, ausgebildete Musiker am Anfang ihrer Karriere, die hoffen, hauptberufliche Sänger zu werden der Moran Chor:

  • der Kinderchor für 11- bis 18-Jährige.  Dieser Chor vertritt Israel oft bei internationalen Veranstaltungen, wobei die denkwürdigste die Unterzeichnung der Friedensverträge von Oslo war.
  • Jung-Moran und Moranschikim: die beiden Chöre für kleinere Kinder, vom Kindergartenalter bis zum Alter von elf Jahren. 
  • Moran-Eltern: ein Chor für Erwachsene, die gerne singen.

Unser Motto Jeder, der singt, ist glücklich ist die Grundlage unserer Verbindung mit der Gemeinschaft.  In Israel versteht man, dass das Singen einen wesentlichen Beitrag zur Gemeinschaftsbildung leisten kann.  Beim Singen hören wir aufeinander, sind wir aufnahmebereit und tolerant.  Das Singen kann Brücken bauen zwischen verschiedenen Kulturen und Nationen, und es schafft – innerlich wie äußerlich – eine Sprache, die Sicherheit, Vertrauen und die Bereitschaft, Liebe und Freude weiterzugeben, verkörpert. 

 

Naomi Faran ist Gründerin der Moran Chöre und seit 1986 deren Dirigentin und musikalische Direktorin.  Sie hat das Buchmann-Mehta-Musikinstitut der Universität Tel Aviv absolviert.  Sie ist vielfach ausgezeichnet worden, u. a. als Herausragende Dirigent*in beim ersten internationalen Chorwettbewerb in Israel, als Trägerin des Arik Einstein Preises des israelischen Kultusministeriums für Etablierte Künstler (2021) und mit der Auszeichnung für ein Lebenswerk durch die israelische Künstlergewerkschaft (2022). Naomi wird häufig eingeladen, in der Jury bei renommierten Wettbewerben mitzuwirken, und sie hat fortgeschrittene Meisterkurse im Dirigieren bei internationalen Symposien in Slowenien, Dänemark, Hong Kong, China, Südkorea, Italien, Spanien abgehalten, und auch im Rahmen von Europa Cantat. Ihre Vorstellungskraft und ihre Energie werden durch erfolgreiche Ergebnisse bestätigt.  Zur Zeit bestehen die Moran Chöre aus sechs verschiedenen Chören, mit Mitgliedern im Alter von 6 bis 35.  Viele der Sänger sind inzwischen Berufssänger auf weltbekannten Bühnen. https://www.moran-choir.co.il/en 

Die Moran Chöre singen im Radio und im Fernsehen und mit Israels führenden Orchestern – das Israel Philharmonische Orchester (IPO), das Jerusalemer Sinfonie-Orchester, das Israel Kammerorchester und das Rishon LeZion Sinfonie-Orchester.  Sie sind in China, Kasachstan, den USA, Südkorea und in ganz Europa aufgetreten.

Untrennbar verbunden mit diesen Idealen ist das Ziel, ein ausgezeichnetes musikalisches Niveau mit Verwurzelung in der Gemeinschaft zu verbinden.  Jeder Chor nimmt an zahlreichen Gemeinschaftsprojekten teil, wie Arbeit mit Erwachsenen und Kindern mit Lernschwierigkeiten, Arbeit mit Jugendlichen, die sich als Außenseiter empfinden, und durch Singen vor Patienten der Kinder-Krebs-Abteilung im Schneider Krankenhaus in Israel.

Das einmalige Ethos der Moran Chöre besteht in der Überzeugung, dass das gemeinsame Singen soziale Verbesserungen bewirken kann.  Naomi hat ihr Arbeitsmodell bei akademischen Konferenzen in der ganzen Welt vorgestellt, darunter einer an der Universität Yale. 

Weitere Projekte von Naomi bemühen sich um den Frieden.  Man erinnert sich an die eindrucksvolle Aufführung, die Naomi Faran und die Moran Chöre 1994 beim Friedenskonzert in Oslo gaben, wo israelische und palästinensische Kinder gemeinsam für den Frieden sangen: Moran Choirs at the Oslo Peace Accords

 

Übersetzt aus dem Englischen von Irene Auerbach, UK

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