Konzertdesign

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Astrid Vang-Pedersen, Dirigentin, Malling, Dänemark

 

Hintergrund

Während meines Studiums an der Königlich Dänischen Musikakademie stieß ich auf viele Konventionen der Konzertgestaltung, und das brachte mich auf die Idee zu untersuchen, was passieren würde, wenn wir das Konzertgeschehen von einer höheren Warte aus betrachteten. Damit begann meine Forschung. Im Jahr 2018 schloss ich mit meiner Doktorarbeit ab: “Konzertdesign – eine Untersuchung des Potenzials klassischer Konzerte als kreativ gestaltete Events”.

 

Das Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt untersuchte, wie “Design” das vertraute Konzert-Setup durch theatralische Mittel, interdisziplinäre Dramaturgien und ortsspezifische Eingriffe performativ durchbrechen kann. Durch die Kombination akademischer Forschung mit Studien zu alternativen Konzertproduktionen und meinen eigenen explorativen Konzertprojekten konnte ich zeigen, wie ein anspruchsvolles zeitgenössisches Konzert als ein einheitliches interdisziplinäres Event gestaltet werden kann.

Im Wesentlichen besteht mein Forschungbeitrag aus meinem Konzept des Konzertdesigns. Das Konzertdesign-Konzept besteht aus einem Konzertdesign-Modell, einem Konzertdesign-Prozess und Konzertdesign-Methoden, die sich auch über die klassische Musikszene hinaus in einer Vielzahl von Musikgenres als nützlich erwiesen haben.

Das Konzertdesign-Modell beschreibt, wie das musikalische Repertoire und die drei Aufführungsaspekte – Interpreten, Publikum und Konzertraum – durch die kreative Auseinandersetzung mit sechs Konzertdesignprinzipien flexibel in einer Aufführung zusammenwirken können:

  1. Story
  2. Struktur
  3. Sensorisches
  4. Überraschungsmoment
  5. Spezifität
  6. Gemeinsamkeiten
Astrid Vang © Jim Hjernø – o barré à la danoise

Konzertdesign-Methoden

Während die Konzertdesign-Prinzipien bei der Konzeption einer Veranstaltung durchaus hilfreich sind, hängt die Umsetzung der Konzepte von den Fähigkeiten der Ausführenden ab. Die Entwicklung der Künstlerkonzentriert sich auf deren Verantwortung und Wunsch, das Publikum durch Reflexion über die eigene Leistung und deren Weiterentwicklung zu begeistern. Die Kernfrage, die wir uns als Interpreten stellen müssen, lautet: “Warum” – soll das Publikum zu dieser Aufführung kommen, “was” für eine Erfahrung wollen wir ihm vermitteln und “wie” können wir unsere musikalische Botschaft durch die Präsentation unterstützen?”.

Die Forschung umfasst die folgenden Bereiche:

  1. Entwicklung der Künstler: – Der körperliche Aspekt
  2. Gestaltung einer Szene: – Der ästhetische, visuelle und räumliche Aspekt
  3. Konzertdesign-Konzept: – Der ganzheitliche Aspekt
Modell: Körperebenen, Zentrum und Stanislavskijs Aufmerksamkeitskreise, Illustration: Astrid Vang-Pedersen
  1. Entwicklung der Künstler: – Der körperliche Aspekt
    Als Musiker sind wir und unsere Instrumente naturgemäß mit unserem Körper verbunden. Wir erzeugen Klang, als Sänger und Instrumentalisten verinnerlichen wir das Bewusstsein für musikalische Elemente wie rhythmische Muster, Tonhöhen, Klang- und Ausdrucksvielfalt und bringen so die Interpretation des musikalischen Materials nach außen.
    In der Vergangenheit wurde der Entwicklung des Ausdrucks und der Wirkung des Körpers bei der Aufführung klassischer Musik nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Rolle eines Ensemblesängers oder Instrumentalisten wird üblicherweise als neutral empfunden, sie erfordert keine dramatische oder kommunikative “Performance” – die Musik “performt” aus sich heraus. Daher ist der naheliegendste Startpunkt für die Künstlerentwicklung die Wiederherstellung des Bewusstseins für den Körper als ausdrucksstarker und kommunizierender Darsteller.
    Ein vereinfachtes Modell des Körpers, aufgeteilt in drei Ebenen, soll als Richtschnur dienen:
    • Ebene A – von der Hüfte abwärts (Erdung, ursprüngliche Kraft und vertikaler Fokus)
    • Ebene B – Torso (Herz, Emotion und horizontaler Fokus)
    • Ebene C – Kopf (Intellekt, feinstofflich, spirituell und vertikaler Fokus)

Die Ebenen bieten konkrete Anhaltspunkte für die Formulierung gemeinsamer Absichten, wie z. B.: “Was” kommunizieren wir gerade, und “woher” kommt diese Kommunikation? – Die Ebenen können auch hilfreich sein, wenn wir praktisch oder metaphorisch über den gemeinsamen Klang sprechen, den wir als Ensemble anstreben. Die praktische Arbeit an der Körperwahrnehmung beinhaltet körperliche Übungen zu Beginn und während der Proben, um den Fokus präsent zu halten. Ein stärkeres Körperbewusstsein ermöglicht eine abwechslungsreiche Positionierung von Sängern und Instrumentalisten auf der Bühne sowie die Möglichkeit, Bewegungen oder Choreografien einzubeziehen.

Ein Bild von mir in der Welt

Der russische Schauspieler und  Lehrer Konstantin Stanislavskij (1863-1938) entwickelte eine zum Unterrichten von Schauspielern zu denen die ‘vier Kreise der Aufmerksamkeit’ gehören. Jeder Kreis symbolisiert einen Aufmerksamkeitspunkt.Kreis eins ist die Aufmerksamkeit auf sich selbst, Kreis zwei geht hinaus zu den anderen in der Nähe, Kreis drei schließt den Rest der Welt ein und Kreis vier den universellen Aspekt des Seins.

“Du kannst dich jederzeit während einer Show vor Tausenden von Zuschauern in die Einsamkeit (des kleinen Kreises) zurückziehen, so wie eine Schnecke in ihr Schneckenhaus.” (Stanislavskij 1988, S.136)

Aufmerksamkeits-/Kommunikationskreise im Konzertdesign, inspiriert von der Schauspielmethode Stanislavskijs.

Die Kreise sind ein weiteres nützliches Instrument, um zu verbalisieren, worauf der Schwerpunkt bei der Aufführung eines bestimmten Abschnitts eines Stücks liegt, nicht als Drama oder Akt, sondern als direkte oder indirekte Kommunikation zwischen Interpreten und Publikum.

  • Kreis 1 (Ich, auch als “Zuhause” bezeichnet)
  • Kreis 2 ( Ich und meine unmittelbare Gruppe)
  • Kreis 3 ( Ich, meine unmittelbare Gruppe und alle anderen, einschließlich des Publikums)
  • Kreis 4 (Ich und alles, was mir begegnen kann, und der universelle Aspekt des Seins)

 

  1. Eine Szene schaffen – Inszenierung & Choreographie

Bei der Gestaltung einer Szene – eines Musikstücks – im Proberaum liegt das Hauptaugenmerk auf den potenziellen visuellen Ausdrucksmöglichkeiten der darin enthaltenen musikalischen Qualitäten. Oft beginne ich mit der Konstruktion möglicher Inszenierungsweisen eines Stücks, indem ich auf ein Blatt Papier zeichne. Ich markiere die Darsteller mit X und ihre Bewegungen mit Pfeilen. Manchmal erfordert ein Stück viele Zeichnungen, die zu den einzelnen Abschnitten der Musik passen. Ich bringe die Idee zur Probe mit, wo ich die Inszenierung mit den Ausführenden ausprobiere. Durch wiederholte Proben werden Anpassungen vorgenommen und Körperausdrücke und Kreise der Aufmerksamkeit in die Aufführung eingefügt.

Die Inszenierung eines Stücks ist ein kombinierter körperlicher, visueller und räumlicher Akt. Die Musik kann aufgrund ihrer Komposition oder der Technik ihrer Aufführung eine gewisse Räumlichkeit erfordern. Aber auch der Raum prägt die Inszenierung ebenso wie die Interpreten. Manchmal wird ein Konzertdesign mit Blick auf einen bestimmten Raum entworfen, wie ein “site-specific”, und manchmal wird es rein auf der Grundlage der Musik und der Interpreten entwickelt und muss im Aufführungsraum entsprechend angepasst werden.

  1. Konzertdesign: Ein ganzheitlicher Ansatz für das performative Ereignis.

Vereinfacht ausgedrückt ist ein Konzert eine Reihe von “Szenen”, die zu einem Gesamtablauf zusammengefügt werden. Die Musikstücke werden in einer Erzählung oder einer dramatischen Kurve aneinandergereiht, die die Aufführung prägt. Es ist dieser Teil des Konzertdesignprozesses, der zur Auseinandersetzung mit den Konzertdesignprinzipien einlädt.

 

Die übergreifenden Prinzipien der Konzertgestaltung sind: Story und Struktur, wobei die Story die Inszenierung sowohl der einzelnen Stücke als auch des Gesamtablaufs bestimmt. Die Struktur ordnet das Ereignis zwischen einem Vorher und Nachher ein -aus der Perspektive, dass das Gesamterlebnis auch das umfasst, was direkt davor und direkt danach passiert. Die Prinzipien von Sinnlichkeit und Überraschungsmomentwerden in die Art und Weise einbezogen, wie der Raum das Design beeinflusst und wie er Choreografien, Kleidung, Beleuchtung, Szenografien usw. inspiriert, während Spezifität  und Gemeinsamkeit sich darauf konzentrieren, wer wir als Künstler sind, wer unser Publikum ist und was wir teilen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Konzertdesign ein kreativer und reflektierender Prozess ist, bei dem die gesamte Veranstaltung als ein ganzheitliches Erlebnis betrachtet wird, bei dem visuelle, körperliche und räumliche Elemente die musikalische Botschaft und das Engagement des Publikums beeinflussen und unterstreichen.

Weitere Lektüre, Übungsaufgaben und Beispiele für Konzertdesign finden Sie unter: www.concertdesign.dk

 

Referenzen

  • Stanislavskij, Konstantin: ”En skuespillers arbejde med sig selv”, Nyt Nordisk Forlag Arnold Busck A/S 1988, Copenhagen, 4th Auflage. Übersetzt aus dem Russischen. Kapitel 5, S.119-1164
  • Vang-Pedersen, Astrid (2018): “Concert Design – an investigation into the potential of Classical Concerts as creatively designed event”. www.concertdesign.dk
  • Vang-Pedersen, Astrid (2015): “Re-thinking the classical concert” in Engaging Spaces – Sites of performance, interaction and reflection, Museum Tusculanum 2015
Dopplers NORD © Chad Tyler Charlton – CTC Photography

Astrid Vang-Pedersen hat das Konzept Konzertdesign im Rahmen ihrer Doktorarbeit mit dem Titel “Concert Design – an investigation into the potential of Classical Concerts as creatively designed events” entwickelt. Das Konzertdesign-Konzept besteht aus 6 Konzertdesign-Prinzipien, die inspirierende, innovative, relevante und einzigartige Musikaufführungen ermöglichen. Astrid ist die künstlerische Leiterin des Vokalensembles Dopplers, das bei seinen Aufführungen Wert auf Konzertdesign legt. Sie arbeitet als freiberufliche Pädagogin und Performance-Coach und leitet Meisterkurse und Workshops. Astrid gründete das internationale Chorensemble Ubuntusong, das sich für interkulturelle Verständigung durch Gesang einsetzt. www.concertdesign.dkwww.dopplers.dkwww.ubuntusong.com

 

Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Saus, Deutschland

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