Die Aufstellung
Von Cristian Grases
In dieser neuen Ausgabe der Serie „Let’s talk Method“ möchte ich mich einem wichtigen, aber oft vernachlässigten Aspekt unserer Arbeit zuwenden – der Aufstellung des Chores. Es hat sich wiederholt gezeigt, dass die Strategie und Methode hinter der Aufstellung eines Chores eine der wichtigsten logistischen Entscheidungen eines Chorleiters ist. Jedes Ensemble ist verschieden und hat unterschiedliche Bedürfnisse in Abhängigkeit von Proben- und Auftrittsort, der Größe des Chores, seiner technischen Fähigkeiten, dem Repertoire und auch den Vorlieben des Chorleiters. Trotz all dieser Unterschiede will ich im Folgenden ein paar allgemeine Ideen beschreiben, die im Entscheidungsprozess für alle Chorleiter weltweit hilfreich sein können.
Einige Chöre wählen ihre Mitglieder durch Vorsingen aus, andere Chöre nehmen alle Interessenten auf, die Begeisterung für das Chorsingen mitbringen. Unabhängig von dieser Situation sollte sich der Chorleiter die Zeit nehmen, jeden Sänger einzeln anzuhören und versuche, die bestmögliche Kombination der Sänger im Raum zu finden. Für jeden Chorsänger sollte der Leiter des Chores dabei viele Eigenschaften der jeweiligen Stimme berücksichtigen: Tiefe, Klang, Kraft, Klangfarbe, Luftgebrauch, Vibrato usw., Intonationsfähigkeit, Tongedächtnis und zu guter Letzt auch Verhalten und Persönlichkeit des Sängers. Aus allen Faktoren ergibt sich eine umfangreiche Entscheidungsmatrix, aus der sich aber oft nicht die perfekte Lösung ableiten lässt.
Die Karriere des emeritierten Johnson-Professors für Musik des Luther College in Decorah (Iowa, USA), Weston Noble, ist geprägt durch viele erfolgreiche Konzerte insbesondere mit dem Nordic Choir des Luther College. Eine seiner meistgelobten Qualitäten ist die erreichte Tonqualität in seinen Ensembles. Er betont, dass die Aufstellung der Sänger einer der entscheidenden Faktoren für eine bessere Tonqualität ist. Zehn von Nobles Vorlesungen wurden von Steve Delhorst in einem Band zusammengefasst, der bei GIA Publications erschienen ist. Die fünfte Vorlesung dieses Bandes beschäftigt sich mit dem Vorsingen und der Aufstellung. Darin beschreibt Weston Noble sein eigenes Vorgehen bei der Choraufstellung:
„Welche Zutaten bestimmen die Mischung zwischen den Sängern und dem Chor als Ganzes? Dabei sollte man Tonfarbe, Vibrato, Tonlage, Stimmumfang, Körpergröße des Sängers und Rhythmusvermögen berücksichtigen.
Um das Vorhandensein dieser Faktoren bewerten zu können, kann der folgende Leitfaden verwendet werden:
- Man finde zuerst zwei Sänger, deren Stimmen zusammen gut klingen und lasse sie zusammen singen. Diese beiden Stimmen sind jetzt das Modellpaar.
- Nach der Auswahl des Modellpaares bringt man dieses mit einem dritten Sänger zusammen. Dieser singt zunächst links und danach rechts vom ersten Sänger des Paares. Dabei singen jeweils nur Sänger 1 und 3. Das gleiche Vorgehen wird jetzt mit Sänger 2 wiederholt. Aus dieser Prozedur kann dann hervorgehen, dass Sänger 3 nun Sänger 1 ersetzt, inmitten des Modellpaares platziert wird oder er kann auch wieder ausscheiden.
- Hat man die beste Position gefunden, so lasse man die drei zusammen singen, bringe einen vierten Sänger dazu und wiederhole den ganzen Vorgang. Im Idealfall sollte jeder Sänger sowohl mit dem Sänger rechts von ihm als auch links von ihm harmonieren.
- Nachdem die ganze Stimmgruppe auf diese Weise geordnet aufgestellt wurde, kann man versuchen, das Ganze auch mal spiegelverkehrt anzuordnen und sich die Stimmgruppe in beiden Aufstellungen anzuhören und zu beurteilen. Manchmal ist das Ergebnis dieser Umordnung überraschend.“
Bei diesem Vorgehen ist mir aufgefallen, dass dunkle Stimmen schneller und besser einen Zusammenklang finden als helle Stimmen. Schließlich neige ich jedoch dazu, jede Stimmgruppe wie folgt anzuordnen:
Dunkel-hell-dunkel-hell-dunkel-hell-dunkel-hell-dunkel
Bei vielen Gelegenheiten kann eine Stimmgruppe nicht als eine geschlossene Reihe platziert werden. Auch beim Aufteilen der Reihe in zwei Reihen, trägt die obige Anordnung zu einem guten Zusammenklang bei. Eine zweireihige Aufstellung sähe daher wie folgt aus:
dunkel–hell–dunkel–hell–dunkel–hell–dunkel
hell–dunkel–hell–dunkel–hell–dunkel–hell
Ein Chorleiter könnte auch ein ähnlich gestaltetes alternierendes Muster für die Aufstellung gemäss anderer Kriterien wählen, z.B. Kraft und Umfang der Stimme, Vibrato, Intonationsfähigkeit, Blattsingen und musikalische Ausbildung, Verhalten oder andere persönliche Charakteristika oder auch gestützt auf seine eigene Erfahrung. Durch die alternierende Aufstellung der Sänger basierend auf ihren individuellen Eigenschaften kann ein Chorleiter die besten Bedingungen für alle Sänger schaffen, damit diese in ihrer Ausbildung und musikalischen Leistung herausragen. Dadurch fördert er das Zusammenspiel aller Stimmen zu einem erfolgreichen Chor.
Nachdem jede Stimmgruppe neu organisiert wurde, sollte der Chorleiter sich der Aufstellung der Gruppen zuwenden, um so das gesamte Ensemble räumlich einzuordnen. Darüber wurde schon viel geschrieben, und viele Veröffentlichungen stellen Alternativen vor, einen Chor räumlich aufzubauen. Im Folgenden nun einige allgemeine Ideen:
Für Frauenstimmen
- Hier sollte man in Betracht ziehen Sopran 1 und das Klavier auf die gleiche Seite zu stellen. Dies trägt zu einer Verbesserung der Intonation bei:
Sopran 1 |
Sopran 2 |
Alt |
Klavier (zumeist links vom Chorleiter platziert, damit der Deckel sich zum Publikum hin öffnen lässt)
- Ebenso kann man in Erwägung ziehen, die Altstimmen zwischen die beiden Sopranstimmen zu stellen, um die Intonation zu verbessern (so erklingen dann die höchsten und tiefsten Töne eines Akkordes direkt nebeneinander):
Sopran 1 |
Alt |
Sopran 2 |
- Durch das Aufstellen des Sopran 1 in der Mitte kann die Balance und die Einheit eines Ensembles verbessert werden:
Sopran 2 |
Sopran 1 |
Alt |
Für gemischten Chor
- Auch hier sollte man in Betracht ziehen, Sopran und das Klavier auf die gleiche Seite zu stellen. Dies trägt zu einer Verbesserung der Intonation bei:
Tenor |
Bass |
Sopran |
Alt |
Klavier (zumeist links vom Chorleiter platziert, damit der Deckel sich zum Publikum hin öffnen lässt)
- Ebenso kann man erwägen, den Bass hinter den Sopran zu stellen, um somit die Intonation zu verbessern (so erklingen dann die höchsten und tiefsten Töne eines Akkordes direkt nebeneinander):
Bass |
Tenor |
Sopran |
Alt |
- Eine Aufstellung in Blöcken statt Reihen ist eine weitere Möglichkeit:
Sopran
|
Alt |
Tenor |
Bass |
- Alternativ können auch die Sopran- und Bassgruppe zusammen in der Mitte des Ensembles platziert werden:
Alt
|
Sopran |
Bass |
Tenor |
- Alle diese Aufstellungen für gemischten vierstimmigen Chor können auch einfach zu einer achtstimmigen Struktur verändert werden. Zwei der meistverwendeten Arten dieser Umgestaltung sind nachfolgend abgebildet und können auf jede der oben vorgestellten Aufstellungen angewendet werden:
Aufspaltung in Reihen:
Tenor 2 |
Bass |
Tenor 1 |
Bariton |
Sopran 2 |
Alt 2 |
Sopran 1 |
Alt 1 |
Aufspaltung in Blöcken:
Tenor 1 |
Tenor 2 |
Bariton |
Bass |
Sopran 1 |
Sopran 2 |
Alt 1 |
Alt 2 |
Gemischte Strukturen
- Durchmischung innerhalb der Stimmgruppen:
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- Durchmischung je einer Seite des Chores:
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- Durchmischung des ganzen Chores:
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Ebenso ist eine Kombination aus allen vorgestellten Aufstellungen möglich.
Dieser Tage tendieren viele Chöre dazu, nicht in einer festen Aufstellung zu singen, sondern die ganze Bühne zu verwenden ebenso wie die Gänge im Publikum, um musikalische Darbietungen zu schaffen, die Singen, Tanzen, Bewegung und Licht vereinen. Hierin sind die Optionen beinahe unendlich und eng verbunden mit dem Konzept der Aufführung sowie dem ausgewählten Repertoire. Die Aufstellung ist nur eine der vielfältigen Möglichkeiten für Chorleiter, eine einzigartige musikalische Erfahrung mit ihren Ensembles zu kreieren. Mit anderen Worten: es können auch Chöre einen Teil ihrer Konzerte in der traditionellen Aufstellung singen (z.B. eine der oben beschriebenen) und danach diese Strukturen aufbrechen und in einer freien Aufstellung oder sogar in Bewegung singen.
Diese Ideen zur Aufstellung eines Chores helfen hoffentlich, praktikable Lösungen für Ensembles zu schaffen, Chorleiter dazu zu ermuntern neue Richtungen einzuschlagen oder innovative Konzertproduktionen zu entwickeln. Dabei ist es immer wichtig zu berücksichtigen, dass die Aufstellung nur eines der Mittel der Chorleiter ist, um die Qualität ihrer Chöre zu verbessern. Das Verständnis der grundlegenden Entscheidungsprinzipien der Choraufstellung sollte zur musikalischen Entwicklung beitragen. Es sollte nicht zu leicht genommen werden und dadurch den Erfolg musikalischer Vorhaben mindern.
Cristian Grases hat einen Masterabschluss im Fach Chordirigat bei Alberto Grau und Maria Guinand in Caracas (Venezuela) sowie einen Doktor in Chordirigat der University of Miami (USA). Er wurde mehrfach als Komponist ausgezeichnet und ist als Gastdirigent, Preisrichter und Gesangspädagoge in Nord- und Südamerika sowie Europa tätig. Cristian Grases ist Vorstandsmitglied der IFCM und Mitglied des International Artistic Committee for Songbridge. Derzeit ist er Assistant Professor an der University of Southern California in Los Angeles (USA). E-mail: cgrases@gmail.com
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Schnabel, Deutschland