5. Multikulturelle & Ethnische Konferenz für Chormusik der IFCM,
Girona, 2013
von Theodora Pavlovitch, Vizepräsidentin der IFCM, Chorleiterin und Lehrerin
Mare Nostrum (“unser Meer”) – so wird das Mittelmeer seit jeher genannt. Dieser römisch-lateinische Begriff hat fortwährend die Vorliebe der Menschen für diese schöne, farbenreiche und ungewöhnliche Region voller Kontraste beschrieben. “Für dreiviertel des Globus ist das Mittelmeer gleichsam das verbindende Element und ein Ort der Weltgeschichte” (Georg Wilhelm Friedrich Hegel “The Philosophy of History” [“Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte”], S. 87, Dover Publications Inc., 1956). Die einzigartige Lage zwischen den drei Kontinenten Europa, Afrika und Asien (Mittlerer Osten), das milde Klima und das fruchtbare Land drum herum haben das Mittelmeer zu einer Wiege verschiedener Zivilisationen, zu einem Treffpunkt reicher Kulturen und zu einer wichtigen Handelsroute zwischen den Völkern wachsen lassen. Die kulturellen und musikalischen Traditionen dieser Region kennenzulernen ist unabdingbar, wenn man die Ursprünge und die Entwicklung vieler kultureller Phänomene verstehen will, und so war es keine Überraschung, dass diese sehr spezielle Gegend für die 5. Multikulturelle & Ethnische Konferenz für Chormusik der IFCM ausgewählt wurde. Nachdem das musikalische und das wissenschaftliche Konzept auf die Beine gestellt worden waren, konnte die Veranstaltung von einem guten finanziellen Zuschuss des Kulturprogramms der Europäischen Union und des Kulturministeriums der Regierung von Katalonien (Generalitat de Catalunya) profitieren – Dank gilt dem Europäischen Chorverband Europa Cantat (Gründungsmitglied der IFCM), Moviment Coral Català (die Dachorganisation der Chöre in Katalonien, einer der Gastgeber der Konferenz) und dem Mediterranen Büro für Chormusik.
Das Programm der Tagung sollte so viele Musikkulturen repräsentieren wie möglich. Mit 22 Ländern aus drei Kontinenten, drei großen Religionen (Christentum, Islam und Judentum) und deren Verzweigungen, großen ökonomischen und politischen Differenzen und der immensen kulturellen Vielfalt der Region war es ein hartes Stück Arbeit, die Struktur der Konferenz aufzubauen! Aber das Ergebnis war wirklich großartig: In vier Veranstaltungstagen konnten die Mitwirkenden und Besucher neun Konzerte, sieben Plenarsitzungen und drei Sitzungen besuchen, die den Titel “Mediterranes Repertoire entdecken – in drei dokumentarischen Analysesitzungen” (von Dolf Rabus vorbereitet, dem Direktor des Musica Sacra International Festivals und Mitglied der künstlerischen Leitung der MVC).
Das Konzertprogramm der Tagung präsentierte die ganze Vielfalt der Gesangstraditionen dieser ungewöhnlichen Region. Am Anfang war ein magische Klangmalerei zu hören – The Voice of the Bells, geschrieben von Llorenc Barber, beeindruckende und wunderschöne Musik – aufgeführt von den Glocken aller Kirchen von Girona. Es brachte den Menschen in Girona – Veranstaltungsteilnehmern, Einheimischen und Touristen – eine erfrischende Stimmung, geprägt von Freude und Festlichkeit. Das Konzert mit dem Titel “Balcony to the Sea” (Balkon am Meer) begann mit zwei Chören aus Girona: dem Cor de Cambra de la Deputacio de Girona (Ltg. Pablo Larazz) und dem Claudefaula Jugendchor (Ltg. Quim Bonal) – ein Willkommensgeschenk der Gastgeberstadt, gefolgt vom Fayha Chor (Ltg. Barkev Taslakian) aus dem Libanon, welcher der Chor mit den meisten Auftritten während der Konferenz war. Der Chor überzeugt nicht nur durch sein spezielles Repertoire und das hohe Gesangsniveau, sondern auch mit seinem spirituellen und menschlichen Konzept – Moslems und Christen finden hier zueinander. Beheimatet in einem Land, in dem bis vor einigen Jahren keine Chöre existierten, ist Fayha nicht bloß ein Chor: Er ist eine Botschaft an Nationen, an verschiedene ethnische und religiöse Gruppen – eine Botschaft für Frieden und beiderseitiges Verständnis. Und der Dirigent Barkev Taslakian hat geschafft, was Generationen von Diplomaten und Politiker immer noch nicht erreichen.
Ein wirklicher Höhepunkt der Konzerte und gleichzeitig die größte Überraschung für uns alle war der Cor Jove Nacional de Catalunya – der brandneue Nationale Jugendchor Kataloniens, der gerade ein paar Wochen vorher gegründet worden war. Die Trägerinstitutionen Moviment Coral Català und De Corals Joves de Catalunya (die Katalonische Jugendchorvereinigung) gaben bekannt: “Der Nationale Jugendchor Kataloniens hat zwei Ziele: einerseits jungen Chorsängern und Gesangsstudenten die Arbeit in einem pädagogischen Projekt mit hohem musikalischen Niveau und den besten Chordirigenten Europas zu ermöglichen. Das zweite Ziel ist es, unserem Land (Anm. d. Übers.: Katalonien) ein neues Werkzeug zu geben, um die Situation und den Stellenwert von Chormusik und Chören bei jung und alt zu verbessern, auch für alle Chöre in Katalonien.” Zwei Weltklasse-Chorleiter wurden ausgewählt, um mit dem Chor zu arbeiten: Vytautas Miskinis (Litauen) und Xavier Puig (Katalonien). Für das Debütkonzert des Chores hatten beide ein spannendes und hochklassiges Programm vorbereitet, welches im ersten Teil Stücke von Vytautas Miskinis selber und im zweiten Teil traditionelle katalonische, von arabischer Musik beeinflusste Melodien enthielt, arrangiert von verschiedenen Komponisten.
Einige andere Chöre und Ensembles präsentierten ihre nationalen Traditionen im Rahmen der Mediterranean Voices Conference: die großartige marokkanische Gruppe Els mediadors de Deu (Ltg. Abdelaziz Benabdeljalil), der israelische Samariterchor (Ltg. Benyamin Tsedaka), das La Nova Euterpe Vokalensemble (Ltg. Jaume Ayats) aus Katalonien und Cant d’Estil (Valencia) aus Spanien, Gruppo Spontaneo Trallalero aus Ligurien (Italien) und der Novi Sad Kammerchor aus Serbien (Ltg. Bogdan Djakovich).
Eine brillante Auswahl berühmter Sänger eröffneten die Möglichkeit, die einmaligen vokalen Traditionen Spaniens kennenzulernen: Antonio Campos und Juan Antonio Suarez “Cano” – ein Duo aus Andalusien, Mateu Matas “Xuri” von Mallorca, Josep Antoni Aparicio “Apa” und Josemi Sanchez aus Valencia. Dem sehr emotionalen Konzert folgte ein spontaner Gesangswettbewerb am Ende dieses unvergesslichen Konzertmarathons!
Der wissenschaftliche Teil der Mediterranean Voices Conference bestand aus sieben Plenarsitzungen, die im Institut für Pädagogik und Psychologie der Universität Girona stattfanden. Die Themen “Monodische Traditionen im geistlichen Gesang”, präsentiert von Youssef Tannous (Libanon), Juan Carlos Asensio (Spanien) und Fethi Zhgonda (Tunesien) und “Mehrstimmiger Gesang in geistlicher und weltlicher Tradition” mit Ignazio Macchiarella (Italien) wurden gefolgt von “Singen auf den Inseln” (Ignazio Macchiarella, Jaume Escandell, Francesc Vicens und Jordi Alsina), “Singen um zu sprechen, improvisierter Gesang” (Josemi Sanchez und Jaume Ayats), “Ressons de l’al-Andalus” (Xavier Puig und Fethi Zghonda), “Singen um zu beten” (Abdelaziz Benabdejalil und Bogdan Djakovic) und “Iberische Stimmen” (Jaume Ayats). All diese Themen waren extrem gut vorbereitet und demonstrierten das Wissen und das hohe Niveau der Dozenten.
Der Besuch der Sitzungen über das mediterrane Repertoire gab den Teilnehmern einen Einblick in verschiedene Musikstile – von Stücken der Katalonischen Meister Carles Gumi und Lluis Guzman (präsentiert von Xavier Boulies und Montserrat Cadevall – Präsident der Federacio Catalana d’Entitats Corals) zu den Arrangements von alter unbekannter Katalonischer Folklore (präsentiert von Xell Montserrat), geschrieben von Komponisten verschiedener mediterraner Länder: Carlo Pavese (Italien), Edward Torikian (Libanon) und Thomas Louziotis (Griechenland) – eine originelle Idee des Secretariat de Corals Infantils de Catalunya. In der Abschlusssitzung zeigten die Komponisten außerdem einige ihrer neuesten Stücke, und der Fayha Chor sang Musik von Edward Torikian und Barkev Taslakian – dem Leiter des Chores.
Eine neue Sicht auf die Vielfalt der Traditionen und moderner Trends, auf die speziellen Einflüsse und Betrachtungen in vokaler Kultur der Länder, die das Mittelmeer umgeben – so viele magische Augenblicke des Entdeckens, der Fantasie und des wertvollen Wissens übereinander. Muchas gracias, Catalunya, Moviment Coral Català, Präsident Marti Ferrer i Bosch und Ihrem Team für die große Gastfreundschaft, das exzellente Management und die fantastische Atmosphäre der Veranstaltung! Diese Konferenz wird mit Sicherheit nicht die letzte ihrer Art in dieser spektakulären Region gewesen sein. Bis bald, Bewohner des Mare nostrum!
Theodora Pavlovitch is a Professor in Choral Conducting at the Bulgarian National Academy of Music and at Sofia University. She conducts the Vassil Arnaoudov Sofia Chamber Choir (winner of 22 first and special awards at international competitions) and is a permanent conductor of Classic FM Radio Choir. She was awarded a ‘Golden Lyre’, the highest national prize for music in Bulgaria and she conducted the winter session 2007/2008 of the World Youth Choir. She is a regular member of the jury panels at a number of international choral competitions and a lecturer at various music events in Europe, the USA, Japan, Hong Kong, Taiwan, South Korea and Israel. In 2005, she led a master class in conducting at the seventh World Symposium on Choral Music in Kyoto, Japan. She has been Vice President of the International Federation for Choral Music since 2008 and was elected as a Chair of the WYC Artistic Committee in 2011. Email: theodora@techno-link.com
Übersetzt aus dem Englischen von Florian Sievers, Deutschland
Edited by Angelica Falcinelli, USA