Von Daniel Schalz, Redakteur von Chorzeit Das Vokalmagazin
Wäre es nicht traumhaft, wenn man sich als Chorleiterin oder Chorleiter ganz und gar auf die musikalische Arbeit konzentrieren könnte? Die Realität sieht anders aus: “Konzertprogramme müssen geplant, Noten bestellt, Räume gemietet und eingerichtet werden, Gelder beschafft, Plakate gedruckt, Tickets verkauft werden, und auch die Sänger selbst bringen einen gewissen Verwaltungsaufwand mit sich”, heißt es in der “Schott Master Class Chorleitung – vom Konzept zum Konzert” (Schott 2011). Und der Autor konstatiert: «”Auch ich verbringe die Hälfte meiner Zeit mit Organisation und Planung, viele Stunden jeden Tag (…).”
Wohlgemerkt ist der Verfasser des Buches nicht der Chorleiter eines Laienensembles, sondern Simon Halsey, Chefdirigent des Rundfunkchores Berlin – eines professionellen Spitzenensembles. Selbst für diesen gehören organisatorische Aufgaben selbstverständlich dazu, auch wenn er Fachkräfte für Tourneeplanung, Öffentlichkeitsarbeit oder Veranstaltungsorganisation an seiner Seite hat.
Je ambitionierter ein Ensemble ist, desto umfangreicher sind die organisatorischen Aufgaben, weshalb als ChormanagerIn offenbar die viel zitierte eierlegende Wollmilchsau gefragt ist. Diesen Eindruck unterstreicht etwa Cornelia Bend, Chormanagerin des SWR Vokalensembles, wenn sie nur einige ihrer wichtigsten Aufgaben auflistet: “Personal-, Etat- und Programmverantwortung, Vergabe von Kompositionsaufträgen, Akquise, Veranstalterkontakte, Vertragsgestaltung, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Koordination von Hörfunk-, CD- und Fernsehproduktionen, Stärkung des Stellenwertes der Vokalmusik durch Vernetzung mit Verbänden, Patenchorprojekte, Musikvermittlung für alle Altersgruppen …” Eine solches Pensum lässt sich nicht ohne Abstriche bewältigen: “Man muss damit umgehen lernen, die eigenen Ziele nie ganz zu erreichen”, sagt Bend, “und die Wünsche des Ensembles nie ganz erfüllen zu können.”
DIE PROFIS HABEN SICH D AS MEISTE IN DER PRAXIS ANGEEIGNET
Dies gilt erst recht für Laienensembles, ruht bei diesen doch die gesamte organisatorische Last in der Regel auf wenigen Schultern – im Extremfall auf denen des Chorleiters. Doch der ist häufig mit seiner schier endlosen To-do-Liste überfordert – zeitlich sowieso, aber auch fachlich, fehlen doch gerade im Laienbereich entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten (siehe das Interview mit Alexandra Jachim „Vielen fehlt das Handwerkszeug“).
Auch an der Spitze sieht es in puncto Ausbildung nicht besser aus: Zwar gibt es mittlerweile eine ganze Reihe grundständiger Studiengänge «”Kulturmanagement”. Nur in seltensten Fällen allerdings spielt dabei das Thema Chor eine Rolle. Das liegt zum einen daran, dass es in Deutschland nur rund zwei Dutzend Chöre und Vokalensembles gibt, die ihr Management mit festen Mitarbeitern besetzen können, und auch diese haben oft keine Vollzeit-Stellen. Es gäbe also kaum Jobs für Absolventen.
Zudem ist jede Chormanagerin und jeder Chormanager – egal ob Profi oder engagierter Laie – zunächst einmal Kulturmanager im viel weiteren Sinn. “Chormanagement ist lediglich eine kleine Facette eines Berufsbildes, das viel komplexer ist”, sagt Bernhard Heß, Chormanager des RIAS Kammerchores in Berlin. “Es ist eigentlich unerheblich, ob man ein Orchester, einen Chor oder eine Volkstanzgruppe betreut, da die Anforderungen die gleichen sind: Marketing, PR, Fundraising und so weiter.” Er selbst sehe sich nicht als Chormanager, sagt Heß, sondern als Kulturmanager, der mit einem gewissen Expertenwissen, reichlich Berufserfahrung und einem guten Netzwerk momentan eben für einen Chor arbeite.
Ähnlich erfolgreich habe er aber auch schon eine Stiftung, ein Festival, einen internationalen Wettbewerb und ein Barockorchester geleitet. “Und es spricht ja auch überhaupt nichts gegen Quereinsteiger”, so Heß, “wenn sich durch ihre Arbeit Erfolg einstellt”.
Tatsächlich haben sich viele der professionell (und erfolgreich) arbeitenden Chormanagerinnen und Chormanager in Deutschland ihre Kenntnisse weniger im Studium als vielmehr in der Praxis erarbeitet. So hat Oliver Geisler, Manager des Dresdner Kreuzchors, einen Doktortitel in Literatur, Susanne Eckel vom Deutschen Jugendkammerchor hat Schulmusik studiert. Christof Hartmann von den Regensburger Domspatzen ist Wirtschaftswissenschaftler – hat aber bereits während des Studiums eine Konzertagentur aufgebaut und zusammen mit seinem Bruder Ludwig Hartmann und Stephan Schmid in Regensburg die “Tage Alter Musik” gegründet. Nach seinem Examen zum Diplom-Kaufmann arbeitete er zunächst als Geschäftsführer an der Fachakademie (heute Hochschule) für katholische Kirchenmusik und Musikerziehung Regensburg, bevor er 1998 Manager der Domspatzen wurde, bei denen er selbst als Kind gesungen hatte. “Sehr viele Impulse für meine Arbeit erhielt ich durch ‘Learning by Doing’ seit meiner Schülerzeit”, erzählt Hartmann. “Schon damals habe ich für Konzertdirektionen bei Veranstaltungen mitgeholfen – vom Kartenverkauf und dem Plakataushang über die Organisation der Garderobe bis zur Einlasskontrolle.”
Viele der Chormanager haben zudem ein künstlerisches Studium hinter sich. Jürgen Wagner zum Beispiel, seit 2008 für die Betreuung des Chorwerk Ruhr verantwortlich, hat Gesang studiert. Cornelia Bend vom SWR Vokalensemble studierte Oboe, parallel dazu Musikwissenschaften, Geschichte und Philosophie. Schließlich belegte sie außerdem Kurse in Kulturmanagement an der PH Ludwigsburg. “Meiner Erfahrung nach ist aber ein Kulturmanagementstudium ohne weitere Vertiefungsfächer und eigene Ensembleerfahrung meist nicht umfangreich genug für die vielfältigen Managementaufgaben”, sagt sie.
Ähnlich sieht es Hans-Hermann Rehberg, seit 1990 Direktor des Rundfunkchors Berlin: “Management kann man, glaube ich, nicht lernen.” Nachdem er an der Hochschule für Musik in Leipzig Gesang studiert hatte, sang er dort fünf Jahre ander Musikalischen Komödie und dann neun Jahre im Rundfunkchor Berlin – und bildete sich im Managementbereich durch Hospitationen an den Musikhochschulen in Berlin und Hamburg weiter.
So wie Rehberg hat die überwiegende Zahl der Chormanagerinnen und Chormanager früher selbst gesungen oder tut dies aktuell noch. “Das ist eine geradezu notwendige Voraussetzung für den Job”, sagt Buchautorin Alexandra Jachim (“Erfolgreiches Chormanagement”). “Man muss wissen, wie ein Chor tickt.” Im semiprofessionellen und Laienbereich, und dieser macht ja annähernd 99 Prozent der Chorlandschaft aus, ergibt sich diese Grundvoraussetzung fast immer von selbst. Zum Beispiel beim Jazzchor Freiburg: Dort kümmert sich Altistin Nina Ruckhaber seit 2012 um alles Organisatorische. Auch sie singt nicht nur von Kindesbeinen an in Chören, sondern hat sich bereits früh für das Drumherum interessiert: “Schon im Schulchor habe ich die Anwesenheitsliste für die Proben geführt”, erinnert sie sich. “In der Oberstufe war ich in die Konzertorganisation eingebunden. Und an der Uni war ich zwei Jahre als Assistentin des Universitätsmusikdirektors auch für den Unichor organisatorisch mit zuständig.”
FÜR DEN LAIENBEREICH GIBT ES NUR WENIGE FORTBILDUNGSANGEBOTE
Weiteres Knowhow hat sich Ruckhaber, die Musikpädagogik in Koblenz studiert hat, unter anderem in einer Weiterbildung zur Chormanagerin bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bonn erarbeitet und durch Kurse in Musikmanagement und Musikrecht an der Musikhochschule Freiburg sowie weiterführende Seminare bei diversen Musikverbänden. Damit hat sie allerdings schon einen großen Teil der Weiterbildungsmöglichkeiten ausgeschöpft, die überhaupt angeboten werden. Zwar gibt es einige wenige Seminare der größeren regionalen Chorverbände, die meist einen Schwerpunkt auf vereinsrechtliche Aspekte legen. So bietet zum Beispiel der Chorverband NRW in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung den sieben Module umfassenden Lehrgang “Vereinsmanagement in der Chorpraxis” an. Wer aber etwa bei der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel nach dem Thema fragt, wird auf allgemeine Kurse zum Kulturmanagement verwiesen – spezielle Angebote für Chormanagement gibt es nicht.
Ein paar Spitzenensembles ergreifen angesichts der spärlichen Angebote selbst die Initiative: So bietet etwa der WDR Rundfunkchor regelmäßige Praktika im eigenen Management an. Und im Internat des Windsbacher Knabenchores absolvieren bereits die Schüler der gymnasialen Oberstufe sogenannte “P-Seminare” im Chormanagement. Auch die Chorjugend im Deutschen Chorverband versucht seit vergangenem Jahr, mit der Weiterbildung Chormanagement Abhilfe zu schaffen (siehe dazu den Artikel „Input und Inspiration“).
Den meisten Chor-OrganisatorInnen im Lande aber bleibt nichts anderes, als durch die und in der Praxis zu lernen – und etwaige Wissenslücken mit maximaler Leidenschaft auszugleichen. Denn schließlich kann die Arbeit auch sehr erfüllend sein, wenn sie Früchte trägt. “Mein ehrenamtlicher Einsatz für den SonntagsChor Rheinland-Pfalz macht viel Spaß”, erzählt Werner Mattern, der als Ingenieur mehrere Jahrzehnte lang weltweit Chemieanlagen geplant hat. Jetzt organisiert er bis zu zwölf Konzerte des Chores im Jahr: “Dabei arbeite ich mit interessanten Partnern zusammen wie dem ZDF, dem SWR, Lotto oder den Chorverbänden – das macht mein Leben bunt!”
Der Preis dafür ist ein hoher persönlicher Aufwand an Energie und Zeit: “Beim Jazzchor Freiburg werde ich für eine halbe Stelle bezahlt”, sagt Nina Ruckhaber, “aber in der Realität investiere ich zusätzlich viel ehrenamtliche Zeit.” Das gilt genauso für die Profis: “Häufig hat meine Arbeitswoche 50 bis 60 Stunden”, berichtet Cornelia Bend vom SWR Vokalensemble. “Ich kann nicht zählen, wie viele Stunden ich in der Woche arbeite”, sagt auch Hans Rehberg vom Rundfunkchor Berlin – und schiebt im selben Atemzug seine persönliche Begründung hinterher:
“It’s a way of life!”