Von Sebastian Pflüger, Manager bei Musica Sacra International
Zum 12. Mal fand in Marktoberdorf und dem Allgäu im Süden Deutschlands Musica Sacra International – die musikalische Begegnung der Weltreligionen statt. Im 25. Jubiläumsjahr der Marktoberdorfer Pfingstfestivals, deren Gründer und geistiger Vater Dolf Rabus im vergangenen Jahr verstarb, kamen Musiker aus den großen Religionen zu dieser Begegnung im Zeichen der Musik zusammen. Es war das erste Festival ohne Dolf Rabus, und doch wurde vielfach an ihn erinnert. In besonderer Weise geschah dies gleich zu Beginn der Tage, in einem bewegenden Gedenken beim Eröffnungskonzert in der Bayerischen Musikakademie Marktoberdorf. Das Calmus Ensemble Leipzig sang Auszüge aus der Motette „Jesu, meine Freude“ von Johann Sebastian Bach, wozu im kerzenerleuchteten Saal Bilder aus dem Leben von Dolf Rabus an ihn erinnerten.
Die Bayerische Musikakademie Marktoberdorf, deren Gründungsdirektor und langjähriger Leiter Dolf Rabus war, war einer der Hauptorte des Festivals. Hier fanden wichtige Konzerte und ein großer Teil der begleitenden Vorträge und Workshops statt und hier kamen alle Musiker und Sänger zu den Mahlzeiten und zum gemeinsamen Tagesausklang nach den Abendkonzerten zusammen.
Calmus Ensemble, Leipzig, Germany
Elf Ensembles aus sieben Ländern und fünf Religionen waren in diesem Jahr der Einladung der Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände als Trägerin von Musica Sacra International nach Marktoberdorf gefolgt. Sie brachten sich gegenseitig wie auch dem Publikum in den rund 25 Veranstaltungen ihre musikalischen Traditionen und ihre Religionen näher. Zu erleben waren unterschiedliche Facetten christlicher Musik, polyphone Gesänge der georgisch-orthodoxen Tradition, jüdische Synagogalmusik und Kantorengesang, muslimische Musik aus der Tradition der nordafrikanischen Sufis, Musik und Kathaktanz aus dem Norden Indiens sowie Gebete und Gesänge des tibetischen Buddhismus. Das renommierte Calmus Ensemble aus Leipzig war bereits zum zweiten Mal in Marktoberdorf zu Gast. Cappella de la Torre, ebenfalls aus Deutschland, ein Ensemble das sich der historischen Aufführungspraxis widmet, stellte Musik vor, die anlässlich der Hochzeit von Martin Luther und Katharina von Bora gespielt wurde. „Oche, Bassu, Contra und Mesu Oche“ bezeichnen die Stimmlagen der alten Gesangsform des sardischen „Coro“, die das Männerquartett Tenores di Bitti Remunnu `e Locu von der Mittelmeerinsel Sardinien mitbrachte. Das Ensemble Chants Sacrés Gitans en Provence stellte – sehr lebendig, teils sehr melancholisch – geistliche Lieder aus der Tradition der Zigeuner Südfrankreichs und Nordspaniens vor. Sängerinnen und Sänger aller Religionen und gesellschaftlichen Schichten seines Landes vereint der Fayha Chor aus dem Libanon unter der Leitung von Barkev Taslakian. Dass dies trotz aller politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten in der Heimat gelingen kann, stellte der Chor bei Musica Sacra International eindrucksvoll unter Beweis. Die Sänger des Iberisi-Chors, allesamt junge Georgier, die in München leben, haben es sich zur Aufgabe gemacht, die georgische Polyphonie, Teil des Weltkulturerbes, außerhalb ihrer Heimat bekannt zu machen. Jüdische Musik brachten der Leipziger Synagogalchor sowie die Kantorin Mimi Sheffer, begleitet von Mirlan Kasymaliev, zu Musica Sacra International. Als Vertreter des Islam brachte das Ensemble Rouh aus der marokkanischen Stadt Meknes Musik der Sufi-Bruderschaften der Gnawa und Aissaoua ins Allgäu. Die Mönche aus dem tibetischen Kloster Rabten Choeling, oberhalb des Genfer Sees in der Schweiz, ließen die Besucher teilhaben an ihren Gesängen und Gebetsritualen. Mit Tabla, Sitar und Gesang führten Subrata Manna, Supratik Sengupta und Sudokshina Manna Chatterjee aus Kalkutta in die alte hindustanische Musiktradition Nordindiens ein, die Tänzerin Sohini Debnath erzählte in ihren Kathaktänzen Geschichten aus dem Leben v.a. der Götter Shiva und Vishnu.
Chants Sacrés Gitans en Provence, France
Musica Sacra International verfolgt zwei große Anliegen: es möchte Begegnung unter den Musikern der Religionen, ein Sich-Kennen- und Von-einander-Lernen ermöglichen, und es möchte die Menschen im Allgäu und weit darüber hinaus zur Auseinandersetzung mit anderen Religionen und Kulturen ermuntern und dadurch auch zur Reflexion der eigenen Religion anregen. „Je mehr ich vom anderen weiß, desto offener kann ich auf ihn zugehen“, so lautete das Credo von Dolf Rabus. In diesem Sinne möchte Musica Sacra International einen kleinen Beitrag zu mehr gegenseitiger Achtung und Toleranz und zu einer friedlichen Welt leisten. Um hiermit schon bei jungen Menschen zu beginnen, organisiert das Festival eigene Schulprogramme unter dem mehrdeutigen Titel „Toleranz macht Schule“. Anhand von ausgewählten Filmen, Live-Musik der teilnehmenden Ensembles und Diskussionen werden den Jugendlichen aller Schularten die Religionen vorgestellt. Ein wichtiger Aspekt des Festivals ist, dass alle Musiker den gesamten Veranstaltungszeitraum über in Marktoberdorf bleiben. So entsteht für einige Tage eine interreligiöse Gemeinschaft auf Zeit, die eine intensive Begegnung zwischen den Menschen ermöglicht. Alle Konzerte in den Kirchen und Sälen, Moscheen und Synagogen werden von mehreren Ensembles, soweit des möglich ist aus verschiedenen Religionen, gestaltet.
Die Idee von Musica Sacra International trägt schon seit einigen Jahren auch andernorts Früchte. Unmittelbar nach dem Marktoberdorfer Festival geht Musica Sacra International mit einem Teil der Ensembles auf Tour. In diesem Jahr standen gemeinsame Gastkonzerte der Ensembles aus Indien, Marokko, Frankreich und dem Libanon in Rheinland-Pfalz (Kultursommer Rheinland-Pfalz), in den Niederlanden (Eröffnungskonzert des ersten Chorfestivals CantaRode Kerkrade) und in Belgien (Festival Musica Sacra in Chimay) auf dem Programm. Aber auch darüber hinaus ließen sich Festivalorganisatoren von Marktoberdorf zu eigenen Festivals inspirieren. So ging im November 2012 das erste Festival Musica Sacra en San Juan, Argentinien über die Bühnen. Seit 2011 bestehen die Sacrées Journées in Strasbourg, Frankreich, die 2014 zum dritten Mal stattfinden.
Der Schirmherr des diesjährigen Musica Sacra International, Rev. Dr. Olav Fykse Tveit, Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen in Genf, bezeichnete Musica Sacra International und sein Angebot des musikalischen Reichtums vieler Glaubenstraditionen als „ein Zeichen der Hoffnung in einer unruhigen Welt. Mehr noch, es öffnet die Tür zu einer Erfahrung der Freude, weil diese im Herzen des Musikmachens zu finden ist. Freude kann nicht erzwungen oder künstlich erzeugt werden; ein Platz muss zur Verfügung gestellt werden, in den der Geist der Freude kommen kann. Dann, wenn wir uns zusammen freuen können, vereint durch die Schönheit der Musik und die Freude einer gemeinsam erlebten Aufführung, geschieht etwas. Unsere Herzen werden von einem himmlischen Feuer berührt.“ Die aktuellen Entwicklungen in vielen Ländern der Welt zeigen uns, wie unverändert wichtig kleine Zeichen wie die von Musica Sacra International auch heute sind.