Virginia Bono, Chorleiterin, Argentinien, und Martin Winkler, Chorleiter, Deutschland
Von der Einzelarbeit zur Gemeinschaft
Obwohl er von Chorsängern umgeben wird, ist die Arbeit des Dirigenten eines Laienchors bekanntlich eher eine Einzelarbeit. Die Auswahl des Repertoires und die Planung der musikalischen Weiterentwicklung, die es für seinen Chor bringt; das Studium und die Entscheidungen bei der Interpretation und der Probenplan sind einige Bespiele für die Einzelarbeit, die jeder Chordirigent leistet. Angesichts der fehlenden Präsenzproben aufgrund der Pandemie im Jahr 2020 wurden diese Aufgaben beeinträchtigt, und es änderten sich sogar die Prioritäten. Unsicherheit, fehlende Informationen, nicht zu wissen, wie und wo weitergemacht werden kann stören den üblichen Ablauf von Planung und Vorbereitung.
In diesem Zusammenhang entstanden weltweit Foren und virtuelle Räume für Dirigenten, die Informationen über Technologie, Strategien für virtuelle Proben und Ideen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt der Gruppen suchten und austauschten. Vor allem über die sozialen Netze, aber später auch durch eine große Verwaltungskapazität bildeten sich rasch Gruppen und Treffen am runden Tisch – oder viele kleine Bilder auf der Scheibe. Vom Bild des Dirigenten in Einzelarbeit gehen wir über in die Gemeinschaft. In Lateinamerika nennen wir sie “Tertulia”, in Deutschland “Stammtisch” und es gibt sie in allen möglichen Formen auf der ganzen Welt. In diesen [virtuellen] Räumen hat der Gemeinschaftssinn noch an Bedeutung gewonnen. Unterstützung, Solidarität, Überlegung und eine tiefe Geisteshaltung der Resilienz, Liebe und Verantwortung als Leiter unserer Chöre wurden zum Dreh- und Angelpunkt von Treffen und gemeinschaftlichen Zusammenkünften. Kreativ wurden verschiedene Projekte zur Zusammenarbeit entworfen.
Das versteckte Potential des Chorrepertoires
Ein gesungener Text ist ein Text, der durch die allen verständlichste Sprache übermittelt wird, durch die Musik. Deshalb sind die Chorwerke, die gesellschaftlich brisante Themen beinhalten, ein machtvolles Mittel der Kommunikation und des Bewusstseins. Die Gewalt, die Diversität, die Menschenrechte, der Wert der ursprünglichen Gemeinschaften auf der ganzen Welt, das Engagement für die Umwelt und die Harmonie mit der Natur sind einige dieser wichtigen Themen, die eine andere Dimension bekommen, wenn sie Teil eines Konzertprogramms sind.
Ein hervorragendes Beispiel für diese Thematik ist das Werk Kasar mie la gaji des Komponisten Alberto Grau, das von seinem Chor Schola Cantorum de Venezuela 1990 anlässlich des II. Weltsymposiums der Chormusik in Schweden aufgeführt wurde. Schon in dieser Komposition brachte Grau seine große Besorgnis über das Umweltproblem zum Ausdruck und machte daraus eine chorische Darbietung. Das Werk für gemischten oder gleichstimmigen Chor wird von vielen Chören in Lateinamerika und in der übrigen Welt aufgeführt.
Wir sind die Stimme für unseren Planeten
Wir sind die erste Generation, die genau weiß, was sie tut, und wir sind die letzte, die uns noch auf den richtigen Weg zum Erhalt unseres Planeten bringen kann. Als vor einem halben Jahrhundert der „Club of Rome“ uns unsere Grenzen des Wachstums aufzeigte, konnte man sich kaum vorstellen, diese damaligen düsteren Prognosen noch zu übertreffen. Spätestens die jetzige Corona-Pandemie zeigt uns in dramatischer Weise auf, wie wichtig es ist Abstand zu halten, und die Lebensräume von Mensch und Tier zu beachten, um das Risiko zukünftiger Zoonosen zu verringern. Wir müssen jetzt ein neues Bewusstsein schaffen, um den Raubbau an der Natur und die Verschwendung unserer Ressourcen zu beenden.
Mit dem Projekt „Our Voice for our Planet“ möchten wir Chöre weltweit zusammenbringen, die sich aktiv für den Erhalt unseres Planeten einsetzen wollen. Diese Idee entstand gleichzeitig in Deutschland und Argentinien, um Chöre unserer Welt für dieses wichtige Thema zu begeistern. So haben wir Teams von DirigentInnen mit ihren Chören gewinnen können, die großes Interesse haben, Werke mit diesen Themen in ihr Repertoire aufzunehmen, um sie später bei Konzerten, Chortreffen und Festivals aufzuführen. Hierzu haben wir KomponistInnen aus den verschiedensten Kulturkreisen angefragt, neue Werke mit dem Themenschwerpunkt Bewahrung der Schöpfung zu komponieren. Damit soll für möglichst viele Chöre interessante Literatur für neue Programme entstehen. Für Kinder und Jugendchöre entstehen beispielsweise gerade 14 brandneue Klima-Songs von Reinhard Horn, die im Earth Choir Kids Projekt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Chorjugend – mit ihren mehr als 3000 Chören – und Greenpeace im nächsten Frühjahr überall aufgeführt werden sollen. Die aus Brasilien stammende und jetzt in den Niederlanden arbeitende Carla Maffioletti hat gerade ihre Oper „Paradijsvogel“ über die Zerstörung der Regenwälder in Brasilien herausgebracht. Die darin enthaltenen a cappella Chöre und eine reduzierte Instrumentalbesetzung werden für praxisnahe Aufführungen bald erscheinen. Eine erste kleine Hymne über „Our Voice for our Planet“ hat der italienische Komponist Battista Pradal eingebracht. Sie ist für alle Chorgattungen als Download – wie auch unser Logo – auf unserer gleichnamigen Website verfügbar. Hier tragen wir auch weitere Kompositionen zusammen (Musik) und berichten in den News von nachahmenswerten Aktivitäten. Wir freuen uns über die Unterstützung mehrerer Festivals, u.a. des Harmonie Festivals vom 18.-21. Mai 2023 in Lindenholzhausen, Deutschland.
Nach nur wenigen Wochen haben sich schon mehr als 80 Chöre, Ensembles und Solisten aus mehr als 20 Ländern Europas in unsere “Wir sind dabei”-Liste als Unterstützer eintragen lassen. Dies können auch Sie tun, indem Sie an folgende Adresse eine Email schicken: info@our-voice-for-our-planet.com.
Lasst uns die Stimme für unseren Planeten sein, verbreitet unsere Idee und helft mit, dass unsere Vision einer besseren Welt durch die universelle Sprache der Musik alle Menschen erreicht.
https://our-voice-for-our-planet.com
VIRGINIA BONO: Chordirigentin und Lehrerin für Chorleitung. Leiterin des Estudio Coral Meridies, Coro Juvenil Femenino y Niños mit Hauptsitz am Instituto Coral de Santa Fe . Dozentin für Chorleitung in “Tactus – Grupo de estudio de Dirección Coral”. Gastdirigentin, Jurymitglied bei Chorwettbewerben und Dozentin bei Kursen, Workshops und Abschlusskursen in Argentinien, Lateinamerika und Europa. Sie arbeitet mit Komponisten und Herausgebern zusammen an der Förderung und Verbreitung der argentinischen und lateinamerikanischen Chormusik. Mitglied von Adicora (Verband der argentischen Dirigenten), Voces de Latinoamérica und Choralspace. E-Mail: virginiabono@hotmail.com
MARTIN WINKLER: Seit mehr als 40 Jahren: Dirigent, Hochschuldozent, Gesangspädagoge, Direktor der Musikschule Dreieich, Coach, Workshopleiter, Juror, Gastdirigent, Festivalleiter. Erfolgreicher Dirigent von ambitionierten Laienchören (z.B. die 80 Männer der HARMONIE Lindenholzhausen), Kammerchören, und Gastdirigent professioneller Chöre (z.B. die Staatschöre in Lettland und Kuba), Bassist in solistischen Vocalensembles. Neben anspruchsvollen a cappella Programmen dirigiert er ein stilistisch breit aufgestelltes Repertoire von Monteverdis „Marienvesper“ über zahlreiche Händel-Oratorien und Bachs „h-moll Messe“, Mendelssohns „Lobgesang“ sowie zahlreiche Uraufführungen. Mit Leidenschaft widmet er sich Wieder- und Neuentdeckungen z. B. von Puccini, Romberg, Herzogenberg und Pradall. Fernseh-, Rundfunk- und CD-Produktionen sowie zahlreiche nationale und internationale Wettbewerbsauszeichnungen runden seine künstlerische Laufbahn ab. E-Mail: winkler.dirigent@gmail.com
Übersetzt aus dem Spanischen von Sybille Walter, Deutschland
“Voces de Latinoamérica” ist eine Organisation von Chordirigenten aus 20 lateinamerikanischen Ländern, die aus einem Gesprächskreis im Jahr 2020 hervorgegangen ist.
Im Jahr 2021 wird in Kooperation mit dem Festival “Latin America Sings United” ein Kompositionswettbewerb für Chorwerke ausgeschrieben, die sich mit Umweltfragen, dem Naturschutz und dem Leben im Einklang mit der Natur befassen. Die prämierten Werke werden Teil des Repertoires des großen Festivals sein und von vielen Hundert Chören auf dem ganzen Kontinent aufgeführt werden. Die Kompositionen, für gemischten Chor (SATB oder SAB, mittlerer Schwierigkeitsgrad), sollten zwei bis vier Minuten lang sein. Die Ausschreibung richtet sich an gebürtige und/oder in Lateinamerika lebende Komponisten und verfolgt zwei Ziele: die Komposition von Chormusik mit ökologischen Themen zu fördern und Chöre anzuregen, diese Werke in ihr Repertoire aufzunehmen, um so das Problembewusstsein zu stärken und den dringenden Handlungsbedarf zu verdeutlichen.
In den lateinamerikanischen Ländern existieren nur wenige öffentliche Maßnahmen zum Umweltschutz, und aus Sicht der Regierungen erscheinen oft andere Fragestellungen dringlicher. Auch die Möglichkeit der wirtschaftlichen Unterstützung großer Umweltorganisationen durch die Bevölkerung ist angesichts der hohen Armutsquote gering. Unsere Erde braucht uns jedoch genau jetzt und mit unseren Chören können wir ihr Sprachrohr sein. Die Musik berührt die Herzen der Chormitglieder und des Publikums und bringt so nachfolgenden Generationen den Wert des Umweltschutzes nahe.
Geben wir besser heute als morgen der Erde unsere Stimme.
Deadline für die Einsendung von Werken: 14. Januar 2022.
Bekanntgabe der Gewinner: 22. Februar 2022.
Mehr Informationen bei Scannen des QR-Codes oder unter concursovocesdelatinoamerica@gmail.com.
Aus dem Spanischen von Justine Gehring-Plaum, Deutschland