Die musikalischen Traditionen des Nahen Ostens sind für die meisten Chorexperten und -enthusiasten der Welt Neuland. In Vorbereitung auf das WSCM 2023-24 in Katar haben die Organisatoren ein achtköpfiges Team von Regionalberatern zusammengestellt, das einige der einflussreichsten Chorleiter im arabischen Kulturbereich umfasst – ein bisher noch nie da gewesener Ansatz. Diese besondere Gruppe wird eng mit dem künstlerischen Gremium zusammenarbeiten und Anregungen und Empfehlungen zu den Teilen der Veranstaltung geben, die sich mit musikalischen Inhalten aus der Gastgeberregion befassen.
Die derzeitige Landkarte des Nahen Ostens ist erst in jüngster Zeit entstanden. Katar etwa erlangte seine Unabhängigkeit von Großbritannien erst 1971, und seine heutigen Grenzen wurden sogar erst 2001 festgelegt. Die heutigen Nationen und Identitäten wurden nicht nur durch diese modernen politischen Grenzen geformt, sondern auch durch historische Grenzen und die komplexen Netzwerke, die durch Religion, Sprache, Handel, Verwandtschaft, Pilgerreisen und Migration entstanden sind und diese vielfältige Region miteinander verbinden. Diese Netze und Netzwerke waren und sind natürliche Kanäle für Kulturtransmission. Während in der gesamten Region spezifische, regionale Musiktraditionen gepflegt werden, gibt es zweifellos musikalische Systeme und stilistische Merkmale, die von Marokko bis Xinjiang und von der Türkei bis zum Jemen zu finden sind.
Indem man den „arabischen Kulturraum“ und nicht nur die arabischen Länder in den Mittelpunkt stellt, kann man dieses Genre offener konzipieren. Dabei werden auch Diaspora-Gemeinschaften (sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit) berücksichtigt, in denen arabische musikalische Ausdrucksformen das Umfeld beeinflusst und sich zu neuen Musiktraditionen entwickelt haben. Ob es sich nun um zeitgenössische libanesische Gemeinschaften in Montreal, Kanada, oder um arabische Gemeinschaften in den entlegensten Winkeln des Osmanischen und Persischen Reiches handelt, das Konzept der „Einflusssphären“ ermöglicht es dem regionalen Beratungsteam, türkische und iranische Mitglieder sowie Araber einzubeziehen, die weit entfernt von ihrem geografischen Kernland leben.
Die Einbeziehung dieser Regionalberater in die Arbeit des künstlerischen Gremiums bedeutet, dass das Programm des WSCM 2023-24 nicht nur die besten Talente der Chorwelt zusammenbringt, sondern auch die besten Talente, die diese Region zu bieten hat, identifizieren und einbinden kann. Diese Gruppe regionaler Chorexperten ist gut positioniert, um das nötige Fachwissen bereitzustellen, das die geografische und stilistische Bandbreite von Chorpraktiken und -traditionen aus dem arabischen Raum, dem Nahen Osten und der Diaspora abdeckt. Jedes Mitglied des regionalen Beratungsteams bringt seine eigenen besonderen Kenntnisse, Erfahrungen, Fähigkeiten und Talente in die Planung des WSCM 2023/24 ein, und es ist uns eine Ehre, sie hier vorzustellen.
Barkev Taslakian (Libanon)
Barkev Taslakian fand schon sehr früh zur Musik und lernte mehrere Instrumente, bevor er Chormusik und Chorleitung für sich entdeckte. Von 1992 bis 1998 studierte er Chorleitung bei Harutyun Topikyan und Yervant Yerkanian an der Parsegh Kanatchian Music Academy in Beirut. Barkev ist der Gründer und Leiter aller drei Ensembles des Fayha-Chors in Tripolis, Beirut und Kairo. Unter Taslakians Leitung gab der Fayha-Chor Konzerte im Libanon, in Armenien, der Türkei, Syrien, Jordanien, Katar, Zypern, Bergkarabach, Polen, Tunesien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten, Frankreich, Kanada, China, Katar, Kuwait, Bahrain, Schweden, Saudi-Arabien, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Griechenland. Neben den Auftritten im Ausland hat sich der Fayha-Chor in der Musikwelt des Nahen Ostens einen Namen gemacht, indem er Wettbewerbe gewann und bei renommierten Veranstaltungen im Libanon und in der Region auftrat. Barkev leitet mehrere Musikgruppen für Kinder und junge Flüchtlinge im Libanon und arbeitet mit lokalen und internationalen Organisationen zusammen, die sich um das soziale, bildungsbezogene und psychische Wohlergehen von Flüchtlingskindern und Einwanderern kümmern.
Shireen Abu-Khader (Jordanien/Kanada)
Dr. Shireen Abu-Khader ist eine palästinensisch-jordanische Komponistin und Pädagogin mit Abschlüssen in Musikpädagogik und Chorleitung von der University of Toronto, der University of Southern California und dem Oberlin Conservatory. Nach ihrer Tätigkeit am nationalen Musikkonservatorium in Palästina von 1998 bis 2000 kehrte Shireen nach Jordanien zurück und gründete 2002 das Dozan wa Awtar Music Establishment, das sowohl für ihre persönliche Entwicklung als auch für die Entwicklung der Chormusik in Jordanien eine wichtige Rolle spielte. Ihr Album „Introducing Dozan“ wurde 2008 veröffentlicht. Shireen hat zahlreiche traditionelle arabische Lieder für mehrstimmige Aufführungen arrangiert und neue arabische Werke für Chöre komponiert. Sie ist an zahlreichen Chor- und Musikaktivitäten in Jordanien, im Westjordanland, in den Vereinigten Staaten und in Kanada beteiligt. Sie ist eine vielbeschäftigte Chorleiterin und hat als Gastrednerin an regionalen und internationalen Konferenzen teilgenommen. Derzeit lebt Shireen in Toronto. Sie komponiert und arbeitet mit Künstlern zusammen, um Musik aus ihrer Heimatregion bekannter zu machen. Kürzlich hat sie ihr Unternehmen zu Dozan World weiterentwickelt, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Musik der arabischen Welt durch die Veröffentlichung von Notenmaterial auf internationaler Ebene zu verbreiten.
Burak Onur Erdem (Türkei)
Dr. Burak Onur Erdem ist seit 2018 Mitglied des IFCM-Präsidium. Er studierte Musiktheorie und Dirigieren am Istanbul Technical University Center for Advanced Studies in Music und promovierte dort auch. Sein Postgraduiertenstudium absolvierte er bei Prof. Johannes Prinz an der Kunstuniversität Graz, Österreich. Als Plattform für die Erneuerung und Weiterentwicklung der türkischen Chormusik gründete Burak die Choral Culture Association in Istanbul. Im Jahr 2015 wurde er in den Vorstand und die Musikkommission der European Choral Association – Europa Cantat (ECA-EC) gewählt. Er wurde beim 38. internationalen Chorwettbewerb von Varna mit dem Preis für den besten Nachwuchschorleiter ausgezeichnet und war Jurymitglied beim 66. internationalen Chorwettbewerb von Arezzo. Derzeit ist er Vorsitzender der Musikkommission von Leading Voices 2022, den europäischen Tagen für Stimmbildner und Chorleiter in Utrecht. Er ist Gründer und Chorleiter von Rezonans und wurde mit dem Ensemble mehrfach international ausgezeichnet. Von 2013 bis 2016 leitete er den Istanbul European Choir. Seit 2013 arbeitet er mit dem türkischen Staatschor zusammen und wurde 2017 zum Chefdirigenten ernannt.
Missak Baghboudarian (Syrien)
Der in Damaskus geborene Missak Baghboudarian ist seit 2003 Dirigent des staatlichen syrischen Symphonieorchesters (SNSO). Sein Debüt mit dem SNSO gab er im Jahr 1994. Nachdem er in Syrien erste Erfahrungen als Dirigent gesammelt hatte, studierte Missak Baghboudarian von 1997 bis 2002 Dirigieren bei Julius Kalmar in Italien. Neben seinem Studium nahm er an Meisterkursen bei H. Handt, D. Pascu, M. Beck, Carl St. Clair, Jorma Panula und Riccardo Muti teil. Missak verfügt über langjährige Erfahrung als Dirigent internationaler Orchester und Chöre, sowohl in Syrien als auch im Ausland. Seit 2014 ist Missak Leiter des Kammerchors des Hohen Instituts für Musik in Damaskus. Im Laufe seiner Karriere hatte er die Ehre, eine Reihe von Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten zu leiten. 2010 erhielt er für seine Verdienste um die Entwicklung musikalischer Kooperationsprojekte zwischen Syrien und Italien vom italienischen Staatspräsidenten den Stella-della-Solidarieta-Italyana-Orden.
Edward Torikian (Libanon)
Dr. Edward Torikian, ein libanesischer Staatsbürger armenischer Herkunft, ist seit 1990 Leiter der Programme für höhere und spezialisierte Musikerziehung an der Fakultät für Kunst und Wissenschaften der USEK-Holy Spirit University of Kaslik. Edward verfügt über langjährige Erfahrung in Chorleitung, Arrangement und Kompositionsunterricht. Sein Verständnis sowohl westlicher als auch nahöstlicher Musiktraditionen hat es ihm ermöglicht, mehrstimmige Chorarrangements von mehr als einhundertfünfzehn arabischen Liedern zu erarbeiten, aber gleichzeitig die arabischen Tonleitern und Mikrotöne zu bewahren, die für dieses Genre so grundlegend sind. Darüber hinaus hat er viele westliche, armenische und syrische Lieder arrangiert. Viele seiner arabischen Arrangements wurden zunächst vom Fayha-Chor und weiterhin von vielen Chören in der arabischen Welt und in den USA aufgeführt, wo Earthsongs Editing House zwei seiner Arrangements veröffentlichte. Er wird regelmäßig zu Vorträgen über seine Arbeit und Arrangementtechniken in Europa, den USA, Ägypten und natürlich im Libanon eingeladen.
Nahla Mattar (Ägypten)
Dr. Nahla Mattar ist eine ägyptische Komponistin und Professorin an der Helwan-Universität in Kairo. Sie ist die ehemalige Leiterin des Umm-Kulthum-Museums des ägyptischen Kulturministeriums. Sie war Mitglied des ägyptischen Musikausschusses, hatte einen Sitz im obersten Kulturrat inne und hat ihre Forschungsergebnisse international vorgestellt und veröffentlicht. Nahla promovierte an der Arizona State University im Fach Komposition. Zu ihren akademischen Projekten gehörte die Zusammenstellung und Herausgabe der ersten Biennale für zeitgenössische Musik, Alexandrina Bibliotheca. Außerdem war sie Koordinatorin der 1. Internationalen Konferenz für Musikerziehung in Ägypten. Nahla gewann den zweiten Preis beim Internationalen Komponistinnen-Wettbewerb der Bibliothek Unna, Deutschland, für ihr Stück Three. Das Xenia Contemporary Ensemble beauftragte sie mit der Komposition A River Inside Us Running, die im Ägyptischen Museum in Turin uraufgeführt wurde. Im Jahr 2021 wurde ihr Orchesterstück Al Ain vom norwegischen Rundfunkorchester mit Miguel Harth Bedoya aufgeführt und bei Naxos veröffentlicht. Kürzlich wurde ihr Liederzyklus mit ägyptisch-arabischen Gedichten (Song Cycle of Egyptian Arabic Poems) im Royal Opera House in London im Rahmen des Engender Festivals mit Camille Maalawy uraufgeführt. Bei der Vertonung arabischer Texte, seien sie klassisch oder umgangssprachlich, nutzt Nahla die Aussprache und die verschiedenen Bedeutungen der Wörter, um ein reichhaltiges und vielschichtiges musikalisches Erlebnis zu schaffen.
Milad Omranloo (Iran)
Milad Omranloo ist ein iranischer Chor- und Orchesterleiter, Komponist und Perkussionist. Er erwarb seinen Bachelor-Abschluss an der Sooreh-Universität in Teheran und seinen Master of Arts in Komposition an der Kunstuniversität Teheran. Zu Beginn seiner musikalischen Laufbahn war er Paukist und Leiter der Perkussionsabteilung des Teheraner Symphonieorchesters. Seine Interessen verlagerten sich jedoch auf das Dirigieren. Nach seinem Studium bei Ali Rahbari, Loris Tjeknavorian, Iraj Sahbai und Erol Erdinc wechselte er erfolgreich auf das Podium. Er nahm auch an Meisterkursen für Chorleitung in verschiedenen Ländern wie den Niederlanden, Norwegen und den Vereinigten Staaten unter den Dozenten Andre de Quadros, Thomas Caplin, Jos Van Veldholfen und Michael Glasner teil. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent hat Milad auch internationale Anerkennung für seine Kompositionen erhalten, die im Iran und im Ausland aufgeführt werden. Seine Zusammenarbeit mit internationalen Musikern, Komponisten und Dirigenten hat es ihm ermöglicht, die Reichweite seiner eigenen Werke zu vergrößern und neue Einflüsse in die iranische Musikpraxis einzubringen. Milad ist Gründer und Leiter des Teheran Vocal Ensemble. Das 2006 gegründete Teheran Vocal Ensemble leistete Pionierarbeit und trat sowohl im Iran als auch bei internationalen Festivals in Südkorea, Spanien, Italien, China, Lettland, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf. Im Jahr 2015 gründete Milad den Tonal Choir, der ebenfalls mehrere Auszeichnungen bei internationalen Festivals in Sri Lanka und Italien erhielt.
Hania Soudah (Palästina)
Hania Soudah-Sabbara ist Leiterin der Rosary Music School in Beit Hanina, Jerusalem. Nach ihrem Bachelor-Abschluss in Musikpädagogik schlug sie eine Laufbahn als Musikpädagogin ein und knüpfte Kontakte zu einer Reihe lokaler und internationaler Musikakademien, um integrierte und bereichernde Musikprogramme für Lernende zu schaffen. Hania ist eine Vorreiterin bei der Gründung und Leitung von Chören in ihrer Heimat. Sie begleitete und betreute eine Reihe von Lernenden, die später entsprechende Hochschulabschlüsse erwarben und eine Karriere in der Musik oder im Bildungswesen einschlugen, und hat so eine lebendige musikalische und kulturelle Tradition in der palästinensischen Gemeinschaft hervorgebracht. Sie war Mitglied in einer Reihe von Ausschüssen, die an der Erstellung eines Lehrplans für Musik an Schulen und Akademien arbeiteten, wobei der Schwerpunkt auf der Inklusion lag. Sie glaubt daran; dass es wichtig ist, Musik für alle zugänglich zu machen, da sie ein integraler Bestandteil der persönlichen Entwicklung aller Lernenden ist und eine entscheidende Rolle bei der Bewahrung des vielfältigen kulturellen Erbes der Menschheit spielt. Das hier vorgestellte herausragende regionale Beratungsteam, das mit den katarischen Gastgebern und dem künstlerischen Gremium zusammenarbeitet, verspricht eine perfekt abgestimmte Auswahl von Chormusik und Vortragenden, die heute in der arabischen Kulturwelt zu finden sind. Die Organisatoren des WSCM heißen dieses Team herzlich willkommen und freuen sich darauf, dessen Beiträge in das WSCM 2023-24 einzubinden. Ob in Geschichte oder Gegenwart, Chormusik verändert sich ständig und entwickelt sich kontinuierlich weiter. Diese Gelegenheit, sich auszutauschen und unsere Perspektiven zu erweitern, ist für uns alle äußerst spannend.
Übersetzt aus dem Englischen von Astrid Fieß, Vereinigtes Königreich