Henri Pompidor, Chorleiter und Lehrer
Übersetzt aus dem Französischen vom Ursula Wagner, Deutschland
Vom 31. Juli bis zum 4. August fand letztes Jahr in der Hauptstadt der Elfenbeinküste das vom Chorverband A Cœur Joie der Elfenbeinküste organisierte 2. Internationale Chorfestival (FESTICCA 2014) statt. Von neuem zeigte sich, dass Chorsingen auf dem afrikanischen Kontinent, vor allem in Westafrika, durchaus eine dynamische Präsenz hat. Neben Chören der Elfenbeinküste waren viele Chöre aus den angrenzenden Ländern Togo, Burkina Faso, Ghana und dem Kongo dem Aufruf des Chorverbandes A Cœur Joie gefolgt. Die in der afrikanischen Subsahara einzigartige Veranstaltung hatte den teilnehmenden Chören die Teilnahme an vielerlei Workshops zu Stimmbildung, Chorleitung, traditionellem Liedrepertoire, Organisation und Fundraising ermöglicht. An jedem Abend gab es Konzerte verschiedener Ensembles, in einer Atmosphäre internationalen Austauschs und der Freundschaft. Den krönenden Abschluss bildete ein Wettbewerb vor einer internationalen Jury.
Seit einigen Jahren finden diese Treffen westafrikanischer Länder, sowohl der französisch- als auch der englischsprachigen, regelmäßig und mit großem Erfolg statt und besiegeln somit die Präsenz und Integration des afrikanischen Kontinents in die internationale Chorgemeinde. Dabei ist ein steigendes Interesse der afrikanischen Länder an dieser musikalischen Disziplin zu beobachten. An der Elfenbeinküste, dem Organisator der Veranstaltung, gibt es zahlreiche dynamische Chöre – Kirchenchöre, Schul- und Universitätschöre, weltliche Chöre – in denen Sänger aller Altersstufen und Sozialklassen zusammenkommen. Die verschiedenen musikalischen Formationen der Föderation ACJ, unter der tatkräftigen Leitung seines Präsidenten Olivier Pascal Koua, sind geprägt von gegenseitiger Unterstützung, von Austausch und Brüderlichkeit, was sich deutlich beim zweiten FESTICCA bemerkbar machte. Bei Treffen der Sänger und Chorleiter konnte ein fruchtbarer Erfahrungsaustausch stattfinden, dort konnte auch ein Bedarf an Weiterbildung in den Bereichen Dirigieren, Veranstaltungsmanagement und Finanzierung zur Sprache kommen. Es verwundert daher nicht, dass die Workshops an den drei Vormittagen auf großes Interesse stießen und von zahlreichen Fragen und lebhaften Diskussionen belebt wurden. Eine große Rolle spielten dabei die Verbesserung der Klangqualität der Chöre und der Ausbau der musikalischen Aktivitäten. Aus vielen dieser Treffen sind Freundschaften entstanden, die in den kommenden Jahren sicher ihre Früchte tragen werden.
Am traditionellen Eröffnungsabend wurden alle Delegationen vorgestellt, an den Folgeabenden standen drei Chorkonzerte auf dem Programm, die alle einem bestimmten Festivalthema zugeordnet waren.
- Der erste Konzertabend hatte den kulturellen Austausch und den Respekt vor Andersartigkeit zum Thema. Mehrere Chöre brachten dies mit lebhaften und farbigen traditionellen und von Tanz und Schlagwerk begleiteten Liedern zum Ausdruck, deren Ursprünge in meistens mündlich überlieferten Stammesgesängen liegen, aus denen der Chorgesang in Afrika hervorgegangen ist. Der gemeinschaftliche Gesang in seiner heutigen Form ist eng mit der Gründung afrikanischer Staaten verbunden, weil ihm das Wesen des religiösen und weltlichen Lebens der ersten Gesellschaften zugrunde liegen, er ist sozusagen eine der ersten sozialen Institutionen auf diesem Kontinent. Er reflektiert in besonderem Maße ein tiefes Verständnis für eine funktionierende Gesellschaft mit ihren wichtigsten mythischen Ursprüngen. Der Gesang begleitet in den Stämmen der Elfenbeinküste, von Togo bis Ghana, alle Übergangsriten und ist Träger von Werten, auf denen sich alle sozialen Gruppierungen gründen. Als Ergänzung des Wortes begleitet der Gesang alle Aspekte des täglichen Lebens und der Jahreszeiten, er vertieft die gewohnheitsmäßigen Bindungen, die die Stärke und das Gleichgewicht einer Gesellschaft ausmachen. Das Festival versteht sich als eine Art von Renaissance der traditionellen Bindungen, die seit dem Aufkommen der Industrialisierung und der Urbanisierung manchmal in Vergessenheit geraten sind. Gleichzeitig wird ein wichtiges musikalisches Erbe erhalten und zahlreichen afrikanischen Sängern eine Plattform geboten, mittels einer neuen musikalischen Praxis Werte wie Toleranz und Bindung zu vermitteln.
- Die beiden anderen Abende waren der Freundschaft zwischen den Völkern durch gemeinsames Singen gewidmet. Im Laufe der Treffen sind dauerhafte und starke Freundschaften zwischen den teilnehmenden Nationen entstanden. Oft dauerten die Konzerte bis spät in die Nacht, da alle Teilnehmer die traditionellen Lieder und Tänze aufgegriffen und weitergemacht haben.
- Aber der Höhepunkt von FESTICCA 2014 fand am letzten Abend mit dem nun schon traditionellen Chorwettbewerb aller Teilnehmerländer statt, wobei jeweils ein Preis für klassischen und den traditionellen Gesang vergeben wurde. Für den klassischen Gesang musste jedes Ensemble ein vorgeschriebenes Werk aus der Renaissance („ O vos omnes“ von Vittoria) und ein Wahlstück vortragen. Im traditionellen Gesang gab es mehr Freiheit in der Auswahl der Werke, sie waren mehr an den Traditionen der betreffenden Ensembles ausgerichtet. Die internationale Jury, bestehend aus vier Chorleitern, davon drei aus Afrika, würdigte die Qualität der Darbietungen. Im Ganzen war das musikalische und künstlerische Niveau in der Darbietung der klassischen und traditionellen Werke sehr gut und es wurden mehrere Preise vergeben. Besonders Chöre aus Ghana (African Youth Choir) und von der Elfenbeinküste (Vox Angelica) sind in der Kategorie „Klassischer Gesang“ zu erwähnen sowie aus Togo (Kekeli & Les Séraphins) in der Kategorie „Traditioneller Gesang“. Bedauert wurde von der Jury, dass Stimmbildung und Präzision im Ensemble von den Gruppen etwas vernachlässigt wurden, was sich in häufigen Intonationstrübungen im Verlauf der Darbietung bemerkbar machte, daher die Empfehlung an die Chorleiter, vor allem beim A Cappella-Gesang verstärkt auf die Intonation zu achten, die Internationssicherheit und das Hören von Intervallen mittels spezieller Übungen zu trainieren, um künftig den Wettbewerbsanforderungen besser zu genügen. Auch der Diktion müsse mehr Beachtung geschenkt werden. Eine größere Ausgewogenheit zwischen den Haupt- und Nebenstimmen würde ebenfalls zur Verbesserung der Intonation der Ensembles beitragen. Präzision in der musikalischen Ausübung war eins der Hauptthemen des Festivals. Auch im Bereich der Chorleitung werde eine Verbesserung angestrebt. Daher hat der Chorverband der Elfenbeinküste, dem diese Problematik bewusst ist, kürzlich in Abidjan eine Chorakademie gegründet, an der alle Chorleiter der verschiedenen Regionen der Elfenbeinküste (und über die Grenzen hinaus) eine entsprechende Ausbildung erhalten können.
- Dabei lässt es der nationale Chorverband allerdings nicht bewenden, denn er hat schon angekündigt, in zwei Jahren erneut ein Festival auszurichten, das 3. Festival FESTICCA, von Ende Juli bis Anfang August 2016 in Abidjan. Sicher werden dann zahlreiche weitere Ensembles aus Westafrika, aber auch aus Nordafrika und Europa, vielleicht sogar aus Frankreich, anreisen. Lassen Sie uns hoffen, dass dieses Projekt Wirklichkeit wird, damit im subsaharischen Afrika die qualitätsvollen Chortraditionen lebendig bleiben.
Webseite des Chorverbands ACJ – Elfenbeinküste : http://acoeurjoie-ci.com/
Der Chorverband ACJ – Côte d’Ivoire lädt alle Chöre der Welt zum internationalen Chorfestival FESTICCA 2016 nach Abidjan ein.
Auskünfte bei M. Olivier Pascal Koua, Präsident von ACJ Côte d’Ivoire
Email : angouapascal@yahoo.fr
Telefon: 00 225 07 16 57 06
Henri Pompidor stammt aus Südfrankreich und hat am Konservatorium Toulouse Musik und Chorgesang studiert. Nach seinem Diplom (Diplôme d’Etat, DE) in Chorleitung besuchte er ab 1987 das Institut für Musik und Musikwissenschaften der Universität Paris-Sorbonne (Paris IV) und schloss dort seine weiterführenden Studien mit dem Diplôme d’Études Approfondies (DEA) und der Promotion (PhD) ab. Nachdem er mehreren Chören Europas (Frankreich, Griechenland) als Chorleiter vorgestanden hatte, übernahm er 2004 die Leitung des Fachbereichs Gesang und Chorgesang des Konservatoriums Rangsit (Thailand); ein Jahr später wechselte er an das Institut für Musik der Universität Mahidol. Dort wird er über mehrere Jahre als Professor für Chorgesang, als Leiter der Universitätschöre und als ständiger Leiter der Chöre des Thailändischen Philharmonischen Orchesters (TPO) tätig sein. Als Mitglied des französischen Chorleiterverbandes ist Henri Pompidor derzeit als Lehrkraft für Chorgesang und Chorleitung am Conservatoire de Paris Charles Munch (11ème district) tätig. Zudem bekleidet er das Amt des musikalischen Leiters des Chores dieses Konservatoriums. Auch auf internationaler Ebene widmet er sich der Ausbildung auf dem Gebiet des Chorgesangs durch zahlreiche Konzerte und Meisterklassen in vielen Ländern der Welt (China, Südkorea, Spanien, Indonesien, Japan, Taiwan, Vietnam, …). Als Jurymitglied wird er regelmäßig eingeladen, an internationalen Festivals und Wettbewerben in und außerhalb Europas teilzunehmen (IFCM, ACJ, Interkultur…). E-Mail: henripompidor@hotmail.com