Ki Adams, Vorsitzender des künstlerischen Ausschusses des SCOCYC
Vom 24. Juni bis zum 7. Juli 2019 hat die IFCM in Kooperation mit der Shanghai Cooperation Organization (SCO) in Hohot (Innere Mongolei, China) den SCO Countries` Youth Choir (SCOCYC) zum ersten Mal zusammenkommen lassen. Dieses außergewöhnliche Projekt hat 54 SängerInnen und InstrumentalistInnen zwischen 19 und 35 Jahren zusammengebracht, um ihnen aus pädagogischer, kultureller und zwischenmenschlicher Sicht ein außergewöhnliches Erlebnis zu ermöglichen. MusikerInnen aus 18 Ländern der SCO waren eingeladen. Das SCO-Netzwerk verbindet acht Mitgliedsstaaten miteinander (China, Indien, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan, Usbekistan), vier Länder mit Beobachterstatus (Afghanistan, Weißrussland, Iran, Mongolei) sowie sechs Dialogpartner (Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka, Türkei).
Dabei zeigten die Sänger und Sängerinnen nicht nur die kulturelle Vielfalt der SCO-Länder, sondern boten auch ein Repertoire aus zehn Ländern (Afghanistan, Weißrussland, China, Indien, Iran, Kasachstan, Mongolei, Russland, Türkei, Usbekistan) in 12 Sprachen dar (Arabisch, Weißrussisch, Dari, Englisch, Farsi, Hindi, Kasachisch, Mandarin, Mongolisch, Russisch, Türkisch, Urdu, Usbekisch).
Die Dirigenten bei diesem Gründungstreffen des SCO Countries` Youth Choir waren zwei international renommierte MusikerInnen und ChordirigentInnen: André de Quadros (Indien/USA) und Maria Goundorina (Russland/Schweden). Obwohl beide aus völlig unterschiedlichen Chorleitungsschulen kamen, ergänzten sich André und Maria gegenseitig perfekt. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit war spannend und ergreifend, von der Auswahl des Repertoires über die Improvisationseinheiten, die kulturelle und musikalische Traditionen miteinander verbanden, bis hin zu der innovativen Inszenierung und Bühnenpräsentation des Programms.
André de Quadros fasst das Erlebnis aus seiner Sicht so zusammen:
Der SCOC Countries` Youth Choir war ein großartiges Erlebnis für uns alle. Als Dirigent und einer der Organisatoren war ich persönlich mit der Teilnahme von Ländern wie Afghanistan, Kambodscha, Iran, Sri Lanka und anderen Ländern Zentralasiens befasst, die selten vertreten sind. Eine der schönsten Erfahrungen war die Zusammenstellung eines Instrumentalensembles, das es normalerweise in der Chormusik nicht gibt, nämlich mit Instrumenten, die nicht zum westlichen Instrumentarium gehören. Einige Instrumentalisten verständigten sich mit den anderen nur mithilfe der Musik und spielten ohne notierte Musik. Mit SängerInnen und MusikerInnen aus neun muslimischen und neun nicht-muslimischen Ländern war dies gleichzeitig eine wegweisende interkulturelle Erfahrung sowie ein Paradigmenwechsel. Was wir erlebt haben, war so weit entfernt von den Normen, die in der Chormusik normalerweise gelten, dass es unser Leben veränderte.
Nach einer intensiven Probenwoche trat der SCOC Countries’ Youth Choir in Hohhot (Innere Mongolei) beim SCO Countries` Choral Festival und in der Umgebung auf. Den Abschluss der Tour bildete ein Konzert in Peking auf der International Horticultural Exhibition 2019. Was waren die Höhepunkte dieses historischen eurasischen Chorprojekts?
Unterschiedliche Herangehensweisen, miteinander zu singen. Man konnte die unterschiedlichsten Arten erleben, miteinander zu singen. Für SängerInnen aus manchen russischsprachigen Ländern, die aus einer starken, aber oft direktiven Chortradition kamen, war die Erfahrung des Improvisierens völlig neu. Sie lernten, ihre Stimmen, Körper und auch den Bühnenraum anders zu nutzen, als sie es gewohnt waren. SängerInnen aus Südostasien, wo der Sologesang sehr gepflegt wird, die aber nie im Chor gesungen haben, lernten Blattsingen und das Sich-Einfügen in Harmonien wie auch das klangliche Verschmelzen mit den anderen Sängern, um einen homogenen Klang zu erzeugen.
Vielfältiges Repertoire. Bei der Stückauswahl konnte aus dem reichen Fundus an Kompositionen aus den SCO-Ländern geschöpft werden – in 12 Sprachen! Es gab keine SängerInnen aus Europa oder Nord-/Süd-Amerika und keine Kompositionen aus dem westlichen Chorrepertoire. Hier wurde Chormusik vorgestellt, die von KomponistInnen der SCO-Länder geschrieben wurde und von jungen SängerInnen in den SCO-Ländern aufgeführt wurde. Dieses Projekt hatte in der internationalen Chorszene wirklich historische Dimensionen. Nie zuvor hatte es ähnliche Projekte gegeben, die derart breit aufgestellt waren.
InstrumentalistInnen. Mit Ausnahme des Morin-Khuur-Spielers hatten die hervorragenden Instrumentalisten aus Sri Lanka, Afghanistan und der Inneren Mongolei zuvor noch nie mit Chören gearbeitet. Der SCOCYC öffnete ihnen die Augen und Ohren für viele neue Ideen, die ihre musikalisch-professionelle Aufstellung und Entwicklung bereichern konnten. Abgesehen davon war der Einsatz des ungewöhnlichen Instrumentalensembles (Morin Khuur, Tabla, Fujara, Rubab, Harmonium) in der Geschichte des Chorgesangs einmalig und übertrifft alles bisher Dagewesene!
Stereotypen begegnen. Vielen SängerInnen wurde bewusst, welche wichtige Rolle der SCOCYC dabei spielte, in einem geschützten Rahmen stereotype Vorstellungen über andere Länder und Kulturen ansprechen und hinterfragen zu können. Zusammen zu leben und gemeinsam ein künstlerisches Ziel zu verfolgen regte alle jungen Musiker an, ihre Vorurteile und nationalen Stereotypen zu überwinden und zu einem tieferen Verständnis und einer größeren Offenheit zu finden.
Was die Teilnahme am SCOYC-Projekt für die einzelnen MusikerInnen bedeutete
- SängerInnen und InstrumentalistInnen aus Afghanistan leben in ständiger Angst vor Bombenangriffen auf ihre Musikschulen durch die Taliban. Durch ihre Teilnahme am SCOCYC-Projekt wurde ihnen bewusst, weshalb das, was sie in Kabul tun, so wichtig ist – für sie selbst und für ihr Land.
- Eine Sängerin aus dem Iran durfte dort nicht solistisch auftreten.
- Im SCOCYC bekam sie die Möglichkeit, mehrere Soli zu übernehmen, was für sie ein unvergessliches Erlebnis war.
- Eine kambodschanische Sängerin arbeitet als Kellnerin am Strand. Der SCOCYC ermöglichte ihr, nach China zu fliegen und als Mitglied des Chores aufzutreten.
- Sie fühlte sich dadurch „gesehen“ und als Mensch und Musikerin wertgeschätzt. Das Projekt hat ihr Energie und Selbstbewusstsein gegeben.
- Ein russischer Sänger sagte, dass der SCOCYC „die ZUKUNFT… der Chormusik ist, für unsere Länder, für uns selbst!“
Maria Goundorina fasst ihre Erfahrungen als Dirigentin, Musikerin und Mensch in diesem Projekt so zusammen:
Dank meines Berufs als Musikerin bin ich Kosmopolitin. Ich glaube, dass der SCOCYC eine großartige Möglichkeit bietet, sich zum Kosmopoliten zu entwickeln. Wir sind hier alle durch unseren kulturellen Hintergrund und unsere Musik miteinander verbunden. Die Bandbreite an verschiedenen Instrumenten und Arten, zu singen (allein oder zusammen), ist in den SCO-Ländern riesig. Aber alle Sänger haben eines gemeinsam: sie lieben Musik und lieben Menschen. Wenn das nicht so wäre, hätten sie an diesem Projekt gar nicht erst teilgenommen. Liebe zu anderen Menschen hängt nicht davon ab, welche Sprache man spricht oder welche Bildung man vorweisen kann. Was wir von unseren Sängern erwartet haben, war Neugier für andere Herangehensweisen und Musizierstile. Und diese Erwartung haben sie erfüllt! Viele von ihnen haben in der Probenwoche intensive persönliche und musikalische Erfahrungen gemacht – eine Reise, bei der sie ihre Persönlichkeit und ihre Möglichkeiten ausloten konnten.
Und ich? Ich habe so viel neue Chormusik kennengelernt – in Sprachen, die ich nicht kannte. Für mich war es ein großes Bildungsprojekt: die musikalischen Traditionen der SCO-Länder durch das Singen ihrer Musik in ihrer Sprache kennenzulernen, Instrumentalisten aus diesen Ländern dabei zu erleben, wie sie auf traditionellen Instrumenten musizierten, zuhören, wenn von schrecklichen Umständen berichtet wird. Ich bin sicher, dass viele Sänger in diesem internationalen Projekt sich durch gemeinsame Mahlzeiten, lange Busfahrten zu und von den Proben, unseren Konzerten und Partys gegenseitig besser verstehen gelernt haben. So wird man Kosmopolit!
Ich weiß, dass viele von uns, die an diesem einzigartigen Projekt teilgenommen haben, noch immer von diesem außergewöhnlichen Erlebnis zehren, das wir vor 18 Monaten hatten. Der SCOCYC war ein unvergessliches Ereignis für alle, die daran teilgenommen haben. Jeder wird sich bis an sein Lebensende daran erinnern, da bin ich sicher!
Ich danke der IFCM, den Ländern der Shanghai Cooperation Organisation und dem Büro für National Art Troupes der Inneren Mongolei für ihre Unterstützung dieses Projekts. Mein ganz besonderer Dank gilt André und Maria und der IFCM-Präsidentin Emily Kuo für ihre außergewöhnliche Vision dieses Projekts, Gábor Móczár für seine Arbeit als Verwaltungsvorsitzendem, Yu Hang Tan, dem SCOCYC-Projektmanager, der als Organisator, Vermittler, Prozessbegleiter, Ansprechpartner, Übersetzer und Freund aller Chorsänger herausragend seine Dienste geleistet hat…. Und besonders danke ich den 54 Sängern und Sängerinnen! Ihr habt das alles erst möglich gemacht!
Zukunftsvisionen
Die IFCM arbeitet daran, dass der SCOCYC eine dauerhafte Einrichtung wird und jeden Sommer in einem anderen Land des SCO stattfindet, um Kooperation, Frieden und Verständigung zu fördern, wozu dieses außergewöhnliche Chorprojekt die Möglichkeit gibt. Wir sind überzeugt davon, dass der SCOCYC dazu beitragen kann, neue Generationen von „Weltbürgern“ zu formen, indem den jungen Musikern aus verschiedenen Ländern die Möglichkeit gegeben wird, zusammen zu leben und zu touren, was eine außergewöhnliche Schule der Verständigung zwischen unterschiedlichen Kulturen, Menschen, Musik und Traditionen ist. Folgen Sie der IFCM in den Social Media und ihrer Internetseite, um sich über zukünftige Teilnahmemöglichkeiten für Sänger und Sängerinnen aus den SCO-Ländern zu informieren.
Übersetzt aus dem Englischen von Justine Gehring-Plaum, Deutschland