Ana María Raga, Chorleiterin, Pianistin und Professorin
Übersetzt aus dem Spanischen von Christina Kühlewein, Deutschland
Wenn man La forja del Compositor (Die Komponistenschmiede) von Alberto Grau liest, meint man, den Autor selbst ganz offen über seine Einstellung zu Kreation und Interpretation von Chormusik sprechen zu hören. Das Buch liest sich in einem ganz natürlichen Fluss, die Themen sind an keine feste Struktur gebunden, sondern werden ganz frei behandelt. Manche tauchen im Lauf des Textes immer wieder auf, in Verbindung mit anderen Beispielen oder Übungen, um neue Aspekte aufzugreifen. All das geschieht in einer eingängigen und leichten Sprache, die sich an neue Komponisten richtet, oder auch an Chorleiter, die Unsicherheiten im Bereich der Komposition für Chöre haben.
Der Autor beginnt sein Werk mit einer Erklärung über den Zweck seiner Kompositionsmethode: das Ziel von Chormusik für Kinder und Jugendliche ist es, in ihnen durch eine fröhliche Gruppenaktivität die Liebe zur Musik zu entwickeln. Dies wirkt sich gleichzeitig positiv auf Kommunikation, Gruppenarbeit, Selbstwertgefühl und Disziplin aus und fördert auch das logische Denken. Grau betont die Wichtigkeit einer spielerischen Annäherung an das musikalische Erleben, anstatt die Jugendlichen langer Perioden akademischer Studien zu unterziehen. Hierfür schlägt er den Gebrauch von Mitteln wie der Eurythmie, szenischer Bewegung, unregelmäßiger Taktarten und Dissonanzen vor, sowie Herausforderungen bezüglich der Interpretation des poetischen Textes und seiner Einzelheiten.
Grau behandelt methodische Punkte, die sich zunächst auf technische Kompositionselemente beziehen, wie die Imitation, die Divisi, unregelmäßige Taktarten, Dissonanzen, der Gebrauch der Stille, der Fermate, der Behandlung des Textes und der Eurythmie. Daraufhin kann er jungen Komponisten dank seiner großen Erfahrung als Leiter von Chören unterschiedlicher Niveaus und Profile Schlüssel für das Verständnis und die Kenntnis der Mittel vermitteln. Die anschauliche Beschreibung beruht auf seinen eigenen Erlebnissen und praktischen Erfahrungen, welche Mittel für welche Arten von Gruppen sich am effektivsten gezeigt haben. Frucht dieser Rollenkombination von Grau als Chorleiter und Komponist sind auch seine Vorschläge, interpretatorische Änderungen an der musikalischen Notation vorzunehmen um sich “an die ständige Suche und niemals erreichte Perfektion” zu nähern (Grau, 2014, p.145).
Das Buch führt die zu befolgenden Schritte sowohl für die Komposition als auch für die Arrangements auf. Bezüglich der Komposition sagt der Autor, dass man zunächst eine angemesse Poesie für Kinder- und Jugendgruppen auswählen und diese mehrfach rezitieren soll, um so die möglichen rythmischen Kombinationen herauszufinden, die nützlich sein können. Dann soll die Verbindung Text-Rythmus bearbeitet werden, noch bevor man an die melodischen und harmonischen Elemente denkt. Letztere müssen, da sie eng aneinander gekoppelt sind, zeitgleich behandelt werden. Was die Arrangements betrifft, so zeigt er, dass es zunächst wichtig ist, eine klare Kenntnis der Charakteristika des auserwählten Liedes zu haben, bevor man im Anschluss daran an die verschiedenen rhythmischen Möglichkeiten und Effekte, sowie an die eurythmischen und choreographischen Ansätze denkt.
In La forja del Compositor erklärt der Autor seine Ideen auf praktische Art und Weise und präsentiert eine Vielzahl an Beispielen aus 72 Partituren von Autoren unterschiedlicher Epochen und Herkunft, wie auch aus seinen eigenen Werken. Die Art und Weise, wie die Beispiele aufgeführt sind, ist didaktisch, damit man das Richtige und Falsche im spezifischen Gebrauch eines bestimmten Elementes beobachten kann. Der Leser findet sich mit Werken für Kinderchöre und Jugendchöre (gemischt, Frauen und Männer) wieder, was ihm auch die Möglichkeit bietet, Repertoire kennenzulernen und Informationen über die betreffenden Verlagshäuser zu erhalten. Darüberhinaus werden verschiedene Übungen angeboten, einige im Stil eines Arbeitsheftes (workbook), in denen der Autor beispielsweise dazu einlädt, Imitationen zu vervollständigen oder eine zweite Stimme hinzuzufügen etc.
Eine besondere Erwähnung verdient Graus Behandlung der Eurythmie als kompositorisches Mittel. Der große Beitrag des Autors zu diesem Thema in seinen Werken, besonders für Kinder- und Jugendgruppen, wird von allen anerkannt. In diesem Buch widmet er der Entwicklung dieses Themas einen wichtigen Teil und erklärt die Philosophie, auf der der Gebrauch der Bewegung basiert, und wie wichtig es ist, Musik mit dem ganzen Körper zu spüren. So kann der Leser zahlreiche Beispiele des Gebrauchs der Eurythmie sehen, seine Schwierigkeitsgrade kennenlernen und Aufgaben zu diesem Aspekt bearbeiten.
Der letzte Teil des Buches, der den Namen Vermischtes trägt, ist eine Sammlung einschlägiger Zitate, die drei großen iberoamerikanischen Musikern gewidmet sind: Pau Casals (Katalonien), César Ferreyra (Argentinien) und Carlos Vega (Argentinien), die als Synthese zwischen Komposition und Interpretation gelten, welche als untrennbare Tätigkeiten in der Chorkunst gelten, da “… wie die verschiedenen Buchtaben a, b, c noch keine Worte bilden, auch die geschriebenen Zeichen noch keine ‘Musik’ komponieren” (Casals in Grau, 2014, p.129). Die Kommentare des Autors über diese Zitate bringen dem Leser neue Anregungen, die zur kontinuierlichen persönlichen musikalischen Revision einladen und zur Reflexion über die eigene künstlerische Tätigkeit.
Es ist höchst relevant, dass ein Komponist der Größenordnung von Alberto Grau sein pädagogisches Erbe weitergibt, damit die neuen Generationen sich motivieren und wagen, die wichtige Aufgabe anzugehen, sigifikante und innovative Werke voller Schönheit zu schreiben, die die heutigen Kinder- und Jugendchöre kontinuierlich vor neue Herausforderungen stellen. __________________________________________
Grau, A. (2014). La forja del Compositor. Método de composición para coros de niños y jóvenes, GGM Editores S.C., Caracas. ISBN: 978-980-12-7401-8
Ana María Raga, venezolanische Chorleiterin, Pianistin und Professorin für Chorleitung an der Unearte (Universidad de las Artes). Einige ihrer Werke wurden veröffentlicht bei Hinshaw Music, Inc. und Éditions À Cœur Joie. Sie ist ‘Ms en Música’, Schwerpunkt Orchestermusik, ernannt durch die Universität Simón Bolívar. Sie spezialisiert sich auf Musiktherapie an der Universidad de los Andes. Sie ist Professorin des Programmes CAF de Acción Social por la Música für Lateinamerika. Ana María Raga hat mehrere Chöre gegründet (Kinder-, Frauen- und gemischte Chöre) und war eingeladen als Leiterin des Weltjugendchores 2009. Sie hat Konferenzen und Workshops in Venezuela, Nord- und Südamerika, Europa und Asien geleitet. Raga ist Gründerin und Präsidentin der Fundación Aequalis, einer Organisation, die drei Wirkungslinien durch den Chorgesang entwickelt: künstlerisch, gestaltgebend und gesundheitlich. Aktuell leitet sie Aequalis Aurea (Frauenchor), das Chorprojekt des Colegio Humboldt (Kinderchor) und den Universitätschor UMA (gemischter Chor). Email: anamraga@yahoo.com