Micah Bland, Chordirektor und Professor, Toledo, Ohio, USA
In der gesamten Geschichte der Filmproduktion hat die Musik eine wichtige Rolle für die Gesamtästhetik eines Films gespielt. Als Element der Filmmusik wurde regelmäßig Chorgesang eingesetzt, der in etwa 61 % der Filmmusik von hollywood-Filmen vorkommt[1] . Anfangs wurde die Chormusik für hollywood-Filme in Los Angeles mit lokalen Ensembles und unter Vertrag stehenden Studio Sängern produziert. Mit dem Fortschreiten der Industrie entwickelte sich London zu einer beliebten alternative für die Produktion von Chormusik für Filme durch die umfangreichen Beiträge sowohl der Metro Voices als auch der London Voices.
Während Los Angeles und London einen Großteil der Chormusikproduktion in Hollywood ausmachen, gibt es auch einige internationale Ensembles, die Anerkennung verdienen. Im Folgenden wird eine Auswahl von Chorensembles aus allen Kontinenten und ihr Beitrag zur Filmmusik vorgestellt.
Europäische Ensembles
Neben den Ensembles aus Los Angeles und London gehören die in Europa beheimateten Chorensembles zu den am häufigsten von Filmkomponisten genutzten. Die Popularität dieser Ensembles ist zum Teil auf die vielen in Europa geborenen Komponisten zurückzuführen, die in Hollywood tätig waren. Einer dieser Komponisten ist Ennio Morricone (1928-2020). Als Komponist hatte Morricone eine große Affinität zur Stimme und engagierte für seine Filme regelmäßig das italienische Ensemble Cantori Moderni di Alessandroni. Die Cantori Moderni di Alessandroni2, die erstmals in der Filmmusik zu A Fistful of Dollars (1964) zu hören waren, wirkten zwischen 1964 und 1973 in siebenunddreißig Filmen mit, davon in achtzehn mit Morricone.
Im Jahr 2013 sorgten der Disney-Film Frozen und seine Fortsetzung Frozen 2 (2019) für weltweites Aufsehen3. In beiden Produktionen ertönte im Vorspann das norwegische Chorensemble Cantus mit dem Lied “Vuelie”4. Obwohl Cantus bisher nur in zwei Filmen aufgetreten ist, ist es aufgrund des Erfolgs der Frozen-Franchise wahrscheinlich, dass das Ensemble auch in zukünftigen Filmprojekten zum Einsatz kommen wird.
Weitere europäische Ensembles mit Auftritten in Filmen sind der Malle Babbe Women’s Choir (Paradise Road, 1997), der Rundfunkchor Berlin (Valkyrie, 2008), der Kinderchor der Staatsoper Unter Linden Berlin (The Book Thief, 2013) und der Sofia Session Choir (Solo: A Star Wars Story, 2018).
Afrikanische Ensembles
Das international anerkannte südafrikanische Vokalensemble Ladysmith Black Mambazo ist das wohl bekannteste afrikanische Chorensemble, das in einer Hollywood-Filmmusik zu hören ist. Interessanterweise wurde das Ensemble ausschließlich durch lizenzierte Musik in den Film einbezogen5. Lizenzaufnahmen von Ladysmith Black Mambazo sind in sieben Hollywood-Filmen zu hören, der bemerkenswerteste ist Coming to America (1988). Seit seiner Veröffentlichung gilt “Circle of Life“ aus The Lion King (1994) als eines der populärsten Werke aus Chorfilmen. Das Eröffnungslied des Films, “Nants’ Ingonyama/Circle of Life”, das ursprünglich von Lebohang “Lebo” Morake und Carmen Twillie gesungen wurde, ist für Filmmusikliebhaber sofort erkennbar. Der aus Südafrika stammende Morake wurde vom Komponisten Hans Zimmer beauftragt, die Chormusik für König der Löwen und The Power of One (1992) zu arrangieren, um diesen Filmen eine authentischere afrikanische Klangwelt zu verleihen6. Das Ensemble für Der König der Löwen wurde leider nie identifiziert. In der Literatur wird das Ensemble jedoch als ein südafrikanischer Chor beschrieben7.
Weitere afrikanische Ensembles, die in Filmen auftraten, sind der African Children’s Choir (Blood Diamond, 2006) und Mshengu White Mambazo (Blended, 2014).
Eurasische Ensembles
Das in Hollywood am häufigsten eingesetzte Ensemble aus der zentralasiatischen Region ist das Alexandrow-Ensemble (Chor der Roten Armee). Seit dem Kalten Krieg wird Russland in Hollywood-Filmen oft als Antagonist dargestellt. Als Ensemble, das sich aus russischen Militärangehörigen zusammensetzt, stellt der Chor der Roten Armee nicht nur die russische Kultur musikalisch dar, sondern verkörpert auch die militaristischen Aktivitäten, die auf der Leinwand stattfinden. Ähnlich wie Ladysmith Black Mambazo wurde das Ensemble ausschließlich durch lizenzierte Aufnahmen in den Film integriert und ist in fünfzehn Hollywood-Filmmusiken zu hören.
Abgesehen vom Chor der Roten Armee sind keine anderen Chorensembles aus Zentral- oder Ostasien bekannt, die in Hollywood-Filmen mitgewirkt haben. In der Vergangenheit waren asiatische Kulturen in Hollywood deutlich unterrepräsentiert, ein Problem, das in letzter Zeit von der Filmindustrie verstärkt wahrgenommen wird.
Ozeanische Ensembles
Um die Jahrtausendwende wurden Chorensembles aus Ozeanien von Hollywood mit neuem Interesse bedacht. Dieses plötzliche Interesse war teilweise auf den Erfolg der Herr der Ringe (2001-03) Filmtrilogie zurückzuführen, die hauptsächlich in Neuseeland gedreht wurde8.
Für Herr der Ringe: Die Gefährten des Rings (2001) wollten Regisseur Peter Jackson und Komponist Howard Shore einen pazifischen Inselsound für die Szene in den Minen von Moria haben.
Als Ergänzung zum Hauptensemble des Films, den London Voices, engagierte Shore Igelesen Ete, um ein 60-köpfiges Tenor-Bass-Ensemble aus regionalen Sängern zusammenzustellen9. Mehr als ein Jahrzehnt später wurde Ete erneut von Hollywood für den Film Moana (2016) angefragt. Als Leiter der Schule für darstellende Künste der Universität in Fidschi setzte Ete sein Universitätsensemble Pasifika Voices für das Projekt ein10.
In Australien wurden der Sydney Children’s Choir und der Sydney Philharmonia Choir für die Filme Happy Feet (2006) und Australia (2008) verpflichtet. Interessant ist, dass der Komponist John Powell für den Film Happy Feet ein beispiellos großes Ensemble von 600 Stimmen einsetzte11.
Südamerikanische Ensembles
Chöre aus Südamerika sind die bei weitem am stärksten unterrepräsentierten Ensembles in Hollywood. Nach einer umfangreichen Suche ist das einzige Chorensemble aus Südamerika, von dem bekannt ist, dass es in einem Hollywood-Film aufgetreten ist, die Niños Cantores des Morelia Chores (The Bravados, 1958). Erklärungen für die Unterrepräsentation südamerikanischer Ensembles in Hollywood sind nicht bekannt. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die große Zahl lateinamerikanischer Einwanderer in den Vereinigten Staaten, die als Vertragssänger in den Studios arbeiteten, den Bedarf an südamerikanischen Chorensembles verringerte.
Schlussfolgerungen
Als Ausdruck der kulturellen Identität eines Landes haben internationale Chorensembles eine wichtige Rolle bei der authentischen Darstellung ihrer Heimatkulturen in Hollywood-Filmen gespielt. Leider wurden internationale Ensembles in der Geschichte der Filmproduktion in Hollywood jedoch immer wieder an den Rand gedrängt. Die mangelnde Vielfalt in Hollywood wurde in den letzten zehn Jahren von führenden Vertretern der Branche kritisch beobachtet. Infolgedessen haben viele amerikanische Filmgesellschaften in letzter Zeit der Produktion vielfältiger Filme Priorität eingeräumt. Durch dieses gesteigerte Bewusstsein für Vielfalt kann die internationale Chorgemeinschaft in naher Zukunft hoffentlich ein gesteigertes Interesse aus Hollywood verzeichnen.
Dr. Micah Bland ist Direktor für Choraktivitäten und Gastprofessor an der Universität von Toledo, wo er die Chamber Singers und den Universitätschor leitet und Kurse in Chormusikpädagogik, Dirigieren und Gesang unterrichtet. Er ist der Gründer und Gastgeber des ChoralEd Video-Podcasts, der auch ein monatlicher Blogbeitrag auf ChoralNet der ACDA ist. E-Mail: mbland1613@gmail.com
1 Micah Bland, “Choral Music in Film” (ProQuest Dissertations Publishing, 2021).
2 Charles Leinberger, Ennio Morricone’s The Good, the Bad and the Ugly: A Film Score Guide (Lanham, MD: Scarecrow Press) 2004.
3 Maria Konnikova, “How ‘Frozen’ Took Over the World,” The New Yorker, June 25, 2014, https://www.newyorker.com/science/maria-konnikova/how-frozen-took-over-the-world.
4 Josh Weiss, “’Frozen II’: How Christophe Beck Carved a More Mature Score Out of the Ice for Disney’s Sequel,” Forbes, December 2, 2019, https://www.forbes.com/sites/joshweiss/2019/12/02/frozen-ii-how-christophe-beck-carved-a-more-mature-score-out-of-the-ice-for-disneys-sequel/#21bb9b4771ad.
5 Lizenzierte Musik ist die Verwendung von zuvor aufgenommenem urheberrechtlich geschütztem Material.
6 Bland, Ibid.
7 Atemnkeng, Nkiacha, “The Sound of the Lion King,” Porter House Review, November 16, 2020, https://www.porterhousereview.org/articles/the-sound-of-the-lion-king/.
8 Carol Pinchefsky, “The Impact (Economic and Otherwise) of Lord of the Rings/The Hobbit on New Zealand,” Forbes, December 14, 2012, https://www.forbes.com/sites/carolpinchefsky/2012/12/14/the-impact-economic-and-otherwise-of-lord-of-the-ringsthe-hobbit-on-new-zealand/?sh=6ff2685031b6.
9 Jennifer Dann, “Twelve Questions with Moana choral composer and Lord of the Rings choir conductor Igelese Ete,” NZ Herald, May 15, 2017, https://www.nzherald.co.nz/entertainment/twelve-questions-with-moana-choral-composer-and-lord-of-the-rings-choir-conductor-igelese-ete/VUS26R772LQRRX23HYYZGY427U/.
10 Ibid.
11 Tim Walker, “John Powell interview: ‘I sold myself to the Devil, just a bit,’” Independent, May 31, 2014, https://www.independent.co.uk/arts-entertainment/classical/news/john-powell-interview-i-sold-myself-to-the-devil-just-a-bit-9466955.html.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrich Dannenbaum, Deutschland